Großbritanniens Socialist Workers Party und Counterfire verschleiern die politische Bedeutung von Trumps Putsch

Pseudolinke Gruppen haben auf den Putschversuch von Donald Trump überall auf der Welt gleich reagiert. Am prägnantesten hat Alex Callinicos, führender Theoretiker der britischen Socialist Workers Party (SWP) und sympathisierender Gruppen in vielen Ländern, ihre Position auf den Punkt gebracht: „Kein Grund zur Panik - in Washington wird schnell wieder Ordnung herrschen.“

Alex Callinicos

Diese Worte setzte Callinicos am 6. Januar über Twitter ab, gut drei Stunden, nachdem hunderte Randalierer, unter ihnen bewaffnete faschistische Schläger, ins Kapitol eingedrungen waren. In diesen drei Stunden waren Millionen Menschen auf der ganzen Welt Zeuge historisch beispielloser Szenen. Abgeordnete und Senatoren hatten sich aus Furcht um ihre Sicherheit und ihr Leben aus dem Senatssaal geflüchtet. Aber Callinicos blieb dabei: Man müsse „Ruhe bewahren und weitermachen“. In einem weiteren Tweet schrieb er:

„Weimar in Washington, aber dies ist kein Putsch. So endet die Trump-Präsidentschaft, nicht mit einem Paukenschlag oder geräuschlos, sondern mit einem Aufschrei ohnmächtiger Wut.“

In seinen weiteren Tweets an diesem Tag bestritt Callinicos beharrlich, dass ein Putschversuch stattfinde. Er schrieb: „Ein Grund, warum die Demokraten unbedingt von einem Putsch sprechen wollen, besteht darin, weil sie dann als Garanten der verfassungsrechtlichen Legitimität dastehen. Das ist ein Grund, weshalb viele von Trumps Verbündeten in der republikanischen Führung, angeführt von [Mike] Pence und [Mitch] McConnell, die rechten Radaumacher sogleich verurteilten“.

Alex Callinicos‘ Tweet: „Kein Grund zur Panik - in Washington wird schnell wieder Ordnung herrschen.“

Callinicos beharrte darauf, dass es in den herrschenden Kreisen keine Unterstützung für einen Putsch gebe, außer im engsten Umfeld Trumps. Die maßgeblichen Teile der herrschenden Klasse seien der Demokratie verpflichtet und glücklich, dass Biden und die Demokraten gewonnen hätten, denn „das Kapital in den Vereinigten Staaten schätzt die bestehende verfassungsmäßige Ordnung. Und warum auch nicht? Sie macht die Reichen immer reicher und beutelt die arbeitenden Menschen immer härter.“

Am nächsten Tag schrieb der Nationale Sekretär der SWP, Charlie Kimber, im Socialist Worker: „Das war kein Putsch... Im Moment brauchen die Bosse die extreme Rechte nicht. Sie mögen das gegenwärtige System, das inmitten des Massensterbens und Leidens unter der Pandemie zu Rekordgewinnen an der Börse geführt hat. Und die wahre Macht sitzt in den Chefetagen der Unternehmen und im Staat, nicht im Regierungsgebäude.“

Diese Aussage bringt die selbstgefällige und politisch gefährliche Rolle der SWP auf den Punkt. Ein Staatsstreich beinhaltet oftmals die symbolische Eroberung eines Regierungsgebäudes - Zentrum der politischen Macht der Bourgeoisie. In diesem Fall wollten Trumps Anhänger das Kapitol stürmen, um die Bestätigung von Bidens Sieg bei den Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Sie wollten führende Politiker in ihre Gewalt bringen und möglicherweise ermorden und die in ihrer Gewalt Befindlichen als Geiseln benutzen. Dabei konnten sie auf die Mithilfe von Teilen des Staatsapparats zählen - des Pentagons, des Militärs, der CIA, des FBI und der Polizei.

