Zwölf Jahre nach dem Massaker von Mullaitivu

Tamilische Nationalisten verbreiten proimperialistische Lügen über den Bürgerkrieg in Sri Lanka

Im April, vor dem zwölften Jahrestag des Massakers von Mullaitivu, organisierte der Angehörigenverband der im sri-lankischen Bürgerkrieg Verschwundenen (Association of Relatives of the Disappeared in the Sri Lankan Civil War ) mehrere Straßenproteste im Distrikt Vavuniya in der Nordprovinz Sri Lankas.

Der Krieg wurde 2009 beendet, und seit 2015 haben mehr als 1500 derartige Protestaktionen stattgefunden. Trotz massiver Polizeipräsenz beteiligen sich regelmäßig hunderte Menschen daran. Viele von ihnen sind Tamilen im hohen Alter, die seit Jahren trotz Armut und Alter protestieren. Sie halten Bilder von ihren verschwundenen Kindern hoch und fordern Auskunft über ihren Aufenthaltsort.

Bei einer Protestveranstaltung am 15. April sprach auch Gopalakrishnan Rajkumar, ein Führer der Tamil National People’s Front (TNPF) und Mitglied des Bürgerkomitees von Vavuniya. Seine abstoßenden Bemerkungen zeigten deutlich, mit welchen Problemen Arbeiter in Sri Lanka und nicht nur dort konfrontiert sind. Rajkumars Äußerungen sind typisch für die politischen Lügen, mit denen tamilische bürgerliche Politiker die Arbeiterklasse zu spalten versuchen, während die Covid-19-Pandemie und Kriegsdrohungen der USA und Indiens gegen China das Leben von Millionen Menschen gefährden.

Im Bürgerkrieg: Nach einem Luftangriff patrouillieren sri-lankische Soldaten vor einem Kraftwerk in Colombo, 29. Oktober 2008. (AP Foto/errang gar Java DNA)

Über die Pandemie und die Kriegsgefahr verlor Rajkumar kein Wort. Stattdessen griff er die ethnische Mehrheit der sri-lankischen Singhalesen rassistisch an. Über die nationale Frage in Sri Lanka sagte er: „Tamilen müssen drei Hindernisse überwinden, um eine Lösung zu erreichen. Das erste ist die buddhistische Geistlichkeit, das zweite sind singhalesische Politiker, und dann gibt es noch die singhalesischen Wähler. Sie geben ihre Stimme immer wieder rassistischen singhalesischen Politikern.“

Dann appellierte er an die Tamilen, ihre Hoffnung auf die USA, Indien und die EU zu setzen. Er sagte: „Seit Februar 2017 bitten wir die USA, in unseren Kampf einzugreifen. Wir alle fordern den Beistand der USA, um Tamilen vor Völkermord und Unterdrückung zu retten.“ Er machte die proimperialistische Ausrichtung der TNPF deutlich, als er hinzufügte: „Wir appellieren an die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und Indien, einzugreifen, um den Tamilen zu helfen, eine gute politische Lösung und wirtschaftliches Wachstum zu erreichen.“

Das Mullaitivu-Massaker von 2009 gehört zu den schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit im 21. Jahrhundert. Rajkumar will die imperialistischen kapitalistischen Mächte, die dieses Massaker unterstützten, von ihrer Verantwortung freisprechen und stattdessen den singhalesischen Arbeitern die Schuld zuweisen. Das blutige Massaker zeigte die nackte Kriminalität des kapitalistischen Regimes in Sri Lanka und des Weltkapitalismus, und Rajkumar steht auf ihrer Seite.

Der kapitalistische Staat Sri Lanka ließ nicht nur tamilische Jugendliche und Arbeiter verschwinden. Im Bürgerkrieg von 1983-2009 verschwanden mehr als 200.000 Menschen oder wurden getötet. Nach Schätzungen der UN wurden in Mullaitivu, während des letzten Massakers, mehr als 40.000 unschuldige Tamilen mit Clusterbomben und Artillerieangriffen niedergemetzelt. Aber während der ersten (1971) und zweiten (1987–1990) JVP-Rebellion verschwanden auch mehr als 100.000 singhalesische Jugendliche.

