Nach erzwungener Landung und Verhaftung eines Oppositionellen: EU verbietet Flüge nach Belarus

Am Sonntag setzte der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, die Luftwaffe ein, um eine Ryanair-Maschine, die den weißrussischen Luftraum durchquerte, zur Landung in Minsk zu zwingen. Dort wurden mehrere Passagiere, darunter der 26-jährige Journalist Roman Protasewitsch, in Haft genommen.

Lukaschenko ließ ein MiG-29-Kampfjet aufsteigen, um den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu dem Umweg und der Landung auf dem Flughafen von Minsk zu zwingen. Dort wurden Protasewitsch und seine Freundin Sofia Sapega aus dem Flugzeug geholt und inhaftiert. „Ein Todesurteil erwartet mich“, soll Protasewitsch zu anderen Passagieren gesagt haben, als die belarussischen Sicherheitskräfte ihn festnahmen. Seine Sachen wurden mithilfe von Spürhunden durchsucht, ehe Protasewitsch, Sapega und drei weitere Reisende verschleppt wurden.

Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus (AP Foto, Sergei Sheleg/BelTA Pool)

Die Verhaftung von Protasewitschs und all derer, die aus dem Ryanair-Jetliner entführt wurden, ist ein eklatanter Angriff auf demokratische Rechte. Zwar ist Protasewitsch ein Sprecher einer prokapitalistischen, rechten Opposition, aber diese gewaltsame Entführung richtet sich gegen jegliche Opposition, die sich der Oligarchen-Regierung Lukaschenko widersetzt, und vor allem gegen die wachsende Opposition der Arbeiter in ganz Belarus.

Bezeichnenderweise hat Lukaschenko die Idee für seinen Akt der internationalen Piraterie von den USA und den europäischen Mächten übernommen. Die Vereinigten Staaten haben wiederholt „außerordentliche Überstellungen“ in ganz Europa durchgeführt, wobei sie Menschen illegal und ohne ordentliches Verfahren oder Prozess entführten. Und im Jahr 2013 wurde das Privatflugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales zur Notlandung gezwungen.

Die Nato-Mächte reagieren auf Lukaschenkos eklatant illegale Aktion mit der Eskalation ihrer eigenen Kampagne, und diese besteht aus Drohungen und militärischen Provokationen gegen Belarus und seinen wichtigsten internationalen Verbündeten, Russland. Am Montagabend gab ein EU-Gipfel Sanktionen gegen Belarus bekannt. So sollen Investitionen in dem Land blockiert und der EU-Luftraum für weißrussische Fluggesellschaften gesperrt werden, und EU-Flüge sollen Belarus und seinen Luftraum künftig meiden. Parallel zu diesen Versuchen, das Land abzuschneiden und zu isolieren, verschärft die Nato ihre militärischen Drohungen gegen Russland.

Robert Habeck, Vorsitzender der Grünen, hat die Nato aufgefordert, das rechtsextreme ukrainische Regime gegen Russland zu bewaffnen. Es ist aus einem Putsch in Kiew hervorgegangen, der 2014 mit aktiver Unterstützung der Nato durchgeführt wurde. Obwohl das Kiewer Regime fordert, Russlands strategischen Marinestützpunkt in Sewastopol auf der Krim mit Militärgewalt zurückzuerobern, beharrt Habeck darauf, dass die ukrainische Forderung nach Nato-Waffen und -Unterstützung „gerechtfertigt“ und „schwer zu verwehren“ sei. Im Deutschlandfunk fügte er am Dienstag hinzu, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine sei „nicht vom Tisch“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete Lukaschenkos Vorgehen als „Entführung“, und US-Außenminister Antony Blinken nannte es „dreist und schockierend“. Zynisch empörte sich derweil Bundeskanzlerin Angela Merkel über „das beispiellose Vorgehen der belarussischen Behörden“.

Die Versuche der Nato-Mächte, Lukaschenkos Akt der Piraterie als Vorwand für immer weiter gehende Drohungen gegen Belarus und Russland zu nutzen, triefen von Heuchelei. Während sie Protasewitschs Festnahme anprangern, halten Washington und London den WikiLeaks-Redakteur Julian Assange weiterhin inhaftiert, weil er die Wahrheit über die Kriegsverbrechen der Nato im Irak und in Afghanistan enthüllt hat.

Merkel prangerte Lukaschenkos Aktion als „beispiellos“ an, als ob sie den Präzedenzfall vergessen hätte, den ihre eigene Regierung und ihre Nato-Verbündeten für Lukaschenkos Vorgehen geschaffen hatten. Im Jahr 2013 sperrten mehrere EU-Länder ihren Luftraum für ein Flugzeug mit dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales und zwangen es, in Österreich zu landen. Dort wurde die Maschine durchsucht, weil der Verdacht bestand, dass der NSA-Whistleblower Edward Snowden an Bord sein könnte.

Die Nato-Mächte treten das Völkerrecht seit Langem mit Füßen und entwickeln ihre eigenen Polizeistaatsregimes. Vor Morales' erzwungener Notlandung hatten sie schon zehn Jahre lang das System der „extraordinary renditions“ (außerordentlichen Überstellungen) entwickelten. Dabei wurden Gefangene in einem Netzwerk von CIA- und europäischen „Black Sites“ festgehalten und in verschiedene Diktaturen auf der ganzen Welt verschoben, um dort gefoltert zu werden.

Auch die Festnahme des WikiLeaks-Gründers Julian Assange durch die britische Polizei im Jahr 2019 in der ecuadorianischen Botschaft in London und seine Inhaftierung, die bis heute andauert, erfolgten unter völliger Missachtung des Völkerrechts.

