Delta-Variante breitet sich rapide aus – in mehreren europäischen Staaten bereits vorherrschend

Die hochansteckende Delta-Variante des Corona-Virus breitet sich rapide auf dem ganzen europäischen Kontinent aus. Die Mutation trat erstmals in Indien auf und ist bereits für Zehntausende Tote verantwortlich. In Großbritannien, Portugal und Russland ist sie inzwischen die vorherrschende Variante des Corona-Virus.

Der Hauptvirenstamm der Delta-Variante, B.1.617.2, der erstmals letzten Oktober entdeckt wurde, ist einer von mehreren Stämmen des Corona-Virus. Mittlerweile wurde er laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in mindestens 74 Ländern nachgewiesen.

Public Health England (PHE) hat alle drei Delta-Varianten – die ursprünglich in Indien entdeckt wurden – und die Varianten Delta-AY.1 und Delta-AY.2 als besorgniserregend eingestuft. Am 18. Juni hat das PHE 36 bestätigte und zwei Verdachtsfälle von Delta AY.1 in England entdeckt. Delta-AY.2 wurde in Großbritannien bisher nicht nachgewiesen.

Eine Pflegerin bereitet am 11. Februar 2021 auf einer Covid-19-Intensivstation im Curry-Cabral-Krankenhaus in Lissabon Medikamente vor. Portugal erlebt momentan einen so starken Anstieg der täglichen Neuinfektionen wie zuletzt im Februar. (AP Photo/Armando Franca)

In Großbritannien ist die Delta-Variante innerhalb weniger Wochen nach ihrem erstmaligen Nachweis bereits vorherrschend geworden. Laut aktuellen Zahlen ist sie für mindestens 98 Prozent aller neuen Infektionen verantwortlich. In den letzten sieben Tagen wurden in Großbritannien täglich etwa 10.000 neue Covid-Fälle entdeckt. Weil die Regierung am 17. Mai einen Großteil der Wirtschaft wieder geöffnet hat, konnte sich das Virus wieder ausbreiten. Die Zahl der Neuinfektionen stieg im Lauf der letzten Woche um 68.449 und damit um 31 Prozent im Vergleich zur Vorwoche (52.077 Fälle).

Am Dienstag wurden 11.625 neue Corona-Fälle gemeldet, was der höchste Stand seit Mitte Februar ist und einen Anstieg um fast eintausend Fälle im Vergleich zum Montag bedeutet. Auch die Zahl der Toten im Zusammenhang mit den Corona-Virus steigt stark: Am Dienstag waren es 27, am Montag nur fünf.

Die Ausbreitung in Großbritannien wird vor allem durch Infektionen unter Schülern und jungen Menschen begünstigt, von denen nur ein winziger Prozentsatz geimpft ist. Am Dienstag meldete das Bildungsministerium, dass in der letzten Woche fast 250.000 Schüler in England im Zusammenhang mit Covid-19 fehlten, von denen sich 9.000 infiziert haben.

Laut Epidemiologen ist Delta etwa 60 Prozent leichter übertragbar als die Alpha-Variante (ursprünglich bekannt als Kent-Variante), die im Herbst innerhalb weniger Monate zur vorherrschenden Variante in Großbritannien wurde und sich weltweit rapide ausbreitete. Erste Daten aus Großbritannien bestätigen, dass die Delta-Variante die Gefahr eines schweren Verlaufs mit stationärer Behandlung im Vergleich zur Alpha-Variante um das 2,2-fache erhöht.

Europa verzeichnete letzte Woche weitere 5.770 Covid-19-Tote, die meisten davon in Russland (3.000), wo sich Delta bereits weit verbreitet hat. In den sieben Tagen bis Dienstag verzeichnete nur Russland mehr Corona-Fälle (111.796) als Großbritannien, was einem Anstieg um 29 Prozent im Vergleich zur Vorwoche entspricht. Alleine letzten Freitag wurde in Moskau eine Rekordzahl von 9.056 Neuinfektionen verzeichnet.

