Bund und Länder verschärfen Abschiebungen trotz Corona

Zum Jahreswechsel verschärfen die Bundesregierung und die Landesregierungen ihre Abschiebepolitik.

Bereits im Sommer wurden die zeitweise ausgesetzten Dublin-Überstellungen von und nach Deutschland sowie Sammelabschiebungen, die zeitweise wegen den weltweiten Reisebeschränkungen ausgesetzt worden waren, wieder aufgenommen. Seit Dezember finden wieder Massenabschiebungen nach Afghanistan statt. Für Januar sind nun sogar Abschiebungen nach Syrien geplant.

Diese Politik ist umso krimineller, da sie vor dem Hintergrund der weltweit explodierenden Corona-Pandemie stattfindet. Täglich infizieren sich mehr als 800.000 Menschen mit dem Virus und etwa 15.000 sterben.

Die Sammelunterkünfte in Deutschland sind zu Coronabrutstätten geworden. Der bayrische Flüchtlingsrat teilte in einer Pressemittelung vom 23. Dezember 2020 mit, dass „in vielen Unterkünften nach wie vor das Coronavirus“ grassiert. „Zahlreiche Einrichtungen stehen unter Quarantäne.“

Die katastrophalen Zustände der Unterkünfte führte zu einem günstigen Nährboden für die schnelle Ausbreitung des Corona-Virus.

In Abschiebezielen wie z.B. Syrien und Afghanistan gibt es keine medizinische Versorgung, um Menschen, die an Corona erkrankt sind, adäquat zu behandeln.

Mit den Abschiebungen werden die Abgeschobenen, das Begleitpersonal sowie die unmittelbaren Kontakte im Abschiebeziel rücksichtslos einer vermeidbaren Gefahr ausgesetzt.

Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Syrien

Nach dem Auslaufen des Abschiebestopps nach Syrien zum Ende des Jahres sollen die Abschiebungen in das vom andauernden, brutalen Regimewechsel-Krieg gezeichnete Land in diesem Jahr wiederaufgenommen werden.

„Mit dem Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist besprochen, dass wir ab 1. Januar 2021 jeden einzelnen Fall genau prüfen und versuchen, eine Abschiebung zu ermöglichen“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der Bild am Sonntag.

Dieses Vorhaben wurde von Menschenrechtsorganisationen bereits Ende November scharf kritisiert. „Angesichts von Foltergefängnissen, willkürlicher Verfolgung und Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung ist klar: Abschiebungen sind und bleiben völkerrechtswidrig“, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.

Selbst Gregor Jaecke, Leiter des Auslandsbüros Irak/Syrien der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, forderte von der Bundesregierung, dass sie sich solchen Plänen „entschieden entgegenstellen“ müsse, da „Rückführungen unter sicheren, würdigen und dauerhaften Bedingungen derzeit nicht möglich” seien.

Sammelabschiebungen nach Afghanistan

Massenabschiebungen nach Afghanistan haben die Regierungen in Bund und Ländern bereits wieder aufgenommen. Ende Dezember 2020 landete das erste Mal seit neun Monaten eine Maschine mit 30 Asylsuchenden in Kabul, der Hauptstadt des kriegsversehrten Landes. In einer Phase der Pandemie, in der die Infektions- und Todeszahlen täglich neue Rekorde erreichen, spiegelt dieses Vorgehen die kriminelle Haltung der herrschenden Klasse gegenüber Menschenleben wieder.

Ende November 2020 erschien ein Gutachten der Migrationsforscherin Eva-Catharina Schwörer über „die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Lage in Afghanistan“. Es kommt zum Ergebnis, dass das wenig belastbare Gesundheitssystem an seinen Grenzen und die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, in dem Land sehr hoch ist.

Das Gutachten zeigt auf, wie sich die indirekten Folgen der Pandemie auf die Lebensumstände ausgewirkt haben. Zwischen März und Mai 2020 haben sich die Lebensunterhaltungskosten verdoppelt oder sogar verdreifacht. In Bezug auf die Ernährungssicherheit heißt es, „dass rund die Hälfte aller Afghanen so arm sind, dass sie ohne die kostenlosen Lebensmittel der UN verhungern würden“.

