Südafrikanische Regierung lehnt neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Omikron-Variante ab

Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa hat trotz einer neuen Welle der Pandemie durch die Omikron-Variante die Einführung neuer Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben ausgeschlossen. Das südafrikanische National Institute for Communicable Diseases (Institut für ansteckende Krankheiten) hat vor kurzem neue Daten veröffentlicht, laut denen die Positivrate bei Tests von ein Prozent auf fast zehn Prozent angestiegen ist. Dieser plötzliche Anstieg hat große Besorgnis ausgelöst.

Genau wie seine internationalen Amtskollegen hat dieser milliardenschwere ehemalige Gewerkschaftsführer und Vorsitzende der Regierungspartei – des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der seit dem Ende der Apartheid 1994 regiert – deutlich gemacht, dass seine einzige Sorge den Profiten der Finanzelite gilt.

Ramaphosa wetterte gegen die Einführung internationaler Einreiseverbote für Südafrika und andere Länder im südlichen Afrika, nachdem südafrikanische Wissenschaftler die neue Omikron-Variante identifiziert hatten, die auf die modernsten Einrichtungen Afrikas zur Genomsequenzierung zugreifen konnten. Zuvor waren vier ausländische Diplomaten bei der Ausreise aus Botswana am 11. November positiv getestet worden, am 24. November wurde die Variante durch Genomsequenzierung bestätigt. Der deutliche und plötzliche Entwicklungssprung des Coronavirus, der sich in der beispiellosen Zahl von Mutationen des Genoms zeigt, könnte das völlig unzureichende Gesundheitssystem des Landes überwältigen und unvorstellbares Leid verursachen.

Menschen warten am 1. Dezember 2021 in Lawley, südlich von Johannesburg (Südafrika), auf eine Impfung gegen Covid-19 (AP Photo/Shiraaz Mohamed)

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den neuen Stamm von Covid-19, der bereits in mindestens zwanzig Ländern entdeckt wurde, als „besorgniserregende Variante“ eingestuft. Hierbei handelt es sich um eine Kategorie, von der das größte Risiko ausgeht, da der Virus sich aufgrund seiner Mutationen schneller ausbreiten, ernstere Krankheitsverläufe hervorrufen oder den Impfschutz beeinträchtigen kann. Der bisher früheste identifizierte Fall wurde im Oktober in Nigeria entdeckt.

Ramaphosa forderte die sofortige Aufhebung der Einreiseverbote, weil sie zusätzlichen wirtschaftlichen Schaden verursachten, vor allem für die südafrikanische Tourismusbranche, in der 4,5 Prozent der Bevölkerung beschäftigt sind, und die drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Im Jahr 2020 verlor sie zehn Milliarden Dollar durch fehlende Buchungen, Schätzungen zufolge verliert sie durch die Aussetzung von Flügen aus wichtigen Märkten derzeit etwa zehn Millionen Dollar pro Woche.

Ramaphosa fügte hinzu: „Es gibt keine wissenschaftliche Rechtfertigung dafür, diese Einschränkungen beizubehalten. Wir wissen, dass dieser Virus, genau wie alle Viren, mutiert und neue Varianten entstehen.“ Diese Behauptung wird durch die Erfahrung Chinas widerlegt, das die Zahl der Todesopfer durch den Virus mit zahlreichen Maßnahmen wie Reiseverboten auf weniger als 6.000 begrenzt hat.

Er erklärte, Südafrika werde weiterhin auf Coronavirus-Alarmstufe 1 bleiben, der niedrigsten Stufe. Statt weitere Einschränkungen anzukündigen, forderte Ramaphosa lediglich alle Bürger zur Impfung auf. Er werde eine Impfpflicht für bestimmte Bereiche und Aktivitäten erwägen. Bereits zuvor hatte er auch die Einführung von Impfpässen ins Spiel gebracht, ohne die Personen keinen Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen erhalten würden. Die Maskenpflicht bleibt ebenso bestehen wie eine Ausgangssperre von Mitternacht bis vier Uhr morgens.

