Frankreich: Soldaten drohen in offenem Brief mit Militärputsch

Am Sonntagabend veröffentlichte das neofaschistische französische Magazin Valeurs actuelles (Aktuelle Werte) einen neuen Brief, der von 2.000 aktiven Soldaten unterzeichnet wurde. Der Brief enthält Angriffe auf Muslime und die Arbeiterviertel des Landes und unterstützt die Putschdrohung von 23 ehemaligen Generälen, die am 21. April ebenfalls in Valeurs actuelles veröffentlicht wurde. Er bestätigt zudem, dass auch aktive Offiziere einen solchen Putsch unterstützen.

Soldat auf Wache vor dem Eiffelturm in Paris, zum Ende des zweijährigen Ausnahmezustands, 1. November 2017 (Christian Hartman, Pool via AP)

In dem Brief vom 21. April wird Präsident Emmanuel Macron aufgefordert, die angebliche „Islamisierung“ Frankreichs zu stoppen, und mit einem Putsch gedroht: Wenn nichts unternommen wird, dann wird das schließlich „eine Explosion und die Intervention unserer aktiven Kameraden auslösen. Sie werden die gefährliche Aufgabe haben, die Werte unserer Zivilisation und unsere Landsleute auf dem nationalen Territorium zu schützen.“ Weiter heißt es, in einem solchen Bürgerkrieg werde es „Tausende Tote geben, für die [Macron] verantwortlich sein wird“.

Im Brief vom 9. Mai, der ebenfalls an Macron und die Regierung adressiert ist, heißt es: „Ja, unsere Vorgesetzten haben mit dem, was sie in ihrem Brief schreiben, uneingeschränkt recht. Wir sehen Gewalt in unseren Städten. Wir sehen, dass sich in den öffentlichen Räumen und der öffentlichen Debatte der Kommunalismus ausbreitet. Wir sehen, dass Hass auf Frankreich und seine Geschichte zur Norm wird.“

Die Verfasser warnen vor einem drohenden „Bürgerkrieg“ in Frankreich und erklären, das Militär werde der Regierung gehorchen, falls diese den Einsatz von Schusswaffen gegen die Bevölkerung befehle: „Ja, wenn ein Bürgerkrieg ausbricht, wird das Militär auf seinem eigenen Boden die Ordnung aufrechterhalten, weil es dazu aufgefordert werden wird. Das ist sogar die Definition von Bürgerkrieg. Niemand kann eine so schreckliche Situation wollen, weder unsere Vorgesetzten noch wir selbst, aber – wir wiederholen es – in Frankreich bahnt sich ein Bürgerkrieg an, das wissen Sie genau.“

Die Arbeiterklasse in Frankreich, im Gebiet der Nato und weltweit muss diesen Brief als Warnung verstehen. Der Weltkapitalismus ist aufgrund der Pandemie mit der schwersten sozialen und wirtschaftlichen Krise seit den 1930ern konfrontiert. Gleichzeitig wächst die Wut der Arbeiterklasse, weil die Forderung der Regierung, „mit dem Virus zu leben“, zu Millionen Todesopfern führt. Die Gefahr, dass rechtsextreme Netzwerke innerhalb der eng miteinander verknüpften Nato-Streitkräfte Putsche und blutige Diktaturen errichten, ist todernst.

Zuvor hatte Donald Trump am 6. Januar in Washington einen beispiellosen Versuch unternommen, durch einen Putsch die Bestätigung seiner Wahlniederlage zu verhindern. Und in Spanien drohen seit sechs Monaten faschistische Offiziere mit einem Putsch. Diese Offiziere hatten ihre Putschpläne aufgenommen, nachdem in den ersten Monaten der Pandemie Streiks in Spanien, Italien und ganz Europa die Regierungen zu harten Lockdowns gezwungen hatten.