Die Heuchelei der Kritik der Nato an Lukaschenko ist so offensichtlich, dass selbst antirussische Presseorgane gezwungen sind, dies anzusprechen. So zum Beispiel der martialische Leitartikel der New York Times mit dem Titel „A State-Sponsored Skyjacking Can't Go Unanswered“ (Eine staatlich-gestützte Entführung darf nicht ohne Antwort bleiben). Darin behauptet sie unverblümt, dass „Abschreckung versagt“ habe, was impliziert, dass irgendeine Form von militärischer Aktion in Betracht gezogen werden sollte. Gleichzeitig versucht die Times, auf die schreienden Widersprüche einzugehen, die ihren Drohungen gegen Belarus entgegenstehen.

Sie schreibt: „Aus Angst, Morales würde Herrn Snowden Asyl gewähren und hätte ihn an Bord seines Heimflugs genommen“, habe die Nato dessen Flugzeug „zur Landung in Österreich gezwungen. Als Beamte feststellten, dass Herr Snowden nicht an Bord war, erlaubten sie Herrn Morales, weiterzufliegen. Der Aufschrei, vor allem aus Lateinamerika, war heftig. Ein Großteil der Kritik, die damals an der Obama-Regierung geübt wurde, war gerechtfertigt. Aber es gibt einen Unterschied zwischen der Verweigerung des Überflugs eines Flugzeugs und der erzwungenen Landung einer Verkehrsmaschine, begleitet von einem Kriegsflugzeug, wegen eines falschen Alarms.“

Dies ist lächerlich. Hätten US- und Nato-Beamte Snowden an Bord von Morales' Flugzeug gefunden, hätten sie ihn natürlich ergriffen und festgenommen. Gefängnis oder Hinrichtung hätten auf Snowden gewartet, der den riesenhaften elektronischen Lauschangriff der Nato-Mächte auf die eigene Bevölkerung aufgedeckt hatte. Diese Politiker arbeiten mit denselben kriminellen Methoden wie Lukaschenko, und wenn sie versuchen, Kriegshetze gegen ihn zu betreiben, dann mit unsauberen Händen.

Solche kriegerische Propaganda wird nicht aus der Sorge um demokratische Rechte gespeist. Dabei geht es um mögliche geostrategische Vorteile in der ehemaligen Sowjetunion, sowie um den Versuch, wachsende Klassenspannungen im eigenen Land abzulenken. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind allein in den Nato-Ländern an Covid-19 gestorben, weil sich deren Regierungen weigern, eine wissenschaftliche Politik zu betreiben. Stattdessen fordern sie, man müsse „mit dem Virus leben“, wie es der französische Präsident Emmanuel Macron ausdrückte. Die soziale Wut nimmt zunehmend explosive Ausmaße an.

Es bedeutet nicht, die verschiedenen rechten Operationen billigen, mit denen Protasewitsch in Verbindung steht, um festzustellen, dass Lukaschenko es letzten Endes aus sehr ähnlichen Gründen auf ihn abgesehen hat: Ihm geht es darum, die wachsende politische Opposition in der Arbeiterklasse zu unterdrücken.

Protasewitsch ist ein ehemaliger Redakteur bei NEXTA, einem Social-Media-Outlet der prokapitalistischen belarussischen Opposition mit Sitz in Polen. Dieses Medium ist inmitten der Massenproteste gegen Lukaschenkos Betrug bei den Präsidentschaftswahlen im August 2020 in Erscheinung getreten. Die Videos, die NEXTA in Umlauf brachte, ermutigten nicht nur die Proteste, sondern lösten auch eine Massenbewegung der belarussischen Arbeiterklasse aus, und die Wut über die Gleichgültigkeit der europäischen herrschenden Elite gegenüber der Ausbreitung von Covid-19 hat sie noch verstärkt.

Streiks brachen im Bergbau, in der Automobilindustrie, in der Chemieverarbeitung, im Gesundheitswesen und in der pharmazeutischen Industrie, sowie in Schulen und an Universitäten aus.

Lukaschenkos Entführung von Protasewitsch zielt nicht nur auf NEXTA und dessen Zusammenarbeit mit rechtsgerichteten, antirussischen Regimen wie denen in Polen und der Ukraine ab. Sie zielt vor allem darauf ab, eine Entwicklung zu blockieren, bei der die Arbeiterklasse in der ehemaligen Sowjetunion zu erneutem politischen Leben erwacht - dreißig Jahre nachdem die stalinistische Bürokratie die UdSSR aufgelöst und den Kapitalismus 1991 mit Polizeistaatsmethoden restauriert hat.

Zurzeit versucht das Lukaschenko-Regime, Geständnisse von Protasewitsch zu erpressen, die seine Hinrichtung rechtfertigen könnten. Die Bewegung der belarussischen Arbeiter war letztes Jahr ein spontaner Ausbruch des Klassenzorns über die Polizeistaatsunterdrückung. Dies hatte die prokapitalistische Opposition weder erwartet noch gewünscht. Dennoch veröffentlichten die belarussischen Behörden gestern Abend ein Video, in dem Protasevich offenbar unter Zwang erklärte: „Ich werde weiterhin mit den Ermittlern zusammenarbeiten und ich werde gestehen, Massenproteste in der Stadt Minsk organisiert zu haben.“

Im Oktober befand ein weißrussisches Gericht NEXTA des „Extremismus“ für schuldig, ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Todestrakt-Insassen werden in Belarus im Morgengrauen mit einem Schuss in den Hinterkopf hingerichtet.

Diese Ereignisse unterstreichen erneut, dass die einzige politische Kraft, die heute die demokratischen Rechte verteidigen kann, die Arbeiterklasse ist. Sie muss den internationalen Kampf gegen kapitalistische Regierungen aufnehmen, die alle auf Diktatur und Krieg zusteuern.

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