Zerschlagung von Opel: Ein neues Stadium des Angriffs auf die Autoarbeiter

Als im Januar die Fusion des Opel-Mutterkonzerns PSA mit Fiat-Chrysler-Automobiles (FCA) bekanntgegeben und mit großem Medienrummel Stellantis (aus dem Lateinischen: „mit Sternen besetzt“) als viertgrößter Autokonzern der Welt aus der Taufe gehoben wurde, schrieben wir auf der WSWS:

Die 43 Milliarden Euro schwere Fusion, die erstmals 2019 angekündigt wurde, wird weitreichende Folgen für die gesamte Autoindustrie haben. Sie kommt einem Signal für einen noch massiveren Angriff auf die Arbeitsplätze von Autoarbeitern auf der ganzen Welt gleich.

Altes Opel-Stammwerk in Rüsselsheim, rechts das Internationale Technische Entwicklungszentrum ITEZ

Genau das findet jetzt statt. Die Entscheidung von Stellantis-Chef Carlos Tavares, den Opel-Verbund zu zerschlagen und die Opelwerke Eisenach und Rüsselsheim in unabhängige Unternehmen zu verwandeln, soll den Arbeitsplatz- und Sozialabbau beschleunigen und die schrittweise Stilllegung der Werke einleiten.

Die Entscheidung richtet sich nicht nur gegen die Opel-Arbeiter, sondern steht in direktem Zusammenhang zu massiven Angriffen auf die Beschäftigten der Auto- und Zulieferbetriebe in ganz Europa und auf der ganzen Welt. VW-Chef Herbert Diess hat auf einer Aufsichtsratssitzung am Dienstag den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen angekündigt. Ford-Deutschland-Chef Gunnar Herrmann hat erklärt, das Ford-Werk Saarlouis stehe auf der Kippe und habe nur eine Zukunft, wenn die Beschäftigten zu extrem weitgehenden Zugeständnissen bereit seien. Er forderte „gigantische Flexibilität“.

Als erstes hatte Ende vergangener Woche das Handelsblatt über die Opel-Pläne von Stellantis berichtet. Unter der Überschrift „Mehr Durchgriff, weniger Mitbestimmung“ schrieb das Wirtschaftsblatt, es gehe vor allem darum, den Mammutkonzern mit 14 unterschiedlichen Automarken (Peugeot, Citroën, DS, Opel, Vauxhall, Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Maserati, Abarth, Chrysler, Dodge, Ram und Jeep) „mit Hilfe einer maximalen Zentralisierung“ zu steuern und durchzurationalisieren.

Angesichts der zunehmenden Konkurrenz auf dem globalen Automarkt und dem Drängen der Aktionäre auf immer höhere Renditen will die Konzernleitung alle Unternehmensbereiche durchforsten, den Konzern ummodeln, Sozialstandards abbauen und Niedriglohnverhältnisse durchsetzen.

Schon jetzt wird mit Hilfe der Gewerkschaften ein Standort gegen den andern ausgespielt. In Eisenach ist die dreimonatige Kurzarbeit der erste Schritt zur Schließung des gesamten Montagewerks. Als Vorwand wird der Halbleitermangel herangezogen, und die Produktion wird nach Sochaux verlagert, wo die Arbeiter dafür unbezahlte Samstagsschichten leisten müssen.

Der Opel-Sprecher erklärte dem Handelsblatt, es gehe in Eisenach und Rüsselsheim darum, „effizientere Lösungen vor Ort umzusetzen“ – das ist eine recht unverhüllte Umschreibung für die Zerschlagung von Errungenschaften, die vom Standpunkt der Aktionäre teure Altlasten sind. Dazu gehören Tariflöhne und Bedingungen, für die Generationen von Arbeitern gekämpft haben, wie die Betriebsrenten, die bei Opel seit rund einem Jahr unter Beschuss stehen. Das Management will sie seit langem absenken und auf Eigenbeteiligung umstellen, um dem Konzern die hohen Rückstellungskosten zu ersparen.

