Berliner Bibliothek: Bücher linker Autoren mutwillig zerstört

Mitarbeiter der Hauptbibliothek im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg haben Anfang des Monats aufgedeckt, dass eine Reihe von Büchern sozialistischer und antifaschistischer Autoren mutwillig verstümmelt wurden. Die Zerstörung der Bücher wurde Ende Juli entdeckt und vom Leiter der Bezirksbibliotheken, Boryano Rickum, öffentlich gemacht. Er vermutet Rechtsextremisten hinter dem Angriff.

Eva-Maria-Buch-Haus der Stadtbücherei Tempelhof - Schöneberg (Bild: Drstefanschneider / CC-BY-SA 3.0)

Rickum sagte dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, ein Auszubildender der Bibliothek habe einen Korb mit sieben Büchern gefunden, die so zerschnitten waren, dass sie nicht mehr lesbar seien. Rickum: „Alle hatten eine Gemeinsamkeit: Sie setzen sich kritisch mit rechten gesellschaftlichen Tendenzen auseinander oder erzählen Biografien von Sozialisten, nämlich Karl Marx und Clara Zetkin.” Rickum schloss: „Hinter der Tat sehe ich eine deutliche rechtsextreme Motivation.”

Rickum stellte fest: „Bibliotheken haben dafür Sorge zu tragen, Meinungs- und Informationsfreiheit zu garantieren. Damit bleibt uns jetzt gar nichts anderes übrig, als uns zu wehren. Wenn Bücher wegen ihres Inhalts vernichtet werden, steht etwas Grundsätzliches zur Debatte, das die ganze Gesellschaft angeht.“

Die Bibliothek beabsichtige, neue Exemplare der zerstörten Bücher zu beschaffen und sie an prominenter Stelle auszustellen, sagte Rickum. Er ermutigte die Öffentlichkeit, die verstümmelten Werke zu lesen, und äußerte den Wunsch, dass andere Bibliotheken seinem Beispiel folgen.

Innerhalb kurzer Zeit verbreitete sich Rickums Tweet, der auf die Beschädigung der Bücher hinwies, viral. Viele Personen und andere Bibliotheken brachten ihre Empörung über den Angriff zum Ausdruck und unterstützten die Haltung der Bibliotheksmitarbeiter.

Die Bibliothek in Neuss postete ein Foto von ihrer prominenten Auslage mit einer Reihe von Büchern, die sich mit Rechtsextremismus und der Politik der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) befassen, und schrieb: „Letzte Woche haben wir von dem entsetzlichen Vorfall in der Bibliothek in Berlin erfahren. Wir sind dem Aufruf der Bibliothek gefolgt, die zerstörten Titel und andere thematisch passende Medien hervorzuheben.”

Völlig heuchlerisch äußerten Lokalpolitiker, darunter der Kulturstadtrat Matthias Steuckardt (CDU) und Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei), ihren Unmut über die Zerstörung von Büchern.

Tatsächlich haben alle Parteien im Deutschen Bundestag und im Berliner Senat politisch mit Rechtsextremisten zusammengearbeitet und tragen direkte Verantwortung für den wachsenden politischen Einfluss von Parteien wie der AfD.

In der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf in Berlin hat sich die CDU im vergangenen Jahr mit der AfD verbündet, um ein diskriminierendes, antimuslimisches Kopftuchverbot für Schülerinnen durchzusetzen, während die SPD im selben Jahr in der Berliner Bezirksverordnetenversammlung Spandau an der Seite der AfD gegen einen Antrag stimmte, der die Erstellung eines lokalen „Wohlstandsberichts“ forderte.

Im März dieses Jahres nutzte der thüringische Regierungschef Bodo Ramelow (Linkspartei) sein entscheidendes Votum, um dem AfD-Abgeordneten Michael Kaufmann einen Platz als Vizepräsident im Landtag zu sichern.

In einem Interview mit Belltower News antwortete Bibliotheksdirektor Rickum auf die Frage, ob man bei der Verstümmelung von Büchern heute eine Parallele zu den berüchtigten Bücherverbrennungen der Nazis im Jahr 1933 ziehen könne.

