Massenproteste gegen den Militärputsch in Myanmar

In Myanmar dauern die Proteste gegen den Militärputsch vom 1. Februar weiter an. Besonders große Demonstrationen fanden am Freitag statt, dem „Tag der Einheit“, mit dem die formelle Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft am 12. Februar 1947 gefeiert wird. Berichten zufolge haben außer Schülern, Studenten, Selbstständigen und Beamten auch Teile der Arbeiterklasse gegen die Junta protestiert, darunter Bahnarbeiter, Textilarbeiter und Kupferbergarbeiter.

Demonstrierende Lehrer zeigen den Drei-Finger-Gruß als Protest gegen den Militärputsch. Yangon (Myanmar), 12. Februar 2021 [AP-Foto].

Das Militär hatte Aung San Suu Kyi und ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) gestürzt, nachdem sie die Wahl im letzten November eindeutig gewonnen hatte. Das Militär unterstellte, es sei zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekommen. Darauf ernannte es den militärischen Oberbefehlshaber, General Min Aung Hlaing, zum Staatschef, rief den Ausnahmezustand aus und ließ mehrere hohe Vertreter der NLD verhaften.

Laut Reuters demonstrierten am Freitag Hunderttausende im ganzen Land. Zu Demonstrationen kam es außer in Yangon, der größten Stadt des Landes, auch in der vom Militär zur Hauptstadt erklärten neuen Planstadt Naypyidaw, der Küstenstadt Dawei und Myitkyina, der Hauptstadt des Kachin-Staates im Norden.

Der Guardian schrieb unter Berufung auf Augenzeugen über Hunderte von einzelnen Demonstrationen mit jeweils etwa 2.000 Teilnehmern in Yangon, die sich an zentralen Punkten wie Hledan, der Sule-Pagode und der russischen und chinesischen Botschaft sammelten. Weiter heißt es: „Auch in vielen anderen Städten fanden Kundgebungen statt. Darüber hinaus gab es einen Protest auf Booten in der Touristenhochburg Inle Lake im Shan-Staat und einen Marsch durch die berühmten antiken Tempel von Bagan.“

Studentenvereinigungen von 18 Universitäten im ganzen Land appellierten an China und seinen Präsident Xi Jinping, das neue Militärregime nicht anzuerkennen. Sie erklärten, die Unterstützung des Militärs, das seit langem Beziehungen zu Peking pflegt, werde Chinas Ruf „schwer schädigen“. Vor der chinesischen Botschaft in Yangon versammeln sich jeden Tag Demonstranten, die gegen den Putsch protestieren; allein am Freitag waren es Tausende.

Angesichts der Drohung des Regimes, erneut den Zugang zum Internet zu sperren, haben fast 2.000 Social-Media-Nutzer eine Mitteilung geteilt, in der für diesen Fall die Zerstörung eines Teils einer Öl- und Gaspipeline zwischen China und Myanmar angedroht wurde. Laut der Zeitung Irrawaddy wurde die Pipeline im Verwaltungsbezirk Thaungtha in der Stadt Mandalay am Freitagmorgen von einem großen Polizeiaufgebot geschützt.

Laut Irrawaddy haben Bergarbeiter der Kupferminen, die von chinesischen Unternehmen und dem Militär betrieben werden, im Rahmen einer Bewegung des zivilen Ungehorsams gegen den Putsch die Arbeit eingestellt. Am Montag traten mehr als 2.000 Bergarbeiter der Kupferminen bei Kyisintaung im Distrikt Monwya in den Streik. Auch die Kupfermine Letpadaung, die als die größte in Südostasien gilt, hat den Betrieb eingestellt, nachdem sich Tausende von Arbeitern am 8. Februar der Bewegung des zivilen Ungehorsams angeschlossen hatten.

Das Militär hat sicherlich Beziehungen zu China. Doch Suu Kyi und die NLD haben sich nach ihrer Machtübernahme 2016 ebenfalls Peking zugewandt. Davor hatte Suu Kyi dadurch, dass sie die Verbrechen des Militärs gegen die muslimische Minderheit der Rohingya deckte, internationale Proteste hervorgerufen. Jetzt appellieren die NLD und ihre Sympathisanten an die Unterstützung Washingtons und des Westens, damit sie intervenieren und das Militär durch Sanktionen zu Zugeständnissen zwingen.

Genau wie alle Länder in der Region ist auch Myanmar in den Sog der aggressiven Konfrontation der USA mit China geraten, die Obama initiiert hatte, und die Trump weiter forcierte. Das Militär versuchte im Jahr 2010 angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Krise im Inland, seine Beziehungen zu Washington zu verbessern, indem es Suu Kyi aus dem Hausarrest entließ und beschränkte Wahlen erlaubte. Im Jahr 2012 besuchte Obama das Land.

