Wachsende Kriegsgefahr nach Ermordung eines führenden iranischen Wissenschaftlers durch Israel

Der führende iranische Atomphysiker Dr. Moshen Fachrisadeh wurde am Montag beerdigt, drei Tage nachdem Israel, unterstützt von Washington, ihn ermordet hatte.

Dieser kriminelle Akt von Staatsterrorismus hat die Spannungen in der Region deutlich verschärft, und das war genau das Ziel des Mordanschlags. Bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten verbleiben US-Präsident Donald Trump noch etwa 50 Tage, und immer noch versucht er, die Ergebnisse der US-Wahlen zu kippen. Den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, der wegen Korruption angeklagt ist, erwarten diese Woche voraussichtlich die Auflösung der Knesset und Neuwahlen. Beide sehen einen neuen Krieg im Nahen Osten als Mittel, um ihre jeweiligen innenpolitischen Interessen voranzubringen.

Schauplatz des Mords an dem iranischen Wissenschaftler Mohsen Fachrisadeh (Fars via AP)

Das Pentagon hat die US-Streitkräfte in der Nahostregion kontinuierlich ausgebaut und sowohl ein F-16-Geschwader, das in Deutschland stationiert war, als auch strategische B-52-Bomber aus den USA dorthin entsandt. Außerdem ist die Flugzeugträger-Kampfgruppe USS Nimitz in den Persischen Golf abgeordert worden.

Israel seinerseits setzt seine provokativen Angriffe innerhalb Syriens auf Ziele mit Verbindung zum Iran fort. Der Stabschef der israelischen Streitkräfte, Aviv Kochavi, hat am Wochenende israelische Einheiten an der Grenze zwischen den besetzten Golanhöhen und Syrien besucht und ihnen gegenüber erklärt: „Unsere Botschaft ist klar. Wir werden bei Bedarf weiterhin mit Nachdruck dagegen vorgehen, dass sich der Iran in Syrien festsetzt, und wir bleiben in höchster Alarmbereitschaft, falls es zu militärischen Aggressionen gegen uns kommen sollte.“

Obwohl weder Washington noch Tel Aviv offiziell die Verantwortung für den Mord an Fachrisadeh übernommen haben, steht die Urheberschaft dieses Verbrechens kaum in Frage.

Die New York Times und andere Medien haben mehrere US-amerikanische und israelische Geheimdienstvertreter zitiert, die bestätigen, dass der Mord das Werk des israelischen Geheimdienstes Mossad war. Dieser ist für ähnliche staatsterroristische Morde an fünf iranischen Wissenschaftlern zwischen 2010 und 2012 verantwortlich.

Ein israelischer Geheimdienstmitarbeiter, der angeblich an der Vorbereitung des Attentats beteiligt war und anonym bleiben wollte, erklärte gegenüber der Times: „Die Welt sollte Israel für die Ermordung des Wissenschaftlers danken.“ Er begründete dies damit, dass dessen Wissen eine Bedrohung darstelle.

Die israelische Regierung hat Fachrisadeh beschuldigt, eine Studie über die Realisierbarkeit von Atomwaffen durch den Iran geleitet zu haben. Sowohl die Atominspektionsbehörde der Vereinten Nationen als auch der US-Geheimdienst kamen zu dem Schluss, dass das vermeintliche Programm im Jahr 2003 beendet wurde. Die Regierung in Teheran hat bestritten, jemals Atomwaffen anzustreben, und hat immer betont, dass das Atomprogramm ausschließlich zivilen Zwecken diene.

Der israelische Geheimdienstminister Eli Cohen behauptete in einem Interview mit dem israelischen Armee-Sender, er wisse nicht, wer für den Mord an Fachrisadeh verantwortlich sei, prangerte aber jene europäischen Regierungen an, die ihn verurteilen, weil sie „den Kopf in den Sand stecken“. Er fügte hinzu: „Seine Beseitigung leistet einen Beitrag für den Nahen Osten und die ganze Welt. Jeder, der sich aktiv an der Entwicklung einer Atomwaffe beteiligt, ist ein zum Tode Verurteilter.“

Eine besonders groteske Anerkennung der israelischen Verantwortung kam von der rechtsgerichteten Jerusalem Post, die ein Sprachrohr für Netanjahus Politik ist. Sie verglich den Mord mit dem Mafiamord am New Yorker Verbrecherboss Paul Castellano 1985 und erklärte, dass er „die Macht der Verantwortlichen“ demonstriere: „Jeder Iraner, der mit dem Atomprogramm in Verbindung steht, kann aufgespürt und getötet werden.“ Nie zuvor hat sich der kriminelle Charakter des zionistischen Staates so offen gezeigt

