Die Covid-19 Pandemie, die Rückkehr des Klassenkampfs und die Aufgaben der Sozialistischen Gleichheitspartei

Vom 19. bis 22. November fand der ordentliche Parteitag der Sozialistischen Gleichheitspartei, der deutschen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, statt. Wir veröffentlichen hier die Resolution, die von den Delegierten einstimmig verabschiedet wurde. Der neue Parteivorstand wählte Christoph Vandreier zum neuen Vorsitzenden und Dietmar Gaisenkersting zum stellvertretenden Vorsitzenden der SGP. Der langjährige Parteivorsitzende Ulrich Rippert wurde vom Parteivorstand zum Ehrenvorsitzenden gewählt und Johannes Stern zum Herausgeber und Chefredakteur der deutschen Ausgabe der World Socialist Web Site.

***

1. Der Parteitag der SGP findet unter außerordentlichen Bedingungen statt, die eine entschiedene Entwicklung unserer politischen Arbeit erfordern. Vor zwei Jahren kamen wir auf der Grundlage eines Rückblicks auf die Geschichte der trotzkistischen Bewegung zu dem Schluss, dass das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) in die fünfte Phase der Geschichte der trotzkistischen Bewegung eingetreten ist. Sie ist durch die Überschneidung des Programms und der Prinzipien des IKVI mit einem neuen revolutionären Aufschwung der internationalen Arbeiterklasse gekennzeichnet. Die Interventionen der Partei sind unter diesen Bedingungen selbst ein entscheidender Teil der objektiven Entwicklung und gewinnen größte Bedeutung. Das zeigt sich in allen wichtigen politischen Fragen.

Die Pandemie und der Kampf für die Eliminierung von Covid-19

2. Die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale haben die Pandemie von Anfang an als Trigger Event bezeichnet, als ein „auslösendes Ereignis“, das die bereits weit fortgeschrittene wirtschaftliche, soziale und politische Krise des kapitalistischen Weltsystems enorm beschleunigt.

3. Der Ausbruch der Pandemie fiel in eine Zeit, die bereits geprägt war von massiver sozialer Ungleichheit, einer Hinwendung der herrschenden Klasse zu autoritären Herrschaftsformen und einem Anwachsen des imperialistischen Militarismus, der die Gefahr eines dritten Weltkriegs heraufbeschwört. Das Virus kennt keine nationalen Grenzen, jedes Land wird von denselben sozialen und politischen Konflikten erschüttert. Diese internationale Krise, die schon jetzt Millionen Menschenleben gekostet hat, erfordert eine globale Lösung.

4. Fast zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie sind offiziell über 5 Millionen Menschen dem Virus zum Opfer gefallen – davon mehr als 1,3 Millionen in Europa und fast 100.000 in Deutschland. Solche Zahlen sind außerhalb von Kriegszeiten beispiellos, und die tatsächlichen Todeszahlen liegen noch weitaus höher. Laut einem von The Economist erstellten Übersterblichkeits-Tracker beträgt die wirkliche Zahl der Todesopfer weltweit 16,7 Millionen Menschen und damit etwa so viele wie im Ersten Weltkrieg. Jeden Monat sterben aktuell fast 200.000 Menschen an Covid-19.

5. Inmitten dieser Welle des Massensterbens erklären Regierungen weltweit, die Pandemie sei vorbei, und schaffen die verbleibenden Schutzmaßnahmen ab – mit katastrophalen Konsequenzen. Mit ihrer Entscheidung, die „epidemische Lage“ zu beenden, provozieren die alte und neue Bundesregierung eine Situation, welche die Katastrophe im letzten Winter sogar noch in den Schatten stellt. Der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa, Hans Kluge, warnt, dass es in Europa in nur drei Monaten 500.000 weitere Todesfälle durch das Coronavirus geben könnte.

