Knorr-Bremse will Autozulieferer Hella schlucken

Am 29. Juni 2021 gab der Konzern Knorr-Bremse AG in München in einer knappen Pressemitteilung seine Absicht bekannt, 60 Prozent der Aktien der Hella GmbH & Co. KGaA zu kaufen und damit diesen Automobilzulieferer komplett zu übernehmen.

Die Übernahme ist zwar noch nicht in trockenen Tüchern, aber schon jetzt sind sich Börsen- und Branchenkenner einig, dass 7 Milliarden Euro an die Eigentümer der Hella-Aktien fließen werden – 4 Milliarden an die Familien Hueck und Röpke und 3 Milliarden Euro an die übrigen Besitzer.

Für die Beschäftigten beider Unternehmen hingegen sind Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr!

Hauptverwaltung der Knorr-Bremse AG in München (Bild: Knorr-Bremse AG/CC BY.SA 2.5)

Knorr-Bremse stellt seit fast 120 Jahren Bremsen hauptsächlich für LKWs und Eisenbahnzüge her und ist auf diesem Gebiet mit 30.000 Mitarbeitern und 100 Standorten der Weltmarktführer. Seit einigen Jahren beteiligt sich der Konzern am Wettrennen um die Entwicklung von hochautomatisierten Fahrsystemen und kauft die dazu erforderlichen technischen Kompetenzen, Patente und Fachleute durch Firmenübernahmen ein.

Auch Hella ist mit heute 36.000 Mitarbeitern, davon knapp 9.000 in Deutschland, global aufgestellt. Das Unternehmen stellt seit Beginn des vorigen Jahrhunderts Scheinwerfer hauptsächlich für PKWs her.

Außer Scheinwerfern produziert Hella jetzt auch elektronisch gesteuerte Lichtsysteme und andere elektronische Komponenten wie Sensoren und Radarsysteme für PKWs, zuletzt auch eine Lenkungselektronik für autonomes Fahren. Durch die Übernahme sollen diese Kompetenzen im Hause von Knorr-Bremse angesiedelt und dabei massiv Kosten eingespart werden.

Tausende von Arbeitsplätzen in beiden Konzernen sind gefährdet – in der Verwaltung, aber auch in Entwicklungs- und Produktionsabteilungen, deren Produkte nicht in die Strategie des neuen Eigentümers passen.

Thiele und Hueck – superreiche Familien als Profiteure

Beide Unternehmen sind im Besitz von extrem reichen Familien, die schon in den vergangenen drei Jahrzehnten ihre in der ganzen Welt verteilten Belegschaften durch massiven Stellenabbau, niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten auf Profitmaximierung trimmen ließen.

Für die Eigentümer von Hella, die Familie Hueck (Vermögen: 4 Milliarden Euro Anfang 2020), besorgte dies der Geschäftsführer und ehemalige McKinsey-Berater Rolf Breidenbach. Erst im Juli letzten Jahres hatte er den Abbau von 900 Stellen bekannt gegeben und dann mit Hilfe des Betriebsrats und der IG Metall durchgezogen. Betroffen waren vorwiegend die Entwicklungsabteilungen am Stammsitz in Lippstadt im südlichen Westfalen. In dem kleinen Ort mit überwiegend ländlicher Umgebung wurde dadurch jeder fünfte Arbeitsplatz gestrichen.

Das Vermögen der Familie Hueck geht auf die Terrorherrschaft und den Krieg zurück, an denen sie sich eine goldene Nase verdiente. Der Konzern profitierte im Dritten Reich von der Aufrüstung und dann der Kriegswirtschaft für die Eroberungs- und Vernichtungsfeldzüge der Wehrmacht. Die Belegschaft wuchs von 250 auf über 3000. Zusätzlich beutete das Unternehmen Häftlinge des KZs Buchenwald, darunter 350 jüdische Frauen, als Zwangsarbeiter aus.

Entsprechend gestärkt konnte es sich nach 1945 ins „friedliche“ Geschäft der Nachkriegszeit stürzen. In den letzten drei Jahrzehnten, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der stalinistischen Regime in Osteuropa, nutzte es durch Produktionsverlagerungen die Billiglohnarbeit in diesen Ländern, in China und in den USA aus.

Was Knorr-Bremse angeht, so gehören 59 Prozent der Aktien des Weltkonzerns der Familie des berüchtigten, im Februar verstorbenen Multimilliardärs Heinz Hermann Thiele, einem der reichsten Männer der Welt (zuletzt registriertes Vermögen: 14 Milliarden Euro). Thiele hatte sich, seitdem er 1987 die Mehrheitsanteile (79 Prozent) am Unternehmen und den Vorstandsvorsitz übernommen hatte, rabiat gegen die Arbeiter und Angestellten in seinen Betrieben verhalten.

