Betriebe und soziale Brennpunkte – schwer von der Pandemie betroffen, kaum geschützt

In Betrieben, Schulen und sozialen Brennpunkte infizieren sich besonders viele Menschen mit dem Corona-Virus. Das zeigen zahlreiche Studien und Beispiele. Trotzdem werden sie kaum geschützt und von Lockdown-Maßnahmen weitgehend ausgenommen. Das gilt auch für die jüngst verabschiedete „Bundesnotbremse“.

Vor allem für Betriebe gibt es kaum Schutzvorschriften, und die wenigen, die es gibt, werden nicht überprüft und durchgesetzt. Die Zahl der Arbeitsschutzkontrollen in Betrieben ist im Coronajahr 2020 um 15 Prozent zurückgegangen. Die Betriebe müssen offenbleiben, damit die Profite weiter sprudeln, auch wenn das die Gesundheit und das Leben von Menschen kostet.

Die öffentlichen Medien, die Unternehmen und die Gewerkschaften tun alles, um die Gefahr herunterzuspielen. Über Infektionen in Betrieben werden oftmals nicht einmal die unmittelbar betroffenen Kollegen informiert. Selbst über größere Infektionen berichtet in der Regel höchstens die örtliche Presse. Das Folgende sind zwei typische Beispiele:

Beim Küchenmöbelhersteller Menke-Küchen in Kirchlengen (Nordrhein-Westfalen) haben sich laut dem Geschäftsführer Hans-Dieter Menke knapp 20 Mitarbeiter mit dem Corona-Virus infiziert. Dies berichtete die Neue Westfälische Zeitung am 29. April. Erste Fälle waren eine Woche vorher in der Montagelinie aufgetreten. Die Tests des Gesundheitsamts ergaben dann, dass 20 Arbeiter betroffen waren, das ist jeder sechste von insgesamt rund 120 Mitarbeitern. Alle Infizierten und ihre Kontaktpersonen wurden in Quarantäne geschickt.

Ein noch größerer Ausbruch ereignete sich in der vergangenen Woche im Fahrzeugwerk Brüggen in Lübtheen (Landkreis Ludwigslust-Parchim, Mecklenburg-Vorpommern). Fast 200 Arbeiter, die LKW-Bestandteile bauen, wurden positiv getestet. Die meisten zeigten Symptome der Covid-19-Erkrankung. Es handelt sich um einen der größten Ausbrüche in der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Die Infektion breitete sich exponentiell unter den Produktionsarbeitern aus. Verantwortlich dafür sei die britische Virusvariante B.117, erklärte die Amtsärztin Ute Siering. Die Inzidenz (Infizierte pro Hundertausend in sieben Tagen) stieg im Landkreis auf 227.

500 Arbeiter, praktisch alle aus der Produktion, mussten in Quarantäne. Das ist die Hälfte der 1000 Mitarbeiter und entspricht zehn Prozent der Bevölkerung in Lübtheen mit 4900 Einwohnern. Auch ein Wohnhaus in der Nähe des Unternehmens, in dem viele Arbeiter leben, wurde unter Quarantäne gestellt. Die Produktionshalle wurde letzten Freitag für zwei Wochen geschlossen. Die davon getrennten Bereiche des Unternehmens laufen weiter.

Diese beiden Beispiele stehen stellvertretend für unzählige andere Fälle von Corona-Infektionen in Betrieben, Unternehmen und anderen Arbeitsbereichen.

Kein Lockdown für die Wirtschaft

Das ARD-Magazin Monitor berichtete in seiner Sendung vom 29. April 2021 darüber, wie die Wirtschaft fast vollständig von Corona-Schutzmaßnahmen ausgenommen ist.

