Perspektive

Unsichere Schulöffnung in den USA führt zum Anstieg von Covid-19 bei Kindern

Die Öffnung der Schulen in den Vereinigten Staaten führt zu einem massiven Anstieg der Covid-19-Fälle bei Kindern.

Die Grundschülerinnen Analyn Tapia und Dezirae Espinoza vor ihrem ersten Schultag seit Beginn der Pandemie, 23. August 2021 in Denver (AP Photo/David Zalubowski)

In der Woche vor dem 19. August wurden in den USA 180.000 Covid-19-Fälle bei Kindern gemeldet, wie aus dem jüngsten Bericht der Kinderärztevereinigung American Academy of Pediatrics hervorgeht. Dies entspricht einem Anstieg um 50 Prozent in nur einer Woche. In der Woche davor waren es 120.000 Fälle bei Kindern. Vor zwei Monaten waren es weniger als 10.000.

Schlimmer noch: Im gleichen Zeitraum starben 24 Kinder an Covid-19, doppelt so viele wie in der Woche vor dem 5. August.

Mehr als 60 Prozent der Schulen in den USA haben den Präsenzunterricht bereits wieder aufgenommen. Diese Wiederöffnung der Schulen hat im ganzen Land zu Ausbrüchen an öffentlichen Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche geführt.

Die Schulbezirke im Großraum Atlanta haben bereits wenige Wochen nach Beginn des Schuljahres Tausende von Covid-19-Fällen bei Schülern und Mitarbeitenden gemeldet. Gwinnett County, der größte Schulbezirk in Georgia, meldete am Freitag über 800 Infektionen im Zuständigkeitsbereich.

In den Schulen von Mississippi sind die Covid-19-Fälle explodiert. Fast 6.000 Schüler wurden positiv auf das Coronavirus getestet, 30-mal mehr als im vorangegangenen Schulhalbjahr. Unter den Lehrkräften und Angestellten wurden 1.496 Infektionen festgestellt. Das entspricht dem Sechsfachen der Werte im letzten Halbjahr.

In New-Mexiko kam es innerhalb von weniger als einer Woche nach Schulöffnung am 11. August zu größeren Ausbrüchen an Schulen in Albuquerque, Belen, Carlsbad, Los Lunas und Roswell. Nach offiziellen Angaben meldeten 109 Schulen im gesamten US-Bundesstaat jeweils mindestens zwei Covid-19-Fälle. Betroffen sind Schüler, Mitarbeitende und Lehrkräfte.

In den vier Tagen seit der Öffnung des Los Angeles Unified School District (LAUSD), des zweitgrößten Schulbezirks der USA mit über 600.000 Schülern, kam es in der gesamten Stadt zu Ausbrüchen. Nach den Daten, die das Gesundheitsamt von Los Angeles County bekanntgab, wurden in den 24 Stunden von Dienstag bis Mittwochmorgen insgesamt 118 Schüler und Mitarbeitende positiv getestet.

Die Zunahme der Covid-19-Fälle bei Kindern ist nur der sichtbarste Ausdruck für die Ausbreitung der Pandemie im ganzen Land.

Die Zahl der täglich neu auftretenden Fälle hat sich in den letzten zwei Monaten auf 150.000 verzehnfacht. In allen US-Bundesstaaten sind die Krankenhäuser überfüllt, denn die Zahl der stationär behandelten Covid-19-Patienten stieg letzte Woche auf 85.000, was einem Anstieg um das Sechsfache seit Juni entspricht. Höchst beunruhigend ist, dass allein am Freitag über 1.000 Menschen starben, das sind viermal so viele tägliche Todesfälle wie in den letzten zwei Monaten.

In der vergangenen Woche hat Florida einen neuen Rekord an Covid-19-Todesfällen aufgestellt: 1.486 neue Todesfälle wurden gemeldet. Alle 7 Minuten stirbt in diesem US-Bundesstaat ein Mensch an Covid-19.

