Volkswagen-Betriebsversammlung in Wolfsburg kündigt heftige Auseinandersetzungen an

Auf der gestrigen Betriebsversammlung im Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg kündigten sich heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Konzern und der Belegschaft an – nicht nur in Wolfsburg mit fast 60.000 Beschäftigten, sondern auch in den anderen deutschen und internationalen Werken.

VW-Gesamtkonzernchef Herbert Diess plant, den Konzern schnellstmöglich auf Elektromobilität umzustellen, insbesondere das Stammwerk. Auf einer Aufsichtsratssitzung Ende September hatte er den dadurch bedingten Abbau auf bis zu 30.000 Arbeitsplätze beziffert.

VW-Werk Wolfsburg (Bild: Volkswagen AG)

Als dies Mitte Oktober bekannt wurde, waren die Arbeiter empört. Denn sie hatten weder von den IGM-Funktionären noch von den Betriebsräten im Aufsichtsrat davon etwas gehört. Die Vorsitzende des VW-Gesamt- und Konzernbetriebsrats Daniela Cavallo – auch sie sitzt im Aufsichtsrat – versuchte die Wogen zu glätten und die Arbeiter zu beruhigen.

Gestern wiederholte sie in ihrer Rede vor mehreren zehntausend Arbeitern, von denen wegen Corona nur 7000 vor Ort waren, die vereinbarte Beschäftigungsgarantie bis 2029 habe „grundsätzlich“ Bestand. Diess warf sie vor, mit den Ängsten der Beschäftigten zu spielen. Das Gerede vom Abbau zehntausender Stellen sei „inhaltlicher Unfug“ und verunsichere die Beschäftigten, von denen viele seit Beginn der Corona-Pandemie ständig in Kurzarbeit sind.

Diess selbst erwähnte in seinen Worten an die Belegschaft keine konkrete Zahl, bereitete sie aber auf den Abbau von Arbeitsplätzen vor. „Die heute bestehenden Jobs werden innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre sicher weniger – vor allem in der Verwaltung auf Konzernebene, aber auch in der Produktion und in der Entwicklung“. Gleichzeitig komme zwar neue und andere Arbeit hinzu. Es war aber klar, dass viele, die ihm zuhörten, ihren Job verlieren werden, wenn es nach seinem Willen geht.

Lange Zeit konnten die IG Metall und ihre Betriebsräte die weit über 600.000 Beschäftigten des Volkswagen-Konzerns, davon rund 120.000 in Deutschland, den Interessen der Aktionäre unterordnen, zu denen auch das SPD-regierte Land Niedersachsen zählt. Der Abbau von Arbeitsplätzen wurde meist über Fluktuation, Abfindungen und Sozialpläne vom Betriebsrat ausgearbeitet und umgesetzt. Zuletzt unterschrieb der VW-Betriebsrat 2016 einen „Zukunftspakt“, dem bis 2025 30.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen.

Sowohl die IG Metall und ihre Funktionäre in den Aufsichtsräten als auch die Betriebsräte in den Werken profitierten davon. Unter Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh strichen die Betriebsräte Millionenzahlungen in Form von Gehältern und Aufsichtsratsvergütungen ein, er selbst bekam in besten Zeiten 750.000 Euro im Jahr. Viele wurden durch die Übernahme von Posten im Konzern selbst zu Einkommensmillionären – wie zuletzt Osterloh selbst, der als Vorstandsmitglied zur LKW-Tochter Traton wechselte.

Doch nun lässt der gnadenlose Verdrängungswettbewerb in der Autoindustrie im Zuge der Elektromobilität diese gewachsene Korruption – verharmlosend mit Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft umschrieben – zusammenbrechen.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte bereiten sich darauf vor, zehntausende Arbeitsplätze zu vernichten. Als erstes ging das Hauen und Stechen untereinander los. Eigentlich sollte der Aufsichtsrat am 12. November die Aufteilung der Investitionen in Höhe von rund 150 Milliarden Euro auf die weltweit etwa 120 Werke bis 2025 beschließen.

Doch diese Planungsrunde ist auf den 9. Dezember verschoben worden. Denn im Vorfeld waren mehrere deutsche Werke bereits als neue E-Auto-Produktionsstätten ausgewählt worden, außen vor blieb vor allem das Stammwerk in Wolfsburg. Cavallo wollte Produktionszusagen aus anderen Werken nach Wolfsburg umleiten.

