Belarus: Lukaschenko trifft sich mit Putin und verschärft Unterdrückung im Innern

Der russische Präsident Wladimir Putin und sein belarussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko haben sich am Wochenende im südrussischen Sotschi am Schwarzen Meer getroffen. Die Gespräche wurden angesetzt, nachdem Belarus ein Ryanair-Flugzeug zum Landen gezwungen hatte.

In der Maschine hatte sich der oppositionelle Journalist Roman Protasewitsch und seine Freundin, eine russische Staatsbürgerin, befunden. Beide wurden verhaftet und angeklagt, und Protasewitsch drohen offenbar 15 Jahre Gefängnis. Er betreibt den Telegram-Kanal NEXTA, der mehrere Millionen Follower hat und sich seit Beginn der Streiks und Proteste gegen das Lukaschenko-Regime im letzten Herbst zur wichtigsten Nachrichtenplattform der Opposition entwickelt hat.

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko während eines Treffens in Minsk, 27. August 2020 (Sergei Scheleg, BelTA Pool, via AP)

Die Europäische Union reagierte auf den Vorfall mit einem öffentlichen Aufschrei, Sanktionen und dem Verbot aller Flüge von und nach Belarus. Viele Artikel in der westlichen Presse deuteten an, dass Lukaschenko unmöglich ohne die direkte Unterstützung oder zumindest die Erlaubnis des Kremls gehandelt habe. Allerdings ist unklar, ob Moskau beteiligt war oder von den Plänen wusste. Der Kreml hat erst 24 Stunden nach der erzwungenen Landung klar Stellung bezogen. Berichten zufolge soll Putin mit US-Präsident Joe Biden über Belarus gesprochen und sich später bei Lukaschenko dafür entschuldigt haben. Letzten Donnerstag kündigten die USA und Russland ein Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin für den 16. Juni an.

Der genaue Inhalt der Gespräche zwischen Putin und Lukaschenko vom Wochenende ist noch nicht bekannt. Trotz eines bizarren Fototermins, bei dem Putin und Lukaschenko wie beste Freunde ihren Aufenthalt am Schwarzen Meer genießen, war das Ergebnis der Gespräche alles andere als eindeutig.

Die Reaktion der EU auf die erzwungene Landung hat Putin als scheinheilig zurückgewiesen. Er verwies auf den Vorfall während der Verfolgung des US-Whistleblowers Edward Snowden, als im Jahr 2013 das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien zum Landen gezwungen wurde. Ebenso verurteilte er die Sanktionen gegen den belarussischen Luftraum. Der Kreml stimmte außerdem zu, belarussischen Flugzeugen die Benutzung russischer Flughäfen und des russischen Luftraums zu erlauben, um die EU zu umgehen. Lukaschenko hat dem Kreml scheinbar als Gegenleistung einige interne Informationen über den Ryanair-Vorfall gegeben.

Ein russischer Beobachter hat das finanzielle Ergebnis der Gespräche, ein Kredit des Kremls in Höhe von 500 Millionen Dollar an Belarus, als „nicht gerade große Errungenschaft“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich um den zweiten Teil eines Darlehens in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar, die der Kreml Minsk im letzten September versprochen hatte, als das Lukaschenko-Regime von Massenstreiks und Massenprotesten erschüttert wurde. Belarus, dessen Wirtschaft eng mit der russischen verknüpf ist, braucht dringend Kredite in Milliardenhöhe.

Russische Beobachter gehen davon aus, dass der Kreml den Kredit sehr langsam ausgezahlt hat, weil er von Lukaschenko Schritte zu einer Verfassungsreform und zur Machtübergabe erwartet. Es ist unklar, wann der Kreml den dritten Teil der 1,5 Milliarden Dollar zahlen wird. Obwohl sich Russland angesichts der Massenstreiks und der Intervention der imperialistischen Mächte hinter Lukaschenko gestellt hat, bestehen schon seit längerem scharfe Spannungen zwischen Moskau und Minsk. Der Kreml übt Druck auf Lukaschenko aus, noch in diesem Jahr sein Amt niederzulegen.

Letzte Woche veröffentlichte die russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta eine Analyse der wirtschaftlichen Folgen der EU-Sanktionen für die belarussische Wirtschaft, die im Juni einsetzen werden. Die Sanktionen, die vermutlich wichtige Teile der belarussischen Öl- und Fertigungsindustrie treffen werden, sollen auch die russische Wirtschaft treffen. Sie befindet sich ebenfalls in einer prekären Lage.

Die Nesawissimaja Gaseta zitierte einen Politikanalysten mit den Worten: „Selbst wenn die Sanktionen nur die Hälfte der belarussischen Exporte nach Europa betreffen, werden sie zu einem direkten Verlust von etwa drei bis vier Milliarden Dollar führen. Die Bedienung der bestehenden Devisenschulden wird praktisch unmöglich werden.“ Der Bericht deutet an, Putin werde dann Lukaschenko zur Übergabe seiner Macht drängen, da „Russland nicht regelmäßig Geld verleihen kann, um die Gehälter der Beschäftigten von Unternehmen zu zahlen, die wegen der Sanktionen nicht arbeiten können“.