Die Gouverneurin von Kansas, Laura Kelly, erklärte, dass am Mittwoch mehr Menschen ins Krankenhaus eingeliefert wurden als an jedem anderen Tag in der Geschichte des Bundesstaates. Sie sagte auch, dass sechs der größten Krankenhäuser in dem US-Bundesstaat im Bereich der Intensivmedizin zu 100 Prozent ausgelastet seien.

Der Gouverneur von Louisiana, John Bel Edwards, sprach von einer „astronomischen“ Zahl von Covid-19-Infektionen während der jüngsten Welle. Der Gouverneur erklärte am Freitag: „28 Prozent aller Neuinfektionen betreffen Kinder zwischen null und 17 Jahren.“

Katie O'Neal, leitende Ärztin am Krankenhaus von Baton Rouge in Louisiana, fasste die Katastrophe so zusammen: „Wir haben noch nie so viele junge Menschen sterben sehen.“ Gegenüber dem Sender MSNBC sagte sie: „Was wir heute erleben, ist eine viel jüngere Bevölkerungsgruppe [im Krankenhaus]. ... Wir erleben Teenager, die auf die Intensivstation kommen und sich von ihren Eltern verabschieden. Wir haben hier Teenager, die sich per FaceTime von ihren Eltern verabschieden müssen.“

Weiter sagte O'Neal: „Die Menschen stehen Schlange, um hier behandelt zu werden, was bei uns bisher nie der Fall war.“ Sie warnte, dass den Krankenhäusern bald die Betten und das Personal ausgingen. „Die Menschen bekommen nicht die Pflege, die sie brauchen, und sie sterben.“

Trotz dieser Katastrophe fordert die Regierung Joe Biden die vollständige Rückkehr zum Präsenzunterricht. US-Bildungsminister Miguel Cardona behauptete letzte Woche, Präsenzunterricht an den Schulen durchzuführen, müsse „unsere Priorität“ sein. Als Antwort auf viele Eltern, die sich gegen die Öffnung von Schulen unter unsicheren Bedingungen wehren, sagte Cardona: „Aber die Realität ist, dass wir unsere Kinder schützen können, wenn wir die Eindämmungsmaßnahmen befolgen.“

Die Biden-Regierung spricht für das gesamte politische Establishment der USA. Alle Fraktionen der herrschenden Klasse, von den Republikanern, die ein Ende aller Eindämmungsmaßnahmen fordern, bis zu den Demokraten, die behaupten, dass die Schulöffnung sicher durchgeführt werden könnten – alle sind sie gegen die Maßnahmen, die zur Ausrottung des Virus erforderlich sind, weil dazu letztlich die Schließung der Schulen gehört.

Die Demokraten arbeiten eng mit den Gewerkschaften und insbesondere mit der Lehrergewerkschaft American Federation of Teachers zusammen, die an der Spitze einer Kampagne zur Wiederöffnung von Schulen stand. Die Präsidentin der AFT, Randi Weingarten, sagte: „Die höchste Priorität besteht darin, die Kinder wieder in die Schule zu bekommen.“

Die Leitmedien haben dies mit einer massiven Kampagne begleitet. Die New York Times veröffentlichte am Sonntag einen Leitartikel („The School Kids Are Not Alright“), in dem sie die Regierungen in den US-Bundesstaaten beschuldigte, sie würden die Schulen zu langsam wieder öffnen.

Die Times formuliert ihre Forderung, alle Schulen wieder zu öffnen, zynisch als für die Kinder notwendig. „Die [aus Schulschließungen resultierenden] Lernverluste reichen von schwerwiegend für alle Schülergruppen bis hin zu katastrophal für arme Kinder“, heißt es in dem Artikel. Aber was ist mit den Folgen für Kinder, die krank werden und sterben? Das ist für die Times kein Thema. Die Times prangert zwar diejenigen an, die „die Auswirkungen von Schulschließungen heruntergespielt haben“, erwähnt aber in ihrem langen Leitartikel nicht einmal den Anstieg der Krankheitsfälle bei Kindern. Sie verweist auch nicht auf Studien, die langfristige Auswirkungen von Covid-19 auf Kinder dokumentieren. Ein ernstes Thema sind dabei die Auswirkungen auf die geistige Gesundheit und die kognitive Entwicklung.

