Biden und europäische Regierungen führen Krisengespräche zur Evakuierungspolitik aus Afghanistan

Die Regierung von US-Präsident Biden steht in wachsendem Maß unter Druck, sowohl von Seiten der herrschenden Kreise der USA als auch von ihren imperialistischen Verbündeten, insbesondere Großbritannien. Gefordert wird, die US-Militärpräsenz auf dem Flughafen von Kabul zu verlängern und eine umfassendere Evakuierung der afghanischen Hauptstadt vorzusehen.

Am Dienstag bot ein virtuelles Treffen der Staats- und Regierungschefs der G7 (USA, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan) Präsident Biden eine erste Gelegenheit, vor einem globalen Forum über den Zusammenbruch des Marionettenregimes in Afghanistan zu sprechen. Das von den USA und der NATO aufgebaute und unterstützte Regime war in nur 11 Tagen einer Taliban-Offensive zum Opfer gefallen.

Offizieller Gastgeber des Treffens war der britische Premierminister Boris Johnson, der den turnusmäßigen Vorsitz der G-7 innehat. Britische Regierungsvertreter sprechen sich am deutlichsten für eine längere Besetzung des Kabuler Flughafens aus, der vollständig von der Anwesenheit von knapp 6.000 US-Soldaten abhängig ist.

US-Soldaten bei einer Evakuierung am Hamid Karzai International Airport in Kabul, Afghanistan, 22. August 2021 (Staff Sgt. Victor Mancilla/U.S.) Marine Corps via AP)

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte, dass die Luftbrücke in Kabul nur noch „Stunden, nicht Wochen“ dauern könnte. Nach Schätzungen wurden bislang 50.000 Menschen ausgeflogen, darunter Diplomaten und anderes Personal der imperialistischen Großmächte und eine weitaus größere Zahl afghanischer Bürger, die die Operationen der Großmächte unterstützt hatten, darunter Dolmetscher, Angestellte im Büro- und Dienstleistungsbereich, Fahrer, Leibwächter, Spione, Informanten und viele andere.

Wallace wies Vorschläge zurück, dass die britischen Streitkräfte oder die Streitkräfte anderer NATO-Länder nach einem vollständigen Abzug der USA in Afghanistan verbleiben könnten. „Ich glaube nicht, dass es wahrscheinlich ist, nach den Vereinigten Staaten weiterzumachen“, sagte er.

Der britische Staatssekretär im Verteidigungsministerium James Heappey räumte ein, dass jede Verlängerung der Abzugsfrist bis zum 31. August eine Auseinandersetzung mit den Taliban nach sich zieht, die über eine solche Entscheidung „abstimmen“ könnten. „Das ist einfach die Realität“, sagte er. „Wir könnten ihnen die Wahl verweigern; wir haben die militärische Macht, einfach mit Gewalt dort zu bleiben“, sagte Heappey und ergänzte aber, dass die Evakuierungsflüge nicht fortgesetzt werden können, wenn „Kabul zu einem Kriegsgebiet wird“.

In einer am Sonntagnachmittag im Fernsehen übertragenen Stellungnahme bekräftigte Biden seine Entscheidung, die Rolle der USA in Afghanistan zu beenden, um die US-Außenpolitik weiter auf die großen strategischen Rivalen des amerikanischen Imperialismus, China und Russland, auszurichten. „Ich sage Ihnen, wenn Sie in Peking oder in Moskau sitzen - sind Sie froh, dass wir weg sind?“, fragte er und lachte sarkastisch. „Sie würden nichts besser finden, als dass wir weiterhin dort unten festsitzen und uns mit dem beschäftigen, was dort vor sich geht.“

Diese Bemerkung macht Biden seit seiner ersten Zustimmung zum endgültigen Abzug der US-Truppen im April immer wieder. Sie zeigt, dass sich die US-Regierung nicht als Reaktion auf den massiven Widerstand der Bevölkerung gegen „endlose Kriege“ aus Afghanistan zurückgezogen hat.

Vielmehr verfolgt der amerikanische Imperialismus einen Kurs, der die Gefahr eines Krieges birgt, der das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten könnte - eine globale strategische Konfrontation mit den mächtigsten atomar bewaffneten Rivalen. Zu dem Zeitpunkt, als die letzten US-Streitkräfte in Zentralasien abgezogen wurden, verstärkte die US-Marine ihre antichinesischen Provokationen im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan. US-Kommandeure im Pazifikraum sagen einen Krieg mit China innerhalb des nächsten halben Jahrzehnts voraus.

Trotz der erschütternden Auswirkungen, die vom raschen Zusammenbruch des Marionettenregimes in Afghanistan ausgehen, ist der amerikanische Imperialismus nach wie vor entschlossen, seine gewaltige Militärmaschinerie, die nach wie vor die mächtigste aller Länder ist, einzusetzen, um den enormen Rückgang der US-Wirtschaftskraft auszugleichen und die globale Vormachtstellung der Vereinigten Staaten zu behaupten.

Diese Angriffslust kommt auch im Zusammenhang mit dem G7-Gipfel zum Ausdruck. Auf die Frage, wie er auf Bitten der Verbündeten nach einem längeren Verbleib in Afghanistan reagieren würde, antwortete Biden bereits am Sonntag: „Ich werde ihnen sagen, dass wir sehen werden, was wir tun können.“

Wie der britische Staatssekretär für Verteidigung andeutete, hängt dies auch von den Taliban ab. Biden wies darauf hin, dass die islamistische Gruppe täglich Gespräche mit dem US-Militär auf dem Flughafen von Kabul führt. Vertreter des Pentagons sagten am Montag, diese Gespräche fänden „mehrmals am Tag“ statt

Die Taliban haben keinen militärischen Widerstand gegen die Operationen der USA und der NATO auf dem Flughafen oder gegen die Eingriffe in der Hauptstadt Kabul geleistet, bei denen bestimmte Gruppen amerikanischer und anderer ausländischer Einwohner aus der Hauptstadt herausgeholt wurden – auch nicht, als große US-Transporthubschrauber für solche Evakuierungen eingesetzt wurden.

