Arbeiterklasse zahlt Kosten der Pandemie

Die Corona-Krise trifft nicht alle gleich. Als Trigger-Event verschärft sie die Krise des Kapitalismus und die damit verbundene soziale Ungleichheit. Die herrschende Klasse verfolgt eine rücksichtslose Profite-vor-Leben-Politik. Während sich an der Spitze der Gesellschaft die Unternehmen und Banken bereichern und von den Milliarden-Rettungspaketen der Regierungen profitieren, bezahlen Arbeiter und ihre Familien dafür mit Lohneinbußen, Verlust des Arbeitsplatzes, Kurzarbeit und mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben.

Am vergangenen Mittwoch, den 24. März 2021, überschritten die Todeszahlen durch Covid-19 in Deutschland erstmals die Schwelle von 75.000 Verstorbenen. Gleichzeitig teilte das Statische Bundesamt mit, dass im Jahr 2020 infolge der Corona-Krise die Löhne erstmals seit dem Beginn der Erhebungen 2007 nominal gesunken seien.

Die Bruttomonatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen fielen 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 0,7 Prozent. Die Verbraucherpreise stiegen um knapp 0,5 Prozent. Somit blieb den Beschäftigten real 1,1 Prozent weniger Lohn und Gehalt, wie das Bundesamt errechnete. Da es sich hier um den bundesweiten Durchschnittswert handelt, fielen die Verluste für die Betroffenen durchaus unterschiedlich und höher aus.

Die bezahlte Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten sank im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2019 deutlich um durchschnittlich 2,9 Prozent. Den stärksten Rückgang gab es im Gastgewerbe mit minus 19,4 Prozent, gefolgt von der Branche Kunst, Unterhaltung und Erholung mit minus 9 Prozent. Die Arbeitszeit bei der Energieversorgung und in der Finanz- und Versicherungsbranche ging nur um jeweils minus 0,4 Prozent zurück.

Die unteren Einkommensgruppen wurden von den Lohnsenkungen besonders stark getroffen. Ungelernte und angelernte Arbeiterinnen und Arbeiter haben die größten Lohn-Einbußen mit im Schnitt 1,6 bzw. 2,5 Prozent erlitten. Die Einkünfte von Arbeitern mit Leitungsfunktion stiegen um durchschnittlich 0,2 Prozent.

Die Ausschläge bei den Löhnen nach unten im Jahr 2020 sind wesentlich heftiger als während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2009. Damals waren die nominalen Verdienste noch geringfügig um 0,2 Prozent gestiegen und die realen Löhne um 0,1 Prozent gesunken.

Auch für die Rentner hat die negative Lohnentwicklung des letzten Jahres Auswirkungen. Da sich die Rentenentwicklung nach der Lohnentwicklung des Vorjahres richtet, gibt es in diesem Jahr keine Rentenerhöhung im Westen und nur eine sehr geringfügige Erhöhung im Osten Deutschlands. Dies aufgrund der besonderen Situation, dass die Renten in Ostdeutschland über dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung 1990 noch immer nicht an das Rentenniveau im Westen angepasst sind. Bei der Lohnentwicklung ist diese Schere noch größer.

Viele Unternehmer nutzen die Corona-Pandemie als Vorwand, um Stellen und Löhne abzubauen. Allerdings ist die allgemeine Lohnsenkung nicht nur der massenhaften Kurzarbeit und dem Verlust von Arbeitsplätzen geschuldet: Dazu trug auch die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften wesentlich bei. So setzte die IG Metall zu Beginn des Jahres 2020 einfach die Tarifverhandlungen aus und verhandelt auch jetzt, in der laufenden Tarifrunde, über Lohnsenkungen und massenhaften Arbeitsplatzabbau.

Berliner Metallarbeiter demonstrieren Anfang März 2021 vor dem Roten Rathaus gegen Reallohnsenkung

Auch die Gefahr, sich mit Covid-19 anzustecken, daran schwer zu erkranken und zu sterben, trifft weltweit Arbeiter und Arme besonders stark. In Deutschland gab es dazu immer wieder lokale und regionale Berichte, aber keine umfassende Datenerhebung und systematische Erkenntnisse. In den großen Medien wurden solche Fragen der sozialen Ungleichheit und Klassenfragen bisher weitgehend ausgeblendet.

Den Zusammenhang zwischen der sozialen Lage – der Arbeits-, Einkommens-, Wohn- und Lebenssituation – und der Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, thematisieren inzwischen mehrere Berichte und neuere Erhebungen.

Dazu zählt eine Panorama-Sendung vom 3. März in der ARD. Zwar hätten nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung 14 von 16 Bundesländern keine Erkenntnisse darüber, welche Menschen sich besonders häufig mit Corona infizieren. Aber, wie es im Begleitbericht heißt:

Wer im Berliner Bezirk Neukölln wohnt, hat offenbar ein fast doppelt so hohes Risiko, mit Corona infiziert zu werden, als im benachbarten Treptow-Köpenick. Woran das liegt? Das weiß man nicht. Auffällig ist: In Neukölln leben auf einem Quadratkilometer 7000 Menschen, in Treptow 1600. In Neukölln liegt die Arbeitslosenquote bei 16 Prozent, in Treptow bei acht Prozent. Ähnlich sind die Unterschiede beim Haushaltseinkommen: In Neukölln beträgt es 1825 Euro im Monat, in Treptow-Köpenick 2200 Euro. In Neukölln haben 47 Prozent der Einwohner Migrationshintergrund, in Treptow nur 17 Prozent.