Doch in dem Multi-Markenkonzern ist Cavallo nicht der einzige Platzhirsch. Auch die Betriebsratsvorsitzenden von Porsche und Audi schalteten sich ein. Im Nutzfahrzeugwerk in Hannover sollten laut vorläufiger Planung vom November letzten Jahres eigentlich neue Elektromodelle von Porsche und Audi gefertigt werden, um die Produktion auch künftig auszulasten. Doch Porsche ziehe nun seine Zusage für die Gemeinschaftsproduktion zurück, berichtete kürzlich das Handelsblatt.

Cavallo und der VW-Betriebsrat werfen Diess vor, dass er dies zulasse. IG Metall und Cavallo haben daher schweres Geschütz aufgefahren und Diess in einer vorbereitenden Sitzung des Aufsichtsrats das Vertrauen abgesprochen. Diess soll angeblich wieder vor seinem Rauswurf stehen.

„Wie es weitergehen wird und ob es einen Kompromiss geben könnte, entscheiden der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und die Betriebsratschefin Daniela Cavallo“, schreibt das Handelsblatt. Sie sind die Mitglieder des Vermittlungsausschusses im Aufsichtsrat.

Doch in Wirklichkeit dienen diese Scharmützel der Vorbereitung der anstehenden gewaltigen Angriffe, da ist Cavallo ganz Schülerin Osterlohs. Auch ihr Vorgänger polterte gerne gegen Diess los, den er selbst von BMW nach Wolfsburg geholt hatte, wie er gerne zu Protokoll gab. Am Ende haben dann beide die Interessen der Aktionäre gegen die Belegschaft durchgesetzt.

Doch nun könnten diese abgekarteten Spielchen nicht mehr ausreichen, zu groß ist der geplante Abbau von Arbeitsplätzen. Offensichtlich halten nicht alle in der Gewerkschaft Cavallo dafür geeignet.

Anders kann man die Ankündigung des langjährigen VW-Betriebsrats- und Wolfsburger IGM-Funktionärs Frank Patta nicht verstehen, Ende des Monats eine eigene Liste vorzustellen, mit der er in der Betriebsratswahl im kommenden Jahr gegen die offizielle IGM-Liste antreten möchte.

Patta war von 2006 bis 2011 Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Wolfsburg. 2012 holte ihn Osterloh in den VW-Betriebsrat, machte ihn zum Generalsekretär und übertrug ihm die Aufgabe, dem Welt- und Europakonzernbetriebsrat vorzustehen. 2018 musste Patta diesen Posten, der ihn in alle Welt führte, wieder abgeben. Er wurde nun „einfacher“ Betriebsrat in der Produktion.

Patta verkörpert den klassischen Gewerkschaftsbürokraten. In seiner Eigenschaft als Wolfsburger IGM-Bevollmächtigter führte er Auseinandersetzungen mit Betriebsräten und IGM-Mitgliedern, die eine eigene Liste gegen die offizielle IGM-Liste aufgestellt hatten – wie es Patta nun selbst angekündigt hat. Damals, 2011, strengte er ein Untersuchungsverfahren gegen die Mitglieder der Liste MIG 18 an, das er später einstellte. Patta verlangte u. a., dass sie sich nicht negativ oder abschätzig über die IG Metall äußern und Anweisungen des Vorstandes oder Ortsvorstandes Folge leisten. Bei Verstoß dagegen wäre ein Ausschlussverfahren eröffnet worden.

Als Generalsekretär für „internationale Zusammenarbeit“ wachte er dann in aller Welt über die Einhaltung von Regeln, die die IG Metall aufgestellt hatte. Als sich im Jahr 2017 Leiharbeiter des chinesischen VW-Werks hilfesuchend an den Weltbetriebsrat wandten, bügelte er sie ab. Monatelang hatten die chinesischen Arbeiter vergeblich für gleiche Löhne gekämpft, wie es VW ihnen vertraglich zugesichert hatte, zum Schluss wurden sogar ihre Anführer inhaftiert. In einem Brief schrieben damals Osterloh und Patta, sie könnten „die von Ihnen erhobenen Vorwürfe in dieser Form leider nicht verifizieren“.