Die bürgerlichen Regierungen auf der ganzen Welt bedienen sich derselben Argumente, um die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der tödlichen Pandemie abzulehnen. Die umfassende Kampagne zur Wiedereröffnung von Schulen widerspricht den Empfehlungen von Wissenschaftlern. Diese warnen ausdrücklich davor, solange sich die Krankheit unkontrolliert ausbreitet.

„Solange es eine Übertragung in der Gesellschaft gibt, ist es nicht sicher, die Schulen wieder zu öffnen“, sagte Dr. Malgorzata Gasperowicz, Entwicklungsbiologin und Forscherin an der Universität von Calgary. „Solange es Infektionen gibt, dürfen wir die Schulen nicht wieder öffnen, nicht für den Unterricht in Präsenz.“

Gasperowicz sagte dies auf der Online-Veranstaltung, welche die World Socialist Web Site am Sonntag veranstaltete. Zusammen mit Dr. Michael Baker, einem Arzt und Professor an der Fakultät für öffentliches Gesundheitswesen der Universität Otago in Wellington, und Dr. Yaneer Bar-Yam, Gründungspräsident des New England Complex Systems Institute, skizzierte Gasperowicz eine Strategie zur Beendigung der Pandemie durch aggressive Maßnahmen im öffentlichen Gesundheitswesen.

„Wenn wir die Impfung mit öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen kombinieren, können wir die Pandemie beenden“, sagte Gasperowicz.

Falls aber diese Maßnahmen nicht ergriffen würden, warnte Baker, „werden sich in den nächsten Monaten mehrere Millionen Kinder und Jugendliche infizieren (...) Allein die schiere Zahl der infizierten Kinder und Jugendlichen bedeutet, dass wir eine enorme Belastung durch vermeidbare Krankheiten bei jungen Menschen haben werden. Einige davon könnten dauerhafte Folgen davontragen.“

Die derzeitige Ausbreitung der Delta-Variante von Covid-19 – und jeder anderen Variante, die noch auftauchen kann – muss durch ein Notprogramm zur Ausrottung von Covid-19 gestoppt werden. Dies bedeutet die Schließung von Schulen und aller nicht systemrelevanter Betriebe bei voller Entschädigung der Beschäftigten, und ein mehrere Billionen Dollar schweres Notprogramm für das öffentliche Gesundheitswesen, um massenhaftes Testen, die Nachverfolgung von Kontakten und Quarantänemaßnahmen zu ermöglichen.

Dies erfordert jedoch eine Mobilisierung der Arbeiterklasse auf einer politisch unabhängigen Basis durch die Bildung von Aktionskomitees in Betrieben, Schulen und in den Stadtteilen. Wie die World Socialist Web Site letzte Woche in einer Erklärung mit dem Titel „Die Ausrottung von Covid-19 ist die einzige Möglichkeit, die Pandemie zu stoppen“ schrieb:

Die Umsetzung der Ausrottungsstrategie erfordert die Entwicklung einer mächtigen internationalen und vereinten Massenbewegung der Arbeiterklasse. Nur eine Massenbewegung, die nicht vom Profitstreben getrieben und von der Gier nach persönlichem Reichtum besessen ist, kann die gesellschaftliche Macht entwickeln, die notwendig ist, um einen politischen Richtungswechsel zu erzwingen.

In jedem Stadium dieser Pandemie hat sich die Politik der herrschenden Klasse als katastrophal erwiesen. Während eine neue Welle heranrollt, besteht die dringende Aufgabe darin, auf der ganzen Welt eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zu entwickeln. Das Leben von Millionen von Menschen, darunter unzähliger Kinder, steht auf dem Spiel!

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