Den größten prozentualen Anstieg der Fallzahlen gab es in Portugal, das letzte Woche 7.734 Fälle verzeichnete. In der Vorwoche waren es nur 5.038, was einem Anstieg um 54 Prozent entspricht.

Ein wichtiger Grund für die Ausbreitung in Portugal ist die rücksichtslose Öffnung der Wirtschaft, einschließlich der umfangreichen Tourismusbranche. Portugals Ferienorte sind bei Urlaubern aus Großbritannien beliebt, deshalb wurde das Land ursprünglich auf die grüne Liste der Staaten gesetzt, deren Einwohner nach der Rückkehr nicht in Quarantäne mussten. Angesichts der neuen Pandemiewelle in Portugal hat Großbritannien das Land am 8. Juni auf die gelbe Liste gesetzt, d.h. Rückkehrer müssen in Quarantäne, aber der Reiseverkehr bleibt bestehen.

In Frankreich wurden letzte Woche 16.444 neue Fälle verzeichnet, in Italien 7.683 und in Belgien 3.077.

Für alle diese Anstiege ist die Delta-Variante verantwortlich. Am Sonntag veröffentlichte die Financial Times (FT) einen Bericht über die Ausbreitung der Delta-Variante in ganz Europa, der auf einer Analyse der globalen genomischen Daten der Virustracking-Datenbank Gisaid (Global Initiative on Sharing All Influenza Data) basiert. Die FT wies darauf hin, dass Delta „für 96 Prozent der sequenzierten Covid-19-Infektionen in Portugal verantwortlich ist; in Italien sind es über 20 Prozent, in Belgien etwa 16 Prozent... In Portugal kam es im Großraum Lissabon zu Übertragungen der Variante von Mensch zu Mensch, hier wurden mehr als 60 Prozent der neuen Covid-Fälle in der letzten Woche identifiziert.“

In ganz Europa entstehen Cluster der Delta-Variante. Die FT schrieb: „Die französischen Behörden versuchen derzeit, einen Ausbruch in der Region Landes nahe der spanischen Grenze einzudämmen, wo 125 Fälle der Delta-Variante durch Gensequenzierung bestätigt und weitere 130 Verdachtsfälle entdeckt wurden. Diese repräsentieren zusammen etwa 30 Prozent der derzeitigen Infektionen in diesem Gebiet. In den letzten Wochen wurden auch in den südlichen Vororten von Paris und an einer Kunsthochschule in Straßburg Cluster der Delta-Variante entdeckt.“

Die Zahlen über Delta-Infektionen, die von den Regierungen auf dem europäischen Festland gemeldet werden, sind zweifellos deutlich zu niedrig angesetzt. Es findet kaum eine Genomsequenzierung bei Covid-Fällen statt. Großbritannien ist dabei weltweit Vorreiter und hat mehr als eine halbe Million Genome sequenziert, doch wie die FT schreibt, haben im Unterschied dazu „Deutschland, Frankreich und Spanien nur etwa 130.000, 47.000 und 34.000 Genome sequenziert“.

Laut Modellschätzungen über den Anteil von Delta an den sequenzierten Fällen gingen bis zum 16. Juni 98 Prozent aller Covid-Fälle in Großbritannien auf Delta zurück, wobei 30 Prozent aller Covid-Fälle sequenziert wurden. In Russland war Delta für 99 Prozent aller Covid-Fälle verantwortlich, wobei ein Prozent sequenziert wurde. In Portugal war Delta für 96 Prozent der fünf Prozent sequenzierten Covid-Fälle verantwortlich. In Italien basierten 26 Prozent aller Fälle auf der Delta-Variante, wobei zwei Prozent sequenziert wurden; in Belgien waren es 16 Prozent bei sechs Prozent Sequenzierungen. In Deutschland wurden acht Prozent der Fälle sequenziert, wobei bei 15 Prozent Delta nachgewiesen wurde. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zur Schätzung des Robert-Koch-Instituts, laut der Delta nur für sechs Prozent der Fälle verantwortlich sei. In Frankreich, wo das Gesundheitsministerium mit einer Delta-Quote zwischen zwei und vier Prozent rechnet, gehen laut Daten von Gisaid fast sieben Prozent aller Fälle auf Delta zurück, und nur ein Prozent davon wird sequenziert.

