Perspektive

20 Jahre seit den Anschlägen des 11. September und dem Beginn des „Kriegs gegen den Terror“

Heute vor 20 Jahren wurden bei den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 zwei entführte Flugzeuge in das World Trade Center in New York City, eines ins Gebäude des US-Verteidigungsministeriums Pentagon und ein viertes – nachdem die Passagiere den Entführern die Kontrolle über die Maschine entrissen hatten – in ein Feld im US-Bundesstaat Pennsylvania geflogen. Insgesamt wurden fast 3.000 Menschen getötet, die höchste Zahl gewaltsamer Todesopfer an einem einzigen Tag auf amerikanischem Boden seit dem Bürgerkrieg.

Flug Nr. 175 der United Airlines beim Einschlag in den Südturm des World Trade Center (Wikimedia Commons)

An diesem Jahrestag bombardieren die amerikanischen Medien die US-amerikanische und die Weltöffentlichkeit erneut mit den erschütternden Bildern des schrecklichen Verbrechens und der Tragödie vom 11. September 2001. In den Talkshows wird unterdessen über das vermeintliche Potenzial für einen neuen Terrorismus diskutiert, nachdem der US-Imperialismus beim Abzug seiner Truppen aus Afghanistan und der 20-jährige „globale Krieg gegen den Terrorismus“ insgesamt ein Debakel erlitten haben.

Das Bemerkenswerteste an den Ereignissen des 11. September 2001 – einem Tag, zu dem uns ständig erklärt wird, er habe „alles verändert“ – ist die Tatsache, dass nach wie vor vieles darüber, wie es zu den Anschlägen kam, im Dunkeln liegt.

Für die Erkenntnis, dass die offizielle Geschichte, wonach der 11. September das Ergebnis eines „Versagens der Vorstellungskraft“ („failure of imagination“) seitens der US-Geheimdienste war, von Widersprüchen, Auslassungen und Vertuschung durchsetzt ist, braucht es weder Verschwörungstheorien noch die Annahme, dass jemand Sprengstoff in den Zwillingstürmen deponiert hat.

Am Vorabend des heutigen Jahrestages erließ US-Präsident Joe Biden eine Verordnung. Dies ist eine Reaktion auf die von Tausenden von Überlebenden und Angehörigen der Opfer des 11. September vor Gericht gestellten Forderungen nach Freigabe von Informationen über die vielen Fäden, die von den Anschlägen zum saudischen Königshaus verlaufen. Diese Informationen wurden von den wechselnden, auf die Anschläge folgenden US-Regierungen mit außerordentlichem Aufwand geheim gehalten. „Das amerikanische Volk verdient es, ein vollständigeres Bild davon zu erhalten, was seine Regierung über diese Anschläge weiß“, erklärte Biden. Die Verordnung des Präsidenten bestimmt eine „Überprüfung der Freigabe“, erlaubt es aber gleichzeitig dem Justizministerium, der CIA, dem FBI und anderen Behörden, Informationen „im Interesse der nationalen Sicherheit“ geheim zu halten.

15 der insgesamt 19 Flugzeugentführer waren bekanntlich saudische Staatsbürger. Das gleiche gilt für Osama bin Laden, dem Anführer von Al-Qaida und ehemaligen Verbündeten der CIA in ihrem Stellvertreterkrieg in Afghanistan in den 1980er Jahren. Saudische Beamte, Diplomaten und Geheimdienstagenten sind in die Vorgänge verwickelt, durch die die Entführer finanziert, in Flugschulen eingeschrieben und mit Unterkünften versorgt wurden. Eine davon war das Haus des wichtigsten FBI-Informanten in der muslimischen Gemeinde von San Diego.