6. Hinter der Politik des Todes, die die deutsche Regierung in ganz Europa forciert, stehen handfeste politische und ökonomische Interessen. Die herrschende Klasse will die gigantischen Summen, die im Rahmen der sogenannten Corona-Rettungspakete im Frühjahr 2020 an die großen Banken und Konzerne geflossen sind, wieder aus der Arbeiterklasse herauspressen. Ein weiterer Faktor hinter der rücksichtslosen Durchseuchungspolitik sind die geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Imperialismus. Berlin sieht die Pandemie als Chance, die EU noch stärker unter deutsche Führung zu organisieren und sich gegen seine internationalen Rivalen in Stellung zu bringen. Man wolle „dafür Sorge tragen, dass Europa auf der Grundlage solider und nachhaltiger Staatsfinanzen gemeinsam wirtschaftlich stark aus der Pandemie herauskommt“, heißt es im Sondierungspapier der Ampel-Koalitionäre. Dafür sei „eine verstärkte Zusammenarbeit der nationalen europäischen Armeen“ notwendig und eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr.

7. Die WSWS und das IKVI haben betont, dass der Kampf gegen die Pandemie nicht nur eine medizinische Frage ist. Er erfordert – genauso wie der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Diktatur – das unabhängige politische Eingreifen der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

8. Wir zogen eine Parallele zum Ersten Weltkrieg, der sich nach dem Ausbruch im August 1914 mit einer immer schrecklicheren Eigendynamik entwickelte. Der Tod wurde normalisiert, immer neue Massen von jungen Menschen wurden an die Front geschickt und als „Menschenmaterial“ verheizt. Der Krieg konnte trotz des Leids nicht beendet werden, weil die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der kapitalistische Kriegstreiber eine friedliche Lösung unmöglich machten. Um den Krieg zu beenden, musste die Arbeiterklasse aller kriegführenden Länder auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms mobilisiert werden. Das war die Perspektive von Lenin und Trotzki, die ihre machtvolle Bestätigung in der Oktoberrevolution 1917 in Russland fand, als die Arbeiterklasse die bürgerliche Herrschaft stürzte und die Führung der Gesellschaft übernahm.

9. Wie der Kampf gegen Krieg ist der Kampf gegen die Pandemie eine Klassenfrage und eine revolutionäre Frage. In unserem Wahlaufruf zur Bundestagswahl haben wir erklärt: „Der Kampf um die Eindämmung der Pandemie entwickelt sich zu einem Klassenkampf, der immer deutlicher zeigt, dass die großen Klassen der Gesellschaft – die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse – unversöhnlich entgegengesetzte Interessen haben.“

10. Die Trennlinien zwischen den Strategien zur Pandemiebekämpfung hat die WSWS in zwei wichtigen Webinaren mit international renommierten Wissenschaftlern herausgearbeitet. Die Kapitalistenklasse verfolgt entweder die Strategie der „Herdenimmunität“ – d.h. die offene Durchseuchung – oder einer als Mitigation bezeichneten begrenzten Eindämmung. Beide Strategien laufen auf die massenhafte Infektion der Bevölkerung mit dem Virus hinaus und bedeuten, dass Jahr für Jahr Millionen Menschen eines vermeidbaren Todes sterben oder unter langfristigen gesundheitlichen Folgen leiden.

11. Im Gegensatz zu dieser Politik des Massensterbens und des sozialen Elends setzt sich die Arbeiterklasse zunehmend für eine Politik der weltweiten Eliminierung von SARS-CoV-2 ein, um Leben zu retten. Dazu gehören: Sofortiger Lockdown aller Schulen und nicht lebensnotwendigen Betriebe bis die Pandemie unter Kontrolle ist! Voller Lohnersatz für alle betroffenen Arbeiter sowie echte Hilfen für Selbstständige und umfassende Unterstützung für arme Haushalte! Ein global koordiniertes Impfprogramm statt Impfstoff-Nationalismus und -Geschäftemacherei!

Die SGP stellt sich hinter die Initiative der internationalen Redaktion der WSWS für einen Global Workers‘ Inquest, eine globale Ermittlung der Arbeiter in Sachen Corona-Pandemie. Wir werden alle unsere Kräfte mobilisieren, um diese Initiative zu entwickeln und die Pandemie-Verbrechen der herrschenden Klasse in den letzten beiden Jahren zu ermitteln. Parallel dazu werden wir den Kampf für die Umsetzung der wissenschaftlich notwendigen Maßnahmen zur weltweiten Eliminierung von SARS-CoV-2 verstärken. Das erfordert vor allem den Aufbau von Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze und Bildung. Der Kampf gegen die Pandemie muss durch die Entwicklung einer global koordinierten Kampagne in die Schulen und die Betriebe getragen werden. Zu diesem Zweck hat das IKVI die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) gegründet. Sie wird als zentraler Knotenpunkt zur Koordinierung der weltweiten Kämpfe der Arbeiterklasse dienen, um die Pandemie zu beenden und Millionen von Menschenleben zu retten. Ihre Entwicklung muss mit dem Aufbau der SGP und des IKVI als sozialistischer Führung in der Arbeiterklasse einhergehen, um den Kampf gegen die Pandemie mit dem Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg, Diktatur und das kapitalistische System zu verbinden.

