Trotz europaweiter Ausbreitung von Covid-19: Nato verschärft Drohungen gegen Russland und China

Während sich Infektionen und neue Varianten des Coronavirus in ganz Europa ausbreiten, endete am Mittwoch ein zweitägiges Gipfeltreffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Das Treffen machte einmal mehr die völlige Verachtung der Nato-Regierungen gegenüber menschlichem Leben deutlich.

In den Nato-Mitgliedsstaaten – zu denen mit den USA, Kanada, und 28 europäischen Staaten der überwiegende Teil der wohlhabenden Länder gehören – sind mehr als 1,3 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben. Ihre gemeinsamen Militärausgaben in einer Gesamthöhe von 1,03 Billionen US-Dollar im Jahr 2020 stellen die prognostizierten Kosten für die Impfung der gesamten Weltbevölkerung (schätzungsweise rund 100 Milliarden US-Dollar) weit in den Schatten. Doch das Gipfeltreffen beschloss keine neuen Maßnahmen gegen die Pandemie, sondern den Beginn der Initiative „Nato 2030“, die der Vorbereitung eines Atomkrieges mit Russland und China dient.

US-Außenminister Antony Blinken spricht am 24. März 2021 nach einem Treffen der Nato-Außenminister vor dem Nato-Hauptquartier in Brüssel (AP Photo/Virginia Mayo, Pool)

Das Gipfeltreffen war das erste wichtige Nato-Treffen seit Bidens Amtseinführung als US-Präsident und wurde deshalb allgemein als Versuch aufgefasst, das Eintreten der USA für die Nato zu bekräftigen, nachdem es unter Bidens Amtsvorgänger Donald Trump zu einem öffentlichen Zusammenbruch der Beziehungen zu den europäischen Mächten gekommen war. Trump hatte die Nato nicht nur als „obsolet“ verhöhnt, sondern den europäischen Mächten auch mit Handelskriegszöllen im Umfang von hunderten Milliarden Dollar gedroht und über den Einsatz von Atomwaffen in Europa spekuliert.

Das Gipfeltreffen begann am Dienstag mit einer gemeinsamen Pressekonferenz von US-Außenminister Antony Blinken und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Blinken betonte zunächst den „kritischen Moment“ heraus, in dem sich die Nato derzeit befinde, und dass „die USA standhaft hinter diesem Bündnis stehen... Ich bin nach Brüssel gekommen, weil die USA ihre Partnerschaften wiederaufbauen wollen, zuallererst mit unseren Nato-Verbündeten. Wir wollen das Bündnis neu beleben und sicherstellen, dass es angesichts der heutigen Bedrohungen genauso stark und wirksam auftritt wie in der Vergangenheit.“

Die Konferenz machte deutlich, dass die Nato auf der Grundlage eines Programms zusammenzukommen versucht, das sich aus „Herdenimmunität“ gegen ihre eigenen Bevölkerungen und militärischen Drohungen nach außen zusammensetzt. Um Billionen in ihre Streitkräfte zu stecken und damit weiterhin Russland und China zu bedrohen, halten sie nicht lebensnotwendige Industriezweige geöffnet, so dass sich Arbeiter weiterhin massenhaft infizieren.

Stoltenberg legte anschließend die Agenda des Gipfeltreffens dar: „Ich begrüße die Botschaft der Biden-Regierung über den Wiederaufbau der Bündnisse und die Stärkung der Nato sehr. Genau darum geht es in unserer Initiative ‚Nato 2030‘. Denn wir sind mit großen globalen Herausforderungen konfrontiert: Die destabilisierenden Aktivitäten Russlands, die Gefahr durch Terrorismus, Cyberangriffe und die Verbreitung von Atomwaffen, disruptive Technologien und der Aufstieg Chinas, sowie die Auswirkungen der Erderwärmung und des Klimawandels auf die Sicherheitslage.“

Auf einer zweiten Pressekonferenz am gleichen Tag erklärte er: „Ich habe eine beträchtliche Erhöhung der gemeinsamen Finanzierung vorgeschlagen, um die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit unseres Bündnisses zu stärken.“

