Offener Brief an die Vorsitzende der Linkspartei Janine Wissler

Sehr geehrte Frau Wissler,

ich schreibe Ihnen, da die Linkspartei enge Verbindungen zu den Democratic Socialists of America pflegt. Auch das Netzwerk Marx21, dem Sie bis zu Ihrer Wahl als Vorsitzende von Die Linke offiziell angehörten, arbeitet mit der DSA zusammen. So sprach auf dem von Marx 21 veranstalteten „Marx is Muss“-Kongress im vergangenen Jahr, auf dem auch Sie selbst einen Vortrag hielten, etwa das führende DSA-Mitglied Eric Blanc. Laut Ankündigungstext referierte er u.a. darüber, „wie die Linke in den USA auf die derzeitige Bedrohung durch eine globale Wirtschaftskrise und auf wachsende politische Spannungen“ reagiert.

Ich weiß nicht, was Blanc auf dem Kongress gesagt hat und was seine persönliche Haltung zu Leo Trotzki ist. Aber in den vergangenen Wochen haben Mitglieder der DSA eine üble Hetz-Kampagne gegen den russischen Revolutionär und Gründer der Vierten Internationale lanciert. Führende DSA-Vertreter haben Tweets gepostet, die Trotzkis Ermordung feiern und dem stalinistischen Attentäter Ramon Mercader Tribut zollen. Zahlreiche Posts enthalten Memes mit Eispickeln, dem Gegenstand, mit dem Trotzki ermordet wurde, und preisen das Verbrechen als heldenhafte Tat.

Die World Socialist Web Site hat in einem Artikel detailliert aufgezeigt, dass die Hauptfiguren hinter der Hetzkampagne erfahrene politische Operateure sind. Sie verfügen über enge Verbindungen zur kapitalistischen und imperialistischen Demokratischen Partei.

In einem Offenen Brief an die DSA-Vorsitzende Maria Svart bringt der Chefredakteur der WSWS und Vorsitzende der Socialist Equality Party in den USA, David North, den wesentlichen politischen Zweck der anti-trotzkistischen Kampagne auf den Punkt: „1) die Vergiftung des politischen Klimas innerhalb der DSA mit reaktionärem antimarxistischem Schmutz aus dem Arsenal des Stalinismus, und 2) das Anwerben rückständiger Leute für die DSA, die sich von dem antikommunistischen, chauvinistischen und – reden wir nicht um den heißen Brei herum – antisemitischen Subtext der Denunziationen Leo Trotzkis angezogen fühlen.“

Die Wiederbelebung stalinistischer Lügen hat weitreichende historische und politische Implikationen und darf unter keinen Umständen akzeptiert werden. Trotzkis Ermordung war der Höhepunkt des stalinistischen Terrors in den 1930er Jahren, dem Hunderttausende Marxisten zum Opfer fielen. Er richtete sich direkt gegen die sozialistischen Bestrebungen von Arbeitern und Jugendlichen in der Sowjetunion und weltweit.

Die Sozialistische Gleichheitspartei und die WSWS fordern Sie auf, die Twitter-Posts und andere mediale Veröffentlichungen der DSA-Führer, in denen die Ermordung Trotzkis gefeiert wird, im Namen Ihrer Partei öffentlich zu verurteilen. Eine Partei, die sich „links“ nennt und in ihrem Programm erklärt, mit dem Stalinismus gebrochen zu haben, muss diese üble Form der Hetze gegen ihre politischen Gegner auf der Linken zurückweisen.

In diesem Zusammenhang will ich betonen, dass die SGP und die WSWS Vertreter der Linkspartei – trotz ihrer grundlegenden politischen Differenzen – immer gegen Angriffe der extremen Rechten verteidigt haben. Im vergangenen Jahr verurteilte der SGP-Vorsitzende Ulrich Rippert die Morddrohungen des NSU 2.0 gegen Ihre Person in einer Erklärung, die prominent auf der World Socialist Web Site veröffentlicht wurde.

In Erwartung einer klaren Reaktion Ihrerseits verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Johannes Stern

(Stv. Chefredakteur der deutschen Ausgabe der WSWS)

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