Der Kampf gegen den Klimawandel

12. Im Kampf gegen den Klimawandel steht die Menschheit vor denselben grundlegenden Herausforderungen wie in der Pandemie. Wie das Coronavirus kennen auch die Treibhausgase keine staatlichen Grenzen. In den zunehmenden Naturkatastrophen der letzten Jahre – darunter die verheerende Flut mit hunderten Toten in diesem Sommer – zeigt sich die Indifferenz der herrschenden Klasse gegenüber Menschenleben und der Zukunft des gesamten Planeten.

13. Die Klimafrage ist wie alle großen gesellschaftlichen Fragen – soziale Ungleichheit, Corona, Rechtsextremismus, Flüchtlingspolitik und Krieg – eine Klassenfrage. Und sie erfordert eine internationale Antwort. Eine solche Antwort ist nicht mit dem Kapitalismus vereinbar, der auf Profitmaximierung und Konkurrenz zwischen Nationalstaaten beruht und wissenschaftliche Warnungen mit Füßen tritt.

Die Aufgabe der SGP ist es, den Kampf gegen den Klimawandel auf die Arbeiterklasse zu orientieren. Sie ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die ein grundlegendes Interesse daran hat, die Gesellschaft so umzugestalten, dass soziale Bedürfnisse erfüllt werden und nicht privater Profit. Die IYSSE verstärken ihre Bemühungen, unter Auszubildenden, Schülern und anderen Teilen der Arbeiterjugend Einfluss zu gewinnen, und greifen in Massenproteste wie die Klimabewegung ein, um unter einer neuen Generation von jungen Menschen, die sich radikalisiert, grundlegende Fragen der politischen Perspektive zu klären. Die Entwicklung einer sozialistischen Antwort auf die Klimakrise erfordert eine ständige Polemik gegen grüne und pseudolinke Strömungen, die versuchen, die Klimabewegung auf der Grundlage von Protestpolitik im Rahmen des Kapitalismus den Interessen des Finanzkapitals unterzuordnen.

Die Rückkehr des Klassenkampfs und der Aufbau von Aktionskomitees

14. Die objektiven Bedingungen für die sozialistische Weltrevolution sind weit fortgeschritten. Anfang 2020 erklärte das Internationale Komitee in seiner Neujahrserklärung, dass die 2020er Jahre ein Jahrzehnt der sozialen Revolution sein würden. Diese Prognose beruhte auf einer Analyse der fortgeschrittenen sozialen und politischen Krise des kapitalistischen Systems. Die Entwicklungen seitdem haben diese Analyse voll und ganz bestätigt.

15. Unter Arbeitern und Jugendlichen entwickelt sich weltweit explosiver Widerstand gegen die Pandemiepolitik der herrschenden Klasse und die damit verbundenen Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne. Im Frühjahr 2020 war es eine Welle spontaner Streiks in wichtigen Automobil-, Produktions- und Lebensmittelfabriken in Nordamerika und Europa, die die kapitalistischen Regierungen dazu zwang, die ersten Lockdowns zu verhängen. Im Herbst 2020 kam es zu Protesten gegen die Öffnungspolitik, darunter Schulstreiks in Griechenland, Frankreich und Deutschland.

16. Jetzt entwickeln sich erneut weltweit Streiks und Proteste gegen das Massensterben und gegen Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne. Überall nutzen die Regierungen und Unternehmen mit Hilfe der Gewerkschaften die Corona-Pandemie, um historische Angriffe durchzusetzen. In Deutschland plant die herrschende Klasse einen Generalangriff. Vor allem im Industriesektor, auf den 31 Prozent aller Arbeitsplätze entfallen (in Großbritannien, Frankreich und den USA sind es etwa 20 Prozent), steht ein gewaltiger Umbruch bevor. Allein in der Autoindustrie stehen eine halbe Million Arbeitsplätze auf der Streichliste.

