Britischer Zerstörer dringt in russische Gewässer im Schwarzen Meer ein, russische Streitkräfte geben Warnschüsse ab

Am Mittwoch gab ein russisches Patrouillenschiff vor der Küste der Krim einen Warnschuss auf den britischen Zerstörer HMS Defender ab. Danach warfen russische Flugzeuge Splitterbomben des Typs OFAB-250 mit hoher Sprengkraft vor dem britischen Schiff ab.

Laut dem russischen Verteidigungsministerium war die HMS Defender drei Kilometer tief in die russischen Hoheitsgewässer vor Kap Fiolent im Süden der Krim eingedrungen. Die Schwarzmeerinsel wurde im März 2014 von Russland annektiert, nachdem rechtsextreme Kräfte mit Unterstützung der USA in der ukrainischen Hauptstadt Kiew einen Putsch inszeniert hatten.

Der Vorfall begann mit einer schweren militärischen und politischen Provokation seitens Großbritanniens. Die HMS Defender hatte gerade die südukrainische Hafenstadt Odessa verlassen und führte gemeinsam mit der niederländischen Fregatte HNLMS Evertsen Marineübungen durch. Die Financial Times schrieb dazu am Mittwoch: „Britische und ukrainische Regierungsvertreter hatten sich am Dienstag an Bord des Zerstörers getroffen, um über ein Militärabkommen zu verhandeln, laut dem Großbritannien Kiew beim Ausbau seiner Marinestreitkräfte helfen soll. Diese Kooperation soll u.a. die Ausbildung von ukrainischen Marinesoldaten, den Bau neuer Marinestützpunkte und den Kauf von zwei Minenräumschiffen der Sandown-Klasse beinhalten.“

Die HMS Defender war am 23. Juni 2021 im Schwarzen Meer an einer schweren Provokation gegen die russischen Streitkräfte beteiligt

Swesda, der Sender des russischen Verteidigungsministeriums, veröffentlichte eine Erklärung zu dem Vorfall, in dem es hieß: „Die Schwarzmeerflotte und der [Geheimdienst] FSB haben den britischen Zerstörer Defender daran gehindert, die russische Grenze zu verletzen.

Heute um 11.52 Uhr überquerte die Defender im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres die Staatsgrenze und drang drei Kilometer tief in die Hoheitsgewässer vor Kap Fiolent ein...

Um 12.06 Uhr feuerte ein Schiff der russischen Grenzwache einen Warnschuss. Um 12.19 Uhr warfen die Su-24M-Flugzeuge der Schwarzmeerflotte zur Warnung vier OFAB-250-Splitterbomben in Richtung des Zerstörers ins Wasser.

Um 12:23 Uhr verließ der britische Zerstörer die russischen Hoheitsgewässer.“

Das britische Verteidigungsministerium war offenbar überrascht von Russlands schneller und aggressiver Reaktion und erklärte: „Das Schiff der Royal Navy ist schuldlos und in Übereinstimmung mit internationalem Recht durch ukrainische Hoheitsgewässer gefahren. Wir glauben, die Russen haben im Schwarzen Meer eine Artillerieübung durchgeführt und die Schiffe über ihre Aktivität vorgewarnt. Es wurden keine Schüsse auf die HMS Defender abgegeben, und wir erkennen die Behauptung nicht an, dass Bomben vor ihr ins Meer geworfen wurden.“

Dieses Dementi wurde von dem BBC-Militärkorrespondenten Jonathan Beale widerlegt, der sich an Bord der HMS Defender befand und später eine Erklärung auf der Nachrichtenseite der BBC als Tondatei hochgeladen hatte. Zudem äußerte er sich in einem Nachrichtenupdate dazu:

„Zwei Schiffe der russischen Küstenwache waren dem britischen Kriegsschiff [HMS Defender] gefolgt und versuchten, es zu einer Kursänderung zu zwingen. Einmal kam das russische Schiff bis auf 100 Meter heran.

