Für die sofortige Beendigung des Vordereinstiegs und Fahrkartenverkaufs in Berliner Bussen!

Wir verurteilen aufs Schärfste die Öffnung des Vordereinstiegs und die Aufnahme des bargeldlosen Fahrkartenverkaufs in den Berliner Bussen seit dem 12. Juli!

Mitten in den Sommerferien, am 8. Juli, gab die BVG-Pressestelle bekannt, dass sie mit Zustimmung der sogenannten Arbeitnehmervertretungen den seit 16 Monaten gesperrten Vordereinstieg und die Einstellung des Fahrkartenverkaufs in den Bussen wieder aufhebt.

BVG-Busse in einem Berliner Depot

Diese Entscheidung, die mit dem von der Gewerkschaft Verdi dominierten Personalrat getroffen wurde, ist ein Schlag ins Gesicht der mehr als 5000 Berliner Busfahrerinnen und Busfahrer.

Seit Ausbruch der Pandemie fordern wir, neben sicheren Bussen für unsere Fahrgäste, einen sicheren Fahrerarbeitsplatz, der auf höchstem wissenschaftlichem Niveau vor Ansteckung mit dem Corona-Virus und seinen Mutationen schützt.

Viermal haben die Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Monaten mit Empörung und Widerstand erfolgreich die unverantwortliche „Rückkehr zur Normalität“ verhindert. Die letzte Öffnung plante das BVG-Management mitten in der 3. Corona-Welle am 1. Mai 2021.

Schon damals behauptete BVG-Chefin Eva Kreienkamp, dass die Arbeitsplätze sicher seien, und sie verwies auf eine entsprechende Studie über die Aerosolausbreitung in den Bussen, die im Auftrag der BVG von der Charité und der TU Berlin durchgeführt wurde. Erst unser Widerstand gegen Kreienkamps Plan brachte zutage, dass in dieser Studie überhaupt nicht die Fahrerarbeitsplätze im Fokus standen.

Der Gesamtpersonalrat unterstützte unsere Empörung und unseren Widerstand nur, weil er an Kreienkamps Öffnungsentscheidung nicht beteiligt worden war.

Die BVG sah sich gezwungen, ein „ergänzendes“ Gutachten in Auftrag zu geben, diesmal mit dem Fokus auf unseren Fahrerarbeitsplatz. Wieder wurden die Charité und die TU Berlin beauftragt.

Schon damals warnten wir, dass „dieser Aufschub nur ein taktischer Rückzug“ sei. „Die Hausgewerkschaft Verdi und der Vorstand benötigen mehr Zeit, um die Öffnungen gegen die Fahrer besser vorzubereiten,“ schrieben wir.

Dieser Aufschub ist seit 12. Juli beendet. Schon zu Beginn des letzten Monats berichtete die Berliner Zeitung, „eine neue Untersuchung“ bestätige: „Die Infektionsgefahr ist gering.“ In welcher Größenordnung „gering“ wird der Öffentlichkeit bisher vorenthalten.

Die Kollegen können auf Nachfrage bei ihren örtlichen Personalräten auf den Betriebshöfen das Gutachten einsehen. Dies haben wir vom Aktionskomitee getan und nach Terminvereinbarung Einsicht in ein rund 50 Seiten starkes Dokument genommen.

Die Untersuchung der Aerosolbelastung am Fahrerarbeitsplatz wurde – wie schon bei der Untersuchung des Fahrgastraums – mit Theaternebel durchgeführt, und zwar für den unfassbar kurzen Zeitraum von 21 Minuten. Wir sitzen rund neun Stunden am Lenkrad!

Laut dem Dokument wurden auf dem Betriebshof Lichtenberg an sieben Tagen insgesamt neun verschiedene Bus-Typen getestet. Dafür wurden um die große Fahrzeughalle auf dem Hof vier Haltestellen aufgebaut. Die Busse fuhren die Strecke mit kurzem Halt an den Haltestellen ab, während die Daten während des Fahrens und Haltens sowie mit geschlossenem Frontfenster, funktionierender Klimaanlage und Fahrerlüftung gemessen wurden.