Die Verbindung zu Saudi-Arabien ist nicht nur deshalb so brisant, weil sie den wichtigsten staatlichen Verbündeten des US-Imperialismus in der arabischen Welt betrifft. Die engen Verbindungen zwischen saudischen und US-Geheimdiensten werfen die beunruhigende Frage auf, wie es möglich gewesen sein soll, dass niemand bei der CIA, dem FBI oder anderen Behörden von den Plänen der Entführer gewusst hat, obwohl mehrere von ihnen von der CIA überwacht wurden und auf FBI-Beobachtungslisten standen, während sie unbehelligt in die Vereinigten Staaten einreisten und sich dort bewegten.

Die offensichtliche Frage bei diesen Vorgängen, die als das „größte Versagen der Geheimdienste“ in der amerikanischen Geschichte dargestellt wurde, lautet, warum kein einziger der Verantwortlichen – vom CIA-Direktor bis hinunter zu den Konsularbeamten, die den Entführern Visa ausstellten – nach dem 11. September auch nur eine Degradierung hinnehmen musste. Selbst nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor wurden ranghohe US-Kommandeure ihres Kommandos enthoben und aus dem Militär hinausgedrängt.

Es hat nie eine ernsthafte, glaubwürdige Untersuchung darüber gegeben, wie 9/11 geschehen konnte, obwohl es zahlreiche Warnungen vor bevorstehenden Angriffen gab und viele der Täter aktiv überwacht wurden. Und es gibt keinen Grund zu erwarten, dass die Regierung Biden die Geheimnisse preisgeben wird, die die US-Regierung seit zwei Jahrzehnten so aggressiv unter Verschluss gehalten hat.

Was auch immer die genauen Hintergründe der Anschläge vom 11. September waren, sie dienten sofort als willkommener Vorwand für eine drastische Eskalation einer langjährigen Agenda des US-Imperialismus. Nach der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie in Moskau 1991 war die herrschende Klasse der USA entschlossen, ihre unangefochtene militärische Überlegenheit zu nutzen, um den Niedergang ihrer globalen wirtschaftlichen Hegemonie auszugleichen und die Weltpolitik neu zu ordnen.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 boten nicht nur einen Casus Belli, sondern auch ein Mittel zur Einschüchterung und Verwirrung der Bevölkerung und zur Unterdrückung einer weit verbreiteten Antikriegsstimmung. Die Medien trugen ihren Teil dazu bei, indem sie die Bevölkerung unerbittlich mit der angeblichen Bedrohung durch weitere Anschläge terrorisierten.

Innerhalb weniger Wochen marschierte das US-Militär in Afghanistan ein, warf tausende Tonnen von Bomben auf die Bevölkerung ab und massakrierte tausende gefangene afghanische Kämpfer. Weniger als anderthalb Jahre später begannen die USA einen zweiten Krieg gegen den Irak, der mit Lügen über „Massenvernichtungswaffen“ und nicht existente Verbindungen zwischen Saddam Hussein und Al-Qaida begründet wurde.

Diese Kriege dienten nicht dem Schutz der US-Bevölkerung vor dem Terrorismus, wie Washington behauptete, sondern der Sicherung der US-Hegemonie über die wichtigsten Energie produzierenden Regionen am Persischen Golf und in Zentralasien.

Mit der fast einstimmigen Verabschiedung der Genehmigung zum Einsatz militärischer Gewalt unmittelbar nach dem 11. September 2001 übertrug der Kongress dem US-Präsidenten die Befugnis, „Präventivkriege“ gegen jedes Land zu führen, das als Bedrohung für die Sicherheit oder die wirtschaftlichen Interessen der USA angesehen wird, ohne die geringste Zustimmung der amerikanischen Bevölkerung.

Als die Obama-Regierung neue Regimewechsel-Kriege in Libyen und dann in Syrien begann, wurde der Vorwand des „globalen Kriegs gegen den Terrorismus“ immer absurder. In beiden Ländern dienten Al-Qaida-nahe Milizen als Washingtons stellvertretende Bodentruppen.