Der Massenmord, den der sri-lankische kapitalistische Staat an Arbeitern und Unterdrückten aller Ethnien verübte, entlarvt den Bankrott des bürgerlichen Nationalismus. Berichte beziffern die Zahl der in Sri Lanka Vermissten seit den späten 1980er Jahren auf 60.000 bis 100.000. Damit belegt Sri Lanka, was die Zahl der als vermisst Gemeldeten angeht, den zweiten Platz, gleich hinter dem Irak, ein durch 30 Jahre imperialistischer Krieg und Besatzung verwüstetes Land.

Rajkumar ignoriert diese Geschichte und stellt die gesamte singhalesische Bevölkerung an den Pranger. Er behauptet, dass imperialistische Nato-Mächte und die indische Regierung solche Massaker verhindern müssten. Die gleichen Mächte betreiben allerdings gerade eine Politik der „Herdenimmunität“, die das Virus sich unkontrolliert ausbreiten lässt, was in ihren eigenen Ländern schon fast zwei Millionen Menschenleben gefordert hat. Die TNPF warnt aber nicht davor, dass die Politik der „Herdenimmunität“ in Sri Lanka zu einem ähnlich dramatischen Anstieg der Corona-Infektionen führen wird wie in Indien. Stattdessen setzt sie ihre Hoffnung in die indische Regierung, die eine Politik der Hindu-Vorherrschaft betreibt.

Rajkumars Verleumdung der singhalesischen Bevölkerung verdient nichts als Verachtung. Es ist zunächst eine opportunistische Anpassung an die Regierungs-feindliche Stimmung gegen Präsident Gotabhaya Rajapakse, die unter Tamilen weit verbreitet ist. Rajapakses Bruder, der aktuelle Premier Mahinda Rajapakse, war während des Massakers 2009 Präsident des Landes. Wenn jedoch viele Singhalesen im Jahr 2019 für den heutigen Premier Rajapakse stimmten, dann deshalb, weil die Vorgängerregierung (Sirisena, 2015–2019) ein arbeiterfeindliches Sparprogramm durchgesetzt hatte, obwohl sie gute Regierungsführung („good governance“) versprochen hatte.

Die Sirisena-Regierung ging aus einer Regimewechseloperation hervor, die von den USA inspiriert und von Indien und der sri-lankischen Tamil National Alliance (TNA) unterstützt worden war, weil der Rajapakse-Clan zu enge Beziehungen zu China unterhielt.

Die aktuellen Proteste begannen jedenfalls schon 2015, als die „good governance“-Regierung sämtliche Reformversprechen brach und sich weigerte, die tamilischen politischen Gefangenen auf freien Fuß zu setzen. Die Familien der Vermissten in Sri Lanka haben seither den 14. Februar, der in vielen Ländern als „Valentinstag“ gefeiert wird, zum „Tag der geliebten Vermissten“ erklärt, um an ihre Lieben zu erinnern. In Colombo halten sie an diesem Tag Proteste vor den Amtssitzen des Premierministers und des Präsidenten ab.

Zum Zweiten ist Rajkumars verlogener, bürgerlich-nationalistischer Appell von einem deutlichen Widerspruch geprägt. Er verurteilt das Massaker von Mullaitivu von 2009, ruft aber gleichzeitig Arbeiter und Jugendliche im Norden und Osten Sri Lankas auf, ihre Hoffnung in die gleichen kapitalistischen Mächte zu setzen, die es ermöglicht haben. Denn ohne die finanzielle und diplomatische Unterstützung der amerikanischen, europäischen und indischen herrschenden Eliten wäre das sri-lankische Militär nicht in der Lage gewesen, das Massaker durchzuführen. Davor hatte das Militär im Jahr 2000 am Elefantenpass eine verheerende Niederlage erlitten.