17. Arbeiter sind nicht länger bereit, das widerstandslos hinzunehmen. In den USA, dem Zentrum des Weltkapitalismus, entwickelt sich aktuell die größte Streikwelle seit Jahrzehnten. Auch die Bundestagswahl fand unter dem Druck zahlreicher Streiks und Proteste statt. Zwei Merkmale, die das IKVI seit langem vorausgesehen hat, kennzeichnen diese Klassenkämpfe: Sie haben sich in bisher kaum vorstellbarem Maß internationalisiert und entwickeln sich als zusammenhängende Weltbewegung; und sie finden in Form einer Rebellion gegen die korporatistischen Gewerkschaften statt.

18. In dieser Situation wird die Intervention unserer Partei zunehmend zum entscheidenden Faktor für die Entwicklung des Klassenkampfs. Im Mai initiierten das IKVI und die ihm angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees, um „einen Rahmen für neue Formen unabhängiger und demokratischer Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene“ zu schaffen. Diese Initiative wird nun von Arbeitern aufgegriffen, die in den USA – z.B. bei Volvo Trucks, bei Dana und John Deere – Aktionskomitees gegründet haben. Hier in Deutschland haben Lehrer, Erzieher und Eltern und Busfahrer erste Aktionskomitees für sichere Arbeiterplätze und Bildung gegründet.

Diese Offensive gilt es nun voranzutreiben. Dabei ist es die Aufgabe der Partei, die Arbeiter im Kampf politisch zu orientieren und zu führen. Wir haben die Streiks und Proteste der WISAG-Arbeiter, Lokführer, Pfleger, Gorillas-Lieferbeschäftigten und Autoarbeiter nicht nur kommentiert, sondern aktiv interveniert. Wir haben für einen politischen und organisatorischen Bruch mit den nationalistischen Gewerkschaften argumentiert und geduldig zentrale Fragen der politischen Ausrichtung und Perspektive geklärt. Um ein Netzwerk unabhängiger Aktionskomitees zu entwickeln und die IWA-RFC international aufzubauen, müssen die SGP und das IKVI als sozialistische Führung in der Arbeiterklasse aufgebaut werden.

Der Kampf gegen Militarismus und Krieg

19. Die Pandemie hat vor allem auch die Kriegsgefahr verschärft. Die US-Regierung beschuldigt China nicht nur, für die Pandemie verantwortlich zu sein, sondern bereitet sich immer direkter auf einen militärischen Konflikt mit den Nuklearmächten Russland und China vor. Auch die europäischen Mächte nutzen die Krise, um weiter aufzurüsten.

20. In Deutschland konzentrieren sich erneut die Widersprüche des Weltkapitalismus, die die herrschende Klasse im letzten Jahrhundert mittels Kriegs und Faschismus zu lösen versuchte. Eskalierende Handelskriege und Großmachtkonflikte untergraben die deutsche Exportindustrie. Der eskalierende Konflikt zwischen den USA und China stellt die deutsche Bourgeoisie vor ein unlösbares Dilemma. Verbündet sie sich mit den USA gegen China, droht ihr der Verlust des Exportmarkts und der Investitionen in China. Stellt sie sich gegen die USA, legt sie sich mit der größten Militärmacht der Welt an und muss ebenfalls wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen.

21. Der Versuch, Europa unter deutscher Führung zu einer „dritten Weltmacht“ zu organisieren, verschärft nicht nur den Konflikt mit den USA, sondern auch mit den europäischen „Verbündeten“. Wie groß die Spannungen zwischen den europäischen Mächten sind, zeigen der Brexit und der Streit um Nordirland, der eskalierende Konflikt um den AUKUS-Pakt und Fischereirechte zwischen Großbritannien und Frankreich, sowie die wachsenden Auseinandersetzungen zwischen der EU und Polen und Ungarn. Die eskalierende wirtschaftliche, soziale und politische Krise bringt alle ungelösten Probleme des europäischen und deutschen Kapitalismus im 20. Jahrhundert zurück.