In der Einleitung zum Beitrag heißt es: „Ob Bau, Schlachthöfe oder Automobilindustrie, hier scheint es die Politik weniger ernst zu nehmen, wenn es um die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen geht. Davon betroffen sind am Ende vor allem Menschen in prekären Jobs; Reinigungskräfte etwa oder Erntehelfer, die Ansteckungsrisiken oft schutzlos ausgeliefert sind.“

Es werden Beispiele aus der Baubranche angeführt, die trotz hoher Ansteckungsrisiken von Lockdown-Maßnahmen ausgenommen ist. Selbst ein begrenztes Runterfahren kam hier für die Politik nicht in Frage, wie es in der Sendung heißt.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), erklärt: „Wir haben eine Reihe von Branchen im Augenblick, die von Restriktionen so gut wie gar nicht betroffen sind. Beispielsweise in der Automobilbranche, im Maschinenbau, aber auch in vielen Dienstleistungen, bei denen Menschen nach wie vor zur Arbeit gehen, sich auf dem Weg zur Arbeit oder bei der Arbeit anstecken können.”

Besonders hart betroffen sind Arbeiterinnen und Arbeiter in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Eine Frau, die seit vielen Jahren als Reinigungskraft arbeitet, berichtet Monitor: „Mein Chef kümmert sich nicht. Keine Desinfektionsmittel, keine Masken, keine Tests.” Sie spricht anonym, weil sie Angst hat, gekündigt zu werden, wenn sie offen protestiert.

Die bescheidenen Schutzmaßnahmen und Hygienekonzepte, die für Unternehmen gelten, werden so gut wie gar nicht kontrolliert. Aus Zahlen der Bundesländer, die Monitor exklusiv vorlagen, geht hervor, dass staatliche Arbeitsschutz-Kontrollen während der Pandemie sogar zurückgegangen sind. Im Jahr 2020 gab es 15 Prozent weniger Überprüfungen in Betrieben als im Vorjahr.

Auch die Homeoffice-Pflicht wird nicht kontrolliert, und Unternehmen, die sich nicht daran halten, werden nicht sanktioniert. Eine Untersuchung verschiedener wissenschaftlicher Institute aus der vergangenen Woche zeigt, wie viele Risikokontakte Menschen haben, die im Bürobereich arbeiten. 21 Prozent haben ungeschützte Kontakte mit mehr als sechs Personen, ein Drittel davon mit mehr als elf Personen. Als ungeschützt gelten Kontakte ohne Maske von mindestens 15 Minuten im Innenraum. Diese Kontakte wären alle vermeidbar, wenn die Homeoffice-Pflicht konsequent umgesetzt würde.

Laut Monitor-Anfragen bei 14 Bundesländern haben diese trotz vieler Verstöße gegen die Hygieneauflagen und Homeoffice-Pflicht kein einziges Bußgeld verhängt.

Bemerkenswert ist auch, dass die Zahl der Kontrollen in Betrieben von 61.864 im Jahr 2019 auf 50.366 im Jahr 2020, also um 15 Prozent, zurückgegangen ist. Und das von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau. Zahlen aus dem Jahr 2018 zeigen, dass Betriebe in Deutschland im Schnitt alle 25 Jahre auf Arbeitsschutz kontrolliert werden, in manchen Bundesländern sogar nur alle 40 Jahre.

Das vor kurzem verabschiedete Arbeitsschutzkontrollgesetz sieht vor, dass jährlich mindestens fünf Prozent aller Betriebe eines Bundeslandes von den zuständigen Behörden kontrolliert werden. Diese Quote gilt allerdings erst ab 2026!

Hohe Infektionsraten in ärmeren Stadtteilen

Corona-Hotspot Köln-Chorweiler (Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0)

Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft. Vor allem die soziale Ungleichheit hat sich massiv verschärft. Reiche und Superreiche, Konzerne und Banken können sich an milliardenschweren staatlichen „Rettungspaketen“ und steigenden Aktienkurse in unglaublichem Maß bereichern, Arbeiter und Arme tragen dagegen die sozialen Auswirkungen der Pandemie.

Diese soziale Polarisierung zeigt sich auch bei den Infektionen. Neue Untersuchungen und Studien haben ergeben, dass die Inzidenzen in großen Städten in ärmeren Stadtteilen und Wohnvierteln, den sogenannten sozialen Brennpunkten, enorm hoch sind, während sie in den wohlhabenderen Stadtteilen und Vierteln niedrig sind und teilweise bei null liegen.