Mahinda Rajapakse selbst ließ dies durchblicken, als er in zynischen Worten über die Unterstützung sprach, die er von imperialistischen Mächten und Indien vor dem Massaker erhalten hatte. Gegenüber dem englischsprachigen indischen Nachrichtensender World is One-News (WION) sagte er 2020: „Es war ein humanitärer Krieg. Indien half uns, wo es nur ging. Wir wollten nicht zu viel davon an die Öffentlichkeit dringen lassen oder der Presse zu viele Informationen geben. Und nicht nur China und Pakistan, auch die Briten und Amerikaner halfen uns.“

WikiLeaks-Depeschen entlarven amerikanisch-indische Komplizenschaft beim Mullaitivu-Massaker

Geheime diplomatische Depeschen der USA, die WikiLeaks bekannt machte, bestätigen das Eingeständnis von Rajapakse. Sie liefern den unwiderlegbaren Beweis, dass der US-Imperialismus und seine Verbündeten Komplizen waren und das Massaker an tamilischen Zivilisten und Befreiungskämpfern der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in Mullaitivu in Übereinstimmung durchführten.

Burns Strider, ein Lobbyist, bekannt als Clintons „Guru für Glauben und Werte“, schrieb am 4. Mai 2009 in einer E-Mail an Hillary Clinton: „Ich schätze, die Leute vor Ort von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds sind der Ansicht, dass man die Tiger vollständig besiegen müsse, und dass jeder Kollateralschaden, den die Regierung von Sri Lanka dabei der Zivilbevölkerung zufügt, akzeptabel sei …“

Ein weiterer Geheimbericht vom August 2008 geht auf eine Diskussion zwischen dem damaligen US-Botschafter in Sri Lanka, Robert Blake, und dem indischen Botschafter bei der UNO, T.S. Tirumurti, ein. Die beiden sprachen über die gemeinsame Feindschaft Washingtons und Neu-Delhis gegen die LTTE und befürworteten Aufrufe zur Ermordung des LTTE-Führers Velupillai Prabhakaran. Dieser wurde ein knappes Jahr später beim Massaker von Mullaitivu getötet.

Im Bericht heißt es: „Tirumurti sagte: ‚Rajapakse will Prabhakarans Tod‘, und er wies im Weiteren darauf hin, dass die LTTE immer noch finanzielle Unterstützung aus Europa erhalte. Das sei für Indien und Sri Lanka Grund zur Besorgnis und schade der Glaubwürdigkeit des Westens. Rajapakse sei der Ansicht, die Einstellung der finanziellen Unterstützung würde die LTTE zu Gesprächen zwingen. Botschafter Blake sagte, die USA wären zwar froh, wenn Prabhakaran gefangengenommen oder getötet würde, doch sollten die USA und Indien nicht zulassen, dass Rajapakse die Fortschritte zugunsten einer Vereinbarung über eine Machtaufteilung vom Tod Prabhakarans abhängig machen würde.“

Hervorzuheben ist, was die US-Beamten, die den Bericht erstellten, damals festhielten: Die tamilischen bürgerlichen Parteien im indischen Staat Tamil Nadu, die sich als große Verbündete der sri-lankischen Tamilen gerieren, stimmten damals ebenfalls einem Massaker zu. „Tirumurti äußerte, dass die LTTE in Tamil Nadu zur Zeit über keine große Unterstützung verfüge, dass sich dies aber durch einen Zustrom von Flüchtlingen ändern könne“, schrieben sie.

Sie fügten hinzu: „Tirumurti verneinte, dass aus Tamil Nadu Druck auf die indische Regierung wegen der Situation in Sri Lanka ausgeübt werde; die LTTE genieße dort derzeit keine Sympathien. Er sagte weiter, dies würde sich nur ändern, falls Flüchtlinge in viel größerer Zahl in Tamil Nadu ankämen.“

Das bedeutet im Klartext: Kapitalistische Politiker von Tamil Nadu, von der DMK (Dravida Munnetra Kazhagam) und der rivalisierenden ADMK (Anna Dravida Munnetra Kazhagam), befürworteten damals ein Massaker und hatten lediglich Bedenken, dass die Gräueltaten und ein Massenzustrom von Flüchtlingen unter indischen Arbeitern und Bauern große Empörung auslösen könnten.