Als akzeptabler Richtwert für die Aerosolbelastung diente laut Auskunft des vor Ort befindlichen Personalrats die RKI-Empfehlung für den Pausenraum von 1000 ppm. Mit anderen Worten: die Konzentration der gemessenen Teilchen innerhalb eines Raumes durfte nur einen Anteil von 1000 Teilchen auf eine Million haben.

Die während dieser Sieben-Tage-Studie genommenen Daten blieben unter diesem Wert. Die höchste Theaternebel-Belastung habe im Doppeldecker-Bus bis rund 600 ppm betragen. Alle anderen Bus-Typen wiesen eine Belastung von maximal einem Drittel des genannten Richtwerts auf.

Auf die Mail-Anfrage von Andy Niklaus (Aktionskomitee), was eine „geringe Ansteckungsgefahr“ für die Fahrer bedeute, wenn sie sich acht Stunden im Bus aufhalten, antwortete die Pandemiebeauftragte der BVG, Dr. Manuela Huetten, lediglich:

„Die gemessenen Werte liegen unter denen, die das RKI als zulässig für einen Konferenzraum mit Abstand Halten und regelmäßigem Lüften definiert hat. Natürlich ist der Bus kein ‚Reinraum‘, aber mit den Bedingungen: Lüftung, Tür auf, konnten wir zeigen, dass die Bedingungen so sind wie im alltäglichen Leben: beim Einkaufen, beim Essen gehen usw..“

Virologen oder Epidemiologen nahmen an den Tests nicht teil, da die BVG „die Ausbreitung der Aerosole im Fokus hatten und nicht die medizinischen Aspekte“, so Huetten.

Was hier als „Bedingungen wie im alltäglichen Leben“ für uns Busfahrer und Busfahrerinnen verklärt wird, wird sogar vom Umweltbundesamt relativiert. Auf der Website des Umweltbundesamtes (29.03.2021) heißt es, dass keine „verlässliche Aussagen über die tatsächlich von infizierten Personen freigesetzten Aerosolmengen und über die Menge von Viren, die zu einer Infektion führen können“, vorliegen. Die notwendige Menge für eine Infektion dürfte sich mit der Delta-Variante noch einmal deutlich verringert haben.

Trotz der anhaltenden Empfehlung des RKI, den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten, fand dies keinen Niederschlag in der von Verdi und dem Personalrat unterstützten BVG-Entscheidung. Sie verlangt von uns Fahrern, seit dem 12. Juli die erste Sitzreihe hinter dem Fahrerarbeitsplatz geöffnet zu halten, womit der Mindestabstand weit unterschritten wird.

Der „kontaktlose“ Ticketverkauf ist ebenfalls nur eine Farce. Das Kartenlesegerät für den Kunden befindet sich in Armlänge zum Fahrer und außerhalb der Trennung durch die Schutzscheibe.

Noch am 28. April posaunte Jeremy Arndt, Verdi-Gewerkschaftssekretär und Vorsitzender des BVG-Gesamtpersonalrats: „Beim Gesundheitsschutz darf es keine Kompromisse geben.“

Deshalb fragen wir: Wo bleibt der Mindestabstand? Warum verbreitet die sogenannte Arbeitnehmervertretung das Gutachten nicht unter uns betroffenen Mitarbeitern zur Information und Diskussion? Warum dürfen wir es stattdessen nur beim örtlichen Betriebsrat lesen, wo kaum die Zeit für ein effektives Studium desselben möglich ist? Warum wurde das Gutachten bisher nicht der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt?

„Die Wissenschaftler bereiten eine Veröffentlichung vor“, so Dr. Huetten.

Wenn die wissenschaftlichen Daten als Studie oder Gutachten veröffentlicht werden sollen, bekommen unabhängige Wissenschaftler desselben Fachgebiets die Möglichkeit, die Qualität der zu veröffentlichenden Arbeit zu prüfen (Peer-Review-Verfahren). Für uns Kollegen und für die Arbeiterklasse insgesamt hat gerade in der Pandemie die Prüfung und Einhaltung wissenschaftlicher Standards in der Bewertung von Ansteckungsgefahren überragende Bedeutung.

