Geleakte Dokumente über britische Provokation gegen Russland im Schwarzen Meer

Das Eindringen der HMS Defender in russische Hoheitsgewässer vor der Krim war eine kalkulierte Provokation, und sie war auf höchster militärischer und Regierungsebene geplant. Das geht aus vertraulichen Dokumenten des britischen Verteidigungsministeriums (MoD) hervor, die – angeblich versehentlich – an einer Bushaltestelle in Kent liegengelassen worden waren.

Am 22. Juni, einem Dienstagmorgen, wurden die zwei durchweichten Sätze Dokumente gefunden. Einer davon handelt von Diskussionen, die am Montagabend geführt worden waren, und in denen es um das Eindringen der HMS Defender am 23. Juni in die umstrittenen Gewässer vor der Krim ging. Im Zentrum stadn die Frage, wie Russland wohl darauf reagieren würde. Die restlichen geleakten Dokumente beinhalten Pläne für eine mögliche britische Militärpräsenz in Afghanistan nach dem Ende der Nato-Operation unter Führung der USA.

Der Finder, der anonym bleiben will, übergab die Dokumente der BBC, welche sie theoretisch noch vor der Operation hätte publizieren können. Um die militärische Provokation am Mittwoch nicht zu sabotieren, hielt der staatliche Rundfunksender sie zurück.

Britischer Zerstörer HMS Defender nahe der Krim im Schwarzen Meer, 23. Juni 2021 (Aus einem Video des Pressedienstes des russischen Verteidigungsministeriums via AP)

Die Dokumentensammlung umfasst fast 50 Seiten, darunter E-Mails und PowerPoint-Präsentationen von alternativen Routen, welche die Defender hätte nehmen können. Die Dokumente stammen aus dem Büro eines hohen Vertreters des Verteidigungsministeriums. Die Defender ist ein Zerstörer des Typs 45 und Teil der britischen Kampfgruppe um den Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth, die sich momentan auf dem Weg in die Indo-Pazifik-Region befindet.

Bereits Anfang Juni wurde bekanntgegeben, dass sich die Defender vom Rest der Kampfgruppe lösen und „friedlich ukrainische Hoheitsgewässer durchfahren soll“, wie es das Verteidigungsministerium formulierte. Die Bewaffnung sollte dabei verdeckt und der Bordhubschrauber im Hangar bleiben. Doch das Dokument bestätigt, dass Großbritannien eine feindselige Reaktion Russlands einkalkuliert und die Operation dennoch fortgesetzt hat.

Großbritanniens Pose von Arglosigkeit beruht auf der Behauptung, die betreffenden Gewässer gehörten der Ukraine. Laut dem UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 gilt die Durchfahrt eines Schiffs als „friedlich“, wenn sie sich „nicht auf den Frieden, die Ordnung oder die Sicherheit des Küstenstaats auswirkt“. Russland beansprucht jedoch die Souveränität über die Gewässer vor der Krim, seit es die Halbinsel 2014 angesichts zunehmender Spannungen mit der rechten Regierung in Kiew übernommen hat. Die ukrainische Regierung war durch einen Putsch mit Unterstützung der USA und der europäischen Imperialisten an die Macht gelangt.

Ein Vertreter des Dauerhaften Gemeinsamen Hauptquartiers (PJHQ), dem die britische Armee, Marine und Luftwaffe unterstehen, fragt: „Was wissen wir über die mögliche ,Begrüßungsparty?‘...“

Es wurden mehrere potenzielle Reaktionen Russlands geschildert, von „sicher und professionell“ bis hin zu „weder sicher noch professionell“. Die Dokumente kamen zu dem Schluss, dass „weder sicher noch professionell“ eine klare und drohende Möglichkeit sei.

Weiter wurde darauf hingewiesen, dass die jüngsten Interaktionen zwischen russischen Streitkräften und der Trägerkampfgruppe im östlichen Mittelmeer unauffällig waren und „den Erwartungen entsprachen“. Allerdings „ist es nach dem Übergang von Verteidigungshandlungen zu operativer Aktivität sehr wahrscheinlich, dass die Interaktionen der russischen Marine und Luftwaffe häufiger und selbstbewusster werden“.

Es wurden zwei mögliche Routen in Erwägung gezogen. Eine verlief „für einen kurzen Abschnitt durch ein ,Verkehrstrennungsgebiet‘ nahe der Südwestspitze der Krim“, die andere außerhalb der umstrittenen Gewässer. Letztere wurde abgelehnt, weil sie den Eindruck erweckt hätte, „Großbritannien habe Angst/läuft davon“, während die eigentliche Absicht war, den Anspruch der Ukraine auf die umstrittenen Gewässer zu bekräftigen.

