Proteste und Streiks von Klinikbeschäftigten: „Unsere Arbeitsbedingungen sind unter Corona unerträglich geworden!“

Seit langem brodelt es in den Belegschaften der Kliniken bundesweit, die sich in zahlreichen Streiks und Protesten äußern. Die ohnehin kaum tragbare Situation durch Personalmangel, Arbeitshetze und schlechte Bezahlung, wurde durch die nun seit mittlerweile über einem Jahr andauernde Pandemie weiter verschärft.

Am vergangenen Mittwoch, dem internationalen Tag der Pflege, kam es bundesweit zu Protestveranstaltungen, bei denen Pflegekräfte und andere Beschäftigte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen ihrer berechtigten Wut Luft machten. „Unsere Arbeitsbedingungen sind unter Corona unerträglich geworden!“, erklärte eine Pflegekraft laut NDR auf einer Kundgebung in Hamburg.

Protest von Pflegekräften im Frühjahr 2020 (Twitter / Krankenhaus statt Fabrik, 24.04.21)

Auf Grund der mörderischen „Profite vor Leben“-Politik der Regierung, die in Deutschland bereits zu mehr als 85.000 Toten geführt hat, sind die Intensivstationen der Kliniken seit mehr als einem Jahr am Limit. Die ohnehin dünne Personaldecke wurde durch krankheitsbedingte Ausfälle und Kündigungen während der letzten Monate weiter strapaziert.

In Münster versammelten sich 1000 Menschen und forderten bessere Bedingungen in der Pflege. Unter anderem forderten sie eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, mehr Dienstplansicherheit und ein Einstiegsgehalt für Pflegekräfte von 4000 Euro brutto. In der Hauptstadt Berlin protestierten mehrere hundert Beschäftigte der landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes.

Am Klinikum Nürnberg streikten vergangene Woche die Beschäftigten im nicht-ärztlichen und pflegerischen Bereich für 24 Stunden. Die Streikenden fordern eine deutliche Lohnerhöhung. Vor Jahren wurde – wie in fast allen Kliniken – der so genannte Servicebereich outgesourct und in eine eigene Servicegesellschaft überführt, mit dem Ziel die Löhne des öffentlichen Dienstes zu umgehen und die Beschäftigten deutlich schlechter zu bezahlen. Gegenwärtig liegen die Gehälter mit 11,15 Euro nur knapp über dem Mindestlohn, mit dem man kaum über die Runden kommt. Das aktuelle Angebot des kommunalen Arbeitgebers von zwölf Euro pro Stunde wurde von den 800 Beschäftigten der Servicegesellschaft zurecht als Provokation empfunden.

Die Klinikleitung wies die Forderung nach höheren Löhnen mit dem Verweis auf „branchenübliche“ Gehälter umgehend zurück. Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) und der für die Finanzen zuständige Harald Riedel (SPD) stimmten dem zu und erklärten die Forderung sei finanziell nicht umsetzbar.

Hinzu kommen Proteste gegen Entlassungen. An zahlreichen Standorten protestieren Beschäftigte der Sana-Kliniken gegen die Streichung von über eintausend Stellen bei Deutschlands drittgrößtem Klinikkonzern. Mitten in der dritten Welle der Corona-Pandemie will der Konzern damit den radikalen Sparkurs fortsetzen und die Gewinne für die Anteilseigner in die Höhe treiben. Mit Ausnahme des Reinigungssektors sollen sämtliche Geschäftsbereiche der Tochtergesellschaft DGS Pro-Service GmbH geschlossen werden. Betroffen von den Entlassungen sind Stationsassistenzen, der Hol- und Bringdienst an den Kliniken, Pförtner und Beschäftigte im Sicherheitsdienst. Dies ist nicht nur für die von Entlassung bedrohten Arbeiter katastrophal, auch für das verbleibende Personal und die Patienten bedeutet es steigende Arbeitshetze und schlechtere Versorgungsqualität.

Wie wichtig eine ausreichende personelle Besetzung in Krankenhäusern ist, macht eine kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie aus Australien deutlich. Ein Mindestpflegeschlüssel pro Patient kann „Leben retten und Kosten senken“, erklärten die Autoren. Eine strikte Mindestbesetzung von Pflegepersonal verringert demnach die Zahl der Todesfälle und der Wiedereinweisungen. „Diese Ergebnisse sind umso relevanter im Zusammenhang mit COVID-19, das die ohnehin schon überlasteten und ausgebrannten Pflegekräfte in den Krankenhäusern an den Rand ihrer Kräfte gebracht hat“, so der Hauptautor der Studie Matthew McHugh.

