Katastrophaler Neuanstieg von Covid-19 in den USA

Angesichts von Zahlen, die an die schlimmsten Tage der Pandemie im Januar heranreichen, wird deutlich, dass die Vereinigten Staaten mit einem katastrophalen Neuanstieg der Coronavirus-Infektionen konfrontiert und darauf nicht im Geringsten vorbereitet sind.

Hinweisplakate zur Maskenpflicht vor einem Schalter von Delta Air Lines am internationalen Flughafen von San Francisco im Dezember 2020 (AP Photo/Jeff Chiu)

In den Vereinigten Staaten wurden am Donnerstag mehr als 120.000 Neuinfektionen registriert. Mit diesem neuen Rekord wurde der Spitzenwert der ersten und zweiten Welle übertroffen. Allein in den letzten sechs Wochen haben sich die Fälle verzehnfacht. Experten warnen, dass die schlimmsten Tage der Pandemie noch bevorstehen.

„Es wird noch schlimmer werden“, erklärte der führende Epidemiologe des Landes, Dr. Anthony Fauci, am Wochenende.

Die Krankenhäuser in Florida, dem Bundesstaat mit den meisten täglichen Neuinfektionen, „sagen ausgewählte Operationen ab und stellen Betten in Konferenzräumen auf“, berichtet die Nachrichtenagentur Associated Press. Im gesamten Bundesstaat Mississippi, heißt es weiter, seien nur noch sechs Intensivbetten frei.

„Wir erleben einen Ansturm von Patienten, wie wir ihn noch nie gesehen haben“, erklärte Dr. Marc Napp, Chefarzt des Memorial Healthcare System in Hollywood. „Uns erschlägt die schiere Anzahl, die zur gleichen Zeit hereinkommt. Wir haben nur eine begrenzte Menge an Betten, Ärzten und Pflegern.“

Auch die Zahl der Todesfälle ist stark angestiegen, In Florida hat sich tägliche Todesrate mehr als verdoppelt.

Mitten in dieser Katastrophe wetterte der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, gegen Impfungen und Masken, lebensrettende Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie: „Florida ist ein freier Staat, und unsere Bürger sollen selbst entscheiden. Wir werden nicht zulassen, dass Joe Biden und seine bürokratischen Lakaien sich anmaßen, die Rechte und Freiheiten der Bürger Floridas zu beschneiden“, polterte DeSantis.

Der Gouverneur machte Einwanderer für den Anstieg verantwortlich, der in Wirklichkeit auf seine eigene wissenschaftsfeindliche Politik zurückzuführen ist. Er drohte damit, Schulen, die Kindern das Tragen von Masken vorschreiben, die Finanzierung zu entziehen.

Dabei hat sich in den letzten Tagen gezeigt, wie gefährlich die Delta-Variante gerade für Kinder ist.

Am Dienstag berichtete der Berufsverband der amerikanischen Kinderärzte (die American Academy of Pediatrics) dass sich in der vergangenen Woche fast 72.000 Kinder und Jugendliche mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben – fünfmal so viele wie Ende Juni.

„1 Prozent aller bestätigten #Covid19-Fälle bei Kindern führen zu einem Krankenhausaufenthalt“, so der Epidemiologe Eric Feigl-Ding. „Ist das wirklich ein ‚akzeptables‘ Maß an Kindermorbidität, das wir in der Gesellschaft zulassen wollen?“

„Noch nie habe ich mir so große Sorgen um unsere Kinder gemacht wie heute“, bekannte Dr. Mark Kline, leitender Arzt am Children's Hospital New Orleans, auf einer Pressekonferenz am Montag. „Dieses Virus, die Delta-Variante von Covid, ist der schlimmste Albtraum jedes Experten für Infektionskrankheiten und Epidemiologen. Ich glaube nicht, dass wir als Amerikaner zu Lebzeiten jemals einem Organismus begegnet sind, der eine solche doppelte Eigenschaft hinsichtlich Ansteckungsfähigkeit und Virulenz – die Fähigkeit, Erkrankungen hervorzurufen – besitzt.