Warum haben die sogenannten Arbeitnehmervertreter von Verdi mit ihrer Zustimmung zum Öffnen der Vordertüren, dem bargeldlosen Ticketverkauf und der Freigabe der Fahrgastsitze unmittelbar hinter dem Fahrer nicht abgewartet, bis das Peer-Review-Verfahren eingeleitet, abgeschlossen und die Ergebnisse bekanntgegeben wurden?

Während Verdi und der Gesamtpersonalrat auf Grundlage des 50-seitigen Dokuments der Wissenschaftler für ihre Zustimmung nur zwei Tage benötigten, haben sie es nach rund vier Wochen noch immer nicht geschafft, ein eigenes Statement zu verfassen, wie die Empfehlungen für das Fahrpersonal zu bewerten sind.

Dafür verbreitet die BVG-Geschäftsführung mit ihrem Flugblatt „Bus – Mit Sicherheit gute Luft im Bus“ vom Juli 2021 frech die Behauptung: „Trennscheiben in Bussen verhindern Ausbreitung von Aerosolen zum Arbeitsplatz des Fahrpersonals.“

Schluss mit diesen Manövern! Schluss mit dem Spiel der Gesundheit von 5000 Kolleginnen und Kollegen! Wir verlangen nicht Arbeitsplätze „mit geringer Infektionsgefahr“, sondern sichere Arbeitsplätze!

Wir fordern

  • die sofortige Schließung des Vordereinstiegs und der ersten Fahrgastreihe sowie die Einstellung des Fahrkartenverkaufs in den Bussen bis die Fahrerinnen und Fahrer einer Wiederöffnung zustimmen!
  • die vollständige und uneingeschränkte Veröffentlichung der Aerosoluntersuchung des Fahrerarbeitsplatzes!
  • Keine weitere Vertuschungen! Sofortige Offenlegung und Bekanntgabe aller Infektionen innerhalb der Belegschaft und unter den Reinigungskräften für die BVG-Fahrzeuge. Sofortige Benachrichtigung aller Kollegen per Unternehmens-App.
  • Qualitativ hochwertige und tägliche Desinfektion der Fahrzeuge unter vollständigem Schutz des Reinigungspersonals!
  • Keine Sanktionen gegen Kollegen, die aus Angst vor Ansteckung ihren Dienst nicht versehen! Keine Schikanen gegen Kollegen, die persönlich und in sozialen Netzwerken über Sicherheitsbedenken sprechen und Informationen austauschen!

Es geht um unsere Gesundheit und im schlimmsten Fall um unser Leben. Diese und das Wohlergehen unserer Familien, deren Gesundheit wir mit riskieren, wenn wir uns anstecken, sind wichtiger als die Profitinteressen des BVG-Vorstands und des rot-rot-grünen Senats.

Die Pandemie ist noch nicht beendet, im Gegenteil: Es wird immer deutlicher, dass weltweit eine vierte Welle – nun mit der hoch ansteckenden Delta-Mutation – in den nächsten Wochen heranrollt, mit all ihren katastrophalen Folgen.

Mit dem Ende der Sommerferien in Berlin und Brandenburg kehren Hunderttausende – nicht geimpfte – Kinder und Jugendliche durch den Nahverkehr in die Schulen zurück. Der Senat hält trotz wissenschaftlicher Kenntnisse über die besonderen Gefahren für Ungeimpfte durch die Delta-Variante die Präsenzpflicht aufrecht. Gemeinsam mit den Eltern und Schülern müssen wir den Kampf koordinieren.

Wir haben das Aktionskomitee für sichere Arbeitsplätze ins Leben gerufen, weil wir nicht länger bereit sind, die gefährlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Wir werden den wachsenden Widerstand unabhängig von den Bundestagsparteien und Gewerkschaften organisieren und international durch die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) koordinieren.

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