Die Behauptung, die Nato stehe für Abschreckung – d.h. für eine Politik, die andere Staaten vom Einsatz von Atomwaffen abhält – ist ein Betrug. Ihre Mitgliedsstaaten, allen voran die USA, haben mehrere Rüstungskontrollverträge aufgekündigt, darunter den ABM-Vertrag im Jahr 2001 und den INF-Vertrag im Jahr 2018, um den Druck auf Russland und China zu erhöhen. Für das daraus resultierende Wettrüsten machte Stoltenberg verlogenerweise nicht die Nato verantwortlich, die aus den Rüstungskontrollabkommen ausgestiegen ist, sondern ihre Angriffsziele.

Er erklärte: „Die Herausforderung ist, dass sowohl Russland als auch China ihre Atomarsenale und ihre Atomwaffensysteme in beträchtlichem Ausmaß modernisieren.“ Er griff insbesondere Russlands Entscheidung an, zusätzliche mobile Abschussrampen für Atomraketen zu bauen, was es für die Nato schwerer macht, sie bei einem Erstschlag zu zerstören: „Sie reduzieren die Warnzeit [nach dem Abschuss], sind für konventionelle und nukleare Angriffe einsetzbar und schwer aufzuspüren, auch weil sie mobil sind.“

Stoltenberg forderte zwar ein „Neues START-Abkommen“ (Strategic Arms Reduction Treaty), richtete aber gleichzeitig außergewöhnliche nukleare Drohungen an Russland und China. Er erklärte, Russlands Bau von mobilen Raketenabschussrampen habe „auch die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen in einem potenziellen Konflikt verringert.“ Das bedeutet, weil es für die Nato schwerer wird, russische und chinesische Streitkräfte aufzuspüren und zu zerstören, könnte sie schneller zum Einsatz von Atomwaffen übergehen, um alle Waffen in großen Teilen Russlands oder Chinas zu zerstören.

Um dies vollends deutlich zu machen, hielt Stoltenberg London, das vor kurzem eine 40-prozentige Erhöhung seines Atomarsenals angekündigt hatte, schamlos als Vorbild hoch: „Großbritannien entwickelt sich ebenfalls zu einem starken Unterstützer der stärkeren internationalen Rüstungskontrolle und einem starken Unterstützer der Nato als wichtiger Plattform zur Diskussion über Fortschritte zur Rüstungskontrolle.“

Stoltenberg berichtete außerdem, die Nato habe über ihre aktuellen Truppenstationierungen in Afghanistan und dem Irak diskutiert.

Am Mittwoch verurteilte Stoltenberg „neue und destabilisierende Atomwaffen“, die er ausschließlich Russland und China zuschrieb. Er erklärte: „Die Nato hat die größte Stärkung unserer kollektiven Verteidigung seit einer Generation umgesetzt. Wir haben unsere Hybrid- und Cyberabwehrfähigkeiten verstärkt. ... Die Alliierten sind sich einig, dass wir sie weiter überprüfen und unsere Abschreckungs- und Verteidigungskapazitäten anpassen sollten, auch wenn es um die wachsende Bedrohung durch russische Raketen geht.“

Auf die Frage nach internationaler Solidarität bei der Verteilung von Impfstoffen gegen Covid-19 machte Stoltenberg deutlich, dass er sich dafür nicht zuständig fühle: „Unsere Streitkräfte unterstützen die Zivilbevölkerung im Kampf gegen die Pandemie. Aber der Export und Import von Impfstoffen wurde nicht im Rahmen der Nato diskutiert.“

Das Gipfeltreffen entlarvt das barbarische Verhalten der Nato-Mächte. Angesichts des Debakels der endlosen Kriege, die die Nato seit dem Golfkrieg 1991 im Irak und dem Nahen Osten geführt hat, und angesichts ihres schwindenden wirtschaftlichen Gewichts im Vergleich zu Asien, haben die Nato-Mächte mit Brutalität auf die Pandemie reagiert. Sie betrachteten sie als eine reine finanzielle und militärische Angelegenheit und setzten auf „Herdenimmunität“, damit die Banken weiterhin Profite machen und die Streitkräfte weiterhin Kriegsgerät erhalten.