Indiens Unterstützung für ein Massaker Rajapakses an der LTTE gründete sich auf korrupte strategische und wirtschaftliche Überlegungen. Neu-Delhi wollte nicht nur größeren Einfluss in Sri Lanka, auf Kosten Chinas gewinnen; auch die Bourgeoisie von Tamil Nadu spekulierte auf hohe Profite durch ein Ende des Kriegs und die Gründung von Geschäftsimperien auf den Leichenbergen der getöteten LTTE-Kämpfer.

Als Zeichen des Danks an die herrschende Elite von Tamil Nadu für ihre Unterstützung des Massakers von 2009 lud Rajapakse die DMK-Parlamentsabgeordneten T.R. Baalu und Kanimozhi, Tochter des früheren Chief Ministers von Tamil Nadu, nach Sri Lanka ein. Er überreichte ihnen Geschenke und sprach mit ihnen über künftige Investitionen. Silver Park International, ein Fonds, der sich hauptsächlich im Besitz der Familie des DMK-Politikers J. Jagathrakshakan befindet, investierte Milliarden in Sri Lanka, unter anderem 3.85 Mrd. Dollar in Raffinerien in Hambantota. Der Sohn des früheren indischen Finanzministers P. Chiddambaram investierte in sri-lankische Luxushotels.

Vielsagend war auch die Aussage von TNPF-Führer Gajendrakumar Ponnambalam, die er 2012 in einem Meeting über den Krieg machte: Demnach hatten die imperialistischen Mächte mehrere nationalistische tamilische Fraktionen, auch seine eigene, zu den Plänen für ein Massaker an der LTTE konsultiert. Als Ponnambalam über die letzten Tage des Krieges in 2009 sprach, ging er auf seine vertraulichen Gespräche mit imperialistischen Vertretern über das Massaker ein.

Seine Ausführungen, die auf YouTube öffentlich zugänglich sind, enthüllen, dass er mit den Großmächten geheime Gespräche über ein Massaker führte und hinter dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung einer Vereinbarung zustimmte. Seine Worte sind ein Eingeständnis seiner Komplizenschaft. Ponnambalam sagte:

Während diese Verbrechen begangen wurden, und wir als ehemalige Mitglieder des Parlaments und Mitglieder des aktuellen Parlaments mit der internationalen Gemeinschaft sprachen, gab man uns zwei Zusicherungen. Die eine besagte, wenn es ein Blutbad geben sollte, würde man den Tamilen zusichern, dass das für den sri-lankischen Staat sehr ernste Konsequenzen haben würde. Die zweite Zusicherung war, dass, wenn die LTTE – die in den Augen der internationalen Gemeinschaft eine terroristische Organisation war – erst einmal ausgeschaltet wäre, würde man den Kampf des tamilischen Volkes für seine Rechte anerkennen, und es würde Frieden geben.

Weshalb haben die tamilischen Nationalisten ihre Versprechen gebrochen?

Dieser Verrat ist nicht etwa taktischen Fehlern der tamilischen Politiker zuzuschreiben. Er resultiert vielmehr aus dem Bankrott einer politischen Orientierung. Ihre Perspektive, der bewaffnete Kampf innerhalb der Grenzen Sri Lankas, war darauf ausgerichtet, mit anderen regionalen kapitalistischen Mächten, insbesondere Indien, zu Vereinbarungen zu kommen. Verschiedene nationalistische tamilische Gruppen bemühten sich, Waffen und Ausbildung vom indischen Staat und von stalinistischen Parteien in Indien zu erhalten. Im Verlauf der letzten 50 Jahre haben diese Kräfte unter dem Einfluss der Globalisierung ausnahmslos eine scharfe Rechtswendung vollzogen.

