Perspektive

90 Prozent für Nein-Votum

Der Arbeitskampf bei Deere und die wachsende Rebellion gegen die korporatistischen Gewerkschaften

Am letzten Sonntag, den 10. Oktober, haben die Beschäftigten des Land- und Baumaschinenherstellers Deere & Co. einen Tarifvertrag mit einer 90-prozentigen Mehrheit abgelehnt, den die US-Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) ausgehandelt hatte.

Arbeiter in einem Deere-Werk (Quelle: John Deere)

Das Votum war eine deutliche Abfuhr für die UAW, die versucht hatte, im Eiltempo einen Sechsjahresvertrag mit Zugeständnissen für 10.100 Beschäftigte durchzusetzen, ohne ihnen ausreichend Zeit zur Prüfung des Vertrags zu geben.

Bei so genannten Informationstreffen am Sonntag reagierten Arbeiter wütend auf die Gewerkschaftsvertreter, die versuchten, ihnen den Deal schmackhaft zu machen. „Deere und die UAW haben versucht, uns über den Tisch zu ziehen, aber die Belegschaft hat sich gewehrt“, sagte ein Arbeiter aus dem Werk in Dubuque (US-Bundesstaat Iowa) anschließend der WSWS.

Angesichts der beginnenden Revolte kündigte die UAW an, dass sie für Mittwochabend um 23.59 Uhr eine Streikfrist setzen würde. Hinter den Kulissen tun die UAW-Führungskräfte jedoch alles, um einen Streik zu blockieren oder eine Arbeitsniederlegung zu isolieren und zu vereiteln, falls sie gezwungen sein sollte, einen Streik auszurufen.

Die Abstimmung bei Deere bedeutet die erste Ablehnung eines von der UAW ausgehandelten Tarifvertrags bei dem Unternehmen seit 35 Jahren. Sie ist gleichsam der jüngste Fall in einer Reihe von überwältigenden „Nein“-Voten von Arbeitern in den USA als Reaktion auf Verträge, die von den Gewerkschaften unterstützt wurden:

  • Am 9. April stimmten 1.100 Bergleute von Warrior Met in Zentralalabama mit 1.006 zu 45 Stimmen (96 Prozent) für die Ablehnung des von der United Mine Workers of America durchgesetzten Vertrags, der die von der UMWA 2016 akzeptierte Lohnkürzung um 6 Dollar nicht wieder wettmacht.
  • Im späten Frühjahr und im Frühsommer lehnten 3.500 Beschäftigte von Volvo Trucks in Dublin (Virginia) drei aufeinanderfolgende, von der UAW ausgehandelte Verträge ab, darunter die ersten beiden mit 90 Prozent oder mehr. Die UAW konnte einen fünfwöchigen Streik nur dadurch beenden, dass sie eine erneute Abstimmung über den dritten abgelehnten Vertrag erzwang, der nach ihren Angaben mit einer Mehrheit von nur 17 Stimmen angenommen wurde.
  • Im August und Anfang September lehnten 3.500 Beschäftigte von Dana Inc. - einem der wichtigsten Zulieferer von Deere - einen von der UAW und den United Steelworkers vorgeschlagenen Fünfjahresvertrag mit mehr als 90 Prozent ab, wobei die Beschäftigten des Werks in Toledo (Ohio) einstimmig gegen den Vertrag stimmten. Mehr als einen Monat nach dem Scheitern des Vertrags blockieren die UAW und die USW einen Streik, der unmittelbare Auswirkungen auf die Autoindustrie hätte, indem sie die Beschäftigten bei der Stange halten und tageweise den bestehenden Vertrag verlängern.
  • Zwölftausend Bauarbeiter im Westen des Bundesstaates Washington lehnten aufeinanderfolgend vier Tarifverträge ab, die von der Northwest Pacific Carpenters Union (NWCU) verhandelt wurden, mit Mehrheiten von bis zu 76 Prozent ab. Die NWCU sah sich am 16. September gezwungen, zum Streik aufzurufen, wobei aber 10.000 der 12.000 Bauarbeiter nicht in den Arbeitskampf involviert wurden. Ein fünfter Vertrag wurde schließlich durchgesetzt.
  • Ende letzter Woche lehnten McLaren Health Krankenpflegehelfer und andere Beschäftigte im Dienstleistungssektor in Flint und anderen Städten in Zentralmichigan mit einer Mehrheit von drei zu eins eine Vereinbarung ab, die von der American Federation of State, County and Municipal Employees (AFSCME) erzielt worden war, um einen Streik zu verhindern.

