Lehrer in Chicago, São Paulo und weltweit kämpfen, um Leben zu retten

Am Dienstag stimmten die Lehrer in Chicago über den tödlichen Deal zur Wiederöffnung der Schulen ab, den die Führung der Gewerkschaft Chicago Teachers Union (CTU), die Chicagoer Schulbehörde (CPS) und die demokratische Bürgermeisterin Lori Lightfoot ausgehandelt hatten. Die Abstimmung endete Dienstag um Mitternacht Ortszeit. Die CTU gab am Mittwoch bekannt, dass 67 Prozent der Mitglieder für die Einigung gestimmt haben, bei einer Wahlteilnahme von rund 80 Prozent.

Der ganze Abstimmungsprozess war völlig undemokratisch. Nach einer Vollversammlung am Sonntag, bei der kein einziger einfacher Lehrer sprechen durfte und die Chatfunktion deaktiviert war, genehmigte der Delegiertenausschuss der CTU den Deal mit 85 Prozent Zustimmung.

Die Lehrer bekamen etwas mehr als 24 Stunden Zeit, um über die Vereinbarung abzustimmen, da die CTU sie so schnell wie möglich durchsetzen wollte. Es gab kein Forum, in dem über die Einigung diskutiert oder Einsprüche erhoben werden konnten. Am Dienstag tauchten sogar Berichte auf, dass Lehrer Benachrichtigungen über ihre Wahlteilnahme erhalten haben, obwohl sie nicht gewählt hatten.

Unter den Lehrern gibt es einen enormen Widerstand gegen die Vereinbarung, doch der Verrat der Gewerkschaft und ihre Versuche, die Lehrer einzuschüchtern, sowie die unablässige Propagandakampagne der Mainstreammedien und des ganzen politischen Establishments haben großen Druck auf die Lehrer ausgeübt, damit sie den Deal akzeptieren.

Unabhängig von diesem Abkommen wird sich der Klassenkampf in Chicago, den USA und weltweit weiter verschärfen. Die Lehrer stehen an vorderster Front im Kampf der Arbeiterklasse zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz von Menschenleben.

Das Chicago Educators Rank-and-File Safety Committee (Sicherheitskomitee der Lehrer in Chicago) steht seit seiner Gründung im Januar im Zentrum des Widerstands gegen die Verschwörung von CTU und Demokraten zur Wiederöffnung der Schulen. Am Dienstag beschlossen die Mitglieder bei einer wichtigen Onlineversammlung, ihren Kampf gegen die Schulöffnungen zu verschärfen und für ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen zur Eindämmung der Pandemie einzutreten.

Die Chicagoer Lehrer äußerten, dass sie sich von der CTU verraten fühlen. Sie bezeichneten den ganzen Verhandlungsprozess als völlig illegitim und erklärten, die Gewerkschaft habe niemals das Mandat gehabt, sie wieder in die Klassenzimmer zurückzuschicken. Mehrere Redner betonten, dass sich die CTU über die demokratischen Rechte ihrer Mitglieder hinweggesetzt hat, um den Öffnungsplan durchzusetzen. Sie benutzten die Drohung mit einem Streik nicht als Waffe gegen die Schulbehörde und Lightfoot, sondern gegen die Lehrer. CTU-Präsident Sharkey hatte erklärt, ein Streik werde wenig bringen, zudem würden den Lehrern massive Geldstrafen drohen.

Danach konzentrierte sich die Diskussion des Komitees auf die Notwendigkeit einer Hinwendung zur Arbeiterklasse in Chicago, den USA und weltweit, um einen Generalstreik zur Schließung aller Schulen und nicht lebensnotwendigen Betriebe vorzubereiten. Streikende Lehrer aus São Paulo (Brasilien) und Lehrer aus Australien beteiligten sich an der Onlineveranstaltung. Sie erklärten ihre Unterstützung für die Chicagoer Lehrer und riefen zu einem weltweiten Kampf für den Schutz von Menschenleben auf.

Die Behauptung, Schulen könnten „sicher“ geöffnet werden, die die CTU, die Demokraten und alle Lehrergewerkschaften in den USA und weltweit propagieren, ist absurd. Vor der Pandemie wurde das öffentliche Bildungswesen jahrzehntelang von den gleichen heuchlerischen Politikern systematisch unterfinanziert, die jetzt lautstark fordern, die Schulen wieder zu öffnen, damit angeblich Kinder besser lernen können. Die Infrastruktur und die Belüftungssysteme der Schulen wurden vorsätzlich dem Verfall preisgegeben, und die geringen Summen aus Bidens „Hilfspaket“ werden nichts zur Lösung dieser Krise beitragen.