2022 jährt sich zum fünfzigsten Mal die Verabschiedung einer neuen, antidemokratischen Verfassung für den kapitalistischen Staat Sri Lanka. Sie machte Singhalesisch zur einzigen Amtssprache, den Buddhismus zur Staatsreligion, und schränkte den Zugang zu Universitäten für Tamilen ein. Damit ebnete sie den Weg für den unkontrollierten Ausbruch kommunalistischer Gewalt in Sri Lanka. Die Verfassung, an deren Ausarbeitung die Lanka Sama Samaja Party (LSSP) beteiligt war, war das vergiftete Produkt der Zurückweisung des Trotzkismus durch die LSSP und ihres Eintritts in die kapitalistische Regierung Bandaranaike 1964.

An diesem großen Verrat am Trotzkismus durch die wichtigste Partei der sri-lankischen Arbeiterklasse gab es Kritik. Sie kam von zwei Seiten und brachte zwei völlig entgegengesetzte Klassenstandpunkte zum Ausdruck.

Die Revolutionary Communist League (RCL), Vorläuferin der heutigen Socialist Equality Party (SEP), war 1968 als sri-lankische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) gegründet worden. Sie verteidigte die Perspektive der permanenten Revolution, die auch von der LSSP verteidigt, dann aber verraten worden war. Die RCL blieb der Tradition des vereinten Kampfes von singhalesischen, tamilischen und muslimischen Arbeitern treu. Ethnische Konflikte, erklärte sie, könnten nur überwunden werden, wenn die Arbeiterklasse sich in ganz Asien in einem gemeinsamen Kampf zum Sturz des Kapitalismus und der Errichtung des Sozialismus zusammenschließe.

Auch der tamilische Nationalismus verurteilte die Verfassung von 1972 und den Opportunismus der LSSP. Aber seine Kritik kam von rechts. Die 1976 bei der Konferenz von Vaddukoddai verabschiedete Resolution der Tamil United Liberation Front (TULF) sprach sich dafür aus, dass „die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in einem säkularen, sozialistischen Tamil-Eelam verboten (sein sollte)“. Doch hinter dieser quasi-sozialistischen Rhetorik, in die sie ihr separatistisches Programm verpackte, verbarg sich die Ausrichtung am kapitalistischen Nationalstaatensystem, auf das sich die imperialistischen Mächte und die einheimischen Bourgeoisien 1947 geeinigt hatten, als das Land offiziell von Großbritannien unabhängig wurde.

Als 1983 nach den antitamilischen Pogromen des „schwarzen Juli“ in Sri Lanka der Bürgerkrieg ausbrach, war die RCL die einzige Partei, die den Krieg bekämpfte und die demokratischen Rechte der Tamilen, Singhalesen und Muslime gleichermaßen verteidigte. Sie stellte sich auch gegen die indische Intervention 1987, auf die sich Neu-Delhi, Colombo und die tamilischen Nationalisten verständigt hatten. Die nationalistischen tamilischen Gruppierungen, auch die LTTE, begrüßten unisono die indische Intervention. LTTE-Führer Prabakharan gelobte, die Waffen an die indische Armee „für die Befreiung und die zukünftige Sicherheit unseres Volkes auszuhändigen“.

Das vierjährige Eingreifen Indiens wurde zum blutigen Debakel. Die indischen Truppen, weder orts- noch sprachkundig, stützten sich bei der Organisation ihrer Intervention auf die Hilfe der Tamil National Army (TNA, früher Citizen Volunteer Force). Die indischen Truppen und die TNA gerieten schließlich in einen blutigen dreiseitigen Konflikt mit der LTTE und den sri-lankischen Truppen, was verheerende Konsequenzen für die Bevölkerung im Norden Sri Lankas hatte.