Auch Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffer (CAR) erklärte im MDR, seiner Meinung nach gebe es beim „knallharten Kosten-Optimierer“ Stellantis zweifellos die Überlegung, „dass Eisenach langfristig nicht mehr gebraucht wird“.

Am Stammsitz Rüsselsheim will Uwe Hochgeschurtz, der neue Vorstandschef von Opel Automobile GmbH, das Areal der 150 Jahre alten Adam Opel AG in einen so genannten „grünen Campus“ verwandeln.

Was als große technologische Innovation in Richtung „CO2-neutrales Autofahren“ gefeiert wird, ist in Wahrheit nur der Deckmantel für die Zerschlagung des Opel-Stammwerks. Aus der Produktion sind bereits hunderte Leiharbeiter entlassen und rund tausend Arbeitsplätze durch „freiwillige“ Aufhebung gestrichen worden. Immer wieder wird die Produktion durch Kurzarbeit unterbrochen und monatelang einschichtig geführt. Die Schmiede und der Getriebebau sind geschlossen worden, was allein über 200 Stellen gekostet hat.

In Rüsselsheim zerschlägt Stellantis außerdem seit Jahren schrittweise das Internationale Technische Entwicklungszentrum (ITEZ). Der fusionierte Konzern verfügt mittlerweile über vier Entwicklungszentren in den USA, Paris, Turin und Rüsselsheim. Am deutschen Opel-Stammwerk wurde der französische Entwicklungsdienstleister Segula angesiedelt.

Das ITEZ sei nur noch „ein Schatten seiner selbst“, heißt es unter den Angestellten. Über 4000 seiner ursprünglich 7000 hochqualifizierten Beschäftigten sind entweder an Segula verkauft oder entlassen worden oder haben Aufhebungsverträge unterzeichnet. Im Juli mussten ITEZ-Ingenieure aus ihrem Urlaub mit ansehen, wie ein Dienstleistungsunternehmen von Opel, die SGR Products, Maschinen und Produktionseinheiten aus ihren Betrieben auf Ebay Kleinanzeigen verscherbelte.

Schon bei der Fusion mit FCA im Januar hatte die PSA-Führung angekündigt, im neuen Konzern jährlich fünf Milliarden Dollar an Kosten einsparen zu wollen. Tavares wollte sich damals „von Tag eins an auf die Nutzung von Synergien und auf die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit konzentrieren“. Dies wird jetzt Schritt für Schritt umgesetzt.

Nicht nur in Eisenach und Rüsselsheim sind die Arbeitsplätze bedroht. Auch in Kaiserslautern, wo bisher Motoren für Diesel und Benziner gebaut werden, sind die etwa 1400 Opel-Arbeitsplätze alles andere als sicher.

Zwar soll hier ein neues Batteriezellenwerk entstehen, doch es ist keineswegs gewiss, dass erfahrene Opel-Arbeiter dort künftig Arbeit finden werden. Stellantis hat mit Total-Energies schon eine gemeinsame Gesellschaft, die Automotive Cells Company (ACC), gegründet, um Batterien herzustellen. Auch Mercedes-Benz beteiligt sich mittlerweile an ACC, die bereits an zwei französischen Standorten, in Bordeaux und in Nersac, in Betrieb gegangen ist. Auch in Italien hat Stellantis den Aufbau eines Batteriewerks angekündigt und Subventionszusagen der italienischen Regierung dafür erhalten.

John Elkann, Erbe der milliardenschweren italienischen Agnelli-Dynastie (Fiat, Alfa Romeo, Maserati, Lancia, Abarth), sitzt als Aufsichtsratsvorsitzender im Stellantis-Konzern. Auch in Italien gilt die Produktion in den Augen des Managements als zu kostspielig. Im nächsten Jahr wird die Elektroversion des Maserati aus Grugliasco in das Hauptwerk Mirafiori (Turin) verlagert. Im süditalienischen Melfi werden zwei Produktionslinien zu einer einzigen verschmolzen, ohne Angabe darüber, wie viele Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben.