Die dritte Welle in Südafrika war das Ergebnis der unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen, die von den Regierungen in aller Welt umgesetzt wurden, um die Wirtschaft wieder zu öffnen. Jetzt erklärt Ramaphosa, dass selbst diese begrenzten Mitigationsmaßnahmen inakzeptabel seien. Sein Beharren auf Impfungen als einziger Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung wird konterkariert durch das kriminelle Versagen, Impfstoffe für einen Großteil der Weltbevölkerung zur Verfügung zu stellen. Die Großmächte haben nicht nur Impfstoffe aufgekauft und gehortet, sondern auch die Welthandelsorganisation daran gehindert, die Regeln für Patente zu lockern. Auch das COVAX-Programm der Vereinten Nationen wurde weder finanziert noch mit Impfstoff versorgt. Deshalb sind nur sieben Prozent der Gesamtbevölkerung Afrikas vollständig geimpft.

In Südafrika sind nur vierundzwanzig Prozent, d.h. knapp über sechzehn Millionen Menschen, vollständig geimpft, nur 36 Prozent haben die Erstimpfung erhalten, obwohl sich die Regierung das Ziel gesetzt hat, bis zum Ende des Jahres 70 Prozent der Erwachsenen zu immunisieren. Obwohl die Versorgung jetzt sicherer ist, liegt das Impfniveau nur halb so hoch wie die wöchentliche Zielvorgabe.

Laut einer aktuellen Umfrage sind 72 Prozent der Bevölkerung bereit, sich impfen zu lassen oder haben es bereits getan, doch die Impfquote hängt größtenteils davon ab, welcher Klasse jemand angehört oder welche Hautfarbe er oder sie hat. Weiße werden eher geimpft, weil sie häufiger Vermögen, Krankenversicherung und Autos besitzen und deshalb besseren Zugang zu Impfstationen haben. Ärmere Arbeiter, darunter die vier Millionen registrierten Immigranten und etwa zwei bis fünf Millionen nicht registrierte Arbeiter, die in ständiger Angst vor Schikane und Abschiebung leben, sind vom unzuverlässigen öffentlichen Verkehrssystem abhängig, verlieren einen halben Tageslohn und müssen in öffentlichen Kliniken länger warten.

Laut dem National Institute for Communicable Diseases hat sich der gleitende 7-Tages-Durchschnitt in Südafrika in der letzten Woche von 4.717 auf 19.292 vervierfacht. Am Mittwoch wurden erneut 8.561 Fälle gemeldet.

Die neue Variante ist verantwortlich für ganze 75 Prozent aller derzeit sequenzierten Coronavirus-Fälle, und diese Zahl wird vermutlich bald auf 100 Prozent ansteigen. Es wird befürchtet, dass es sich um den bisher infektiösesten Stamm des Virus handelt, und dass er wegen der hohen Zahl von Mutationen möglicherweise den Impfschutz umgehen kann. Ein weiterer Grund zur Beunruhigung ist, dass es sich bei einigen Fällen um Geimpfte handelt.

Die neue Variante wurde zwar in fast jeder Provinz entdeckt, doch die Zahl der Infektionen schießt besonders in Gauteng in die Höhe, wo sich die wirtschaftliche- und die administrative Hauptstadt Südafrikas, Johannesburg bzw. Pretoria befinden, und wo ein Viertel der Bevölkerung lebt. In Gauteng wurden diese Woche 580 Menschen mit Covid in Krankenhäuser eingewiesen, was einen Anstieg um mehr als 300 Prozent bedeutet. Weniger als 40 Prozent der zwölf Millionen Einwohner der Provinz haben mindestens eine Dosis des Impfstoffs erhalten, was den drittniedrigsten Wert der zwölf Provinzen darstellt.