Am Mittwoch kündigte US-Präsident Biden, der unter Obama Vizepräsident war, Sanktionen gegen das Militärregime an. Dem Regime wird der Zugang zu Geldern in Höhe von einer Milliarde Dollar in den USA gesperrt, zudem drohte Biden mit weiteren Sanktionen gegen die Militärführung und ihre Familien. Genau wie bei allen anderen „Menschenrechts“-Kampagnen geht es den USA bei ihrer Opposition gegen den Putsch nicht um die Verteidigung der Demokratie, sondern um die Sicherung ihrer wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele.

China versucht, seine Beziehungen mit Myanmar auszubauen, das bis 2010 einer seiner wenigen engen Freunde und außerdem ein wichtiger Rohstofflieferant war. Daneben verlaufen wichtige Pipeline- und Transitrouten zwischen dem Indischen Ozean und Südchina durch Myanmar. Peking weigert sich, den Putsch zu verurteilen, und versucht gemeinsam mit Russland, jede nennenswerte Reaktion des UN-Sicherheitsrats gegen das Militärregime zu verhindern.

Gegen die Junta sind auch andere Teile der Arbeiterklasse aktiv geworden. Laut der New York Times brachte Anfang der Woche ein Ausstand der Bahnarbeiter die Myanmar Railway zum Erliegen, die angesichts der Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie nur von wenigen Tausend Menschen im Umland von Yangon benutzt wird. Wann der Betrieb wieder aufgenommen wird, ist nicht bekannt.

Reuters brachte am Freitag ein Interview mit Moe Sandar Myint, einer Organisatorin der Textilarbeiter von Myanmar, die auf die aktive Beteiligung der Textilarbeiter an den Protesten und Streiks hinwies. Sie erklärte, die Corona-Pandemie sei als Vorwand benutzt worden, um die Forderungen der Arbeiter zu unterdrücken, und diese seien „in großer Zahl auf die Straße gegangen“, um sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams anzuschließen: „Die Arbeiter sind für diesen Kampf bereit. Wir wissen, dass sich die Lage unter der Militärdiktatur nur noch weiter verschlimmern wird. Deshalb kämpfen wir vereint bis zum Ende."

Die Junta setzt zunehmend auf Unterdrückung, und Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Laut dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte wurden seit dem Putsch vom 1. Februar mehr als 350 Menschen verhaftet.

Die Assistance Association for Political Prisoners veröffentlichte eine Liste, auf der mehr als 100 führende hochrangige Mitglieder der NLD, protestierende Studenten und Führer von Studentenvereinigungen, Beamte, Ärzte und Lehrer aufgeführt sind, die sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams angeschlossen haben. Am Mittwoch- und Donnerstagabend wurden 23 Vorsitzende der Wahlkommissionen von Städten und Distrikten verhaftet. Auch mehrere Polizisten wurden verhaftet, nachdem sie auf Facebook gegen den Coup gerichtete Mitteilungen veröffentlicht hatten. Einer von ihnen hatte in einer Rede auf einer Demonstration den Putsch verurteilt.

Am Freitag kündigte das Militär die Freilassung von 23.000 Gefangenen im Rahmen einer Amnestie zur Feier des „Tags der Einheit“ an. Diese Entscheidung war jedoch nur Teil der üblichen Amnestien, die das Image des Regimes verbessern sollen. Im letzten April hatte die NLD fast 25.000 Gefangene freigelassen.

Die Polizei geht immer brutaler gegen die Demonstrationen vor. Am Freitag wurden drei Menschen verwundet, als die Polizei Gummigeschosse gegen Zehntausende Demonstranten in der Stadt Mawlamyine im Südosten des Landes einsetzte. Kyaw Myint vom Roten Kreuz Myanmar, der den Vorfall beobachtet hatte, erklärte gegenüber Reuters: „Drei wurden getroffen: eine Frau in den Unterleib, ein Mann an der Wange, ein anderer am Arm.“

Der UN-Menschenrechtsermittler für Myanmar, Thomas Andrews, erklärte in einer Sondersitzung des Menschenrechtsrats in Genf, es gebe „immer mehr Berichte und fotografische Beweise“, dass die Sicherheitskräfte scharfe Munition gegen Demonstranten einsetzen. Am letzten Dienstag wurde die 19-jährige Mya Thwate Thwate Khing während einer Protestkundgebung in Naypyitaw durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt, und sie ist in einem äußerst kritischen Zustand.

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