Sächsische Polizei geht zusammen mit Rechtsextremisten gegen Linke vor

Im Rahmen der Sonderkommission Linx geht die sächsische Polizei zusammen mit Rechtsextremisten gegen Linke vor. Immer neue Enthüllungen über Absprachen und den Austausch von Informationen zeichnen das Bild einer engen Kooperation der staatlichen Stellen und der neonazistischen Szene, die darauf abzielt, diejenigen einzuschüchtern, die sich den Rechten entgegenstellen.

Die Soko Linx wurde im November 2019 durch das Landeskriminalamt Sachsen (LKA) gegründet, um gegen angeblichen „Linksextremismus“ in Leipzig und Umgebung vorzugehen. Tatsächlich wurden linke und antifaschistische Aktivisten mit fadenscheinigen Begründungen und völlig unsicherer Indizienlage aufs Korn genommen und vor Gericht gebracht.

Prominentestes Beispiel ist Lina E. Der 26 jährigen Studentin wird die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie das Schlagen und Treten von gewaltbereiten Neonazis zur Last gelegt. Hintergrund sind Überfälle auf insgesamt sechs Mitglieder der rechtsextremen Szene zwischen August 2018 und Februar 2020. Bei keinem dieser Überfälle konnte Lina E. eine Beteiligung nachgewiesen werden.

Trotzdem wandte die Soko Linx massive Ressourcen auf, um ihr Konstrukt zu stützen. Begleitet wurde das von einer umfassenden Medienkampagne. Nun wurde aufgedeckt, dass es sich sowohl bei den Ermittlungen der Soko Linx als auch bei vermeintlichen Presseinformationen um eine Art Joint Venture aus sächsischer Polizei und der rechtsextremistischen Szene handelt.

Die Verteidigung von Lina E. erklärte bereits bei der Prozesseröffnung am 8. September 2021, dass Details der Medienberichterstattung darauf hinweisen, dass das rechtsextreme Magazin Compact und Focus Online zur gleichen Zeit Zugang zu den Ermittlungsunterlagen erhielten wie sie. Die Autoren, darunter Mario Alexander Müller, der den rechtsextremen „Identitären“ nahestand, veröffentlichen teilweise volle Namen von Beschuldigten des Verfahrens, interne Polizeifotos und Vorstrafen. Als Quelle für die Fotos werden Ermittlungsakten der Polizei angeben. Man habe „tausende Seiten Fallakten gesichtet“.

Vor Monaten stellten daher Lina E.s Verteidiger Strafanzeige gegen Unbekannt wegen der strafbaren Weitergabe von Ermittlungsakten durch die Ermittlungsbehörden. Ulrich von Klinggräff, Verteidiger von Lina E., erklärt hierzu: „Wir haben schon lange konkrete Hinweise darauf, dass es von Mitarbeitern des Soko Linx zur gezielten Weitergabe von Aktenbestandteilen auch an rechtsradikale Medien gekommen ist (…) Es erhärtet sich der Verdacht einseitiger und politisch orientierter Ermittlungen.“

Die Ermittlungen und Recherchen zeichnen zunehmend das Bild einer Polizei, die rechtsextremen Elementen nicht nur nahesteht, sondern vielmehr selbst als Teil eines rechtsextremen Netzwerk operiert. Offenbar sticht sie systematisch Informationen an Rechtsextreme durch und arbeitet mit ihnen auf das Engste zusammen.

Als der Kriminaloberkommissar des Landeskriminalamts (LKA) Sachsen, Patrick H., am 30. September als Zeuge beim Prozess vor dem Staatsschutzsenat im Oberlandesgericht Dresden erschien, wurde er von seinem Anwalt, Mark Hirschmann, begleitet, Spezialist für Beamtenrecht, Disziplinarrecht, Arbeitsrecht und Strafrecht. H. sollte dort eigentlich als Zeuge im Verfahren gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte befragt werden. Als Patrick H. gefragt wurde, ob gegen ihn oder die Soko Linx Ermittlungen laufen, wollte H. darauf nicht antworten. Er könne sich selbst belasten. Das Gericht brach danach die Zeugenbefragung ab.

Nach Anfrage der taz ist nun klar: Laut der Staatsanwaltschaft Chemnitz wird gegen den Polizist Patrick H. wegen Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt. Laut der Leipziger Zeitung (LZ) liegen nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Dresden seit 8. Juni 2021 insgesamt drei Strafanzeigen bei der Chemnitzer Staatsanwaltschaft gegen unbekannt vor. Anzeige erstatteten demnach das LKA Sachsen selbst, der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung und der Rechtsanwalt Christian Avenarius des Mandanten Henry A.

Laut einem Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden handelt es sich bei den Vorwürfen im Kern um den „Verdacht des Ausspähens von Daten und Datenhehlerei“ im Falle einer E-Mail an die Stadt Leipzig mit Daten aus Henry A.s, von der Polizei konfisziertem, Handy, sowie der „Verletzung des Dienstgeheimnisses im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Durchsuchung bei Henry A. am 28. April 2021“. Immer mehr Indizien weisen in Richtung Patrick H., der nun verdächtigt wird, die Dateien verschickt zu haben.

Die Wohnung des Sachbearbeiters und Angestellten des Bauordnungsamts Leipzig, Henry A., war am 28. April dieses Jahrs von der Polizei durchsucht worden. Er wurde verdächtigt, bei einer Auseinandersetzung im sächsischen Neukieritzsch im September 2019 Teil einer gewaltbereiten Fußballfangruppe gewesen zu sein. Einziges Argument für die Wohnungsdurchsuchung war, dass ein angeblich szenekundiger Gutachter die Vermutung anstellte, Henry A. sei in einem Videoauszug durch seine allgemeine Statur und die Augenpartie, trotz Sturmhaube, erkennbar gewesen.