Hätte Trump sein Ziel erreicht, dann hätten sich den zahlreichen Republikanern, die Trump immer vorbehaltlos unterstützt haben, und seinen kapitalistischen Hintermännern noch diejenigen angeschlossen, die sich erst verspätet von ihm distanziert haben. Sie kalkulierten, dass jemand, der die Erstürmung des Kapitols wagt und den vor der Regierungsübernahme stehenden Demokraten Bedingungen diktiert, am ehesten in der Lage sein würde, ihre Interessen im ständigen Kampf gegen die amerikanische Arbeiterklasse durchzusetzen. Die SWP mag dies nicht sehen, aber Trump verstand es genau so. Schon jetzt werden sich die Diskussionen in den US-Chefetagen und im Kapitol vor allem darum drehen, wie man die rechtsextreme Bedrohung ausnutzen kann, um die Biden-Regierung zu maximalen Zugeständnissen zu zwingen sowie die Daueroffensive gegen die Arbeiterklasse fortzusetzen und zum Vorteil der Finanzoligarchie zu verschärfen, die Milliarden in Bidens und Trumps Wahlkampf investiert hat.

Callinicos und die Socialist Workers Party verharmlosen bereits seit Monaten die Gefahr, die von Trump ausgeht, obwohl er offensichtlich einen Putsch plante und in der Bourgeoisie wie im Staatsapparat vielleicht nicht die Mehrheit hinter sich hat, aber doch erhebliche Unterstützung genießt. Um ein Beispiel zu nennen: Am 8. Oktober gab das FBI die Verhaftung von 13 Männern bekannt. Sie waren in ein Komplott zur Entführung und Ermordung der demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, verwickelt, das Teil eines Plans zum Sturz der Regierung des US-Bundesstaats war. Den Verhaftungen war am 30. April die Besetzung des Kapitols von Michigan durch bewaffnete Milizen vorausgegangen, unter ihnen zwei der später Verhafteten.

Vier Tage nach der Aufdeckung dieses Komplotts, das eine Generalprobe für den Angriff auf das Kapitol am 6. Januar war, veröffentlichte Callinicos einen Artikel, der die Verhaftungen nicht einmal erwähnt, statt dessen betont, dass Trump „zu sehr von seinem persönlichen Status und Reichtum besessen ist, um an der Schaffung eines neuen Regimes interessiert zu sein. Und das Großkapital braucht keinen Faschismus, um die geschwächten Gewerkschaften in den USA zu zerschlagen.“

Am 8. Januar bewarb Callinicos auf Twitter eine in seinen Worten „ausgezeichnete Analyse“ von Marx21, einer Gruppe in den USA, die mit der SWP sympathisiert.

Marx21 hatte am 17. Dezember in International Socialism geprahlt: „Während Trumps Präsidentschaft hat unsere Organisation Marx21 den Standpunkt vertreten, dass Trump kein Faschist ist und dass sich in den USA der Faschismus nicht wirklich breitgemacht hat.“ Ihre „ausgezeichnete Analyse“ am 7. Januar stellte die Frage: „Ein Trump-Putsch?“ und antwortete selbst darauf: „Weder das Militär noch die Bundespolizei sind derzeit bereit, einen Aufstand gegen den Staat zu unterstützen.“

Die politische Linie von Marx21 beweist, dass Callinicos' Angriff auf Biden sowie die Kritik der SWP an der Blair-Fraktion in der britischen Labour-Party bei gleichzeitiger Unterstützung für Jeremy Corbyn mit der Orientierung auf „linke“ Vertreter der US-Demokraten verbunden ist. Sie argumentieren, dass eine „linke Antwort“ auf den 6. Januar darin besteht, „die größtmögliche Einheit aller Antirassisten“ aufzubauen, zu denen sie auch die Unterstützer von Bernie Sanders, die Democratic Socialists of America und andere „Mainstream-Organisationen“ zählen. Dagegen kein einziger Vorschlag zur Bekämpfung der unmittelbaren und anhaltenden Gefahr durch eine wachsende rechtsextreme Bewegung, die den Präsident der Vereinigten Staaten als Führer hatte.

Die Counterfire-Gruppe wurde 2010 von führenden Personen wie Lindsey German und John Rees gegründet, die sich von der SWP abgespalten hatten. Ihre unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse des 6. Januar war identisch mit der ihrer einstigen Fraktion und trug den Titel: „Einige spontane Gedanken zu den Bildern von bewaffneten Trump-Anhängern, die am Mittwoch das Kapitol übernahmen.“