Die Anschläge boten auch die Gelegenheit, weitreichende Änderungen einzuführen, die mit massiven Angriffen auf demokratische Rechte einher gingen. Dazu gehörten das Homeland Security Department, der Patriot Act, die Einführung der umfassenden Bespitzelung der Bevölkerung, Durchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, Inhaftierungen ohne Anklage und „außerordentliche Überstellungen“. Foltermethoden wurden vom Weißen Haus verordnet und in Guantánamo, Abu Ghraib, Bagram und den über den ganzen Globus verstreuten „Black Sites“ der CIA auf grausame Weise umgesetzt.

Unter Obama institutionalisierte das Weiße Haus die Ermordung als Staatspolitik, indem es sich die Befugnis anmaßte, so genannte „feindliche Kämpfer“ – darunter auch US-Bürger – überall auf der Welt zu ermorden, ohne jegliche Erklärung, geschweige denn eine Anklage oder ein ordentliches Verfahren. Tausende, darunter viele Zivilisten, sind bei diesen „gezielten Tötungen“ ums Leben gekommen.

Diese massive Ausweitung der polizeilichen Befugnisse des Staates, die im Namen der Terrorismusbekämpfung gerechtfertigt wurde, vollzog sich in einer Zeit, in der die soziale Ungleichheit in den USA schneller zunahm als je zuvor und ein Ausmaß erreichte, das mit demokratischen Herrschaftsformen von Natur aus unvereinbar ist.

Was waren die Folgen der 20-jährigen ununterbrochenen Kriege, die auf den 11. September folgten? In Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen und anderen Ländern, die von den USA angegriffen wurden, verloren zwischen einer und zwei Millionen Menschen ihr Leben. Die Zahl der Verwundeten beläuft sich auf viele Millionen, und Dutzende von Millionen wurden zu Flüchtlingen aus den durch den Krieg dezimierten Gesellschaften. Etwa 7.000 US-Soldaten und etwa doppelt so viele Angehörige privater Militärfirmen wurden getötet, Zehntausende wurden verwundet, und viele weitere litten unter den psychologischen Folgen der Teilnahme an schmutzigen Kriegen im Stil der Kolonialzeit.

Die finanziellen Kosten für diese Kriege waren enorm. In seiner Rede vom 30. August, in der er das Ende der US-Besatzung Afghanistans ankündigte, sagte US-Präsident Joe Biden, es sei „an der Zeit, dem amerikanischen Volk gegenüber ehrlich zu sein“, und räumte damit stillschweigend ein, dass es im Interesse des Krieges ständig mit Lügen gefüttert worden ist. Er erklärte, dass die USA in den letzten 20 Jahren jeden Tag 300 Millionen Dollar allein für den Krieg in Afghanistan ausgegeben haben.

Das „Costs of War Project“ der Brown University beziffert die Gesamtkosten für die Kriege nach dem 11. September 2001, einschließlich der Langzeitpflege für Veteranen, auf über 8 Billionen Dollar. Darin nicht enthalten sind weitere Billionen an Schulden, die die US-Regierung zur Finanzierung ihrer militärischen Abenteuer aufgenommen hat. Was hätte man nicht alles erreichen können, wenn diese riesigen Summen für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in den USA und der Welt ausgegeben worden wären, anstatt Millionen zu töten und zu verstümmeln?

Was hat der US-Imperialismus in den 20 Jahren des Krieges erreicht? Nirgends hat er seine Ziele verwirklicht. Er konnte zwar ganze Gesellschaften in Schutt und Asche legen, war aber nicht in der Lage, in den von ihm angegriffenen Ländern lebensfähige Marionettenregime zu errichten. Der Rückzug der USA aus Afghanistan angesichts der Einnahme Kabuls durch die Taliban ist nicht nur eine demütigende militärische Niederlage, sondern ein erschütternder Rückschlag für die gesamte jahrzehntelang verfolgte globale Strategie der USA. Dies erklärt die Hysterie in amerikanischen Regierungskreisen über die Räumung von Kabul.