In Köln, wo die Sieben-Tage-Inzidenz in den letzten Wochen auf 230 gestiegen ist, variiert sie in den unterschiedlichen Stadtteilen extrem stark. In Libur und Gremberghoven lag sie zeitweise über 700, in Neubrück über 600. Im sozialen Brennpunkt Chorweiler, wo fast 13.000 Menschen auf engstem Raum leben, lag sie in letzter Zeit über 500. Seit Pandemiebeginn haben sich dort 963 Menschen infiziert. Im Villenviertel Hahnwald wurde dagegen in letzter Zeit keine einzige neue Infektion gemeldet.

Der Zusammenhang zwischen Armut, Arbeitslosigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen, engen Wohnverhältnissen und der Gefahr, an Covid-19 zu erkranken, ist offensichtlich.

Auf den Intensivstationen liegen überdurchschnittlich viele Covid-19-Patienten aus ärmeren Stadtteilen und mit Migrationshintergrund. Als Grund nennen Intensivmediziner die sozialen Verhältnisse – Armut, unsichere Arbeitsverhältnisse, beengte Wohnungen –, die es den Menschen nicht ermöglichen, soziale Distanzierung einzuhalten und sich entsprechend zu schützen. Steckt sich einer in der Familie an, erkranken meistens auch alle anderen Familienmitglieder. In diesen Familien sterben dann auch überdurchschnittlich viele an Covid-19.

Die Intensivstationen in den Kölner Kliniken sind inzwischen so voll, dass schon einige Patienten in weiter entfernte Krankenhäuser verlegt werden mussten.

Auch die Zahl der infizierten Schüler und Kita-Kinder lag zuletzt so hoch wie nie zuvor. Die Stadt Köln zählte am 27. April 847 aktuell infizierte Kinder. Dazu kamen 186 infizierte Lehrkräfte und Betreuer. Anfang April lag die Sieben-Tage-Fallzahl in Köln bei den 10- bis 19-Jährigen bei rund 180. In den folgenden Wochen stieg sie über 400. Auch der Anteil der Kinder an der Gesamtzahl der Infektionen veränderte sich. Am Ende der Osterferien waren 15 Prozent der Fälle weniger als 20 Jahre alt, inzwischen sind es 25 Prozent.

Köln ist kein Sonderfall. Ähnliche Zahlen lassen sich für praktisch alle größeren Städte Deutschlands nachweisen.

In Duisburg lagen die Inzidenzwerte in der Woche vom 19. bis zum 25. April in fünf Stadtteilen über 450. Viele der betroffenen Stadtteile liegen im Norden der Stadt, darunter Bruckhausen mit 518 und Beeckerwerth mit 428, beides Stadtteile in unmittelbarer Nähe zum Thyssenkrupp Stahlwerk. Dort leben viele Stahl- und ehemalige Stahlarbeiter und ihre Familien. Hohe Werte verzeichnen auch Stadtteile im Bezirk Rheinhausen, mit Inzidenzen von 469 in Hochemmerich und 465 in Rheinhausen-Mitte. Im Bezirk Süd weist Wedau eine Inzidenz von lediglich 20 auf, Hüttenheim dagegen von 375.

Aus den Bezirken Hamborn und Meiderich/Beeck im Norden von Duisburg wurden zwischen Ende November 2020 und Anfang April 2021 fast doppelt so viele Infektionen gemeldet wie aus Duisburg Süd und Mitte.

Über 26.000 Menschen haben sich in Duisburg mit Covid-19 infiziert. 612 Menschen sind bisher daran gestorben. Allein im April gab es 60 durch Covid-19 bedingte Todesopfer. Laut aktuellsten Daten des Duisburger Gesundheitsamts sind diese Covid-Toten deutlich jünger als noch zwischen Oktober und März. Zurzeit liegen mehr als hundert Patienten mit Covid-19 in Krankenhäusern, 46 davon auf Intensivstationen.

Diese Zahlen unterstreichen, welch hohen Preis insbesondere Arbeiter und Arme für die Corona-Pandemie bezahlen müssen. Darüber hinaus sind sie am stärksten von Arbeitsplatzverlust, Lohnsenkungen und schlechteren Arbeitsbedingungen betroffen. Viele Unternehmen haben mit Hilfe der Gewerkschaften die Pandemie genutzt, um Löhne und Arbeitsbedingungen anzugreifen.

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