Seit 1990 hat er 17 Unternehmen übernommen, viele davon in den USA, wie z.B. 2002 die traditionsreiche Bendix Commercial Vehicle Systems Corp., Ohio. Anschließend ließ er sie, sofern es Konkurrenten waren, vom Erdboden verschwinden, oder er dezimierte ihre Belegschaften als Auftakt für eine erfolgreiche Integration in sein Knorr-Ausbeutungssystem.

2006 sorgte er dafür, dass der Konzern aus dem deutschen Arbeitgeberverband austrat und seine Beschäftigten nicht mehr nach Tarif bezahlt. Mit verschärfter Arbeitshetze, gnadenlosem Stellenabbau und einer 42-Stunden-Arbeitswoche ist es ihm gelungen, den Umsatz in den letzten Jahren auf 6,2 Milliarden Euro (Hella: 5,2 Milliarden) und den Börsenwert auf 16 Milliarden Euro (Hella: 7 Milliarden Euro) zu steigern.

Im letzten Jahr wurde Thiele einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland bekannt, als er seine Anteile an der Lufthansa auf 15 Prozent erhöhte, als deren Flugzeuge pandemiebedingt am Boden bleiben mussten, vorgeblich um eine Insolvenz zu verhindern. Er hatte dies aber an die strikte Bedingung geknüpft, dass die Löhne bei der Fluggesellschaft und ihren Töchtern sofort um beispiellose 20 und mehr Prozent gesenkt sowie umfassend Stellen abgebaut werden. So sollten seine Kapitalanteile stark aufgewertet werden. Er erreichte damals sein Ziel, weil alle beteiligten Gewerkschaften und Betriebsräte dies unterstützten.

Auftakt für einen Kahlschlag in der Autozulieferindustrie

Thiele hatte den Plan, Hella zu übernehmen, noch vor seinem Tod ausgearbeitet, wie das Handelsblatt schreibt. Er hat möglicherweise auch vertrauliche Gespräche mit den Hella-Eigentümern darüber geführt, die sich schon länger mit Verkaufsabsichten trugen.

Im Mai letzten Jahres war der 79-Jährige überraschend in den Konzern-Aufsichtsrat zurückgekehrt, aus dem er sich erst vier Jahre zuvor zurückgezogen hatte. Er begründete dies mit einer Kampfansage an das Management und die Belegschaft: er sehe das Überleben des Konzerns gefährdet, und dies ausdrücklich nicht durch die Folgen der Corona-Pandemie. Vielmehr erfasse das Unternehmensmanagement die Herausforderungen des technologischen und organisatorischen Umbruchs in der gesamten Autoindustrie nicht scharf genug und setze die notwendigen Anpassungsmaßnahmen nicht mit der erforderlichen Entschlossenheit und Härte durch.

Thiele feuerte den Vorstandsvorsitzenden Bernd Eulitz, der erst zehn Monate zuvor sein Amt angetreten hatte. Er befand Eulitz als zu schlapp für die Aufgaben einer so großen Unternehmensübernahme und die damit verbundenen harten Konflikte mit den Belegschaften. Er holte an seiner Stelle den als beinhart bekannten Siemensmanager Jan Michael Mrosik und stellte ihm als Finanzchef Frank Markus Weber an die Seite, der sich bei Daimler als rücksichtsloser Sanierer „bewährt“ hatte.

Der vier Monate nach Thieles Tod angekündigte Griff nach Hella ist also von langer Hand vorbereitet worden.

„Die mögliche Hella-Übernahme durch Knorr-Bremse ist der Auftakt für eine grundlegende Veränderung, die der Autozulieferindustrie bevorsteht“, erklärt dazu das Handelsblatt in einem Kommentar von Roman Tyborski.