Teile des französischen Militärs und neofaschistische Kreise bereiten ganz offensichtlich einen Putsch vor. Der rechtsextreme Politiker Philippe de Villiers veröffentlichte am 17. April auf Valeurs actuelles einen hysterischen faschistischen Appell mit dem Titel „Ich rufe zum Aufstand auf“. Darin machte er u.a. das Kommunistische Manifest, Identitätspolitik und Schweizer Bankiers für die Pandemie verantwortlich.

Vier Tage später erschien die erste Putschdrohung, ausgerechnet am 60. Jahrestag des gescheiterten Militärputsches in Algier vom 21. April 1961. Damals hatten die beteiligten Generäle die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich verhindern wollen, und unter den Putschisten von 1961 war auch De Villiers' Vater gewesen.

Wie Le Parisien am 7. Mai berichtete, hat Valeurs actuelles Kontakt zu aktivem Militärpersonal aufgenommen, um einen neuen Brief zu veröffentlichen, der zwei Tage später auch erschien. Der Direktor des Magazins, Geoffroy Lejeune, erklärte gegenüber Le Parisien, der neue Brief stoße im Militär auf große Resonanz. Er habe schon bis zu 2.000 Unterschriften erhalten. Im Gegensatz zum Brief vom 21. April wurde noch kein Verfasser oder Unterzeichner identifiziert.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Verfasser des Briefs vom 9. Mai ihre Bereitschaft zum Schusswaffeneinsatz gegen die französische Bevölkerung mit ihren Einsätzen in neokolonialen Kriegen im Ausland begründen: „Wir sind diejenigen, die in den Medien als die ,Generation unter Feuer‘ bezeichnet wird (...) In Afghanistan, Mali, der Zentralafrikanischen Republik und anderen Staaten haben nicht wenige von uns feindlichen Beschuss erlebt. Einige haben Kameraden verloren. Sie haben ihr Leben geopfert, um den Islamismus zu zerstören, dem Sie auf unserem eigenen Boden Zugeständnisse machen.“

Weiter heißt es: „Fast alle von uns haben Operation Sentinel erlebt“, den Einsatz von 10.000 Soldaten innerhalb von Frankreich nach den Terroranschlägen auf das Magazin Charlie Hebdo im Januar 2015. Diesen Einsatz hatte der damalige Präsident François Hollande von der Parti Socialiste angeordnet. „Wir haben erlebt, wie unsere Vororte aufgegeben wurden, und wie man sich an Verbrechen gewöhnte. Wir haben die Versuche verschiedener religiöser Gemeinden erlebt, uns auszunutzen. Für diese Gemeinden bedeutet Frankreich nichts anderes als ein Objekt für Sarkasmus, Verachtung und sogar Hass.“

Der Brief prangert Macron als Verräter an und behauptet, mit dem eigenen Widerstand gegen den Islam in der Tradition der Résistance zu stehen, die sich im Zweiten Weltkrieg der Kollaboration mit den Nazis (1940–44) widersetzt hatte: „Im Weckruf unserer Vorgesetzten findet sich der Widerhall frühere Ereignisse. Unsere Ältesten sind Kämpfer der Résistance von 1940, die Menschen wie Sie oft Verräter genannt haben, während Legalisten aus Feigheit Deals mit dem Bösen eingegangen sind, um den Schaden zu begrenzen.“

Diese Gleichsetzung der Nazi-Herrschaft mit der Anwesenheit von Millionen Muslimen, die in Frankreich friedlich leben und arbeiten, ist eine verachtenswerte politische Lüge. Sie ist außerdem eine Warnung: Dieser Brief, der in der rechtsextremen Presse veröffentlicht wurde, ist eine faschistische Verschwörung gegen die Arbeiterklasse. Es ist ein Alarmsignal an alle Arbeiter, sich politisch zu organisieren, um das Risiko eines blutigen rechtsextremen Putsches abzuwenden.

Die Aufgabe, Widerstand gegen die Putsch- und Diktaturpläne zu mobilisieren, darf nicht den staatlichen Behörden oder den etablierten Parteien überlassen werden, denn sie sind selbst an diesen Plänen beteiligt.