Die Anzahl der in Armut lebenden Menschen stieg in Afghanistan von 45 Prozent vor Ausbruch der Pandemie auf mittlerweile 72 Prozent. Im Gutachten wird ein Mitarbeiter der Weltbank zitiert: „Etwas 80% der Menschen in Afghanistan sind nicht in der Lage, einen finanziellen Schock [wie z.B. eine Krankheit] auszuhalten.“

Die wirtschaftliche Situation des Landes hat sich durch die Corona-Pandemie stark verschärft. Rund 16 Millionen Afghanen in Städten sind Tagelöhner, und schon vor der Krise fanden von den jährlich 600.000 jungen Arbeitern, die neu auf den Arbeitsmarkt strömten, nur etwa 200.000 eine Arbeit.

Eva-Catharina Schwörer fasst die Situation so zusammen: „Für abgeschobene Afghanen aus Europa war es bereits vor COVID-19 ohne finanzielle Hilfen sehr schwer, in Afghanistan ihren Lebensunterhalt auf legale Weise zu bestreiten. Mittlerweile grenzt dies an Unmöglichkeit.“

13 Bundesländer beteiligten sich an der Abschiebung: Brandenburg, Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen

Dieser menschenfeindliche Umgang der Bundesregierung und der Landesregierungen zeigt deutlich, wie neben der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU im Bund auch die von den Grünen (Baden-Württemberg) und der Linkspartei (Thüringen) geführten Landesregierungen die Politik der AfD umsetzen.

Wie der Flüchtlingsrat Bayern mitteilte, wird die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan vermutlich am 12. Januar stattfinden.

Brutales Abschieben von Familien

In den ersten sechs Monaten 2020 wurden trotz der grassierenden Pandemie 4616 Menschen aus Deutschland in Länder der EU, nach Afghanistan, Syrien oder den Irak abgeschoben. Die Corona-Pandemie brachte die deutsche Abschiebeoffensive nur kurzzeitig ins Stocken. Seit mehreren Monaten wird sie wieder mit voller Härte durchgesetzt.

Besonders bezeichnend sind Abschiebungen, bei denen Familien zerrissen oder gut integrierte Asylsuchende brutal abgeschoben werden. Hier nur einige Beispiele:

- In der Nacht zum Freitag, 4. Dezember, wurde die siebenköpfige Familie Akyüz aus Sontra nach Istanbul abgeschoben. Der Vater der Familie lebt seit 30 Jahren in Sontra (Hessen) und hatte immer wieder nur Duldungen für zwei Monate erhalten.

Die 15 Jahre alte Tochter und ihre vier Brüder sind alle in der Region geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie sprechen kein Türkisch. Über die Durchführung der Abschiebung durch die Polizei sagt sie: „Ich hab so sehr gezittert, ich konnte mich kaum bewegen und kaum atmen.“

Ihr 13-jähriger Bruder Mohamed beschreibt die Nacht so: „Wir haben alle geschlafen und plötzlich kamen mehrere Polizisten in unser Zimmer. Das war sehr schlimm. Wir wussten gar nicht, was wir machen sollen, es waren so viele Polizisten da.“

- Auch bei einer Familienabschiebung am 7. Dezember in Magdeburg kam es zu schweren Vorwürfen gegenüber den Einsatzkräften. Während der Abschiebung konnten die 13-jährige Tochter und ihr 11-jähriger Bruder fliehen. Bei der Abschiebung soll eine Waffe gezogen worden sein.

Anstatt die Abschiebung auszusetzen, wurde die Familie von den Behörden getrennt. Die psychisch kranke Mutter, die seit ihrem 10. Lebensjahr in Deutschland lebt, wurde mit den beiden jüngeren Kindern (3 und 7 Jahre) nach Armenien abgeschoben. Das Land befindet sich momentan im Krieg mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach.

Robert Fietzke, Vorsitzender des Flüchtlingsrats Sachsen-Anhalt, schätzt den Ablauf der Abschiebung als nicht rechtmäßig ein: „Es ist nicht so, dass die Ausländerbehörde nicht noch eine andere Entscheidung hätte treffen können.“

Die deutsche Abschiebepolitik geht wie die deutsche Coronapolitik über Leichen. Asylsuchende werden in den Sammelunterkünften wie Vieh gehalten, in Nacht und Nebel Aktionen deportiert oder der Zutritt nach Europa wird ihnen ganz versperrt. Tausende ertrinken im Mittelmeer oder kämpfen in europäischen Lagern ums Überleben. Die WSWS hat jüngst über die unerträglichen, menschenverachtenden Zustände in den Flüchtlingslagern Kara Tepe in Griechenland und Lipa an der bosnisch-kroatischen Grenze berichtet. Auch hierfür tragen Berlin und Brüssel die volle Verantwortung.

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