Die Tatsache, dass massive, fast einstimmige „Nein“-Voten nun zur Norm werden, ist Ausdruck einer enormen Wut und Kampfbereitschaft der Arbeiter. Die altbewährten Methoden der Gewerkschaftsbürokratie zur Durchsetzung von Verträgen zugunsten der Unternehmen - Lügen über „substanzielle Verbesserungen“ oder „den besten Vertrag, den wir erwarten können“ und der Einsatz von Drohungen und wirtschaftlichem Druck, um die Arbeiter einzuschüchtern - stoßen auf eine Mauer des Widerstands.

Dies ist Teil der Entstehung der größten Streikbewegung in den Vereinigten Staaten seit Generationen. In den ersten fünf Oktobertagen begannen 10 neue Streiks in den USA – unter anderem von 2.500 Pflegekräften im Mercy Hospital in Buffalo (New York) und 1.400 Beschäftigten der Kellogg's-Lebensmittelproduktion in Michigan und anderen Bundesstaaten. Darüber hinaus haben 60.000 Film- und Fernsehschaffende in Hollywood und 35.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen von Kaiser Permanente für einen Streik gestimmt.

„Tausende Arbeiter sind im ganzen Land in den Streik getreten und haben damit ihre wachsende Macht in einer angespannten Wirtschaftslage gezeigt“, hieß es vergangene Woche im Time Magazine. „Der Einfluss, den die US-Arbeiter auf die Menschen haben, die ihre Gehaltsschecks unterschreiben, wurde durch den Arbeitsmarktbericht vom Freitag noch unterstrichen. Es zeigt sich, dass die Arbeitgeber im September deutlich langsamer als erwartet neue Arbeitskräfte einstellten“, schreibt Time und weiter: „Die Löhne steigen in allen Branchen, da die Arbeitgeber immer mehr Mühe haben, Arbeitskräfte zu finden und zu halten.“

Der Philadelphia Inquirer verweist auf eine neue Mentalität bei Beschäftigten und stellt fest, dass „die auf den Kopf gestellte Lage auf dem Arbeitsmarkt dazu führt, dass genervte Mitarbeitende eher dazu neigen, sich zu wehren und ihre Chefs mit Forderungen zu konfrontieren.“

Einige Merkmale dieser neuen Bewegung sind von besonderer Bedeutung.

Erstens bringt die Entwicklung des Klassenkampfes die Arbeiter in direkten Konflikt mit den korporatistischen Gewerkschaften. Die Ergebnisse der Tarifverhandlungen bei Deere, Volvo, Dana und anderen Unternehmen werden von den Beschäftigten massiv abgelehnt. Hierin zeigt sich das tatsächliche Verhältnis zwischen den so genannten „Gewerkschaften“ und der Arbeiterklasse.

Diese Organisationen, die als Betriebspolizei für das Management fungieren und von Gewerkschaftsfunktionären mit Spitzengehältern geleitet werden, sind völlig abgekoppelt von den Bedürfnissen und Erwartungen der Arbeiter, die sie fälschlicherweise zu „vertreten“ behaupten. Tatsächlich begegnen sie der Belegschaft feindlich. Unter den Bedingungen einer explosiven sozialen Wut geht es ihnen in erster Linie darum, ihre Nützlichkeit für das Management und den Staat zu beweisen, indem sie auf die eine oder andere Weise unternehmensfreundliche Vereinbarungen durchsetzen.

Die US-Regierung unter Präsident Biden umwirbt aggressiv die Gewerkschaften als Instrumente zur Unterdrückung des Widerstands in der Arbeiterklasse. Gleichzeitig dienen ihm die Gewerkschaften, um soziale Opposition abzulenken und in Unterstützung für einen Handelskrieg und eine militärische Konfrontation mit China umzumünzen. Letzte Woche fand die zweite offizielle Sitzung einer gewerkschaftsfreundlichen „Task Force“ des Weißen Hauses statt, bei der hochrangige Mitglieder des Militär- und Wirtschaftskabinetts - darunter der Minister für Innere Sicherheit Alejandro Mayorkas und die Handelsministerin Gina Raimondo - die letzten Vorbereitungen für einen Bericht über die Maßnahmen der Regierung zur Förderung der Gewerkschaften diskutierten.