Nach Angaben des lokalen Fernsehsenders WWL-TV entfallen mittlerweile fast 20 Prozent der neuen Covid-19-Fälle im Bundesstaat Louisiana auf Kinder.

Feigl-Ding warnte am Donnerstag vor der Gefahr von „Hirnschäden und IQ-Verlusten“ und fragte, warum die Gesundheitsbehörden keinen Alarm schlagen. „Wir Epidemiologen wissen das seit neun Monaten und haben darauf hingewiesen“, sagte er unter Verweis auf Zahlen aus dem Vereinigten Königreich, aus denen hervorgeht, dass der Intelligenzquotient von Covid-19-Patienten, die an ein Beatmungsgerät angeschlossen waren, um sieben Punkte gesunken ist.

Seit sechs Monaten konzentriert sich die US-Regierung darauf, der Öffentlichkeit einzureden, dass die Pandemie vorbei sei. Sie baut Einrichtungen zur Überwachung von Durchbruchsinfektionen ab, lenkt Mittel für die Pandemiebekämpfung in die Finanzierung der Polizei um und erzwingt die Rückkehr zum Präsenzunterricht in Schulen.

Die Gesundheitsbehörden rieten geimpften Personen davon ab, Masken zu tragen und physische Distanz zu wahren. Erst vergangene Woche änderten sie ihren Kurs und räumten ein, dass diese Empfehlungen falsch waren.

Während die Infektionen, Todesfälle und Krankenhausaufenthalte in schwindelerregendem Tempo zunehmen, mangelt es an medizinischen Ressourcen zur Pandemie-Überwachung und zur Behandlung der Erkrankten. Am Mittwoch berichtete das Wall Street Journal über landesweite Engpässe bei Tests und stellte fest, dass die Bearbeitungszeit in einigen Regionen 3 bis 5 Tage beträgt.

„Wir haben jetzt August 2021. Wo bleiben die Antigen-Schnelltests, die jedem Haushalt kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollten, um die Ansteckungsgefahr genau zu ermitteln – und darauf kommt es wirklich an“, empörte sich Eric Topol, Professor für Molekularmedizin am Scripps Research Institute. „Die Tests, die hier im Mai 2020 bereitstanden.“

In den Vereinigten Staaten gibt es noch immer kein zentrales System zur Nachverfolgung von Kontakten, kein Programm für Massentests und keine landesweite App zur Verfolgung von Infektionen, Impfstatus und Exposition.

„Wir haben mittlerweile die Zahl der Krankenhausaufenthalte in der ersten und zweiten Welle überschritten, und ein zusätzliches Problem ist die Anstiegsrate in der vierten, der Delta-Welle“, twitterte Topol. „Dass es so weit gekommen ist, obwohl wir reichlich Impfstoffe haben, zeigt, wie stark dieser Stamm ist und dass wir es versäumt haben, ihn besser zu bekämpfen.“

In einem Interview mit McClatchy warnte Fauci vor „Long Covid“ bei Menschen mit Durchbruchsinfektionen: „Wir wissen bereits, dass Menschen mit Durchbruchsinfektionen, die keinen schweren Verlauf haben und nicht im Krankenhaus behandelt werden müssen, ebenfalls für Long Covid anfällig sind.“ Er fuhr fort: „Bei einer Durchbruchsinfektion sind Sie nicht gegen Long Covid gefeit.“

Vor allem warnte Fauci davor, dass das Coronavirus „reichlich“ Gelegenheit erhält zu mutieren: „Das Virus wird über den Herbst bis in den Winter hinein weiter schwelen, was ihm reichlich Gelegenheit gibt, eine Variante zu entwickeln. Bisher hatten wir offen gesagt großes Glück, dass die Impfstoffe, über die wir jetzt verfügen, sehr gut gegen die Varianten wirken – insbesondere gegen schwere Erkrankungen ... Wir sind sehr froh, dass es so ist. Es könnte eine Variante da draußen geben, die Delta verdrängen kann.“