Dass so wenig Genomsequenzierungen durchgeführt werden, verdeutlicht einmal mehr die tödlichen Folgen des Prinzips, das alle Großmächte seit Beginn der Pandemie übernommen haben: Die Profite und die Wirtschaft haben Vorrang vor der Gesundheit und dem Leben der Bevölkerung. In einem Kommentar über die unzureichenden Sequenzierungen in einigen der reichsten Länder der Welt zitierte die FT Antoine Flahault, den Direktor des Instituts für globale Gesundheit an der Universität Genf, mit den Worten: „Es kostet Geld und Zeit, und wurde vernachlässigt.“

In Schweden, wo die Regierung beschlossen hatte, die Ausbreitung des Virus in vollkommen unkontrollierter Weise zuzulassen, um eine „Herdenimmunität“ zu erreichen, haben sich von zehn Millionen Einwohnern mehr als eine Million Menschen infiziert, wobei mehr als 14.200 sind gestorben. Die öffentliche Gesundheitsbehörde bestätigte letzten Donnerstag eine „Community-Ausbreitung“ von Delta mit 71 Fällen. Der Direktor der Behörde, Johan Carlson, erklärte auf einer Pressekonferenz: „Am Horizont ziehen dunkle Wolken auf. Ich denke dabei hauptsächlich an Ausbrüche der Delta-Variante, die man in Europa und lokal auch in Schweden findet.“

Da große Teile der europäischen Bevölkerung noch nicht geimpft sind, kann sich das Virus ausbreiten und mutieren. Selbst in Großbritannien, das den größten Prozentsatz an Geimpften in Europa aufweist, ist nur etwa die Hälfte der Bevölkerung durch zwei Dosen vollständig immunisiert. Die FT schreibt dazu: „In vielen Ländern des europäischen Festlands liegen die Impfquoten zwischen 20 und 30 Prozent. In Frankreich sind etwa 26 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.“

Die europäischen Regierungen haben ihre Pläne, ihre Wirtschaften vollständig wieder in Betrieb zu nehmen und die Profite der Konzerne und Banken zu gewährleisten, kaum abgeändert.

In Portugal wurde die Hauptstadt Lissabon von den Behörden abgeriegelt und der Ein- und Ausreiseverkehr unterbunden, jedoch nur während des letzten Wochenendes.

Die konservative britische Regierung sah sich gezwungen, die Abschaffung aller noch verbliebenen Einschränkungen vom 21. Juni auf den „Terminus Day“ am 19. Juli zu vertagen, kündigte aber zahlreiche Veranstaltungen an, die zu Superspreader-Ereignissen werden könnten. Am Dienstag gab sie bekannt, dass im Londoner Wembley-Stadion 60.000 Fans zu den Halbfinal- und Endspielen der EM 2020, die erst in diesem Jahr stattfindet, am 7., 8. und 11. Juli zugelassen werden. Auf diese Erhöhung der maximal erlaubten Zuschauerzahl – der höchsten Zahl, die in den letzten 15 Monaten in Großbritannien bei einem Sportereignis erlaubt wurde – hatten sich London und der europäische Fußballverband UEFA geeinigt.

In Schottland kündigte First Minister Nicola Sturgeon von der Scottish National Party am Dienstag an, dass die Absenkung auf die niedrigste Einschränkungsstufe bis zum 19. Juli verschoben wird. Am 9. August sollen dann alle wesentlichen gesetzlichen Corona-Einschränkungen aufgehoben werden.

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