Kevin Ovenden schreibt darin: „Was in Washington geschieht, ist Symptom einer Krankheit. Es ist jedenfalls kein Putsch.“ Rees erklärt: „Die Trump-Anhänger sind weder zahlreich noch organisiert genug, um einen Putsch durchzuführen. Auch wird sich kein nennenswerter Teil der Polizei oder der Streitkräfte ihnen anschließen. Es handelt sich also um eine extreme Form des Protests, und Trump gibt bereits Erklärungen ab, dass er die Polizei unterstützt. nachdem er zunächst selbst zu den Protesten aufgerufen hatte.“

Counterfire hat sich darauf spezialisiert, dem Treibgut der pseudolinken Politik eine Plattform zu bieten. Bezeichnend für den politisch kranken Charakter dieses Milieus ist ein Kommentar von Tariq Ali, ehemals Führer der inzwischen aufgelösten britischen Pablistengruppe International Marxist Group, heute ein selbstverliebter Medienkommentator ohne feste politische Zugehörigkeit. Am Schluss seiner oberflächlichen Charakterisierung der Ereignisse vom 6. Januar wünscht er der von Trumps Anhängern geplanten politischen Gewalt Erfolg: „Anstatt in Panik zu geraten und von den Cops hinausbegleitet zu werden, hätten [Mike] Pence und [Nancy] Pelosi zusammen hinausgehen sollen, Walzer tanzend die Straße hinunter bis zum Weißen Haus ... und dann? Ergänzen Sie den Satz, wie es Ihnen gefällt.“

In den Tagen nach der Belagerung des Kapitols hat die World Socialist Web Site täglich über die sich häufenden Beweise für die Unterstützung von Trumps lange geplantem Angriff auf höchster Ebene berichtet - im Pentagon, beim FBI, bei der Polizei, bei den meisten republikanischen Abgeordneten im Kongress, und über die Pläne für weitere politische Gewalt während der Amtseinführung Bidens am 20. Januar. Die WSWS hat auch darauf hingewiesen, dass hochrangige Persönlichkeiten im Umfeld des Militärs begründete Sorge wegen Unterstützung für Trump unter den Streitkräften geäußert haben.

Die Pseudo-Linke lässt sich von solchen politischen Realitäten nicht beeinflussen. Die SWP schrieb am 11. Januar über die historischen Merkmale vergangener faschistischer Bewegungen und betonte zum wiederholten Mal: „Die herrschende Klasse in den USA wendet sich heute nicht einer faschistischen Bewegung zu, um die Ordnung wiederherzustellen“, „In Washington wurde nicht ernsthaft versucht, die Staatsmacht an sich zu reißen“, und „Der Aufstand im US-Kapitol war der letzte Atemzug der Trump-Präsidentschaft“. Für Counterfire berichtete Ovenden am selben Tag über „die faschistischen Unruhen vom letzten Mittwoch“ und betonte: „Bei allem Gerede von einem Putsch... es war keiner“.

Die World Socialist Web Site hat inzwischen mehrere Artikel über die Reaktionen auf Trumps Putsch veröffentlicht, von Jacobin in den USA und pseudolinken Gruppen in Europa, Lateinamerika und Australien. Deren Botschaft ist immer die gleiche. Es ist reine Propaganda, die mit Behauptungen und falschen historischen Analogien arbeitet und darauf abzielt, die Arbeiterklasse einzulullen und politisch zu entwaffnen. Wie ist das zu erklären?

Im Vorwort zu „Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken: Eine marxistische Kritik“ schlägt der Vorsitzende der internationalen Redaktion der WSWS, David North, eine „Arbeitsdefinition“ der „Pseudolinken“ vor:

  • Der Begriff „Pseudo-Linke“ bezeichnet politische Parteien, Organisationen und theoretische/ideologische Tendenzen, die populistische Parolen und demokratische Phrasen benutzen, um die sozioökonomischen Interessen privilegierter und wohlhabender Schichten der Mittelklasse zu fördern. Beispiele für solche Gruppierungen sind Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, Die Linke in Deutschland und die zahlreichen Ableger ex-trotzkistischer (z. B. pablistischer) oder staatskapitalistischer Organisationen wie der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) in Frankreich, die NSSP in Sri Lanka und die International Socialist Organization in den Vreinigten Staaten. Man kann auch die Überreste der Occupy-Bewegung hinzuzählen, die von anarchistischen und postanarchistischen Tendenzen beeinflusst sind. Angesichts der großen Vielfalt kleinbürgerlicher pseudolinker Organisationen weltweit ist diese Liste bei Weitem nicht vollständig.
  • Die Pseudo-Linke ist antimarxistisch. Sie lehnt den historischen Materialismus ab und stützt sich stattdessen auf verschiedene Formen des subjektiven Idealismus und des philosophischen Irrationalismus, wie sie vom Existentialismus, der Frankfurter Schule und der zeitgenössischen Postmoderne vertreten werden.
  • Die Pseudo-Linke ist antisozialistisch. Sie lehnt den Klassenkampf ab und leugnet die zentrale Rolle der Arbeiterklasse ebenso wie die Notwendigkeit einer Revolution für die fortschrittliche Umgestaltung der Gesellschaft. Sie stellt der unabhängigen politischen Organisation und Massenmobilisierung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System einen klassenneutralen Populismus entgegen. Das Wirtschaftsprogramm der Pseudo-Linken ist im Wesentlichen prokapitalistisch und nationalistisch.
  • Die Pseudo-Linke tritt für verschiedene Formen der „Identitätspolitik“ ein, die sich auf Fragen der Nationalität, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts und der sexuellen Orientierung konzentriert, um in Unternehmen, Universitäten, besser bezahlten Berufsgruppen, Gewerkschaften, Regierungsstellen und staatlichen Institutionen mehr Einfluss zu gewinnen. Sie strebt eine für sie günstigere Aufteilung des Vermögens unter den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung an. Den Pseudolinken geht es nicht um die Abschaffung gesellschaftlicher Privilegien, sondern darum, selbst stärker daran teilzuhaben.
  • In den imperialistischen Zentren Nordamerikas, Westeuropas und Australasiens ist die Pseudo-Linke im Allgemeinen proimperialistisch. Sie benutzt Menschenrechtsparolen, um neokoloniale Militäroperationen zu rechtfertigen und sogar direkt zu unterstützen.

Alle diese Gruppen haben entweder vor mehr als einem halben Jahrhundert mit dem Sozialismus gebrochen oder hatten nie eine Verbindung zu ihm. Der politische Zynismus in diesen Kreisen ist atemberaubend. Callinicos ist Professor am King's College London und bezieht ein Gehalt, mit dem er zu den oberen 10-15 Prozent der britischen Einkommensbezieher gehört. In der Führung der pseudolinken Gruppen finden sich solche Gestalten gar nicht so selten. Ihr komfortabler Lebensstil setzt ihrem verbalen „Radikalismus“ klare Grenzen.

Sie betätigen sich als politische Verfechter der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie, pflegen regen Umgang mit anderen Akademikern, gut betuchten Journalisten und „Aktivisten“, die auf der Gehaltsliste der Regierung stehen, oder sie sind in irgendeiner Weise mit dem Gewerkschaftsapparat verbunden. Diesem Milieu verleihen sie den Ehrentitel „die Linke“. An diesen Kräften orientieren sich die Pseudolinken und dienen sich ihnen als Berater und ideologische Polizei an. Sie weigern sich, Trumps Putschversuch als solchen zu bezeichnen, weil dies die Notwendigkeit einer Massenbewegung der Arbeiterklasse zur Bekämpfung dieser Bedrohung aufwirft, und weil eine solche Bewegung ihre Freunde, Verbündeten und Gönner in den Gewerkschaften, den sozialdemokratischen Parteien wie Labour und der Demokratischen Partei in den USA hinwegfegen würde.

Niemand ist von der Macht und der Langlebigkeit des Kapitalismus überzeugter oder der Arbeiterklasse und dem echten Sozialismus gegenüber feindlicher eingestellt als Callinicos et al. Ihr gelegentlicher zynischer Gebrauch von marxistischen Phrasen und noch seltenere Verweise auf die russischen Revolutionäre Wladimir Lenin und Leo Trotzki dienen einzig dem Zweck, sich der unabhängigen politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines revolutionären und internationalistischen Programms entgegenzustellen. Sie sind selbsternannte „Revolutionäre“, die fest gegen die Revolution stehen. Und auch wenn sie es nie offen aussprechen: Ihre polemischen Attacken gegen die Wertung der Ereignisse vom 6. Januar als Putschversuch zielen nicht auf die Demokraten ab, die unbedingt einen Modus Vivendi mit den Republikanern etablieren wollen. Sie richten sich gegen die World Socialist Web Site und die sozialistischen Gleichheitsparteien das Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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