Im österreichischen Aspern bei Wien wurde die Motorenfertigung mit 300 Stellen bereits geschlossen; noch steht das Getriebewerk (350 Stellen), aber die Produktion ist, wie in Eisenach, bis Anfang Januar 2022 durch Kurzarbeit gestoppt. Ebenso sind in der britischen Vauxhall-Produktion die Arbeitsplätze in Gefahr. Die Brexit-Krise bedroht die Arbeitsplätze bei Vauxhall zusätzlich, und wegen Halbleitermangels standen im September sowohl in Ellesmere Port (1000 Stellen) als auch in Luton (900 Stellen) die Bänder still. Darüber hinaus verzeichnen die Zulieferbetriebe an jedem Standort Tausende von Stellenstreichungen.

Es gibt nur eine Maxime für alle Management-Entscheidungen: Profit. Im August, mitten in der Corona-Pandemie, hat Stellantis für das erste Halbjahr 2021 einen Reingewinn von fast sechs Milliarden Euro ausgewiesen. Dies macht eins deutlich: Die Angriffe auf Arbeitsplätze, Gesundheit und Bedingungen der Beschäftigten können nur in einem gemeinsamen internationalen Kampf aller Autoarbeiter gegen das kapitalistische Profitsystem zurückgeschlagen werden.

Das erfordert eine sozialistische Perspektive und internationale Strategie.

Genau dagegen richtet sich die IG Metall. Sie verteidigt die kapitalistischen Verhältnisse und will unter allen Umständen einen gemeinsamen, weltweiten Kampf aller Autoarbeiter an allen Standorten verhindern. Stattdessen fordert sie vom Stellantis-Management engere Zusammenarbeit und hat Angst, ihre Privilegien und hochbezahlten Posten in den Betriebs- und Aufsichtsräten zu verlieren.

Viele Opel-Arbeiter erinnern sich, wie überschwänglich die IGM-Funktionäre die Übernahme durch PSA vor vier Jahren gerühmt haben. Damals, nach einem Treffen mit Tavares im Februar 2017 in Paris, feierte der langjährige Opel-Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug die Entstehung des neuen „europäischen Automobil-Champion mit deutsch-französischen Wurzeln“ ausdrücklich. Er lobte Tavares, er habe „im Gespräch glaubhaft vermittelt, dass er an einer nachhaltigen Entwicklung für Opel/Vauxhall als eigenständiges Unternehmen interessiert ist. Dieses Interesse teilen wir als Arbeitnehmervertreter.“

Seither waren die führenden IGM-Gewerkschafter intensiv an der Ausarbeitung des Sanierungskonzept „Pace!“ beteiligt, das seit Jahren die Weichen für den Kahlschlag stellte. Allein bei Opel wurden so von 19.000 Arbeitsplätzen innerhalb von weniger als vier Jahren über 5.000 abgebaut. Noch nach der Stellantis-Fusion im letzten Jahr stimmten IG Metall und Betriebsrat ausdrücklich zu, weitere 2100 Arbeitsplätze zu vernichten.

Die Verteidigung der Arbeitsplätze kann nur gegen die korrupte Politik der IG Metall und ihre Zusammenarbeit mit der Konzernleitung erreicht werden. Dazu ist es notwendig, sich unabhängig zu organisieren. In den USA haben bereits Arbeiter in vielen Auto- und Zulieferwerken unabhängige Aktionskomitees aufgebaut, um sich gegen die reaktionäre Politik der US-Autogewerkschaft UAW und ihre ständigen Abgruppierungs-Verträge und Betriebsvereinbarungen mit massiven Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Löhne zur Wehr zu setzen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihr angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien haben im Mai die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees gegründet, um die weltweiten Kämpfe aller Arbeiter zu koordinieren und zu organisieren. Wir rufen alle Opel-Arbeiter auf, sich in von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees zusammenzuschließen, um sich mit Stellantis-Arbeitern und anderen Auto- und Industriearbeitern weltweit zu vereinen. Nehmt mit uns Kontakt auf.

Loading