In den Dokumenten hieß es: „Wir haben ein starkes, legitimes Narrativ.“ Die Anwesenheit der eingebetteten Journalisten Jonathan Beale von der BBC und Marc Nicol von der Daily Mail habe „die Möglichkeit geboten, das Vorgehen der HMS Defender unabhängig zu bestätigen“.

Die Defender bewegte sich etwa 12 Seemeilen vor der Küste der Krim, wo sie zunächst von 20 russischen Flugzeugen und zwei Schiffen der Küstenwache verfolgt wurde, bevor Warnschüsse abgegeben wurden und die russischen Flugzeuge vor dem britischen Schiff Bomben ins Wasser warfen.

Ein Großteil dieser Papiere trägt den Vermerk „offiziell vertraulich“ und dürfen nur an diejenigen verteilt werden, die davon wissen müssen. Allerdings befindet sich darunter auch eines mit dem Vermerk „Secret UK Eyes Only“, das an das Privatsekretariat von Verteidigungsminister Ben Wallace adressiert ist. Darin werden die Empfehlungen für einen möglichen Verbleib Großbritanniens in Afghanistan nach dem Ende der Nato-Operation Resolute Support skizziert.

Es weist auf eine Bitte der USA um britische Unterstützung hin und warnt: „Jeder bleibende britische Fußabdruck in Afghanistan... gilt als anfällig für Angriffe durch ein komplexes Netzwerk von Akteuren.“

Diese Erwägungen stehen im Zusammenhang mit Diskussionen über Großbritanniens Außenpolitik nach dem Brexit, darunter der Frage, ob Waffenexporte Großbritannien in Konkurrenz zu den europäischen Mächten bringen. Doch das Hauptaugenmerk gilt den Zielen von US-Präsident Joe Bidens neuer Regierung, einschließlich der Tatsache, dass „noch immer große Kontinuität zur früheren Regierung“ hinsichtlich der Konzentration auf China und den Indopazifik besteht.

Das Leak stellt eine schwere politische Blamage dar. Das Verteidigungsministerium erklärte anfangs, der verantwortliche Angestellte habe den Verlust der Dokumente letzte Woche unverzüglich gemeldet, weswegen es „unangemessen“ sei, „noch weitere Kommentare dazu abzugeben“.

Mit dieser Erklärung war niemand zufrieden, da das Leak eindeutig von einem hohen Vertreter des Verteidigungsministeriums ausging und auf mehr als bloße Nachlässigkeit hindeutet. Eine polizeiliche Untersuchung wurde bereits angekündigt. Berichten zufolge ist ein „hoher Vertreter“ betroffen, dem sogar eine Anklage nach dem Official Secrets Act drohen könnte, weil die Dokumente das Gebäude niemals hätten verlassen dürfen. Auffällig ist zudem der Ort, an dem sie gefunden wurden, bevor sie an die BBC weitergegeben wurden.

Ein Informant erklärte gegenüber dem Daily Telegraph: „Die Polizei des Verteidigungsministeriums wurde sofort informiert und hat Dringlichkeitsermittlungen aufgenommen. In diesem Stadium wird nichts ausgeschlossen; es ist durchaus möglich, dass ein Verfahren gegen den Verantwortlichen eröffnet wird.“

Konteradmiral Chris Parry, ein ehemaliger Marinekommandant, erklärte dem Telegraph empört: „In Zukunft sollten Leute, die vertrauliche Dokumente finden, sie zur Polizei bringen. Wenn man sie der BBC bringt, hätte man sie auch gleich bei der russischen Botschaft abgeben können.

Der Verantwortliche sollte streng bestraft werden, er sollte seine Sicherheitsfreigabe verlieren. Diese Person hat gezeigt, dass man ihr keine Geheimnisse der höchsten Ebene anvertrauen kann.“

Die Labour Party hat angesichts einer potenziellen Regierungskrise kein Wort über die leichtsinnige Provokation der Royal Navy verloren, die die Spannungen mit Russland verschärft und einen militärischen Konflikt riskiert hat. Moskau bestellte anschließend die britische Botschafterin, Deborah Bronnert, ins Außenministerium ein, wo sie der stellvertretende Außenminister Sergei Rjabkow warnte, dass Russland im Falle einer erneuten derartigen Provokation auch das Ziel selbst bombardieren könnte.

Labours einzige Sorge ist eine schnelle Untersuchung durch Wallace und die konservative Regierung, um dem Unterhaus und der Öffentlichkeit zu versichern, dass kein Risiko für die militärischen Operationen bestand. Schatten-Verteidigungsminister John Healey erklärte: „Letzten Endes müssen Minister in der Lage sein, der Öffentlichkeit zu bestätigen, dass die nationale Sicherheit nicht gefährdet wurde, dass keine Militär- oder Sicherheitsoperationen betroffen waren und dass geeignete Maßnahmen eingeleitet wurden, um eine Wiederholung eines solchen Vorfalls zu verhindern.“

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