Dies steht im Einklang mit den Warnungen des Kinderarztes und Admirals Brett Giroir, ehemaliger Covid-19-Testbeauftragten in der Coronavirus-Taskforce der Trump-Regierung: „Die nächste Variante steht vor der Tür.“

Mit anderen Worten: Die ungebremste Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung schafft die Voraussetzungen für das Auftreten gefährlicher neuer Varianten des Erregers, die die Wirksamkeit von Impfstoffen stärker beeinträchtigen.

Die Reaktion der US-Regierung auf die Pandemie hat bereits zu einer Katastrophe geführt, die mehr als 630 000 Menschen das Leben gekostet hat. Nun steht noch Schlimmeres bevor.

Die derzeitige Welle hat eines überdeutlich gemacht: Die Strategie der Vereinigten Staaten als Reaktion auf die Pandemie war ein katastrophaler Fehlschlag. Die von Regierungen auf der ganzen Welt verfolgte Politik der „Herdenimmunität“ – das „Lernen, mit dem Virus zu leben“ – hat einen der gefährlichsten Erreger von Infektionskrankheiten hervorgebracht, die der Menschheit bekannt sind. Diese Politik birgt die Gefahr, dass bald eine noch tödlichere Variante auftritt, ohne dass es eine Strategie zu ihrer Eindämmung gibt.

Die einzige Antwort auf diese Katastrophe ist eine vollständige Umkehr. Covid-19 muss ausgerottet werden. Notwendig ist die sofortige Schließung aller Schulen und nicht lebensnotwendigen Betriebe und die Bereitstellung von Billionenbeträgen für Tests, die Ermittlung von Kontaktpersonen, Quarantäneeinrichtungen, öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitspersonal mit dem Ziel, den Erreger vollständig auszurotten, damit sich keine neuen Varianten entwickeln.

Aus Angst vor den Schlussfolgerungen, die Millionen von Menschen ziehen werden, veröffentlichte das Wall Street Journal am Donnerstag einen Kommentar mit dem Titel „Die Ausrottung von Covid ist ein gefährlicher und kostspieliger Wunschtraum“. Darin wird argumentiert, die endemische Ausbreitung der Krankheit müsse zugelassen werden, weil die „Kosten für ein Ausrottungsprogramm immens sind“.

Das Wall Street Journal spricht für die amerikanischen Milliardäre, deren Reichtum im ersten Jahr der Pandemie insgesamt um 60 Prozent gestiegen ist und die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung als Hindernis für ihre weitere Bereicherung betrachten.

Für die amerikanischen Arbeiter allerdings, die das Virus zu Millionen mit Tod und Invalidität bedroht, ist seine Ausrottung eine unabdingbare Notwendigkeit.

Die Gefahr kann gar nicht übertrieben werden. Der Anstieg der Infektionen wird sich beschleunigen, wenn im Herbst die Schulen wieder öffnen. Die Arbeiter müssen sofort damit beginnen, zum Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit Aktionskomitees zu bilden, die für das Ende des Präsenzunterrichts, die Schließung nicht notwendiger Betriebe und strenge Maßnahmen zur Infektionseindämmung kämpfen.

Es gibt für diese Krise keine Lösung auf nationaler Ebene. Notwendig ist ein global koordinierter Kampf zur Ausrottung der Krankheit in jedem Land.

Letztlich hat die Pandemie bewiesen, dass der Kapitalismus – mit seinen verfeindeten Nationalstaaten und seiner unmenschlichen Fixierung auf die Erzielung von Mehrwert durch die Ausbeutung der Arbeiterklasse – mit den Bedürfnissen der menschlichen Zivilisation unvereinbar ist.

Loading