22. Die SGP hat die Arbeiterklasse auf diese Entwicklung vorbereitet. Bereits 2014 haben wir in einer Resolution die objektiven Triebkräfte der Rückkehr des deutschen Militarismus analysiert und vor den weitreichenden Implikationen gewarnt. Nur wenige Monate nachdem der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündet hatte, Deutschland sei „zu groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten“, schrieben wir:

Die Geschichte meldet sich stürmisch zurück. Knapp 70 Jahre nach den Verbrechen der Nazis und der Niederlage im Zweiten Weltkrieg knüpft die herrschende Klasse Deutschlands wieder an die imperialistische Großmachtpolitik des Kaiserreichs und Hitlers an… Die Propaganda der Nachkriegsjahrzehnte – Deutschland habe aus den ungeheuren Verbrechen der Nazis gelernt, sei ‚im Westen angekommen‘, habe zu einer friedlichen Außenpolitik gefunden und sich zu einer stabilen Demokratie entwickelt – entpuppt sich als Mythos. Der deutsche Imperialismus zeigt sich wieder so, wie er historisch entstanden ist, mit all seiner Aggressivität nach innen und nach außen.

23. Seitdem wurde immer klarer, wie korrekt diese Einschätzung war. Die Große Koalition hat den Rüstungsetat in den letzten acht Jahren um fast 20 Milliarden Euro erhöht, neue Kriegseinsätze in Afrika und im Nahen Osten organisiert, Kampftruppen an der russischen Grenze stationiert und jüngst sogar ein Kriegsschiff in den Indo-Pazifik entsandt. Die nächste Bundesregierung wird diesen Großmacht- und Kriegskurs weiter verschärfen. Die Pläne dafür liegen längst in der Schublade. Im Mai verabschiedete das Verteidigungsministerium die „Eckpunkte für die Zukunft der Bundeswehr“, die das deutsche Militär auf die Führung großer militärischer Auseinandersetzungen bis hin zum Nuklearkrieg vorbereiten sollen.

Die Gefahr eines vernichtenden dritten Weltkriegs verleiht dem Aufbau einer Antikriegsbewegung der internationalen Arbeiterklasse, die darauf abzielt, die Ursache von Krieg – das kapitalistische Profitsystem – zu beseitigen und eine globale sozialistische Gesellschaft zu errichten, eine enorme Dringlichkeit. Die SGP wird dabei auf das engste mit ihren Schwesterorganisationen im IKVI zusammenarbeiten. In Europa sind das die Socialist Equality Party in Großbritannien, die Parti de l'égalité socialiste in Frankreich und die Sosyalist Eşitlik Grubu in der Türkei. Der Kampf gegen einen Rückfall in Krieg und Barbarei auf dem Kontinent ist direkt mit dem Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa verbunden.

Die rechte Gefahr und die Klage der SGP gegen den Verfassungsschutz

24. Wie in den 1930er Jahren reagiert die herrschende Klasse auf der ganzen Welt auf die tiefe Krise des Kapitalismus mit einer Hinwendung zu autoritären Herrschaftsformen und Faschismus. Das Programm von Durchseuchung, Ungleichheit und Krieg ist mit demokratischen Rechten unvereinbar. Trumps Putschversuch am 6. Januar und die feige Haltung der Demokraten haben gezeigt, dass erhebliche Teile der Bourgeoisie autoritäre Herrschaftsformen setzen oder sie billigend in Kauf nehmen. Auch Bolsonaros Umsturzpläne oder die Verschwörungen im spanischen und französischen Militär sind Ausdruck davon.

25. In Deutschland ist diese Entwicklung besonders weit fortgeschritten. Als SPD und CDU vor vier Jahren hinter dem Rücken der Bevölkerung die Wiederauflage der großen Koalition verhandelten, bezeichneten wir diese als die rechteste Regierung seit dem Ende der Nazis. Dies bestätigte sich insbesondere in der Pandemie, in der die Regierung die aggressive „Profite vor Leben“-Politik durchsetzte, hunderte Milliarden an die Banken und Konzerne überwies und die massive Aufrüstung der Bundeswehr forcierte.