Der Mordanschlag kam kaum eine Woche nach den Gesprächen von US-Außenminister Mike Pompeo mit der Regierung Netanjahu in Israel und seiner anschließenden, unangekündigten Reise mit Netanjahu zusammen in die Stadt Neom am Roten Meer, wo Pompeo sich mit Saudi-Arabiens De-facto-Herrscher, Kronprinz Mohammed bin Salman, beriet. Der Schwerpunkt von Pompeos Reise, die in der Übergangszeit zwischen den US-Wahlen und der Amtseinführung stattfand, lag auf der Festigung der anti-iranischen Achse zwischen Washington, Tel Aviv und den reaktionären sunnitischen Ölmonarchien unter Führung des Hauses Saud. Es ist unvorstellbar, dass es im Verlauf dieser Gespräche nicht auch um die bevorstehende Ermordung Fachrisadehs ging.

Noch vor diesem Akt von Staatsterrorismus wurde bekannt, dass Trump am 12. November mit seinem nationalen Sicherheitskabinett zusammengetroffen war, dem er einen Angriff auf die wichtigste iranische Nuklearanlage in Natanz vorschlug. Als Vorwand wurde angeführt, der Iran habe seinen Lagerbestand an schwach angereichertem Uran vergrößert. Das ist weder eine Verletzung des Völkerrechts noch ein Beweis dafür, dass der Iran eine Bombe anstrebt. Zwar sollen die leitenden Berater des US-Präsidenten ihm ein solches Kriegsverbrechen ausgeredet haben. Es ist aber offensichtlich, dass die Trump-Regierung weiterhin nach einer Provokation sucht, die einen Krieg rechtfertigen würde.

Das Attentat hat wütende spontane Demonstrationen in zahlreichen iranischen Städten ausgelöst. Es hat auch die politischen Spaltungen innerhalb des bürgerlich-theokratischen herrschenden Establishments des Landes offen gelegt. Präsident Hassan Rouhani und Außenminister Sarif mahnten zur Zurückhaltung, wobei sie im Wesentlichen die Taktik verfolgten, auf Biden zu hoffen. Sie haben die Hoffnung, dass eine neue US-Regierung unter Führung der Demokratischen Partei sich dem vor zwei Jahren von Trump einseitig gekündigten Nuklearabkommen von 2015 wieder anschließt und die verheerenden Wirtschaftssanktionen aufhebt, die im Rahmen von Washingtons Kampagne des „maximalen Drucks“ für einen Regimewechsel verhängt wurden.

Biden hat bezeichnenderweise keine Kritik am Staatsmord an dem iranischen Wissenschaftlers geübt. Er hat auch erkennen lassen, dass er die Wiederaufnahme des Nuklearabkommens an Bedingung knüpfen würde, die dem Iran weitere Zugeständnisse abringen, unter anderem in Bezug auf seine Raketenproduktion. Iranische Beamte haben erklärt, dass sie ihre eigenen Forderungen stellen könnten, darunter die Forderung nach Entschädigung für die verheerenden Auswirkungen des illegalen US-Sanktionsregimes.

Andere Teile des iranischen Staats haben rasche Vergeltungsmaßnahmen gefordert. Das Parlament stimmte für eine Resolution zum Rückzug aus dem Teil des Nuklearabkommens, der UN-Inspektoren der IAEA Zugang zu den iranischen Atomanlagen gewährt. Die Tageszeitung Kayhan, deren Chefredakteur vom Obersten Führer Ajatollah Ali Khamenei ernannt wurde, forderte am Sonntag, der Iran solle sich mit einem Angriff auf die israelische Hafenstadt Haifa für das Attentat rächen. Da im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen, werden sich diese Spaltungen wahrscheinlich noch vertiefen.

Ebenfalls am Montag stellten iranische Regierungsvertreter und Medien eine neue Version des Mordanschlags auf Fachrisadeh vor. Darin wird behauptet, er sei von einem neuen israelischen Waffensystem getötet worden, einem ferngesteuerten Maschinengewehr, das von einem Satelliten aus gesteuert wird, wobei es keine Attentäter direkt an dem Tatort gab, an dem sein Auto angegriffen wurde.