„Der Vergleich liegt natürlich nahe,“ stellte Rickum fest, erklärte aber gleichzeitig, dass ein wesentlicher Unterschied bestehe. 1933 seien die Bücherverbrennung auf direkte Veranlassung des Staates erfolgt, „übrigens mit fleißiger Unterstützung von damaligen Kolleg:innen von uns. Das waren Bibliothekar:innen, die den Schergen des NS-Regimes Literaturlisten zur Verfügung gestellt haben.“

Bücherverbrennungen fanden damals in ganz Deutschland statt, und zahlreiche Schriftsteller und Gelehrte – Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten oder Liberale – verstummten, wenn sie nicht in Konzentrationslagern landen wollten, oder mussten das Land verlassen.

Lou Zucker, deren Bücher in Berlin beschädigt wurden, zog ebenfalls eine Parallele zum Angriff der Nazis auf die Kultur. Die Autorin einer kürzlich erschienenen Biografie der marxistischen Revolutionärin Clara Zetkin twitterte: „In der Bibliothek Tempelhof-Schöneberg wurden Bücher zerstört, die sich kritisch mit #nazis und rechten Strukturen auseinandersetzen. Meine Biografie über Clara Zetkin war auch dabei. Bücher sind nur Papier. Aber wir kennen die Geschichte. Ich will, dass es bei Papier bleibt!“

Zuckers Hinweis auf die Geschichte ist durchaus angebracht. Ihre Äußerungen erinnern an die berühmte Zeile aus dem Theaterstück „Almansor“ (1821) von Heinrich Heine, der selbst jüdische Wurzeln hatte: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.” Heines Bücher wurden 1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannt, und seine Warnung ist dort eingraviert.

Der enorme Widerstand gegen rechtsextreme Angriffe auf die Kultur in Deutschland äußerte sich schon 2019, als die „Erklärung der Vielen“ von zahlreichen Kultureinrichtungen und Künstlern unterstützt wurde. Sie stellte fest: „Rechtspopulismus steht der Kunst der Vielen feindlich gegenüber. Rechte Gruppen und Parteien stören häufig Veranstaltungen, wollen Repertoires bestimmen, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten vor allem an der Renationalisierung der Kultur. Ihr respektloser Umgang mit Zufluchtsuchenden, engagierten Künstlern und Andersdenkenden zeigt deutlich, wie sie mit unserer Gesellschaft umgehen wollen, sollte eine Machtverschiebung zu ihren Gunsten Realität werden.“

Die Rechtsextremen und Neonazis verüben derart niederträchtige und feige Angriffe auf die Kultur und Antifaschisten, weil sie spüren, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich ihnen vehement widersetzt. Gleichzeitig werden diese reaktionären Kräfte von den offiziellen Parteien in Deutschland unterstützt und von deutschen Richtern, die „auf dem rechten Auge blind“ sind, entweder freigesprochen oder zu leichten Strafen verurteilt.

Die breite Opposition gegen die Rechtsextremen und ihre kulturelle Barbarei wird von den großen deutschen Parteien und einflussreichen Kräften an den Universitäten systematisch unterminiert.

Die Bücherverbrennungen von 1933 fanden auf Initiative der Nationalsozialisten statt. Eines der größten Feuer loderte vor der Berliner Humboldt-Universität. Eine Ausstellung im Flur der Hauptbibliothek der Universität (Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum) geht kurz darauf ein.

Auf einem der ausgestellten Plakate ist zu lesen: „Viele Angehörige der Friedrich-Wilhelms-Universität, die 1949 in Humboldt-Universität umbenannt wurde, haben sich den Nationalsozialismus zu eigen gemacht: Mitarbeiter und Studenten beteiligten sich an der Verbrennung von Büchern jüdischer schwuler und linker Autoren oder von Autoren, die anderweitig als ‚untauglich‘ galten.“

Die Ausstellung schweigt sich allerdings über die Rolle prominenter Akademiker aus, die derzeit an der Universität tätig sind.

So unterstützt der Historiker Jörg Baberowski die Propaganda der extremen Rechten. Er bemüht sich, den Nazi-Apologeten Ernst Nolte zu rehabilitieren, und greift linke und sozialistische Studenten an. Im Februar 2020 attackierte Baberowski handgreiflich einen Studenten der Universität und riss Plakate der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) zur Wahl des Studierendenparlaments herunter. Bis heute genießt Baberowski die Unterstützung der Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, die der SPD angehört.

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