26. Die rechtsextreme AfD wurde zur offiziellen Oppositionsführerin gemacht und in die politische Arbeit integriert. Ihr Programm – soziale Angriffe, massive innere und äußere Aufrüstung und die Durchseuchungspolitik in der Pandemie – wird de facto von allen Regierungsparteien in die Tat umgesetzt. Wie zuvor mit Pegida wurde mit den Querdenker-Demonstrationen der rechte Bodensatz mobilisiert, um die Opposition dagegen einzuschüchtern.

27. Wie direkt die herrschende Klasse das Programm der extremen Rechten umsetzt zeigt sich auch in der Flüchtlingspolitik. Sie besteht in der brutalen Abschottung der „Festung Europa“, der Errichtung von Grenzzäunen und geschlossener Lager für Flüchtlinge und Massenabschiebungen in die Kriegsgebiete des Nahen und Mittleren Ostens.

28. Zugleich werden rechtsextreme Terrornetzwerke vom Staatsapparat systematisch geschützt und aufgebaut. Das wirkliche Ausmaß des NSU und seine enge Verstrickung mit dem staatlichen Sicherheitsapparat bleiben auch zehn Jahre nach seiner Enttarnung und der Ermordung von Regierungspräsident Walter Lübcke durch einen Täter aus dem NSU-Umfeld im Dunkeln. Die Führer des Hannibal-Netzwerks und anderer rechtsterroristischer Netzwerke in Bundeswehr und Polizei bleiben trotz Mordplänen und Waffenfunden und den rechtsextremen und antisemitischen Terroranschlägen in Halle und Hanau auf freiem Fuß.

29. Wie der Kampf gegen Krieg kann der Kampf gegen Faschismus, Staatsaufrüstung und die Abschaffung demokratischer Rechte nur durch den Aufbau einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse geführt werden. In dieser Hinsicht ist der Prozess der SGP gegen den Verfassungsschutz – selbst ein Zentrum der rechtsextremen Verschwörung – von größter Bedeutung. Mit dem Angriff auf die SGP hat die herrschende Elite anerkannt, dass das Programm und die Ideen unserer Bewegung das Potenzial haben, eine Massenanhängerschaft in der Arbeiterklasse zu finden. Mit ihrer Klage hat die SGP den Spieß umgedreht. Der Auftritt von Ulrich Rippert und Christoph Vandreier vor dem Berliner Verwaltungsgericht am 18. November stand in der besten Tradition der deutschen revolutionären Arbeiterbewegung.

30. Mit seiner Erklärung, dass die Geschichte keine Bedeutung habe – dass man also die Konzentrationslager und Gaskammern vergessen kann –, verlor das Gericht jede Legitimität. Seine Entscheidung, die theoretischen Grundlagen und das Programm des Marxismus im Wesentlichen für illegal zu erklären, war ein weiterer Versuch, das von Bismarck 1878 gesteckte und von Hitler 1920 proklamierte Ziel zu verwirklichen: die vollständige Vernichtung des Marxismus.

31. Aber wir leben nicht im Deutschland von 1878 oder 1933 und nicht in der Welt des neunzehnten oder zwanzigsten Jahrhunderts. Das Verfahren findet nicht nach massiven Niederlagen der Arbeiterklasse statt, sondern unter den Bedingungen des Entstehens einer neuen Massenbewegung der deutschen, europäischen und internationalen Arbeiterklasse. Mit ihrem Auftritt vor Gericht hat die SGP ihre Fähigkeit bewiesen, die Arbeiterklasse im Kampf gegen die rechtsextreme Verschwörung im Staatsapparat zu führen.

Die SGP wird ihre Offensive gegen den Angriff des Verfassungsschutzes und für die Verteidigung demokratischer Rechte massiv ausweiten. Dazu gehört die Verteidigung von Flüchtlingen genauso wie der Kampf für die bedingungslose Freiheit von Julian Assange und die Kampagne gegen die Zensur der WSWS und anderer Websites von Linken, Kriegsgegnern und Sozialisten. Die breite Unterstützung für unsere Klage zeigt, dass die Arbeiterklasse nach den Erfahrungen mit Bismarck und den Nazis keine neuen Sozialistengesetze akzeptieren wird.