Der Zeitplan für die Öffnung der Schulen in Chicago sieht vor, dass die Schüler, Lehrkräfte und Erzieher der Stufen vom Kindergarten bis zur achten Klasse ab 8. März wieder im Präsenzunterricht sitzen. Für Vorschulen und Förderklassen soll es bereits am Donnerstag wieder losgehen. Laut Expertenschätzungen wird die infektiösere und tödlichere Covid-19-Variante B.1.1.7, die erstmals in Großbritannien entdeckt wurde, bis Ende März der vorherrschende Virusstamm in den USA sein.

Der Deal, dem die CTU zugestimmt hat, wird für Lehrer, Schüler, Eltern und die ganze Gesellschaft das Infektions- und Todesrisiko erhöhen. Da Schüler nicht einmal eine entfernte Aussicht auf Impfstoff haben, werden sich viele von ihnen infizieren, was potenziell katastrophale langfristige Folgen haben wird.

Die CTU hat auch die große Lüge verbreitet, dass die Lehrer, wenn sie den Deal ablehnen und in den Streik treten, isoliert und mit dem Zorn des Staats konfrontiert wären. Mit dem Argument wollte die Gewerkschaft die Lehrer zwingen, ihre Öffnungspläne zu akzeptieren.

Das tatsächliche Kräfteverhältnis wird deutlich, wenn man sich den globalen Kontext des Kampfs in Chicago ansieht. In Wirklichkeit steht der Kampf der Chicagoer Lehrer an der Spitze des Klassenkampfs in den USA und ist Teil eines weltweiten Aufbegehrens der Lehrer und anderer Arbeiter, die die Pandemiepolitik des „sozialen Mords“ ablehnen, die von den herrschenden Eliten überall durchgesetzt wird. Obwohl weltweit mehr als 2,36 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben sind, fordern die herrschenden Klassen die Öffnung der Schulen, um Eltern zur Rückkehr an den Arbeitsplatz zu zwingen, damit sie die Profite für die Konzerne erwirtschaften.

Ganz unmittelbar hat der Kampf in Chicago den Widerstand der Lehrer im ganzen Land vorangetrieben, die die Ereignisse in Chicago aufmerksam verfolgt haben und sich von der Entschlossenheit ihrer Kollegen inspirieren ließen. Während die Demokraten auf die Öffnung der Schulen in Philadelphia, San Francisco, Los Angeles, Las Vegas, Washington DC, Detroit, Boston, Nashville und anderen Großstädten drängen, blicken alle nach Chicago, wo der Widerstand der Lehrer im ganzen Land seinen stärksten Ausdruck findet. In Philadelphia veranstalteten am Montag Tausende Lehrer einen eintägigen Protest gegen die Schulöffnungen, der direkt von den Chicagoer Lehrern inspiriert war.

Auch Lehrkräfte im Rest der Welt verfolgen den Kampf in Chicago aufmerksam. Ein entschlossener Streik würde auch sie dazu ermutigen, sich den Versuchen zu widersetzen, die Schulen wieder zu öffnen. Im Verlauf des letzten Monats sind Streiks und Demonstrationen von Schülern und Lehrern weltweit entweder bereits ausgebrochen oder werden geplant, u.a. in Brasilien, Kanada, Mexiko, Frankreich, Deutschland, Südafrika, Nigeria, Ghana, Indien, Myanmar, São Tomé, der Elfenbeinküste und Kamerun.

Einer der weltweit bedeutendsten Kämpfe findet im brasilianischen São Paulo statt, dem zweitgrößten Schulbezirk Nord- und Südamerikas. Mehr als 180.000 Lehrkräfte begannen dort am Montag mit Protesten gegen die Öffnung der Schulen. In Südamerika sind bereits über 434.000 Menschen an Covid-19 gestorben, fast 235.000 allein in Brasilien – nach den USA die zweitgrößte Zahl an Toten.

Ein Lehrer aus São Paulo erklärte gegenüber der WSWS zu den Parallelen zwischen ihrer Lage und derjenigen in Chicago: „Die Bewegung der Chicagoer Lehrer gegen die kriminelle Wiederöffnung der Schulen ist ein Wendepunkt im Kampf der Lehrer und Arbeiter weltweit. Wir sind in São Paulo, der größten Stadt Brasiliens, mit den gleichen Problemen konfrontiert. Die Regierung will Millionen von Lehrern und Schülern im schlimmsten Moment der Pandemie in enge Klassenzimmer zurückdrängen, während gleichzeitig die Zahl der Infektionen Rekordwerte erreicht und neue Virusvarianten in Brasilien zirkulieren.