Das Tamil Centre for Human Rights (TCHR) erstellte eine Bilanz der Opfer, die der Einsatz der indischen Friedenstruppen (Indian Peace-Keeping Forces – IPKF) in Sri Lanka forderte. Demnach wurden 8.118 Menschen von der IPKF getötet, 4.184 verschleppt, 10.156 gefoltert, 3.507 vergewaltigt, 15.422 verletzt und 550.250 vertrieben. Unter den Opfern der indischen Intervention war auch Krisnananthan, ein Unterstützer der RCL. Er hatte als Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Jaffna bei den Studenten großes Ansehen genossen. Er wurde von der TNA ermordet, deren Führer damals Varadaraja Perumal und Suresh Premachandran waren.

1987 zogen das IKVI und die RCL grundlegende politische Lehren aus dieser bitteren Erfahrung der internationalen Arbeiterklasse. Und die Ereignisse der letzten drei Jahrzehnte, insbesondere die Kapitulation aller nationalistischen tamilischen Gruppen vor dem Imperialismus, haben unsere Auffassungen bestätigt. Die damalige Erklärung des IKVI entlarvte nicht nur den Nationalismus des damaligen indischen Premiers Rajiv Gandhi und des sri-lankischen Präsidenten Junius Jayewardene, sondern zeigte auch auf, in welche Sackgasse der nationale Separatismus der LTTE geführt hatte.

Die mit Zustimmung Colombos erfolgte Intervention Indiens hatte katastrophale Folgen. Als die sri-lankische Armee einen singhalesischen Aufstand im Süden unterdrückte und die indische Armee im Norden gegen die LTTE und die tamilische Bevölkerung vorging, kommentierte das IKVI in seiner Erklärung vom 19. November 1987: „Jayewardenes Verteidigung der singhalesischen nationalen Souveränität und Gandhis Schutz für die Freiheit der Tamilen degenerierten unweigerlich in das groteske Schauspiel ihres gemeinsamen militärischen Vorgehens gegen eben jene Bevölkerungsgruppen, die zu verteidigen sie vorgaben.“

In dem Dokument werden die Wurzeln der Krise erklärt:

Lenin warnte schon vor mehr als 70 Jahren, dass die Bourgeoisie einer unterdrückten Nation die Frage der Selbstbestimmung ausschließlich von dem Standpunkt angeht, sich selbst nationale Privilegien zu sichern und die bestmöglichen Bedingungen für die Ausbeutung der Arbeiter und Bauern in dem „unabhängigen“ Land zu schaffen.

Dieser Egoismus hat seine objektiven Wurzeln in dem Charakter der Bourgeoisie als einer Klasse, deren Existenzgrundlage die Aneignung des Mehrwerts aus Lohnarbeit ist – d. h. die Unterdrückung der Arbeiterklasse. Diese Klassenzielsetzung leitet die Politik aller Flügel der bürgerlichen Nationalisten an, auch ihrer radikalsten Tendenzen, wie eben die LTTE, und bestimmt ihre politische Physiognomie.

In jedem Moment achten die bürgerlichen Nationalisten darauf, dass der Befreiungskampf nicht „außer Kontrolle“ gerät und nicht zu einer Bedrohung der kapitalistischen Herrschaft wird.

Das IKVI zog eine Bilanz der Ereignisse in Sri Lanka, Indien, Pakistan, Bangladesch und Burma nach dem Ende der britischen Herrschaft über den indischen Subkontinent, und es schrieb:

Auf dem Boden der verfaulten kapitalistischen Staaten und in den Fesseln ihrer künstlichen Grenzen können weder die demokratischen Ziele noch die elementarsten materiellen Bedürfnisse der Massen befriedigt werden. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Imperialismus dafür gesorgt, dass nicht ein einziger Nationalstaat entstehen konnte, in dem die verschiedenen Sprach-, Religions- und Volksgruppen in wirklich demokratischer Gleichberechtigung zusammenleben.

Die vom Imperialismus zugestandene „Unabhängigkeit“ bedeutete ausnahmslos die künstliche Errichtung von Staatsgebilden, in denen demokratische Prinzipien von vornherein nicht vorgesehen waren und mit Füßen getreten wurden. Die nationale Bourgeoisie trat dabei nicht als Befreierin der unterdrückten Massen auf, sondern als Teilhaberin an der imperialistischen Ausplünderung.