Zuvor hatten die staatlichen Medien berichtet, das Fahrzeug von Fachrisadeh sei durch die Explosion einer Bombe gestoppt worden, die in einem geparkten Lastwagen mit Holz explodierte, und sei dann von 12 wartenden Attentätern mit automatischen Waffen angegriffen worden. Einer von ihnen habe den Wissenschaftler aus seinem Auto gezerrt und ihm einen Kopfschuss verpasst, um sicherzustellen, dass er tot sei.

Es wurde nicht erklärt, warum die Darstellung des Mordanschlags geändert wurde. Die Ermordung des iranischen Spitzenwissenschaftlers, der vor zwei Jahren von Netanjahu öffentlich ins Visier genommen worden war, stellt eindeutig ein schwerwiegendes Sicherheitsversagen dar. Wenn die erste Version des Attentats wahr ist, könnte die Geschichte des ferngesteuerten Maschinengewehrs ein Versuch sein, von der Kritik an diesem Fehlschlag abzulenken und die Tatsache wegzudiskutieren, dass keiner der Angreifer gefasst wurde.

Angesichts der wachsenden Wut über die zunehmend desolaten sozialen Verhältnisse, die durch das US-Sanktionsregime und das Fehlverhalten des Staats in Bezug auf die Corona-Pandemie entstanden sind, und angesichts einer neuen Runde von Streiks und Protesten, kann es sich die Regierung nicht leisten, schwach zu erscheinen.

Die Gefahr, dass die Trump-Regierung das Attentat oder sogar weitere Provokationen ausnutzen wird, um einen neuen Krieg im Nahen Osten zu beginnen, wurde von zwei ehemaligen leitenden Beamten des militärischen Sicherheitsapparats der USA aufgeworfen.

In der NBC-Nachrichtensendung Meet the Press am Sonntag verwies der ehemalige Vorsitzende des Joint Chiefs of Staff, Admiral Mike Mullen (im Ruhestand), auf die kürzliche Säuberung von zivilen Spitzenbeamten im Pentagon und ihre Ersetzung durch Trump-Getreue und rechtsextreme anti-iranische Ideologen.

Mullen erklärte: „Es ist ziemlich schwer zu glauben, dass man im Laufe von 50 oder 60 Tagen etwas Konstruktives tun könne, aber man kann etwas tun, das wirklich destruktiv ist. Und vor einer Woche gab es gewisse – viele – Berichte in den Medien, es gebe eine Diskussion über Aktionen speziell gegen den Iran. Berichten zufolge [wurde] der Präsident abgewiesen. Aber ich würde mir Sorgen darüber machen, dass diese Fragen weiterhin kursieren.“

Der Ex-CIA-Direktor John Brennan seinerseits, der die Ermordung von Fachrisadeh als einen „Akt staatlichen Terrorismus“ bezeichnet hatte, äußerte am Montag in einem NBC-Interview ähnliche Bedenken. Mit Bezug auf die Neubesetzungen im Pentagon sagte Brennan: „Wir alle sollten darüber besorgt sein (...) In den kommenden Wochen, in denen Trumpnoch im Weißen Haus ist, weiß ich nicht, was er geplant haben könnte, um das Militär entweder innenpolitisch oder in der internationalen Arena einzusetzen.“

Brennan erklärte nicht, was er mit dem „innenpolitischen“ Einsatz des Militärs meinte. Trumps Entlassung von Verteidigungsminister Mark Esper und seine Ersetzung durch einen ehemaligen Oberst der Special Forces, Christopher Miller, waren jedoch zum großen Teil auf Trumps Ärger darüber zurückzuführen, dass Esper seine Forderung vom vergangenen Juni nicht unterstützt hatte, das Aufstands-Gesetz anzuwenden und reguläre Truppen der US-Armee im ganzen Land einzusetzen, um gewalttätige Anti-Polizeidemonstrationen zu unterdrücken.

Die Gefahr, dass Trump einen provozierten militärischen Konflikt mit dem Iran als Rechtfertigung für die Verhängung des Kriegsrechts und die Annullierung der US-Wahlen benutzen könnte, besteht weiterhin. Unterdessen verstärken sich die Kräfte, die auf Krieg und Diktatur hintreiben -  ganz gleich, wer nach dem 20. Januar im Weißen Haus regiert - denn sie haben ihre Ursache in der unlösbaren Krise des US- und Weltkapitalismus.

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