Putin und Biden planen Gipfeltreffen Mitte Juni

Wie das Weiße Haus und der Kreml am Dienstag ankündigten, werden sich US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin am 16. Juni in Genf zu bilateralen Gesprächen treffen.

Das Treffen wird vor dem Hintergrund starker Spannungen zwischen den USA und Russland stattfinden, die sich an mehreren geopolitischen Krisenherden entzünden. Der wichtigste davon ist die Ukraine, deren Regierung mit ihrer Strategie zur Rückeroberung der Krim im April eine gefährliche militärische Krise in der Schwarzmeerregion ausgelöst hat.

Dieses Foto vom 10. März 2011 zeigt den damaligen Vizepräsidenten Joe Biden (links) beim Handschlag mit dem russischen Premierminister Wladimir in Moskau (AP Photo/Alexander Zemlianichenko)

Seit dem Putsch in Kiew im Jahr 2014, der von den USA und der EU unterstützt und zum Großteil von neofaschistischen Kräften ausgeführt wurde, haben die USA und die Nato ihre Militärpräsenz an der russischen Grenze verstärkt und zahlreiche militärische und politische Provokationen organisiert. Zuletzt haben Washington und Berlin dem rechtsextremen Putin-Gegner Alexei Nawalny beträchtliche Unterstützung zukommen lassen. Die westliche Presse stellte ihn wahrheitswidrig als „Märtyrer“ und Kämpfer für „Demokratie“ dar.

Biden hat nach seiner Amtsübernahme zahlreiche Beteiligte an dem Putsch von 2014 auf Regierungsposten berufen und einen ausgeprägt anti-russischen Kurs eingeschlagen. Allerdings hat er gleich zu Beginn seiner Amtszeit den START-Atomwaffenvertrag verlängert und Putin angesichts der Krise in der Schwarzmeerregion im April persönlich den Vorschlag zum kommenden Gipfeltreffen unterbreitet. Zudem kündigte die Biden-Regierung nach langen Diskussionen mit führenden deutschen Außenpolitikern auch an, sie werde, zumindest vorläufig, keine neuen Sanktionen gegen Russland wegen der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 verhängen.

Das Weiße Haus erklärte in einer kurzen Stellungnahme, die Präsidenten wollten „bei dem Gipfeltreffen über alle drängenden Fragen diskutieren und versuchen, die Berechenbarkeit und Stabilität der amerikanisch-russischen Beziehung wiederherzustellen“.

Der republikanische Senator Ben Sasse, Mitglied des Geheimdienstausschusses des Senats, war einer von vielen, die das Gipfeltreffen verurteilten. Er erklärte: „Wir belohnen Putin mit einem Gipfeltreffen? Putin hat Alexei Nawalny eingesperrt, seine Marionette Lukaschenko hat ein Flugzeug entführt, um Roman Protasewitsch in die Hände zu bekommen. Statt Putin wie einen vom Gangster zu behandeln, der sein eigenes Volk fürchtet, geben wir ihm seine geliebte Nord-Stream-2-Pipeline und legitimieren sein Verhalten mit einem Gipfeltreffen. Das ist schwach.“

Die Pressesprecherin des Weißen Hauses Jen Psaki verteidigte das Treffen bei einer Pressekonferenz mit der Erklärung: „So funktioniert Diplomatie. Wir treffen uns nicht nur mit Leuten, mit denen wir einer Meinung sind. Es ist wichtig, dass wir uns auch mit Staatschefs treffen, mit denen wir in vielen Punkten uneinig sind, wie mit dem russischen Präsidenten.“

Das Gipfeltreffen findet vor dem Hintergrund anhaltender Diskussionen in Washington statt, die sich um den außenpolitischen Kurs der USA angesichts des zunehmenden Konflikts mit China drehen. Die Biden-Regierung hat die Kriegsvorbereitungen der Trump-Regierung gegen China weiter verschärft und ihren Kurs gegenüber Taiwan geändert. Sie verbreitet mittlerweile auch die Lüge, das Coronavirus stamme aus einem Labor in Wuhan.

Russland und China haben in den letzten zehn Jahren als Reaktion auf den wachsenden Druck des US-Imperialismus in wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Fragen enger zusammengearbeitet. Beispielhaft dafür war der dreitägige Besuch des Vorsitzenden des chinesischen Zentralkomitees für Außenpolitik Yang Jiechi in Moskau letzte Woche. Berichten zufolge wurden bei Gesprächen mit dem russischen Außenministerium strategische und sicherheitspolitische Fragen diskutiert. Vor einigen Wochen beschrieb Putin die bilateralen Beziehungen als „auf dem besten Niveau der Geschichte“.

Russland und China haben jedoch noch kein formelles Militärbündnis geschlossen. Wenige Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl im letzten Jahr deutete Putin bei einem Treffen im Internationalen Diskussionsclub „Waldai“, einer führenden russischen Außenpolitik-Denkfabrik an, dass ein solches Bündnis möglich sei. Diese Ankündigung und eine Reihe von Treffen zwischen hohen russischen und chinesischen Regierungsvertretern haben in Washington Diskussionen über die möglichen Kosten eines solchen Bündnisses für die USA ausgelöst.