Dieser langjährige Bürokrat will in diesem Monat „Die andere Liste“ (so der Listenname) vorstellen, mit der er bei der VW-Betriebsratswahl im Februar 2022 antreten möchte. Seine Kritik gilt dabei einzig und allein dem Betriebsrat unter Cavallo. „Ich habe nicht vor, aus der IG Metall auszutreten“, sagt Patta. „Wir müssen wegkommen von der Betriebsratsmonarchie, bei denen ganz wenige Entscheidungen treffen, die die übrigen Betriebsräte dann der Belegschaft vermitteln müssen.“

Patta ist inzwischen aus der IG-Metall-Fraktion ausgeschlossen worden und hat seinen Betreuungsbereich in der VW-Montage verloren. Betriebsrat und IG Metall werfen ihm vor, er kandidiere, weil er im Sommer den angestrebten Posten als Koordinator im Betriebsrat nicht erhalten habe.

Auch hier liegen die wirklichen Gründe tiefer. Patta ist Betriebsrat in der Produktion und bekommt unmittelbar die Stimmung im Werk mit. Der Grund für seine Kandidatur sei „die Sorge um die Arbeitsplätze hier in Wolfsburg, insbesondere in der Produktion,“ sagte er der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung. Das Verbrenner-Aus sei beschlossen, in Wolfsburg würden aber bis auf einige Hybride nur Verbrenner gebaut. „Nicht einmal ich als Mitglied des Betriebsrats habe nähere und belastbare Information.“

Die Beschäftigten sorgten sich um ihre Jobs. „Nicht nur mit Blick auf die Zukunft, sondern auch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation am Standort mit anhaltender Kurzarbeit.“ Dass schon vor Corona eine Schicht an der Montagelinie 1 gestrichen wurde, trage in dieser Situation „nicht gerade zur Beruhigung bei“.

Sein Gerede über „Intransparenz“ des Betriebsrats unter Osterloh und jetzt Cavallo, die sich als Co-Manager statt Kontrolleure des Vorstands verstünden, und über deren Gekungel in „Hinterzimmern oder Werksfliegern“ dient dazu, die wachsende Opposition im Werk einzufangen. Der sich entwickelnde Widerstand der Arbeiter soll so in eine Sackgasse geführt werden.

Patta steht nicht für die Interessen der Belegschaft, sondern der Gewerkschaft, der er seit Jahrzehnten angehört, die wiederum den Aktionären verpflichtet ist. Die Wirtschaftswoche beschreibt diese Funktion von Patta lapidar: „Auch Patta weiß, dass der 663.000-Mitarbeiter-Gigant Volkswagen eine Radikalkur braucht.“

Pattas Erklärung, man könne „nur mit einer starken demokratischen und transparenten Opposition im Betriebsrat Dinge ändern und Entscheidungen beeinflussen“, ist eine gefährliche Illusion.

VW-Arbeiter sollten die Lehren aus der Schließung des Opel-Werks in Bochum studieren. Dort rebellierten die Arbeiter wiederholt gegen den Konzern und den IGM-geführten Betriebsrat. Immer schaltete sich die innerbetriebliche Opposition ein – mit der gleichen Kritik und den gleichen platten Parolen wie jetzt Patta.

Als der oppositionelle Gewerkschafter Peter Jaszczyk – lange Zeit Mitglied der stalinistischen DKP, später der PDS und zum Schluss der SPD – 1996 Betriebsratsvorsitzender wurde, machte er dort weiter, wo der offizielle sozialdemokratische IGM-Betriebsrat aufgehört hatte: mit der Organisierung eines Ausverkaufs nach dem anderen.

Nach Jaszczyk übernahm nach kurzem Zwischenspiel eines SPD-Betriebsrates 2004 mit Rainer Einenkel das nächste langjährige DKP-Mitglied den Vorsitz im Betriebsrat. Innerhalb von zehn Jahren wickelte er das Werk schließlich ab. Ende 2014 lief der letzte Opel in Bochum vom Band.

Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen ist nur in unversöhnlicher Opposition zur IG Metall und völlig unabhängig von ihr möglich. Dazu müssen von Arbeitern Aktionskomitees aufgebaut werden, um den Kampf gegen Vorstand, Gewerkschaft und Betriebsrat und den geplanten Angriffen auf Arbeitsplätze und Löhne zu organisieren.

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