Biden und Vertreter des Pentagon sagten auch, dass die US-Streitkräfte in der Lage gewesen seien, sich auf dem Boden außerhalb der Mauern des Flughafens zu bewegen und ihren Radius am Flughafen „auszuweiten“, verweigerten aber die Nennung von Details. Pentagon-Sprecher John Kirby bestritt rundheraus, dass Taliban-Kämpfer US-Soldaten auf Patrouillen „Seite an Seite“ begleiten würden.

In der CBS-Sendung Face the Nation am Sonntag wurde US-Außenminister Antony Blinken mit der folgenden Frage vorgeführt: „Wir müssen also die Taliban um die Erlaubnis bitten, dass amerikanische Bürger ausreisen dürfen. Wahr oder nicht wahr?“ In Worten, die das Ausmaß der US-Niederlage in Afghanistan bestätigten, antwortete Blinken: „Sie haben die Kontrolle über Kabul. Das ist die Realität. Das ist die Realität, mit der wir umgehen müssen.“

Gleichzeitig geht die Medienkampagne über die Notlage der afghanischen Zivilbevölkerung am Flughafen von Kabul weiter, verbunden mit der Forderung eines Teil der Republikaner nach einem aggressiveren Einsatz von US-Truppen in Afghanistan. In den sonntäglichen Fernseh-Talkshows wurden erschütternde Bilder von den Zuständen am und um den Flughafen herum gezeigt, und rechte Kritiker forderten eine teilweise oder vollständige Rücknahme von Bidens Rückzugsentscheidung.

Dazu gehört auch die Abgeordnete Liz Cheney, deren Vater als Vizepräsident in der Bush-Regierung eine wichtige Rolle bei der ursprünglichen Entscheidung über die Invasion und Besetzung Afghanistans spielte. Auch der Abgeordnete Adam Kinzinger aus Illinois, ein Veteran des Afghanistankriegs, Senator Joni Ernst aus Iowa, ebenfalls ein ehemaliger Militäroffizier, Senator Ben Sasse aus Nebraska und die ehemalige UN-Botschafterin Nikki Haley taten sich in dieser Frage hervor.

Wie immer gibt es in den Leitmedien niemanden, der wirklich für die Bevölkerung spricht. Mehr als 70 Prozent sind heute Gegner des Afghanistan-Kriegs - dem Joe Biden ihm übrigen zugestimmt hatte, als er im Senat saß. Keine einzige Stimme ist zu hören, die die 20-jährige militärische Aggression, in der Hunderttausende afghanische Zivilisten getötet wurden, von einem prinzipiellen Standpunkt aus kritisieren würde.

Besonders aufschlussreich waren die Äußerungen von Senator Sasse, der als „gemäßigt“ gilt, weil er wegen des Angriffs auf das Kapitol am 6. Januar für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump gestimmt hat. In einem Beitrag auf Fox News Sunday forderte er die Entsendung von mehr Soldaten, die Aufhebung des Stichtags 31. August, die Ausdehnung des Militärgeländes „weit über den Karzai-Flughafen hinaus“ und sofortige Gespräche, „um herauszufinden, ob wir Bagram zurückerobern sollten“. Bagram ist der große Militärflughafen außerhalb Kabuls, der im vergangenen Monat an die afghanische Regierung übergeben wurde, und den heute die Taliban kontrollieren.

„Sie haben den Luftwaffenstützpunkt Bagram durch einen der dümmsten militärischen Fehler in der Geschichte der USA aufgegeben“, sagte Sasse, „und jetzt sind wir auf einen zivilen Flughafen angewiesen, der nur eine Landebahn hat. Ich glaube, das amerikanische Volk ist sich der Gefahr und des Risikos, in das uns der Präsident gebracht hat, nicht voll bewusst, denn wenn ein Flugzeug auf dieser Landebahn abgeschossen wird, sitzen wir fest. Der Präsident muss also dafür sorgen, dass die Taliban wissen, dass wir diese Erpressung, in die wir uns hineinmanövrieren, nicht hinnehmen werden.“

Die prekäre Lage auf dem Flughafen wurde durch den Ausbruch eines Feuergefechts am frühen Montagmorgen zwischen afghanischen Sicherheitskräften, die für das US-Militär arbeiten, und unbekannten Angreifern unterstrichen. Deutsche und amerikanische Streitkräfte griffen ein und beendeten die Kämpfe, wobei ein afghanischer Wachmann getötet und drei verwundet wurden.

Die erbitterten Schuldzuweisungen, die innerhalb der herrschenden US-Elite und ihres militärisch-intelligenten Apparats ausgebrochen sind, wurden auch vom Wall Street Journal in einem Leitartikel vom Montag mit der Überschrift „Dancing to the Taliban Timetable“ zum Ausdruck gebracht. Darin wird Blinkens Äußerungen über die Tatsache, dass die Taliban Kabul kontrollieren, zitiert und dann heißt es: „Ja, aber das ist nicht die Realität, die die USA akzeptieren müssen. Das US-Militär hat mehr als genug Kraft, um den Taliban bessere Bedingungen zu diktieren.“

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