Über das Funkgerät kamen immer aggressivere Warnungen, u.a. war zu hören: ‘Wenn Sie den Kurs nicht ändern, werde ich das Feuer eröffnen’...“

Dreiundzwanzig Sekunden nach Beginn der insgesamt 99 Sekunden langen Aufzeichnung ist für mehr als zehn Sekunden das Motorengedröhn eines russischen Kampfflugzeugs zu hören, sodass Beale rufen muss: „Da ist noch ein russisches Flugzeug, das um das Kriegsschiff herumschwirrt, ja, im Schwarzen Meer. Phasenweise waren mehr als zwanzig Flugzeuge über dem Kriegsschiff. Und es gab Warnungen von Schiffen der russischen Küstenwache, und wir haben tatsächlich gehört, dass Schüsse abgefeuert wurden. Wir dachten, sie wären außer Schussweite.“

Ein Teil von Beales Bericht wurde nur wenige Minuten nach der Veröffentlichung von der Seite der BBC entfernt. Darin schilderte er, wie angespannt die Lage war: „Einmal haben [die Matrosen an Bord der HMS Defender] Lichtschutzmasken aufgesetzt, um ihre Gesichter zu schützen, falls es zum Schusswechsel kommt... Sie glaubten zwar nicht, dass das passieren würde, und es ist auch nicht passiert. Aber die russischen Kampfflugzeuge haben die Sache verfolgt und das Schiff gewarnt, nicht in Hoheitsgewässer der Krim einzudringen, von denen sie sagen, dass es russische Hoheitsgewässer sind.“

Dass sich die Ereignisse so entwickelten, war angesichts der provokanten Mission Großbritanniens in der Region kein Zufall. Beale erklärt dazu in seinem Bericht: „Die Mannschaft war bereits in Alarmbereitschaft, als sie sich der Südspitze der von Russland besetzten Krim näherte. Die Waffensysteme an Bord des Zerstörers waren bereits geladen. Dabei handelt es sich um den bewussten Versuch, Russland etwas zu beweisen.“

Der Vorfall um die HMS Defender muss im Kontext des eskalierenden Militarismus des britischen Imperialismus und seiner Nato-Partner verstanden werden, in dessen Fadenkreuzen Russland und China stehen.

Die HMS Defender ist ein Zerstörer vom Typ 45, der hauptsächlich für Flug- und Raketenabwehr ausgelegt ist. Sie ist eines von mehreren Kriegsschiffen, die – zusammen mit Kampfflugzeugen, U-Booten, britischen- und US-Soldaten an Bord – einen „Ring aus Stahl“ um die HMS Queen Elizabeth bilden, einer der beiden neuen britischen Flugzeugträger, der sich momentan auf Jungfernfahrt befindet.

Der Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth mit sieben Hubschraubern im Hafen von Portsmouth am 1. Mai 2021 (Quelle: WSWS Media)

Die Carrier Strike Group 21 (CSG21) war letzten Monat von Großbritannien aus zu einer sechsmonatigen Reise in die Indopazifik-Region aufgebrochen. Am Dienstag, nur vierundzwanzig Stunden vor dem Zwischenfall im Schwarzen Meer, bezeichnete das Verteidigungsministerium die CSG21 als die „größte Konzentration von Marine- und Luftstreitkräften, die Großbritannien seit Jahrzehnten verlassen hat...“

18 Kampfflugzeuge, darunter britische und amerikanische Jets vom Typ F35B, „führten erstmals operative Einsätze von der HMS Queen Elizabeth aus, um die Operation Sharder und die amerikanische Operation Inherent Resolve zu unterstützen.“

Weiter heißt es in der kriegerischen Erklärung: „Für die Kampfgruppe, die in den letzten Monaten im Mittelmeer mit Nato-Verbündeten und Partnern zusammengearbeitet hat, war das eine Schwerpunktverlagerung. Die Trägerkampfgruppe hat bisher Übungen und internationale Einsätze absolviert, jetzt setzt sie das volle Potenzial ihrer Marine- und Luftstreitkräfte ein...“

Operation Inherent Resolve und Operation Shader sind Codenamen für Militärinterventionen der USA und Großbritannien, die 2014 mit dem vorgeblichen Ziel begannen, den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen. Sie bestehen hauptsächlich aus ständigen Luftangriffen und aggressiven Aufklärungseinsätzen in zahlreichen Ländern, u.a. im Irak, Syrien, Libyen, Tunesien und dem Libanon.