Ein solches historisches Debakel lässt sich nicht durch militärische Fehleinschätzungen oder nachrichtendienstliche Versäumnisse erklären, sondern ist vielmehr Ausdruck der tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Krise, in der sich das gesamte kapitalistische System der USA befindet.

Die sozialen und politischen Folgen von 9/11 und dem „Krieg gegen den Terrorismus“ sind weitreichend. Die wiederholten, auf Lügen basierenden Angriffskriege haben jede Institution der amerikanischen Gesellschaft in Misskredit gebracht, vom Weißen Haus bis zum Kongress, sowohl die Demokratische als auch die Republikanische Partei, die Medien, die diese Kriege verkauft haben, die Finanzelite, die davon profitiert hat, sowie Akademiker und pseudolinke Schichten der oberen Mittelschicht, die Entschuldigungen für diese Kriege geliefert haben.

Die hemmungslose Gewalt im Ausland, einschließlich routinemäßiger Folter und Ermordungen, bei denen US-Präsidenten davon sprechen, ihre Feinde wie Mafiabosse „auszuschalten“, hat zu einer Verrohung der amerikanischen Gesellschaft im Inland beigetragen, die durch regelmäßige Amokläufe und andere Gewaltausbrüche gekennzeichnet ist. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, ein politisches Umfeld zu schaffen, in dem eine Figur wie Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden und einen Putschversuch unternehmen kann, um die Wahlen in den USA zu kippen.

Das Debakel des 20-jährigen Krieges des US-Imperialismus gegen den Terror fällt mit seiner mörderischen Politik in Bezug auf die Corona-Pandemie zusammen, die aufgrund der Unterordnung der öffentlichen Gesundheit unter Profitinteressen zu Hunderttausenden von vermeidbaren Todesfällen geführt hat. Die herrschende US-Elite misst dem Leben der Amerikaner nicht mehr Bedeutung bei als dem der Iraker oder Afghanen.

Der US-Imperialismus wurde im Krieg gedemütigt, die Politik der herrschenden Klasse hat zu Hunderttausenden von völlig unnötigen Corona-Toten geführt, und es gibt keine Politik zur Bekämpfung des Klimawandels, selbst wenn zwei Küsten von Überschwemmungen heimgesucht werden und im Westen Brände lodern. In der Zwischenzeit bereitet eine zunehmend auf Finanzspekulationen basierende Wirtschaft, die auf dem Drucken von Billionen von Dollar an fiktivem Kapital und deren Weitergabe an die Superreichen beruht, eine wirtschaftliche Katastrophe vor. Zusammengenommen haben diese Entwicklungen zutiefst revolutionäre Auswirkungen.

Das Debakel des „Kriegs gegen den Terrorismus“ signalisiert kein Ende des US-Militarismus. Wie Biden deutlich gemacht hat, zielt der Rückzug aus Afghanistan vielmehr darauf ab, die militärische Macht der USA auf die Konfrontation mit dem zu verlagern, was das Pentagon als „strategische Konkurrenten“ oder „Großmacht“-Rivalen bezeichnet, d. h. mit dem atomar bewaffneten China und Russland. Mit anderen Worten: Die Gefahr eines dritten Weltkriegs wächst.

Unter diesen Bedingungen ist die brennendste Aufgabe der Aufbau einer massenhaften Antikriegsbewegung. Wenn uns die letzten 20 Jahre etwas gelehrt haben, dann dass sich eine solche Bewegung nicht auf die Demokratischen Partei oder die bestehenden Institutionen der amerikanischen Gesellschaft stützen kann. Sie muss in der Arbeiterklasse verwurzelt sein, sich mit Arbeitern in der ganzen Welt verbinden und den Kampf für den Sozialismus aufnehmen.

Loading