Nach Ablehnung der Auslieferung:

Assanges Antrag auf Kaution abgelehnt, Anwälte ziehen vor den High Court

Das Amtsgericht von Westminster hat Julian Assanges Antrag auf Freilassung gegen Kaution abgelehnt. Der WikiLeaks-Gründer wird bis auf weiteres weiter im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten.

Bezirksrichterin Vanessa Baraitser verkündete ihre Entscheidung am Mittwoch, nachdem sie am Montag wegen psychischer Beeinträchtigungen Assanges gegen seine Auslieferung in die USA entschieden hatte. Bis der Einspruch der Anklage gegen dieses Urteil angehört wurde, wird Assange weiter in Haft bleiben.

Das Amtsgericht Westminster

Wie WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson danach ankündigte, werden Assanges Anwälte wegen der Ablehnung der Kaution vor den High Court ziehen.

Durch ihre Ablehnung einer Freilassung gegen Kaution bestätigt Baraitser, dass ihre Entscheidung gegen eine Auslieferung nicht von echter Sorge um Assanges Gesundheit motiviert war, sondern von politischen Erwägungen. Assange wird weiterhin unter Bedingungen festgehalten, die schwerwiegende Auswirkungen auf seine psychische Gesundheit haben und – angesichts der massiven Eskalation der Corona-Pandemie in Großbritannien – auch seine körperliche Gesundheit unmittelbar gefährden.

Nick Vamos, der ehemalige Leiter der Abteilung für besondere Verbrechen und Auslieferungen beim Crown Protection Service, deutete am Dienstag in einem Interview mit dem Sydney Morning Herald an, dass der Berufungsprozess zwei bis drei Monate dauern könnte.

Baraitser akzeptierte in ihrer Urteilsbegründung die Behauptung der Anklage, Assanges Flucht in die ecuadorianische Botschaft im Jahr 2012 sei der Beweis für seine Bereitschaft zu weiteren Fluchtversuchen. Damals hatte ein britisches Gericht ihm die Freilassung auf Kaution gestattet, als es um die fingierten Vergewaltigungsvorwürfe und den Auslieferungsantrag aus Schweden ging. Dies mit seiner heutigen Situation gleichzusetzen, ist absurd und von Rachsucht motiviert.

Assange machte damals von seinem Recht auf Asyl in der ecuadorianischen Botschaft Gebrauch, um der Auslieferung in die USA zu entgehen. Hintergrund davon waren die bösartigen Angriffe der Obama-Regierung auf WikiLeaks und die globale Hetzjagd auf seinen Gründer. Für das Kautionsvergehen hat Assange bereits von Mai bis September 2019 die höchstmögliche Strafe verbüßt, und jetzt wird dies noch als Grund benutzt, um ihm die Freilassung gegen Kaution gegen das gleiche Auslieferungsverfahren zu verwehren, dem er 2012 entgehen wollte – und das Baraitser selbst als „repressiv“ bezeichnet hatte!

Wie Assanges Anwalt Edward Fitzgerald (QC) in seinem Antrag erklärte, stellt sich die Situation heute völlig anders dar. Assange hat jetzt ein für ihn günstiges Gerichtsurteil. Er ist dennoch bereit, sich strengen Kautionsauflagen zu unterwerfen, die auf faktischen Hausarrest mit einer elektronischen GPS-Fußfessel hinauslaufen. Selbst Terrorverdächtige können unter diesen Bedingungen gegen Kaution freigelassen werden. Seine Erfahrung mit dem Asyl in der Botschaft hat sich laut Fitzgerald als „ungut“ erwiesen, da er „faktisch sieben Jahre in Haft saß, bevor ihm der Asylstatus entzogen wurde. (...) Das ist nichts, was er gerne wiederholen wird.“

Zudem hat Assange mittlerweile eine Familie, eine Partnerin und zwei Kinder in Großbritannien. Diese Familie ist nicht nur ein Grund, keine Fluchtversuche zu unternehmen, sondern ist eindeutig auch ein starkes Argument dafür, ihn auf Kaution freizulassen. Aufgrund der Einschränkungen wegen Covid-19 hat Assange seine Familie seit März 2020 nicht mehr gesehen. Mit ihnen zusammenleben konnte er wegen seiner fünfzehnmonatigen Gefangenschaft und seinem Eingesperrt-Sein in der Botschaft von Ecuador noch nie.