Das IKVI bekräftigte seine kompromisslose Opposition gegen den kommunalistischen Krieg in Sri Lanka, betonte jedoch: „Die ungelösten demokratischen Aufgaben des tamilischen Volkes können nur durch den vereinten internationalen Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus gelöst werden.“ Gegen die singhalesischen und tamilischen Nationalisten trat sie für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Sri Lanka und Tamil Eelam ein, als Bestandteil des Kampfes für die Sozialistischen Staaten von Südasien.

Die Forderung der tamilischen Nationalisten nach einem erneuten Eingreifen Indiens in Sri Lanka muss abgelehnt werden

Auch nach 34 Jahren erhellen diese Zeilen die grundlegenden politischen Probleme von Arbeitern in Sri Lanka und ganz Asien. Seitdem haben das Aufkommen der kapitalistischen Globalisierung und der transnationalen Produktion und die Auflösung der Sowjetunion durch die Stalinisten 1991 in raschem Tempo zu gravierenden ökonomischen und politischen Verschiebungen geführt. Die Arbeiterklasse in Asien ist um hunderte Millionen Menschen angewachsen.

Diese Verschiebungen verstärken noch den Niedergang und die Käuflichkeit der kapitalistischen herrschenden Eliten, ebenso die Kriegsgefahr. Beides hat durch den kriminellen Umgang der kapitalistischen Mächte mit der Pandemie noch zugenommen. Die Niederlage der LTTE im Bürgerkrieg und das Massaker von Mullaitivu 2009 sind selbst ein Ergebnis dieser enormen Veränderungen auf internationaler Ebene. In den 23 Jahren Krieg hatte die LTTE an Unterstützung in der tamilischen Bevölkerung Sri Lankas eingebüßt. Sie zog Steuern von den Fischern, Bauern und Lehrern ein, bot ihnen aber nur einen blutigen und endlosen Krieg. Gleichzeitig war die LTTE auf die großen Verschiebungen in der geopolitischen Weltlage nicht vorbereitet.

Durch imperialistische Kriege, die Millionen Menschenleben forderten, beginnend mit dem Irakkrieg von 1991, versuchte der US-Imperialismus alles, um seinen regionalen Einfluss zu stärken. Er fand einen Verbündeten in der indischen Bourgeoisie, die seit ihrer Öffnung für den Weltmarkt 1991 einen scharfen Rechtsruck vollzogen hat. Das Militärabkommen mit den USA von 2005 war der Beginn eines Bündnisses mit Washington gegen Chinas wachsenden wirtschaftlichen Einfluss, das das Land zum wichtigsten Partner der USA in der Region machte.

Washington und Neu-Delhi war Chinas Bündnis mit dem Rajapakse-Regime ein Dorn im Auge; sie ließen das Mullaitivu-Massaker geschehen, um ihren Einfluss in Colombo zu wahren. Das ist der Grund für die Komplizenschaft der imperialistischen Mächte, des indischen Staates und der verschiedenen bürgerlichen tamilischen Politiker bei dem Massaker.

Der Massenmord und die Stationierung der sri-lankischen Armee im Norden und Osten von Sri Lanka haben die nationalen Fragen nicht gelöst, die im Kapitalismus unlösbar sind; noch haben sie den berechtigten Zorn über diese Ereignisse, den Millionen von Arbeiterfamilien und Unterdrückten weiterhin in sich tragen, auslöschen können.