Dem Landesgericht reichte diese hauchdünne Begründung für einen Durchsuchungsbefehl und die Beamten beschlagnahmten u.a. sein Handy, seinen Dienstrechner und bauamtliche Unterlagen der Stadt, die A. von Zuhause aus bearbeitete. Am darauffolgenden Tag erschien ein Artikel des rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Magazins Compact mit dem Titel „Mutmaßlicher Antifa-Gewaltäter arbeitet im Rathaus“. Das Magazin der neurechten Figur Jürgen Elsässer veröffentlichte weitere Artikel mit Informationen aus dem Privatleben A.s, u.a. Einzelheiten seiner Krankheitsgeschichte und aus Ermittlungsakten.

Dazu kommt, dass Ende Mai Emails auftauchen, die an verschiedene Stellen der Leipziger Stadtverwaltung versandt wurden. Sie beinhalten PDF-Dateien, in welchen frühere Strafbefehle gegen A. wegen Fahrerflucht und Fahren ohne Fahrerlaubnis gespeichert waren. Die Dateien waren ebenfalls auf dem Handy. In der Mail hieß es: „Liebe Kolleginnen und Kollegen der Stadt Leipzig, wie ich euch schon länger mitteilen wollte, habe ich in meiner Freizeit ein paar spezielle Hobbies.“ Einen Ausschnitt aus einem der Strafbefehle veröffentlichte das Compact-Magazin zwei Woche später.

Auffällig ist hier nicht nur, dass Compact sich mit „exklusiven“ Informationen der polizeilichen Ermittlungen brüstet, sondern auch, dass diese Entwicklungen sich häufen. Nicht nur dringen polizeiliche Informationen nachweislich in rechtsextreme Kreise. Auch umgedreht stützt sich die Polizei bei ihren Ermittlungen auf Informationen von Rechtsextremen.

Im Mai dieses Jahrs erklärte das Magazin in einem anderen Fall vor dem Leipziger Landesgericht, einer ihrer Quellen sei Enrico Böhm, führendes Mitglied der NPD und ehemaliges Stadtratsmitglied, der wiederum unter Eid bekundete, er habe Information von einem LKA-Beamten erhalten, den er sogar benannte.

Der Staatsschutz wiederum nahm im Oktober 2018 ein 14-seitiges Dossier mit Namen, Fotos sowie Personenbeschreibungen und -beziehungen von vermeintlichen Linksextremen aus Leipzig entgegen. Die Informationen stammen von der Ex-Partnerin Böhmes, Annemarie K. Sie gab zu Protokoll, den Ermittlungsakten gegen einen befreundeten Neonazi eine private Handynummer eines vermeintlichen „Linksextremen“ entnommen zu haben. Damit habe sie dessen Profilbilder auf Messengerdiensten wie Telegram und Whatsapp gespeichert und weitere Informationen in den sozialen Netzwerken recherchiert. Dieses Bildmaterial übergab Annemarie K. dann dem LKA und es wird nach wie vor in anderen Ermittlungsverfahren verwendet. Unterlagen, die der Leipziger Zeitschrift Kreuzer vorliegen, belegen, dass die Soko Linx dieses Dossier bei ihrer Suche nach „Linksextremen“ verwendet.

Der Kriminaloberkommissar Patrick H. trifft auch nicht zum ersten Mal auf Henry A. Er war persönlich für dessen Überwachung und Abhörung im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme (TKÜ) in den Jahren 2013 bis 2016 zuständig. Damals ging es im „BSG-Chemie-Verfahren“ um Ermittlungen wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ im Dunstkreis eines Leipziger Fußballvereins. Indessen Verlauf wurden mindestens 254 Personen in den Akten erfasst. Darunter sieben Journalisten, aber auch Telefonate und SMS-Nachrichten mit Rechtsanwälten und Ärzten.

Privat führt Patrick H. eine Bürgerinitiative im Leipziger Stadtteil Leutzsch gegen ein Bauunternehmen an, das ausgerechnet durch Henry A. als zuständigem Sachbearbeiter der Stadt bewilligt wurde. Eine Mail der Frau H. an die Stadt zog die Legitimität der Bewilligung mit Verweis auf den Hintergrund des Sachbearbeiters Henry A. in Frage. In Hinzunahme von mehreren Artikeln der LZ zum „BSG-Chemie-Verfahren“ erklärte sie, dass diese „doch sehr an der Seriosität und Integrität des städtischen Mitarbeiters zweifeln lassen“. Der Anwalt Henry A.s wies darauf hin, dass nur ein sehr kleiner Personenkreis von der Zuständigkeit A.s für die Bewilligung des Bauunternehmens sowie von den Ermittlungen der Soko Linx gegen A. wussten.

Auch hier entsteht der Verdacht, dass Patrick H. polizeiliche Ermittlungsdaten missbrauchte. Eine Presseanfrage des Compact-Magazins vom Juni soll an die Arbeitsmailadresse von Henry A. gegangen sein. Diese ist jedoch nicht öffentlich zu finden, war aber Patrick H. und seiner Frau bekannt.

Der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die weit fortgeschrittene Entwicklung der rechtsextremen Verschwörung im Staatsapparat, die zunehmend offener und stärker auf faschistische Elemente setzt, um gegen jeden linken Protest in der Bevölkerung vorzugehen. Letztendlich richten sich all diese Bemühungen gegen den zunehmenden Protest der Arbeiterklasse gegen die kapitalistischen Eliten. Das unterstreicht die Bedeutung der Klage der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz, der im Auftrag der Bundesregierung sozialistische Ideen kriminalisieren will. Unterschreibt deshalb noch heute die Petition zur Verteidigung der SGP.

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