Das Magazin Foreign Affairs veröffentlichte Anfang Mai eine Kolumne mit dem Titel „Wie man auf eine entstehende Partnerschaft reagiert. Die gefährliche Annäherung Chinas und Russlands“. Die Autoren, Andrea Kendall-Taylor und David Shullman, sind Mitglieder mehrerer Denkfabriken und hatten zuvor lange Zeit in hohen Positionen für US-Geheimdienste gearbeitet. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte waren Russland bzw. China.

Die Verfasser betonen, sie würden den USA nicht raten, Moskau in ein Bündnis gegen Peking zu integrieren. Diese Strategie hatte der Außenpolitikberater des ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon, Henry Kissinger, der Trump-Regierung vor mehreren Jahren empfohlen. Stattdessen schlagen sie eine „bescheidenere und allmählichere Herangehensweise vor, die Putins Umfeld die Vorzüge einer ausgeglicheneren und unabhängigeren russischen Außenpolitik vor Augen führen soll“.

Weiter heißt es: „Die chinesisch-russische Beziehung ist nicht unverletzlich, und die USA sollten nicht davor zurückschrecken, ihre Schwachstellen durch proaktive Maßnahmen auszunutzen. Die Versuche der USA, von kleineren Spannungen zu profitieren, ändern vielleicht nicht den grundlegenden Kurs der Beziehung zwischen den beiden Ländern. Doch selbst kleine Keile, die zwischen die Partner getrieben werden, können zu Reibung und Misstrauen beitragen, die das Ausmaß der Zusammenarbeit begrenzen. In der Arktis versucht Russland beispielsweise, die Rolle der außenstehenden Staaten, vor allem Chinas, in der Herrschaft über die Region zu begrenzen. Die USA sollten Moskau dabei unterstützen, da sie ein Interesse daran teilen, Chinas Einfluss in der Region zu verringern.“

Die Interessen von Peking und Moskau, so die Argumentation würden sich auch in der Frage des Iran und Belarus überschneiden. Belarus ist ein kleines Land an der russischen Westgrenze, das sehr enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhält. Allerdings hat auch China in den letzten Jahren in große Projekte investiert. Belarus wurde im letzten August zum Brennpunkt eines Konflikts zwischen Russland, der EU und den USA, als dort Massenproteste und Streiks gegen die Lukaschenko-Regierung ausbrachen. Der Kreml hat Lukaschenko zwar kurzfristig unterstützt, doch die Beziehungen sind angespannt und brüchig.

Die russische Presse warnt, dass die neuerlichen Sanktionen der EU gegen Belarus wegen der Entführung eines Flugzeugs mit dem oppositionellen Journalisten Roman Protasewitsch an Bord die russische Wirtschaft fünf Milliarden Dollar kosten können. Deshalb diskutiert sie offen über Lukaschenkos Absetzung. Die Onlinezeitung Gaseta.Ru schrieb am Donnerstag, Putin und Biden hätten bei einem direkten Telefonat darüber diskutiert, später habe sich Putin bei Lukaschenko dafür entschuldigt. Belarus wird beim Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin ein Thema sein.

Der Artikel in Foreign Affairs wurde sofort ins Russische übersetzt und löste zahlreiche Diskussionen im außenpolitischen Establishment Russlands aus, das bereits seit einiger Zeit das Schicksal der amerikanisch-russischen Beziehungen im Kontext der breiteren Rivalität zwischen den USA und China diskutiert. Teile der russischen Oligarchie betrachten zweifellos die Angst der USA vor einem russisch-chinesischen Bündnis als Druckmittel in den anhaltenden Bestrebungen des Kremls, mit den imperialistischen Mächten zu verhandeln.

Die Washington Post, die sich an die Spitze der antichinesischen Kampagne um die „Wuhan-Labor-Lüge“ gestellt hat, veröffentlichte am 26. Mai einen Aufsatz von Isaac Stone Fish, dem Gründer des Unternehmens Strategy Risks. Dieses „quantifiziert die wirtschaftliche Offenheit“ von US-Konzernen in China; Fish selbst ist ein Gastprofessor an der NYU und Gastdozent bei der Denkfabrik German Marshall Fund.

Er erklärt: „Moskau hat von Peking mehr zu befürchten als Washington“, vor allem in Zentralasien würden Russlands und China gegensätzliche Interessen verfolgen. Die Region, in der Russland lange die dominante Wirtschaftsmacht war, hat in den letzten zwei Jahrzehnten äußerst enge Beziehungen mit China aufgebaut. Fish wies auch auf die langjährigen Diskussionen innerhalb der russischen Eliten über potenzielle territoriale Konflikte mit China wegen Sibirien hin und erklärte: „Russland ist unweigerlich der Juniorpartner in der Beziehung. China ist Russlands größter Handelspartner, Russland ist nicht einmal einer der zehn größten Handelspartner Chinas.“

Fish schreibt weiter: „Trotz der zahllosen Streitfragen in der amerikanisch-russischen Beziehung bedeutet das alles, dass jetzt Platz für Moskau als stiller aber wichtiger Partner in der globalen Kampagne zur Eindämmung der schädlichen Aspekte des internationalen Einflusses der Kommunistischen Partei Chinas ist.“ Er weist auf die lange Geschichte des Konflikts zwischen den beiden Ländern hin, vor allem während des chinesisch-sowjetischen Zerwürfnisses, und erklärte: „Wenn Präsident Biden sich im Juni mit Putin erstmals persönlich trifft, muss man hoffen, dass er sich an diese Geschichte erinnert.“

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