Fitzgerald schrieb, Assanges Familie sei hochgradig relevant für seine psychische und physische Gesundheit, und er erklärte: „Eine Freilassung auf Kaution würde ihm körperlichen Kontakt mit seiner Familie erlauben, was seine psychische Belastung verringern würde.“

Baraitser hatte in ihrem Urteil über die Auslieferung die Vorzüge der Unterstützung seiner Familie für Assange eingeräumt. Sie beschrieb ihn als „deprimierten und manchmal verzweifelnden Mann, der echte Angst um seine Zukunft hat“.

Eine Freilassung auf Kaution würde für Assange auch die Gefahr einer Infektion mit Covid-19 „erheblich reduzieren“. Fitzgerald wies auf den „schweren Ausbruch“ des Virus im Gefängnis Belmarsh hin und erklärte, alleine vor Weihnachten habe es 59 positiv getestete Fälle geben. Er fügte hinzu: „Jedenfalls ist [der Stand der Epidemie in Großbritannien] heute schlimmer. Auf jeden Fall wäre es sicherer, wenn er sich mit seiner Familie isolieren würde, als wenn er in Belmarsh säße.“

Baraitser wies diese Bedenken zurück und erklärte: „Dieses Gefängnis schützt die Gesundheit der Gefangenen während dieser Pandemie in angemessener und verantwortungsbewusster Weise.“ Bereitwillig nahm sie die Versicherungen der Anklage, momentan seien in Belmarsh nur drei Gefangene infiziert, für bare Münze. Diese Behauptung stammt aus einer E-Mail aus Belmarsh vom Mittwochabend, allerdings lässt ihre Wortwahl deutliche Fragen offen. Fitzgerald erklärte dazu: „Wir sind uns nicht sicher, ob das nicht bedeutet, dass am gestrigen Tag drei Menschen positiv getestet wurden.“

Weiter betonte Assanges Verteidiger, dass es einen „allgemeinen Grund“ für seine Freilassung auf Kaution gebe: „Während der langen Anhörung blieb der Auslieferungsantrag die Grundlage für die Inhaftierung und die Verweigerung von Kaution. Nachdem Sie jetzt ein ausgewogenes Urteil gefällt und die Einstellung des Verfahrens gegen ihn verfügt haben (…) wäre die natürliche und logische Konsequenz (…) dieses Urteils, dass er seine Freiheit zumindest unter Bedingungen zurück erhält.

Eigentlich besagt jeder Kanon des englischen Rechts der letzten Jahrhunderte, dass es zumindest einen Grund für Freilassung unter Bedingungen ist, wenn ein Verfahren eingestellt worden ist.“

Kristinn Hrafnsson, WikiLeaks-Chefredakteur

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson verurteilte Baraitsers Entscheidung in einer Rede vor dem Gerichtsgebäude: „Es ist offenkundig eine großes Enttäuschung, dass Richterin Baraitser nicht beschlossen hat, Julian Assange auf Kaution freizulassen. Wir halten es für ungerecht und unlogisch angesichts ihres Urteils von vor zwei Tagen über seinen Gesundheitszustand, der natürlich wegen seines Aufenthalts in Belmarsh so schlecht ist.“