Die Krise in Belarus entwickelt sich vor dem Hintergrund zunehmender internationaler und innerer Instabilität. Die imperialistischen Mächte sind wegen der Intervention der Arbeiterklasse in die Massenproteste im letzten Herbst genauso beunruhigt wie Lukaschenko und der Kreml. Streiks in einigen der größten Staatsunternehmen brachten die Wirtschaft und das Lukaschenko-Regime an den Rand des Zusammenbruchs. Sie wurden zwar durch eine Mischung aus staatlicher Unterdrückung und der politischen Intervention in die Opposition unterdrückt, doch es herrschen noch immer scharfe Spannungen.

Die Inflation in Belarus liegt bei 8,5 Prozent, und 61,8 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als 700 Dollar im Monat, fast 400.000 sogar von weniger als 250 Dollar pro Monat. Nur 3,5 Prozent der Bevölkerung verfügen über ein Einkommen zwischen 1.200 und 1.500 Dollar pro Monat, und nur 3,2 Prozent haben mehr als 1.500 Dollar im Monat.

Diese Klassenspannungen sind der Hauptgrund für das gewaltsame Vorgehen des Lukaschenko-Regimes gegen jeden Widerstand im Land. Unmittelbar vor der Entführung des Flugzeugs und der Verhaftung von Roman Protasewitsch ging das Regime gegen wichtige Medien der Opposition vor.

Während die westliche Presse ständig Personen wie Protasewitsch und Swetlana Tichonowskaja propagiert und ihre Verfolgung verurteilt, berichtete sie kaum über die Tatsache, dass die Lukaschenko-Regierung letzte Woche das Arbeitsrecht zu Lasten der Arbeiterklasse geändert hat. Die Arbeitgeber haben jetzt nahezu freie Hand bei der Entlassung von Arbeitern. Politische Parolen bei Streiks wurden gänzlich verboten, und Arbeiter, die andere zum Streik aufrufen, können sofort entlassen werden. Arbeiter, die schon bisher verhaftet worden sind, und Hunderte weitere Arbeiter, die an den Streiks und Protesten im letzten Herbst teilgenommen haben, könnten alleine deswegen jetzt entlassen werden. Die Regierung bereitet sich eindeutig auf eine noch blutigere Unterdrückung weiterer Anzeichen des Widerstands der Arbeiterklasse vor.

Angesichts dieser zunehmenden Unterdrückung dürfen die Arbeiter kein Vertrauen in die imperialistischen Mächte oder die EU setzen. Ihr Kampf gegen die Lukaschenko-Regierung muss völlig unabhängig vom Imperialismus und von der bürgerlichen Opposition im Land geführt werden und auf sozialistischer und internationalistischer Grundlage beruhen.

Der rechte Charakter der EU-nahen Opposition zeigt sich am klarsten an der politischen Orientierung von Protasewitsch. Es steht außer Frage, dass Protasewitsch gut dokumentierte und seit langem bestehende Beziehungen zur extremen Rechten in der Ukraine unterhält. Diese haben eine zentrale Rolle bei dem von den USA und der EU unterstützten Putsch in Kiew 2014 gespielt.

Allerdings sollten die Arbeiter Lukaschenkos Versuch zurückweisen, dies als Vorwand für seinen Angriff auf demokratische Rechte und die Entführung des Flugzeugs zu benutzen.

Andrei Biletzki, der Gründer der berüchtigten Neonaziorganisation Asow-Bataillon, die von den USA und dem ukrainischen Staat unterstützt wird, hat bestätigt, dass Protasewitsch während des Bürgerkriegs Teil einer „Anti-Terror-Operation“ des Asow-Bataillons in der Ostukraine war, d.h. der Unterdrückung von Widerstand gegen die Regierung in Kiew. Protasewitsch wurde Berichten zufolge dabei verwundet.

Letzten September erklärte Protasewitsch in einem Interview mit dem russischen Blogger Juri Dud, er sei in die Ukraine gefahren, um sich den Maidan und den Bürgerkrieg in der Ostukraine „anzusehen“, betonte aber, er habe nur als „Journalist“ gearbeitet und nicht an Kämpfen teilgenommen. Zu diesem Zeitpunkt unterstützte die Lukaschenko-Regierung den Putsch sogar. Ihre engen Beziehungen zur ukrainischen Regierung verschlechterten sich erst im letzten Herbst, als Kiew begann, die Opposition gegen Lukaschenko zu unterstützen.

Protasewitschs Kanal NEXTA wird von Warschau aus betrieben und erhält finanzielle Unterstützung von der rechtsextremen polnischen Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Diese Beziehungen verdeutlichen den bedrohlichen Charakter der Tätigkeiten des US- und EU-Imperialismus in Osteuropa. Im Zweiten Weltkrieg ermordeten die Nazis und ihre lokalen faschistischen Kollaborateure Dutzende Millionen Menschen, darunter nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung von Belarus, der Ukraine und dem Baltikum.

Heute werden unter dem falschen Banner von „Menschenrechten“ und „Demokratie“ ähnliche Kräfte gefördert. Letzten Freitag gab die EU einen Plan bekannt, Belarus einen Kredit von drei Milliarden Dollar für eine „friedliche Machtübergabe“ zu zahlen. Die Opposition beklagt, die bisherige finanzielle und politische Hilfe der imperialistischen Mächte habe nicht ausgereicht, und sie plant, die Massenproteste wieder aufzunehmen.

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