Und weiter: „Der Umbruch beim Antrieb – weg vom Verbrenner hin zu Elektromotoren – und der zunehmende Einfluss der Software in der Autoindustrie verändern die Spielregeln. Viele Zulieferer in Deutschland in ihrer jetzigen Form werden diesen Wandel nicht überleben oder nur noch eine Nebenrolle spielen. … Es ist die Stunde der Restrukturierer, Investmentbanker und Finanzinvestoren. Im ganzen Land sind derzeit Berater für eine Bestandsaufnahme unterwegs. Selbst die kleinsten Gießereien in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg bekommen derzeit Besuch von McKinsey und Co.“

Mit diesen Worten kündigt das Handelsblatt einen Krieg der Banker, Börsenhaie und reichen Unternehmerfamilien gegen die Arbeiterklasse im wichtigsten Industriezweig Deutschlands an. „Schrumpfprozess“ nennt es das und weist darauf hin: „Das kostet Geld, Zeit und bündelt personelle Kapazitäten – Arbeitsaufstände inklusive.“

Mit anderen Worten, das Sprachrohr des deutschen Finanz- und Industriekapitals rechnet damit, dass der Widerstand der Arbeiter gegen diese Angriffe in Aufstände münden wird, die von den Gewerkschaften nicht mehr so einfach mit hohlen Protesten, Trillerpfeifenkonzerten und Sarg-Umzügen oder der Vertröstung auf „Zukunftspläne“ gebrochen werden können.

Das Handelsblatt hat mit dieser Prognose recht. Die Belegschaften von Hella und Knorr-Bremse sowie der gesamten Autoindustrie in Deutschland, Europa und weltweit müssen sich auf bittere Klassenkämpfe vorbereiten.

Das Hauptproblem, mit dem Arbeiter in jedem Unternehmen konfrontiert sind, ist die Rolle der Gewerkschaften, Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte. Ihre angeblichen Organisationen und Vertreter stehen auf der anderen Seite, auf Seiten der Unternehmer und Finanzinvestoren.

Der schon erwähnte massive Arbeitsplatz- und Lohnabbau bei der Lufthansa ist nur das krasseste von unzähligen Beispielen für die Zusammenarbeit der Betriebsräte und Gewerkschaften mit den Unternehmern. Ein älteres ist die Stilllegung der Opelwerke in Bochum, nachdem IG Metall und Betriebsrat jahrelang unter der nationalistischen Parole der „Standortverteidigung“ Arbeitsplätze abgebaut hatten.

Die IG Metall hat bisher noch keinen Ton von sich gegeben zu den bedrohlichen Plänen der Hella-Übernahme, weder ihre Verwaltungsstelle in München noch die von Hamm-Lippstadt. Das ist ein untrügliches Anzeichen dafür, dass ihre Funktionäre längst schon hinter verschlossenen Türen Gespräche darüber führen, wie diese Pläne gegen die Belegschaften am geschicktesten durchgesetzt werden könnten.

Michael Jell, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge ist Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrats von Knorr-Bremse. Annemarie Sedlmayr, politische Gewerkschaftssekretärin in München, ist ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat des Konzerns. Ebenso Erich Starkl, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Passau.

Was haben sie bisher im Geheimen über Hella und Knorr-Bremse besprochen?

Plant die IG Metall ihren im letzten Jahr gegründete eigenen Private-Equity Fonds Best Owner Group (BOG) einzusetzen, um sich Teile von Hella zur Durchsetzung eines „geregelten Downsizing-Prozess“ durch Arbeitsplatz- und Lohnabbau zu kaufen, wie sie es selbst bei der Gründung als Ziel des Fonds erklärt hat?

Das sind Fragen, zu denen die Vertreter der IG Metall und Betriebsräte Rede und Antwort stehen müssen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) warnt eindringlich davor, den unvermeidlichen hohlen Reden der Gewerkschafter und Betriebsräte von „Zukunftskonzepten“, die sie ausarbeiten, auch nur das geringste Vertrauen zu schenken.

Die SGP schlägt stattdessen den Arbeitern von Hella und Knorr-Bremse vor:

  • Versäumt keine Zeit! Bereitet sofort die Gründung von Aktionskomitees vor, die den Kampf zur bedingungslosen Verteidigung jedes einzelnen Arbeitsplatzes und der Löhne unabhängig von den Gewerkschaften und Betriebsräten in die Hand nehmen!
  • Nehmt Verbindung zu den Aktionskomitees in Deutschland, den USA und anderen Ländern auf, die mit denselben Zielen bereits gegründet worden sind. Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei können Euch dabei unterstützen.
  • Nehmt Verbindung auf zu dem Aktionskomitee der 3000 Volvo-Arbeiter in Dublin (Virginia, USA), die zweimal einen Ausverkauf ihres Kampfs zur Verteidigung ihrer Rechte und Löhne durch die Gewerkschaft UAW zurückgewiesen haben und sich seit Wochen im Streik befinden. Sendet Solidaritätsbotschaften!
  • Nehmt den Kampf auf für die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse im Kampf für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, in der nicht der Profit von Milliardären, sondern die Lebensinteressen von Milliarden arbeitenden Menschen im Zentrum stehen.
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