Während die Beschäftigten von Entlassungen bedroht sind, schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen, verbuchen die Unternehmen Rekordgewinne. Für die großen Klinikbetreiber wie Helios oder Asklepios war das Jahr 2020 äußerst profitabel. Alleine die deutschen Helios-Klinken erwirtschafteten im letzten Jahr vor Steuern 600 Millionen Euro, die spanischen Krankenhäuser des international agierenden Konzerns ebenfalls 400 Millionen Euro.

Der Mutterkonzern Fresenius meldete für das vergangene Jahr sogar einen Profit vor Steuern von insgesamt 4,6 Milliarden Euro. Vorstandschef Stephan Sturm sagt, man habe 2020 „gut gemeistert“. Für die Aktionäre wurde mit knapp einer halben Milliarde Euro die höchste Dividende ankündigt, die Fresenius jemals ausgeschüttet hat.

Um dies weiter zu steigern, liegen die Pläne für weitere Kürzungen schon bereit. Laut einem Bericht von Zeit Online erklärte Fresenius-Chef Stephan Sturm kürzlich in Bezug auf Helios, es werde „eine gezielte Verringerung von Arzt-Kapazitäten“ geben. Das sei notwendig, „um unsere Profitabilität zu sichern“. Der Konzern gibt auf Nachfrage an, dass man sich jede Abteilung in jeder Klinik genau angeschaut habe. Und er gibt zu erkennen, dass es insgesamt um mehrere Hundert Stellen geht. Sturm brachte gegenüber Bankanalysten zum Ausdruck, dass es sogar zum „Verkauf von Kliniken“ kommen könne, um die Kosten weiter zu drücken.

Wie der Zeit Online-Artikel deutlich macht, tragen gerade auch die staatlichen Hilfen zum Geldregen für die Aktionäre bei. Durch die sogenannten Freihaltepauschalen konnten die meisten Kliniken des Konzerns mehr Umsatz erzielen als vor der Pandemie kalkuliert wurde. Mit 740 Millionen Euro erhielt die Klinikkette so viele Staatshilfen wie kein anderer Mitbewerber.

Um die Entlassungen, niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen durchzusetzen, arbeiten Unternehmen und Regierungen eng mit den Gewerkschaften zusammen. Ihre Vertreter, die in Aufsichtsräten und ähnlichen Gremien sitzen unterstützen die Kürzungen und arbeiten sie teilweise sogar aktiv aus. Gleichzeitig versuchen sie den Protest dagegen in harmlose Kanäle zu lenken. Dies zeigt sich erneut sehr deutlich in Berlin.

In den letzten Monaten und Jahren kam es immer wieder zu Streiks und Protesten von Beschäftigten der landeseigenen Krankenhäuser Charité und Vivantes. Am vergangenen Mittwoch protestierten Hunderte vor dem Roten Rathaus. Die Kliniken beschäftigen in ganz Berlin über 36.000 Mitarbeiter.

Die Gewerkschaft Verdi fordert nun für die Beschäftigten im Pflegebereich einen „Entlastungstarifvertrag“, der für mehr Personal auf den Stationen sorgen soll. Die Vorstände von Vivantes und Charité sollen innerhalb von 100 Tagen einen Vertrag über eine neue Personalbemessung unterzeichnen, ansonsten will Verdi zum Streik aufrufen.

Da die Beschäftigten seit Jahren mehr Personal fordern, ist es nicht verwunderlich, dass in kurzer Zeit fast 8400 Beschäftigte eine Petition unterzeichnet haben. Die Petition soll an Bürgermeister Michael Müller (SPD) übergeben werden. Mit der Forderung nach einem „Entlastungstarifvertrag“ spielt Verdi ein übles, altbekanntes Spiel. Bereits 2016 wurden die Beschäftigten mit dem von Verdi ausgehandelten „historischen“ Tarifvertrag für mehr Personal schlichtweg betrogen. Selbst Gewerkschaftsvertreter mussten immer wieder eingestehen, dass Personalvorgaben kaum eingehalten werden.