Macron wahrt seit der Veröffentlichung des Briefs am 21. April ein ohrenbetäubendes Schweigen. Seine Regierung verharmlost die Bedeutung des Briefs und hat u.a. erklärt, der erste Brief sei von Offizieren a.D. veröffentlicht worden, die den Dienst längst quittiert hätten. Allerdings ist allgemein bekannt, dass die „Ehemaligen“ enge Beziehungen zu ihren aktiven Kameraden unterhalten und sich in solchen Situationen politisch zu äußern pflegen. Seither musste die Regierung zugeben, dass sich schon unter den Unterzeichnern des Briefs vom 21. April mindestens 18 aktive Soldaten befanden.

Jean-Luc Mélenchons Unbeugsames Frankreich (LFI) erklärte, die Verfasser des Briefs hätten im Militär kaum Rückhalt. Er appellierte an Macron, eine Untersuchung einzuleiten, womit er die Illusion verbreitete, die Macron-Regierung selbst würde gegen die Putschgefahr kämpfen.

Der jüngste Brief der aktiven Soldaten widerlegt diese Argumente und macht deutlich, dass beträchtliche Teile der Militärführung hinter dem Brief vom 21. April stehen. Offensichtlich ermutigt die schwache Reaktion der Regierung auf den ersten Brief die rechtsextremen Offiziere dazu, ihre Putschpläne auszuweiten.

Dieser Trend setzte sich auch am Montag fort. Verteidigungsministerin Florence Parly erklärte während eines Besuchs auf dem französischen Luftwaffenstützpunkt in Creil zu dem Brief: „Diese Kolumne benutzt den Ton und die Rhetorik der extremen Rechten, um unsere Nation zu spalten.“

Mélenchon kritisierte den Brief vom 9. Mai auf ähnliche Weise, als er schrieb, der Brief würde das Militär spalten. Seine Verfasser bezeichnete er als „Feiglinge“, weil sie anonym blieben. Er wies den Inhalt des Briefs aus der nationalistischen Erwägung heraus zurück, er schwäche die Fähigkeit des Militärs zur weltweiten Kriegsführung, und erklärte: „Die Stärke des Militärs ist sein Zusammenhalt. Damit es zusammenhalten kann, müssen wir nicht nur politische Querelen in seinen Rängen verbieten, sondern auch spalterische Ansichten, die die Soldaten gegen die Bevölkerung aufhetzen.“

Solche Äußerungen ermutigen die Putschisten nur. Sie wissen ohnehin genau, dass Macron und Mélenchon viel mehr Angst vor dem Widerstand der Arbeiterklasse haben als vor einem Putsch, und dass sie die Sicherheitskräfte brauchen, um sich vor der Bevölkerung zu schützen - umso mehr in der Situation der unbewältigten Pandemie.

Macron hat die staatlichen Polizeibefugnisse systematisch ausgebaut. Erst lobte er im November 2018 den Nazi-Kollaborateur und Diktator Philippe Pétain ausdrücklich, um die Bereitschaftspolizei zu Angriffen auf die „Gelbwesten“ zu ermutigen. Dann setzte er im März 2019 das Militär für Polizeioperationen in Paris ein. Diese Soldaten erhielten dabei die Erlaubnis zum Einsatz von Schusswaffen. Zurzeit verabschiedet er ein „globales Sicherheitsgesetz“, das es verbietet, Polizisten zu filmen.

Die Briefe vom 21. April und vom 9. Mai stoßen mit ihren Angriffen auf die „Islamisierung“ ins gleiche Horn wie Macron mit dem reaktionären „Separatismusgesetz“, das auf der Lüge beruht, Frankreich werde von einer separatistischen islamischen Massenbewegung bedroht.

In Frankreich und ganz Europa wächst die Gefahr einer autoritären Militärherrschaft sehr rasch. Es ist entscheidend, die Arbeiterklasse politisch zu alarmieren und zu mobilisieren und zu diesem Zweck die Parti de l’égalité socialiste, als französische Sektion des Internationalen Komitee der Vierten Internationale und ihre Schwesterparteien in Europa und der Welt aufzubauen.

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