Wie die französische Tageszeitung Le Monde letztes Jahr zustimmend in einem Artikel schrieb, war Trumps Politik der Herdenimmunität angesichts der Gefahr einer „China-zentrierten Globalisierung“ die „‘Business-First‘-Option, die einen Teil der [amerikanischen] Bevölkerung opfert, um China nicht das Feld zu überlassen.“

Nun, da den finanziellen und strategischen Interessen der Imperialisten Millionen Menschenleben „geopfert“ wurden, verschärfen die Nato-Mächte ihre Bestrebungen, ihre Großmacht-Rivalen einzuschüchtern. Nachdem Biden Putin letzte Woche als „Mörder“ bezeichnet hatte, verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen China auf der Grundlage falscher Beschuldigungen über einen angeblichen „Völkermord“ an der uigurischen Minderheit in der Region Xinjiang.

Trotz der jubilierenden Äußerungen von Blinken und Stoltenberg über die angebliche Einigkeit der Nato nach Trumps Abgang zeigten sich auch bei dem Impfdebakel in Europa die scharfen Spannungen innerhalb der Nato. Nachdem Italien die Lieferung des Impfstoffs AstraZeneca nach Australien blockiert hatte, inspizierte die Polizei am Mittwoch auf Antrag der Europäischen Kommission ein AstraZeneca-Werk in Italien. Dem Hersteller wurde mehrfach vorgeworfen, Impfstoffe rechtswidrig nicht in die EU verschickt zu haben, sondern nach Großbritannien.

Innerhalb der Nato entsteht ein erbitterter nationalistischer Konflikt um den Zugang zu Impfstoffen. Gleichzeitig werden Billionen Dollar, die für Impfstoffe, Gesundheitsversorgung und Distanzierungsmaßnahmen verwendet werden könnten, für Kriege und Atomwaffen verschwendet, die die ganze Menschheit auslöschen könnten.

Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation Dr. Tedros Ghebreyesus verurteilte diese Woche diejenigen, die „auf Kosten des Lebens der Beschäftigten im Gesundheitswesen, Älterer und Risikogruppen in anderen Ländern“ Impfstoffexporte unterbinden – wie es die Nato tut. Diese Politik, stellte er fest, führe nicht nur zu Massensterben, sondern fördere auch die Entstehung von impfstoffresistenten Varianten, die sich weltweit ausbreiten könnten.

Er erklärte: „Die ärmsten Länder der Welt fragen sich, ob die reichen Länder wirklich meinen, was sie sagen, wenn sie von Solidarität sprechen. Die ungleiche Verteilung der Impfstoffe ist nicht nur moralisch empörend, sondern auch wirtschaftlich und epidemiologisch schädlich. Einige Länder sind dabei, mit Hochdruck ihre ganze Bevölkerung zu impfen, während andere noch überhaupt nichts erhalten haben. Das mag zwar kurzfristige Sicherheit erkaufen, ist aber ein falsches Verständnis von Sicherheit.“

Die Kriminalität des Vorgehens der Nato ist das Ergebnis des Bankrotts einer ganzen Gesellschaftsordnung. Am Mittwoch schrieb die WSWS in ihrer Perspektive über die anhaltende atomare Aufrüstung der Nato-Mächte: „Diese Barbarei, die von nationalistischer und chauvinistischer Propaganda begleitet wird, entspringt derselben kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die Millionen zum Tod durch eine Pandemie verdammt hat, die von vornherein hätte verhindert und eingedämmt werden können.“

Die zentrale Aufgabe, die sich daraus ergibt, ist der Aufbau einer sozialistischen Bewegung in der internationalen Arbeiterklasse – gegen Krieg und für eine wissenschaftliche Behandlung der Pandemie.

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