Der Kampf gegen die Ampel-Koalition

32. Angesichts der Allparteienkoalition hat sich die Bevölkerung vom gesamten Parteiensystem entfremdet. Das zeigte sich bei den Bundestagswahlen. Nicht nur verlor die große Koalition noch einmal massiv an Stimmen, es gab keine Partei, die mehr als ein Viertel der Wähler auf sich vereinen konnte.

33. Mit der Bildung einer Ampelkoalition plant die herrschende Klasse die Politik der großen Koalition zu intensivieren. Schon im Wahlkampf hatten SPD, Grüne und FDP eine massive Aufrüstung der Bundeswehr angekündigt, die sogar über das Nato-Ziel von zwei Prozent des BIP hinausgehen soll. Zudem kündigten die Parteien einen aggressiveren Kurs gegen die Nuklearmächte Russland und China an.

34. Die erste Entscheidung, die die Koalitionäre öffentlich verkündeten, war das Auslaufen der „epidemischen Lage“. Damit würden sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zurückgenommen. Die Durchseuchungspolitik im Interesse der Profite wären damit keine Schranken mehr gesetzt. Die rasant steigenden Inzidenzwerte würden unweigerlich zu tausenden hospitalisierten und sterbenden Kindern und Jugendlichen führen.

35. Zugleich legte sich die Ampel in ihrem Sondierungspapier darauf fest, weder die Schuldenbremse zu lockern noch die Reichen zu besteuern. Die hunderte Milliarden, die an die Banken und Konzerne geflossen sind, sollen wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden. Das ist Teil eines Generalangriffs auf die Arbeiterklasse. Neben den Sozialkürzungen sind im Zuge der E-Mobilität und anderer Umstrukturierungen Massenentlassungen und Lohnkürzungen in historischen Dimensionen geplant.

36. Die SPD, die in den letzten 23 Jahren für den größten Teil des Sozialabbaus verantwortlich war, wird noch enger mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, um den Generalangriff gegen die Arbeiter zu führen. In der Autoindustrie verfolgt die IG Metall offiziell das Ziel, die „Transformation zu gestalten“, d.h. beim Arbeitsplatzabbau mitzuwirken. Sie wird ihre Armee von Vertrauensleuten, Betriebsräten und anderen Funktionären einsetzen, um jede unabhängige Regung der Arbeiterklasse dagegen zu unterdrücken.

37. Mit den Grünen kehrt die Partei in die Regierung zurück, die zusammen mit der SPD bereits zwischen 1998 und 2005 die ersten deutschen Kriegseinsätze seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs organisiert und die Hartz-Gesetze auf den Weg gebracht hat, die Millionen zur Armut verdammten. Die ehemaligen Pazifisten sind darauf spezialisiert, mit Phrasen über Umweltschutz und Menschenrechte und auf der Grundlage von Identitätspolitik wohlhabende Schichten des Kleinbürgertums zur Unterstützung heftiger sozialer Angriffe und eines aggressiven Militarismus zu mobilisieren.

38. Die FDP ist ein bezahlter Lobbyverband der Banken und Konzerne mit braunen Wurzeln. Nach dem Krieg bot sie vielen ehemaligen NSDAP- und SS-Mitgliedern eine Heimat. Noch vor zwei Jahren ließ sich ihr thüringischer Landesvorsitzender Kemmerich von der AfD zum Ministerpräsidenten küren. Die plötzliche Freundschaft zwischen Grünen und FDP verkörpert das Bündnis zwischen der wohlhabenden Mittelschicht und der Finanzoligarchie gegen die wachsende Bewegung der Arbeiterklasse.

39. Auch die Linke ist indirekt in die Ampel eingebunden. Nachdem ihre Träume von einer Regierungsbeteiligung angesichts des desaströsen Wahlergebnisses geplatzt sind, bietet sie sich im Bund als loyale Opposition an. Auf Landesebene paktiert sie in Berlin, Bremen, Thüringen und voraussichtlich auch bald in Mecklenburg-Vorpommern mit den Hartz-IV und Kriegsparteien. Das entspricht ihrem eigenen rechten Programm. Sie hat dem Milliardentransfer an die Reichen zugestimmt, setzt die Durchseuchungspolitik in den Ländern durch und spricht sich für Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Die rechtsextremen Positionen ihrer Frontfrau Sahra Wagenknecht dienen dazu, den Bodensatz der Gesellschaft für diese rechte Politik zu mobilisieren, und sind der schärfste Ausdruck des völligen Bankrotts der Linken.