„Es ist unsinnig, ihn dorthin zurückzuschicken“, so Hrafnsson weiter. „Es ist unmenschlich und unlogisch. Gegen diese Ablehnung einer Kaution wird höchstwahrscheinlich innerhalb weniger Tage oder Stunden Einspruch vor dem High Court eingereicht werden. Dort wird sie wahrscheinlich gekippt werden, weil sie, ehrlich gesagt, von keinem Standpunkt aus Sinn ergibt.“

Rebecca Vincent von Reporter ohne Grenzen erklärte, ihre Organisation „verurteilt die heute gefällte Entscheidung und betrachtet sie als unnötig grausam. Dieses Gericht kann nicht die letzten zehn höllischen Jahre aus der Welt schaffen, die Assange durchmachen musste, aber es hätte jetzt Abhilfe schaffen können. Wir sind fest davon überzeugt, dass Assange wegen seiner Beiträge zum Journalismus verfolgt worden ist. In den letzten zehn Jahren musste er nur Leid erfahren, weil er Informationen von öffentlichem Interesse publiziert hat. Man darf ihn keinen weiteren Moment lang ungerechtfertigt seiner Freiheit berauben.

Wir bekräftigen unsere Bedenken wegen seiner psychischen und physischen Gesundheit, solange er im Gefängnis Belmarsh bleiben muss. Wenn ihm in der Haft jetzt noch etwas passiert, liegt die juristische und moralische Verantwortung bei der britischen Regierung.“

Stella Morris

Assanges Partnerin Stella Moris bezeichnete das Ergebnis als „riesige Enttäuschung. Julian hätte von Anfang an nicht nach Belmarsh gehört.“

Tatsächlich ist Baraitsers Ablehnung eine Warnung: Assange ist noch lange nicht in Sicherheit. In ihrer Urteilsbegründung am Mittwoch erklärte die Richterin: „Soweit es Assange betrifft, ist dieser Fall noch nicht abgeschlossen.“

Die Anklageseite hat die Entscheidung gegen eine Auslieferung als ein Urteil bezeichnet, das „an einem einzigen Faden hängt“: Es beruht ausschließlich auf Assanges psychischer Gesundheit und Selbstmordgefahr, akzeptiert aber die undemokratischen Argumente der US-Anwälte in allen anderen juristischen Punkten.

Nick Vamos wies in seinem Interview mit dem Sydney Morning Herald darauf hin, dass die Berufung eine Gelegenheit für die US-Regierung sein könnte, die Entscheidung gegen die Auslieferung noch zu kippen. Sie müsste nur versprechen, dass Assange in den USA gut behandelt würde: „Sie könnten beispielsweise zustimmen, ihn nicht in einem bestimmten Gefängnis zu inhaftieren oder auf bestimmte Bedingungen zu verzichten, seine Gesundheit zu verbessern oder ihn unter Suizidaufsicht zu stellen.“

Clair Dobbin, die die USA vertritt, deutete am Mittwoch an, dass diese Pläne bereits ausgearbeitet werden: „Es werden auch Schritte in Erwägung gezogen, um auf die Bedenken des Urteils wegen seines psychischen Zustandes einzugehen.“

Beamte der Londoner Metropolitan Police bei Verhaftungen

Vor dem Gerichtsgebäude wurden mehrere Teilnehmer an einer Kundgebung für Assange wegen angeblicher Verstöße gegen die Covid-19-Regeln verhaftet, darunter auch ein 92-Jähriger. Die Polizei erschien mit etwa 50 Beamten und Transportern, offenbar als Einschüchterung für die Teilnehmer künftiger Demonstrationen.

Auf Live-Aufnahmen von RT ist zu sehen, wie die Polizei gegen Journalisten vorgeht, sie grob aus dem Weg drängt und Kameraleute physisch behindert, obwohl diese sich als Journalisten ausweisen. Der unabhängige Reporter Gordon Dimmack, der vor Ort anwesend war, schrieb auf Twitter: „Die Polizei hat den unabhängigen Medien mitgeteilt, sie müssten verschwinden oder würden verhaftet werden.“

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