Die Erklärung des britischen Verteidigungsministeriums zitierte Captain James Blackmore, den Kommandanten der Flugzeuge des Trägers, der auf die Bedeutung der Luftangriffe unter Führung der Royal Navy hinwies: „Diesmal flogen britische Kampfflugzeuge von einem Flugzeugträger auf offener See. Damit hat die Royal Navy zum ersten Mal seit dem Libyenkrieg vor zehn Jahren wieder Luftangriffe vom Meer aus durchgeführt.“

Die Provokationen im Schwarzen Meer und alle anderen Operationen der CSG21 wären ohne die Erlaubnis der USA nicht möglich. Blackmore wies auf die integrale Rolle hin, die US-Truppen bei den Militärschlägen gespielt haben: „Es ist auch bemerkenswert, dass erstmals seit dem Untergang der HMS Victorious im Südpazifik 1943 US-Flugzeuge von einem ausländischen Träger aus einen Kampfeinsatz geflogen haben. Die Zusammenarbeit zwischen der Royal Navy, der Royal Air Force und dem US Marine Corps ist wirklich nahtlos und zeigt, wie eng wir zusammengewachsen sind, seit wir im letzten Oktober in See gestochen sind.“

Die Financial Times zitiert in ihrem Bericht über den Vorfall im Schwarzen Meer Mark Galeotti, einen hochrangigen Forscher des Royal United Services Institute, mit den Worten: „Moskau wollte zeigen, dass es sich nicht durch ‘provokante’ Aktionen wie die Reise der HMS Defender herumschubsen lässt. ‘Die Briten befinden sich oft in dieser Rolle als Stellvertreter – [die Russen] wollen nicht zu aggressiv gegen die Amerikaner auftreten [...] also gehen sie gegen die Briten vor, weil die nicht ganz so gefährlich sind.‘“

Das britische Verteidigungsministerium erklärte im Mai, die CSG21 werde „an Nato-Übungen wie Exercise Steadfast Defender teilnehmen und die Nato-Operation Sea Guardian sowie Operationen zur Sicherung der Seefahrt im Schwarzen Meer unterstützen.“

Kurz bevor die Flugzeugträgerkampfgruppe Großbritannien verließ, wurde aus Quellen des Verteidigungsministeriums bekannt, dass die HMS Defender im Mittelmeer aus der Hauptflotte „ausscheren“ und durch den Bosporus ins Schwarze Meer fahren werde, um „ihre eigenen Missionen durchzuführen.“

Am 10. Juni erklärte die Royal Navy, die HMS Defender werde „nach einem Zwischenstopp in Istanbul ins Schwarze Meer fahren.“ Sie habe ein mehrere Wochen andauerndes „intensives Training abgeschlossen und sich an der Nato-Mission Operation Sea Guardian beteiligt, die im Mittelmeer Terrorismus abwehren und bekämpfen soll.“

In den kommenden Tagen werden sich die anti-russischen Operationen der Nato noch weiter verschärfen, da in Kürze die jährliche Marineübung Sea Breeze im Schwarzen Meer stattfindet, die vom 28. Juni bis zum 10. Juli andauert.

Die amerikanische Botschaft in der Ukraine erklärte bei Bekanntgabe der Operation: „An der diesjährigen Operation sind so viele Nationen wie nie zuvor beteiligt, darunter 32 Länder von sechs Kontinenten, 5.000 Soldaten, 32 Schiffe, 40 Flugzeuge und 18 Spezialeinsatz- und Taucherteams.“ Sie werde sich „auf multiple Bereiche konzentrieren, darunter amphibische Kriegsführung, Landmanöver, Taucheroperationen, Abfangoperationen auf dem Meer, Luftabwehr, die Einbindung von Spezialkräften, Kriegführung gegen U-Boote und Such- und Rettungsoperationen.“

Der Vorfall im Schwarzen Meer verdeutlicht nachdrücklich, wie der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland und die Interessen der konkurrierenden imperialistischen Mächte die ganze Region in ein Pulverfass verwandelt haben, an dem ein weltweiter Flächenbrand ausbrechen könnte. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte auf Twitter, Russlands Angriff auf das britische Kriegsschiff sei „ein klarer Beweis für die Position der Ukraine“ gewesen, „dass Russlands aggressives und provokantes Vorgehen im Schwarzen Meer und dem Asowschen Meer, seine Besetzung und Militarisierung der Krim eine dauerhafte Bedrohung für die Ukraine und ihre Verbündeten darstellen. Wir brauchen eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und den Nato-Verbündeten im Schwarzen Meer.“

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