40. Völlig bankrott sind auch die pseudotrotzkistischen Gruppierungen, gegen die das IKVI seit seiner Gründung vor 68 Jahren gekämpft hat. Sie reagieren auf den Niedergang der Linken, indem sie sich noch enger an sie klammern. Marx21 stellt mit Janine Wissler inzwischen eine der beiden Vorsitzenden der Partei. Die SAV wendet sich, trotz ihrer rechtsextremen Positionen, gegen einen Ausschluss Wagenknechts und wirbt unter dem Motto „Trotzdem in der Linken bleiben und kämpfen!“ für die Unterstützung der Partei. Die deutschen Morenisten von RIO arbeiten eng mit diesen im Kern rechten politischen Strömungen innerhalb der Linkspartei zusammen, um eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zu blockieren und zu unterdrücken. Die SGP ist buchstäblich die einzige politische Partei, die die Ampel von links und mit einem sozialistischen Programm bekämpft.

41. Die Arbeiterklasse wird unweigerlich in Konflikt mit der Ampel und allen Bundestagsparteien geraten. Die SGP hat die Arbeiterklasse auf diese Auseinandersetzung politisch vorbereitet. Im Wahlkampf sind wir der Allparteienkoalition entschieden entgegengetreten und haben als einzige Partei für ein internationales, sozialistisches Programm gekämpft. In unserem Wahlaufruf haben wir betont: „Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden.“

Der Kampf für Sozialismus

42. Um dieses Programm zu verwirklichen, müssen die SGP und das IKVI als neue Massenpartei der Arbeiterklasse aufgebaut werden. Das erfordert die Entwicklung der World Socialist Web Site, den Aufbau der IYSSE und die Erziehung und Rekrutierung eines marxistischen Kaders in den Betrieben.

43. Der Parteitag bekräftigt die „Resolution des Parteivorstands zur Rekrutierungskampagne 2021“, die ehrgeizige Ziele für die Rekrutierung von Arbeitern in die Partei setzte. Die Resolution betont – unter Berufung auf die Lehren aus der ägyptischen Revolution –, dass die SGP „alles in ihrer Macht Stehende tun [muss], um vor dem Ausbruch von Massenkämpfen eine bedeutsame politische Präsenz innerhalb der Arbeiterklasse zu etablieren“.

44. Die wachsende Opposition und die zunehmenden Kämpfe der Arbeiter müssen in eine bewusste Bewegung für den Sozialismus verwandelt werden. Die zentrale historische Aufgabe, mit der die SGP und die Vierte Internationale konfrontiert sind, hat Trotzki im Gründungsprogramm der Vierten Internationale auf den Punkt gebracht: die Lösung der Krise der revolutionären Führung der Arbeiterklasse.

45. Um diese historische Aufgabe zu erfüllen und damit den Anforderungen der globalen Entwicklung des Klassenkampfs gerecht zu werden, muss der Kader der SGP auf das gesamte theoretische und politische Kapital der trotzkistischen Bewegung zurückgreifen, die das Programm des internationalen Sozialismus gegen Stalinismus und Sozialdemokratie verteidigt hat. Vor 50 Jahren wurde der BSA als deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gegründet. Damit knüpfte die Arbeiterklasse in Deutschland wieder an die marxistische Tradition an, die durch die Verbrechen der Nazis und den Verrat von SPD und KPD und den pablistischen Revisionismus zerstört worden war.

46. In der Spaltung von der WRP 1985/86 unterstützte der BSA die Kritik der Workers League unter Führung von David North und stellte sich auf die Seite des Internationalen Komitees. In der Auseinandersetzung mit den kleinbürgerlichen Nationalisten erneuerte das IK das gesamte historische, politische und theoretische Erbe und die politischen Prinzipien der Vierten Internationale. Diese sind die feste Grundlage, auf der die Arbeit der SGP nun ausgeweitet und entwickelt und Sektionen der Vierten Internationale in ganz Europa und weltweit aufgebaut werden müssen.

Loading