Am 22. März berichtete die Süddeutsche Zeitung in ihrer Online-Ausgabe über eine Studie in Köln, die bestätigt, dass Covid-19 vor allem Menschen in ärmeren Stadtteilen trifft:

Der Corona-Gürtel legt sich quer über Köln. Von Chorweiler, der Hochhaussiedlung im Nordwesten, zieht sich auf der Karte des Fraunhofer-Instituts ein blaues Band bis in den Südosten der Millionenstadt. Es sind vor allem die alten Industrie- und Arbeiterviertel am rechten Rheinufer, deren tiefes Blau auf der Grafik der Wissenschaftler signalisiert: Hier, wo in Mülheim, Kalk oder Porz mehr Arbeitslose, mehr Wohngeldempfänger und mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu Hause sind, erkranken die Bürger am häufigsten an Covid-19. Das Virus plagt die Schwachen, und es schont die Reichen auf der anderen Flussseite im wohlhabenden Westen der Domstadt.

Diejenigen, die in den Medien als „sozial Schwache“ oder „Benachteiligte“ bezeichnet werden, sind die Arbeiterinnen und Arbeiter mit und ohne Migrationshintergrund. Sie arbeiten häufig in schlecht bezahlten, aber als systemrelevant eingeschätzten Jobs wie in der Pflege, Reinigung, bei der Post, in Logistikunternehmen, im Lebensmittelhandel und im öffentlichen Nahverkehr, um nur einige Berufsbereiche zu nennen. Sie können nicht vom Homeoffice aus arbeiten und haben weniger Möglichkeiten, sich vor Ansteckung zu schützen. Dazu kommen dann oftmals noch schlechtere und engere Wohnverhältnisse aufgrund hoher Mieten und niedrigem Einkommen.

Das Robert-Koch-Institut veröffentlichte am 16. März 2021 ein Faktenblatt zu seiner Untersuchung “Soziale Unterschiede in der Covid-19-Sterblichkeit während der zweiten Infektionswelle in Deutschland”. Die Kernaussagen sind:

  • Während der zweiten Infektionswelle im Herbst und Winter 2020/2021 stieg die Covid-19-Sterblichkeit in Deutschland stark an und erreichte im Dezember und Januar einen Höchststand.
  • Nach den Meldungen der Gesundheitsämter sind im Dezember und Januar mehr als 42.000 Menschen, bei denen Covid-19 festgestellt wurde, verstorben. Davon waren etwa 90 Prozent im Alter von 70 Jahren und älter.
  • Der Anstieg der Covid-19-Todesfälle fiel in sozial benachteiligten Regionen Deutschland am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen.
  • Im Dezember und Januar lag die Covid-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen um rund 50 bis 70 Prozent höher als in Regionen mit geringer sozialer Benachteiligung.

Die RKI-Untersuchung stützt sich auf die Meldedaten zu Covid-19-Todesfällen, die von den Gesundheitsämtern an das RKI übermittelt wurden (Datenstand: 16.02.2021). Für die Analyse sozialer Unterschiede wurden die Meldedaten auf der Ebene der 401 Landkreise und kreisfreien Städte mit dem „German Index of Socioeconomic Deprivation“ (GISD) verknüpft. Dieser Index für das Ausmaß sozioökonomischer Benachteiligung berücksichtigt mehrere regionale Bildungs-, Beschäftigungs- und Einkommensindikatoren.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung des RKI sind eine Anklage an die Politik der Bundes- und Landesregierungen. Seit Beginn der Pandemie haben sie zu keiner Zeit einen richtigen Lockdown unter Einschluss aller nicht systemrelevanten Betriebe auch nur in Erwägung gezogen, um Corona unter Kontrolle zu bringen. Oberstes Prinzip war immer, die Wirtschaftsinteressen über die Bedürfnisse der Bevölkerung zu stellen – Profite vor Leben!

Die Kosten für diese Politik müssen vor allem Arbeiter und Arme, Rentner und Kranke mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben bezahlen. Auch jetzt, wo die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen, und die neuen Mutanten des Corona-Virus die Gefahr noch erhöhen, ist die Regierung nicht bereit, die Bevölkerung durch einen richtigen Lockdown zu schützen. Sie weigert sich, die Betriebe, Schulen und Kitas zu schließen, betroffene Arbeiter durch volle Lohnfortzahlung zu entschädigen und die ärmeren Haushalte konsequent zu unterstützten.

Arbeiter müssen selbst in das politische Geschehen eingreifen! Notwendig ist der Aufbau von Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze und für sichere Bildung, um auf der Grundlage eines sozialistischen Programms einen europaweiten Generalstreik vorzubereiten. Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in Großbritannien, Frankreich und der Türkei. Es ist die einzige Möglichkeit, die mörderische Pandemiepolitik der herrschenden Klasse zu stoppen,

Loading