Die Unterstützer der Gewerkschaften unter den Pseudo-Linken, die selbst mit der Biden-Regierung und der Demokratischen Partei verbunden sind, bezeichnen die Socialist Equality Party und die World Socialist Web Site als „sektiererisch“, weil wir zur Bildung von Aktionskomitees aufrufen. Sie sind vor allem in Sorge, weil die von der WSWS geführte Kampagne für die Entwicklung unabhängiger Organisationen des Arbeiterkampfes auf eine breite Resonanz stößt.

Bei Deere wurden die WSWS-Artikel von Tausenden Mitarbeitenden gelesen, in den Werken verbreitet und in den sozialen Medien geteilt. Wie die Dana-Arbeiter und die Volvo Trucks-Arbeiter vor ihnen hat die WSWS eine zentrale Rolle gespielt und die Deere-Arbeiter bei der Entwicklung ihrer eigenen unabhängigen Initiative unterstützt.

Zweitens ist der Aufschwung der Arbeitskämpfe in den USA Teil eines internationalen Prozesses. Dazu zählen die Streiks von 150.000 Metallarbeitern in Südafrika, von 90.000 Beschäftigten im Gesundheitswesen in Sri Lanka, von Beschäftigten des Gesundheitswesens, der Bahn und der Flughäfen in Deutschland sowie der Streik von Eltern im Vereinigten Königreich am 1. Oktober, der sich gegen die Ausbreitung von Covid-19 richtete. Globale Konzerne wie Deere, der in 70 Ländern tätig ist, können nur beeindruckt werden, wenn sich die Arbeiterklasse über alle nationalen Grenzen hinweg zusammenschließt.

Drittens ist die Zunahme des Klassenkampfes untrennbar mit dem Kampf gegen die Pandemie verbunden. Die herrschende Klasse versucht, die Löhne angesichts der steigenden Preise für Lebensmittel, Treibstoff und andere Güter des täglichen Bedarfs zu drücken. Gleichzeitig werden die Arbeitszeiten immer länger und das Tempo immer höher, um die globale Krise in den Lieferketten und den Arbeitskräftemangel auszugleichen. Letzterer entsteht auch aus der Weigerung von Millionen Arbeitern, in unsicheren Betrieben zu arbeiten.

In den letzten 20 Monaten der Pandemie wurden Millionen von Menschenleben dem Profit der Unternehmen geopfert, während das Vermögen der Milliardäre der Welt um 5,5 Billionen Dollar gestiegen ist. Die Unternehmens- und Finanzoligarchie ist weit davon entfernt, den „Helden“ und „unverzichtbaren Arbeitern“, die Krankheit und Tod ertragen haben, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Sie sind vielmehr entschlossen, die Pandemie auszunutzen, um eine „neue Normalität“ der straffen Ausbeutung zu schaffen. Dies provoziert jedoch eine wachsende Streikwelle in den USA und auf internationaler Ebene. Alle Bemühungen, die Arbeiter durch die Streichung von Arbeitslosenunterstützung und die Beendigung von Räumungsmoratorien zurück in unsichere Betriebe zu zwingen, haben bislang nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht.

Am 1. Mai rief das Internationale Komitee der Vierten Internationale zur Bildung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) auf, um eine weltweite Reaktion der Arbeiterklasse zur Rettung von Menschenleben zu organisieren. Jetzt überschneidet sich der Kampf für die Forderung nach Maßnahmen zur Ausrottung der Pandemie, darunter die Schließung nicht essentieller Betriebe und Schulen, mit einer wachsenden Bewegung gegen die kapitalistische Ausbeutung.

Wir rufen alle Teile der Arbeiterklasse in den USA und international auf, am Online-Webinar der WSWS und der IWA-RFC am 24. Oktober teilzunehmen. Sie trägt den Titel „How to end the pandemic: the case for eradication“ („Wie die Pandemie beendet werden kann: Ein Plädoyer für die Ausrottung des Virus“). Wissenschaftler und Arbeiter werden über den Stand der Pandemie berichten und erklären, weshalb Covid-19 weltweit ausgerottet werden muss.

Loading