Mit der Frist von 100 Tagen will Verdi für Ruhe in den Kliniken sorgen und sicherstellen, dass sich angesichts der angespannten Situation und der enormen Wut der Beschäftigten kein Protest Bahn bricht. Gleichzeitig arbeitet die Gewerkschaft hinter den Kulissen mit dem rot-rot-grünen Senat daran, einen erneuten Ausverkauf vorzubereiten. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass auf der Verdi-Kundgebung mit Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) jene Person auftrat, die sowohl für die katastrophale Lage an den Kliniken verantwortlich ist, als auch für die skrupellose Corona-Politik in der Bundeshauptstadt, die Tausende das Leben gekostet hat.

Für die Vivantes-Einrichtungen fordert die Gewerkschaft zudem den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) für die Tochterfirmen. Während Pflegekräfte nach TVöD bezahlt werden, erhalten Beschäftigte beispielsweise in den Bereichen Reinigung, Transport oder Catering deutlich weniger. Auch hier kam es immer wieder zu Streiks. Dabei ist auch hier abzusehen, dass Verdi in enger Abstimmung mit SPD, Grünen und Linkspartei – Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist Vivantes-Aufsichtsratschef – weitere Proteste unterdrücken und die miserablen Bedingungen zementieren wird.

Genau dies hat Verdi bei der Charité-Servicegesellschaft CFM (Charité-Facility-Management) getan. Nachdem die Beschäftigten dort vor 14 Jahren ausgegliedert wurden und sich mit Niedriglöhnen abfinden mussten, hat es unzählige Streiks und Proteste gegeben. Allesamt wurden von Verdi ohne Verbesserungen für die Beschäftigten ausverkauft. Nachdem die Proteste an der Charité und andernorts zunahmen, initiierten Verdi und der Senat 2019 den Rückkauf der CFM und schlossen in diesem Jahr einen Tarifvertrag für die CFM-Mitarbeiter ab.

Nach einem dreimonatigen Schlichtungsverfahren unter dem früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) wurde für die rund 3000 Beschäftigten der CFM ein einheitlicher Tarifvertrag verabschiedet, der eine Reihe unterschiedlicher Regelungen zu Arbeitszeiten und Löhnen ablöst. Das Ergebnis entspricht dabei nicht ansatzweise den Forderungen der Arbeiter. So musste selbst Verdi-Verhandlungsführer Marco Pavlik einräumen, dass der Vertrag ein „deutliches Stück vom TVöD-Niveau entfernt“ ist.

In Wirklichkeit sind die Verbesserungen für Beschäftigte der CFM minimal, für einige Gruppen hat der Vertrag sogar eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit zur Folge. Es wundert daher kaum, dass sowohl das Management als auch der Senat hocherfreut über den Abschluss waren. Berlins regierender Bürgermeister Müller lobte den Abschluss ausdrücklich als Stärkung der „betrieblichen Mitbestimmung“. Teil des Vertrages ist ein Gewerkschaftsfonds in Höhe von jährlich 100.000 Euro, um die „Gewerkschaftsarbeit im Betrieb weiterzuentwickeln“, wie Pavlik anmerkte. Damit soll sichergestellt werden, dass Verdi trotz fehlender Unterstützung der Beschäftigten, die Kontrolle behält.

Die im Kern arbeiterfeindliche Rolle der Gewerkschaften ist international zu beobachten. Im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts sind hunderte von Pflegekräften seit Wochen im Streik. Sie sind nicht nur mit dem skrupellosen Management von Tenet Healthcare konfrontiert, welches drohte Streikende zu entlassen, sondern auch mit den Gewerkschaften, die den Streik isolieren, und der Demokratischen Partei. In Connecticut einigten sich Demokraten, Gewerkschaften und Management auf einen Deal um einen Streik von Beschäftigten aus 26 Pflegeeinrichtungen im gesamten Bundesstaat zu verhindern, obwohl dieser den berechtigten Forderungen der Beschäftigten nicht entspricht.

Die bitteren Erfahrungen weltweit zeigen, dass sich Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigten im Gesundheitswesen im Kampf gegen Entlassungen, Kürzungen, schlechte Löhne und untragbare Arbeitsbedingungen unabhängig von den Gewerkschaften organisieren müssen. Sie müssen sich in Aktionskomitees zusammenschließen und sich international vernetzen. Zu diesem Zweck hat das Internationale Komitee der Vierten Internationale auf seiner diesjährigen Online-Kundgebung am 1. Mai zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees aufgerufen.

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