Unter Lehrern herrscht riesiger Widerstand, den die Gewerkschaften nicht eindämmen konnten. Wir haben diese Woche einen Streik im ganzen Bundesstaat begonnen, aber die Gewerkschaften versuchen bereits, uns zu isolieren, unsere Organisation zu zerstören und eine korrupte Einigung zu ermöglichen. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir sofort ein Aktionskomitee gründen und diesen Streik selbst in die Hand nehmen. Ich bin mir sicher, dass es die erste Maßnahme dieses Komitees sein wird, sich mit den Lehrkräften in Chicago und auf der Welt zusammenzuschließen und die Macht der Arbeiterklasse zu mobilisieren, die nicht aufgehalten werden kann!“

Die Lehrer gehen in ganz Brasilien in einen Kampf gegen die Schulöffnungen, auch in Rio de Janeiro und Paraná. Sie schaffen damit die Bedingungen für eine direkte Konfrontation mit ihrem faschistischen Präsidenten Jair Bolsonaro.

Im benachbarten Argentinien drängen die Behörden auf die Öffnung der Schulen am 17. Februar in der Hauptstadt Buenos Aires, dem größten Schulbezirk des Landes. Dort werden die Lehrkräfte lediglich auf Covid-19 getestet, bevor sie wieder in unsichere Klassenzimmer zurückgeschickt werden.

In Quebec und Ontario (Kanada) mehren sich die Forderungen der Lehrer nach Streiks, die die Gewerkschaften bisher abgelehnt haben. In Toronto sollen die Schüler ab Mitte Februar wieder zum Präsenzunterricht übergehen, womit ein Präzedenzfall für Schulöffnungen in der ganzen Region geschaffen werden soll.

Auch in ganz Europa, wo Covid-19 über 750.000 Todesopfer gefordert hat, nehmen die Lehrkräfte den Kampf auf. In Frankreich stehen Tausende Mittel- und Oberschullehrer seit Ende Januar im Streik und demonstrierten in Paris und anderen Großstädten gemeinsam mit schulischen Pflegekräften und Schülern.

In Bayern fand letzte Woche ein Schülerstreik an sieben Schulen in Nürnberg statt, der sich auf Augsburg ausdehnte und in den sozialen Netzwerken auf große Zustimmung stieß. Die Schüler lehnen die Versuche der Regierung ab, die Abschlussklassen zur Rückkehr zum Präsenzunterricht zu zwingen, obwohl die Pandemie seit letztem November außer Kontrolle geraten ist.

In Südafrika, wo 47.145 Menschen an Covid-19 gestorben sind – fast die Hälfte der 96.887 Todesopfer auf dem gesamten Kontinent – wollen die Behörden die Schulen am 15. Februar wieder öffnen. Unter Lehrkräften wächst die Opposition gegen diese mörderische Politik. Die Facebook-Gruppe „Parents Against the Opening of Schools“ hat seit ihrer Gründung im letzten Mai mehr als 111.000 Mitglieder gewonnen.

In Edo (Nigeria) haben sich die Lehrer vor kurzem einer offiziellen Anweisung widersetzt, bis zum 1. Februar in die Klassenzimmer zurückzukehren, und ihren Streik unbefristet ausgeweitet. Erst am letzten Freitag konnte die Führung der Nigeria Union of Teachers (NUT) die Rebellion der Lehrkräfte nach 19 Tagen beenden.

In Ghana befinden sich die Lehrer seit fast einem Monat in einem landesweiten Streik, obwohl die National Labour Commission diesen als Verstoß gegen das Streikverbotsgesetz bezeichnet hat. Die Gewerkschaft Teachers and Educational Workers’ Union hat sich mit der Fair Wages and Salaries Commission getroffen, um den Streik zu beenden, doch über die jüngsten Entwicklungen ist noch nichts bekannt.

In Asien, wo mehr als 382.000 Menschen an Covid-19 gestorben sind, befinden sich die Hochschullehrer im indischen Punjab seit dem 25. Januar im Streik. Auch in Myanmar spielen die Lehrer eine wichtige Rolle in den Kämpfen gegen die Militärdiktatur, Forderungen nach einem landesweiten politischen Generalstreik nehmen zu.

Angesichts dieser Explosion internationaler Kämpfe der Lehrer ist die entscheidende Aufgabe, aus der nationalistischen, reformistischen Zwangsjacke der Gewerkschaften auszubrechen und überall unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, um alle Arbeiter in einem gemeinsamen globalen Kampf zu vereinen. Die CTU in Chicago ist eine von Hunderten prokapitalistischen Gewerkschaften weltweit, die ihre Mitglieder isolieren und den Klassenkampf unterdrücken will.

Der Kampf gegen Schulöffnungen ist vor allem eine politische Frage, welche Klasse darüber entscheiden wird, wie die Pandemie bekämpft werden soll. Die herrschende Klasse auf der ganzen Welt hat Millionen Menschenleben für die Profite der Konzerne geopfert. Jetzt reagiert die Arbeiterklasse weltweit. Das Programm, das zur Eindämmung der Pandemie und für die Rettung von Menschenleben notwendig ist, erfordert die Enteignung des immensen Reichtums, den die Oligarchie in allen Ländern gehortet hat, sowie die Umgestaltung der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage.

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