Die sri-lankische Regierung hat zugegeben, dass sie die im Norden vermissten Personen ermordet hat. Im Januar 2020 erklärte Gotabhaya Rajapakse in Gegenwart von Hannah Singer, der Ständigen Vertreterin der UN in Sri Lanka, zum ersten Mal: „Die Vermissten sind wirklich tot.“ Ungerührt setzte er hinzu: „Es wird dafür gesorgt, dass den Vermissten Sterbeurkunden ausgestellt werden.“

Der tamilische Nationalist Varadaraja Perumal, der während der indischen Besatzung Chief Minister im Nordosten Sri Lankas war, äußerte sich so: „Ihre Verwandten wissen sehr gut, dass die Vermissten nicht mehr am Leben sind. Eine internationale Untersuchung ist nicht möglich; der Präsident wird ihnen Entschädigungen zahlen und ihre Anliegen regeln.“

Die tamilischen Nationalisten, die sich immer noch als Gegner der Rajapakse-Brüder ausgeben, und die die Sparmaßnahmen der „good governance“-Regierung unterstützt haben, welche durch die US-geführte Regimewechseloperation ins Amt kam, haben ihre Beziehungen zu den am Massaker beteiligten kapitalistischen Mächten vertieft.

Vergangenen Winter haben viele nationalistische tamilische Politiker den indischen Premier Narendra Modi und seine hindu-fundamentalistische Bharatiya Janata Party (BJP) um politische und militärische Hilfe gebeten. Außerdem begrüßten sie die Gründung der sri-lankischen BJP (SLBJP). „Die Eelam-Tamilen werden in unserem Land niemals chinesische Firmen zulassen“, sagte der Führer der tamilischen National Party, K. Shivajilingam, und rief zur Gründung einer „neuen Internationale im Namen der BJP“ gegen die Kommunistische Partei Chinas auf.

Bezeichnenderweise drohte Shivajilingam dem Rajapakse-Regime mit einer erneuten militärischen Besetzung des sri-lankischen Nordens, wie sie Indien 1987–1990 durchführte. „Wer im indopazifischen Raum gegen die Interessen Indiens und der USA handelt, sorgt sicher für einen schweren Konflikt“, sagte er. „Man kann nicht ausschließen, dass amerikanische oder indische Truppen im Norden und Osten [Sri Lankas] einmarschieren und dort bleiben werden.“

Diese Aussagen brandmarken Shivajilingam und seine politischen Gesinnungsgenossen als politische Reaktionäre, die aufs Neue mit Indien zusammenarbeiten werden, um die Arbeiterklasse brutal zu unterdrücken.

Die Pandemie trägt das Ihre dazu bei, den reaktionären Charakter der Forderung der tamilischen Nationalisten nach einem Bündnis mit Washington und Neu-Delhi zu entlarven, das die Gefahr eines weiteren Krieges und einer erneuten indischer Besatzung birgt. Ihre Unterstützung für das Modi-Regime gilt auch desssen Politik der schrankenlosen Durchseuchung mit dem Coronavirus, die ja auch die US-Regierung praktiziert. Beinahe eine halbe Million Inder stecken sich täglich mit der lebensgefährlichen Krankheit an. Die erneute explosionsartige Verbreitung der Pandemie droht auch auf das benachbarte Sri Lanka überzugreifen. Dessen ungeachtet applaudieren die tamilischen Nationalisten dem Modi-Regime.

Die wichtigste Aufgabe für Arbeiter und Jugendliche, die dem Rajapakse-Regime, der Politik der „Herdenimmunität“ und dem imperialistischen Krieg Widerstand leisten wollen, besteht darin, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu vereinen. Das erfordert einen bewussten Bruch mit dem Nationalismus.

Der Kampf, das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären und die für das Massaker Verantwortlichen zu bestrafen, muss auf internationaler Ebene, als Bestandteil des Kampfs für den Sozialismus, organisiert werden. In Sri Lanka tritt die SEP für die Perspektive des Trotzkismus ein. Nur sie kämpft für den Sturz des überholten Systems des Weltkapitalismus durch die sozialistische Revolution. Sie strebt eine Regierung an, die die Interessen der Arbeiter und unterdrückten Massen vertritt. Der Weg vorwärts für Arbeiter und Jugendliche besteht im Aufbau der SEP in Sri Lanka und von Sektionen des IKVI auf der ganzen Welt.

Loading