Südafrika verzeichnet bisher fast drei Millionen Infektionen und etwa 90.000 Tote, die Übersterblichkeit deutet jedoch darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der direkt oder indirekt von der Pandemie verursachten Todesfälle bis zu dreimal höher ist. Die Entstehung neuer Virenstämme ist besonders beunruhigend, wenn man die zunehmenden Hinweise darauf berücksichtigt, dass die große Prävalenz von HIV das Risiko von Mutationen des Coronavirus erhöht. Professor Tulio de Oliveira, Genetiker der University of KwaZulu-Natal und Mitglied des Teams von Wissenschaftlern, die Omikron identifiziert haben, erklärte, mit Covid infizierte Patienten mit geschwächtem Immunsystem könnten das Virus nur schwer aus ihren Körpern bekommen und mit der Zeit zu „Fabriken für Varianten“ werden.

Laut Salim Abdool Karim, dem obersten Berater der Regierung während der ersten Reaktion auf die Pandemie und Professor an der südafrikanischen University of KwaZulu-Natal und der Columbia University in den USA, könnte sich die Zahl der Infektionen bis Ende der Woche auf über 10.000 pro Tag erhöhen, da sich die neue Omikron-Variante rapide ausbreitet. Er warnte, die bestehenden Impfstoffe würden zwar wirksam schwere Erkrankungen verhindern und die Symptome wirkten derzeit milde – wobei die bisherigen Fälle unter jungen Menschen entdeckt wurden, bei denen die Symptome ohnehin oft milde sind. Allerdings würden die südafrikanischen Krankenhäuser unter Druck geraten, weil die Geschwindigkeit der Übertragungen innerhalb von zwei oder drei Wochen zu einer Flut von Einweisungen führen könnte.

Die ANC-Regierung hat das öffentliche Gesundheitssystem ausgehöhlt, während der kleine und gut ausgerüstete Privatsektor, der der Elite dient, auf einen Großteil der Ärzte, Spezialisten und Pflegekräfte zugreifen konnte.

Ramaphosa musste zugeben, dass das öffentliche Gesundheitssystem im letzten Juni während der dritten Infektionswelle am Rande des Zusammenbruchs stand. Ein großes Krankenhaus musste Anfang des Jahres nach einem Brand geschlossen werden, andere mussten Patienten wegschicken, weil Sauerstoff fehlte. Einige mussten wegen Personalmangel schließen, wobei Ärzte Dutzende von Telefonaten durchführen mussten, um Patienten in Lebensgefahr ein Bett zu sichern. In Gauteng wurde das medizinische Personal des Militärs mobilisiert, um Pflegekräften zu helfen und Tests und Kontaktnachverfolgungen durchzuführen.

Der grauenhafte Zustand der öffentlichen Versorgung in Südafrika ist das Ergebnis der drei Jahrzehnte andauernden Unterdrückung der revolutionären Bestrebungen der schwarzen Arbeiterklasse durch den ANC. Dessen größte Leistung bestand darin, durch Programme wie „Black Economic Empowerment“ eine schwarze Kapitalistenklasse neben der weißen heranzuzüchten. Die Kommunistische Partei Südafrikas hat dies politisch durch die stalinistische Zweistufentheorie abgesegnet, laut der das formelle Ende der Apartheid ein notwendiges demokratisches Stadium darstellt, bevor ein Kampf für den Sozialismus geführt werden kann.

Die Pandemie hat alle schwelenden sozialen Konflikte in extremer Form verschärft. Die nationale Bourgeoisie, die von den Großmächten abhängig ist und eine Revolution von unten fürchtet, kann die grundlegenden sozialen und gesundheitlichen Probleme der Massen nicht lösen. Nur die Arbeiterklasse kann dies tun.

Eine Bekämpfung des Coronavirus auf wirklich wissenschaftlicher Grundlage, bei der Menschenleben Vorrang vor Profiten haben, ist nur dann möglich, wenn die Arbeiterklasse den Kampf in die eigene Hand nimmt. Zu diesem Zweck muss das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) in Südafrika aufgebaut werden.

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