Unterstützt die Streikbewegung im türkischen Gesundheitswesen!

Fünf Gewerkschaften des türkischen Gesundheitswesens, darunter der TTB (Türkischer Ärztebund), haben für Mittwoch zu einem eintägigen landesweiten Streik aufgerufen. Die Regierung hatte ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen und verbesserten Arbeitsbedingungen zurückgewiesen. Auch die Ärztegewerkschaft Hekimsen kündigte für Dienstag und Mittwoch halbtägige Arbeitsniederlegungen sowie einen Tagesstreik am Donnerstag an.

Ein Gesetzentwurf, der den Streik ausgelöst hatte, wurde am Samstag im Parlament zurückgenommen. Die TTB und die andern Organisationen hatten den Entwurf, der Ärzte und Zahnärzte betraf, auch deshalb kritisiert, weil er nicht alle Beschäftigten des Gesundheitswesens berücksichtigte. Schon letzte Woche legten empörte Pflegekräfte und andere Beschäftigte im ganzen Land aus Protest gegen den Gesetzentwurf die Arbeit nieder.

Bereits letzten Monat hatte die TTB mit einem „Weißen Marsch“ von Istanbul nach Ankara gegen die Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen sowie gegen die kriminelle Reaktion auf die Pandemie protestiert. Angesichts des wachsenden Widerstands der Arbeiter sah sich der Gewerkschaftsbund DİSK gezwungen, am Sonntag eine Kundgebung in Istanbul abzuhalten, an der 7.000 Menschen teilnahmen.

Beschäftigte des Gesundheitswesens während des Streiks vom 6. Dezember in İzmir. Auf dem Transparent steht: „Gesundheitsversorgung ist Teamwork. Wir wollen Löhne über der Armutsgrenze, von denen wir angemessen leben können!“ (@sesgenelmerkezi auf Twitter)

Diese Bewegung ist von internationaler Bedeutung und verdient die Unterstützung der gesamten Arbeiterklasse. In der Türkei und im Rest der Welt müssen so viele Arbeiter wie möglich für den Kampf zur Beendigung der Pandemie und gegen die Verarmung der Arbeiterklasse mobilisiert werden.

Die Beschäftigten im Gesundheitswesen stehen im Kampf gegen die Corona-Pandemie in der Türkei und weltweit an vorderster Front. Seit fast zwei Jahren kämpfen sie jetzt um die Rettung von Menschenleben. Die Herdenimmunitäts-Politik der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan untergräbt diese lebenswichtige Arbeit und hat bereits 500 Pflegekräften das Leben gekostet.

Diese vermeidbaren Verluste sind Teil des immensen Blutzolls, den Covid-19 bisher schon gefordert hat. Offiziell liegt die Zahl der Toten bei fast 80.000, doch wie Gesundheitsminister Fahrettin Koca vor kurzem zugegeben hat, beträgt die tatsächliche Zahl etwa 200.000. Angesichts von mehr als neun Millionen Infizierten war die oberste Priorität der Regierung nicht der Schutz von Menschenleben und der öffentlichen Gesundheit, sondern dafür zu sorgen, dass die Arbeiter weiterhin Profite für die Wirtschafts- und Finanzelite erarbeiten. Nicht-systemrelevante Arbeitsplätze wurden seit Beginn der Pandemie kaum geschlossen. Sämtliche bürgerliche Oppositionsparteien und die Gewerkschaften trugen diese Politik mit.

Auch angesichts der Entstehung und Ausbreitung der Omikron-Variante ändert der Staat seinen Kurs nicht. Türkische Regierungsvertreter gaben am Samstag zu, dass es auch in der Türkei schon Omikron-Fälle gibt. Gesundheitsminister Koca erklärte, es bestehe „kein Grund zur Sorge“ angesichts dieser Variante, die ansteckender ist und laut ersten Studien eine Zweifachimpfung umgehen kann. Gleichzeitig gibt es durch die Ausbreitung der Delta-Variante etwa 20.000 Neuinfektionen und 180 Todesfälle pro Tag.

Mit erschütternder Gleichgültigkeit erklärte Koca: „Wir müssen die Pandemie von der Tagesordnung streichen“, während die Bourgeoisie frontal gegen die Arbeiter vorgeht. In großen Teilen der Arbeiterklasse in der Türkei und weltweit wächst die Wut über die mörderische offizielle Reaktion auf die Pandemie und den rasanten Anstieg der Lebenshaltungskosten, die für Millionen Menschen untragbar geworden sind.

Mehrere Verbände des Gesundheitswesens veröffentlichten am Montag eine Erklärung mit dem Titel: „Jetzt ist die Zeit zu streiken! Wir werden am Mittwoch, den 15. Dezember, in den Streik treten!“ Sie fordern bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und Regeln, die für alle Beschäftigten des Gesundheitswesens gelten.

Sie schrieben: „Die Corona-Pandemie hat auf sehr schmerzhafte Weise deutlich gemacht, dass das derzeitige Gesundheitssystem nicht die Öffentlichkeit schützt; vielmehr bringt es die öffentliche Gesundheit in Gefahr.“ Sie fordern „einen Lohn, der ein angemessenes Leben ermöglicht, und sichere Arbeitsbedingungen“ für Ärzte und alle anderen Beschäftigten des Pflegebereichs. Im türkischen Gesundheitswesen liegen die Löhne vieler Beschäftigten unter der Armutsgrenze.

Die Pflegekräfte fordern die Fortsetzung der Pflege von Notfallpatienten, Dialysepatienten, schwangeren Frauen, pädiatrischen Notfällen, Krebspatienten, Intensivpatienten und Covid-19-Erkrankten, und sie rufen die Bevölkerung zu ihrer Unterstützung auf: „Dieser Kampf ist nicht nur ein Kampf der Ärzte und der Pflegekräfte, sondern der ganzen Gesellschaft – für uns alle! (...) Wir müssen durch gemeinsame Aktionen und Aktivitäten für unser Recht auf Gesundheit kämpfen.“

Die Beschäftigten nannten folgende Forderungen: „Um ein funktionierendes Gesundheitssystem zu verteidigen brauchen wir einen Lohn, von dem wir leben können, was auch für die Renten gilt. Wir fordern weiter die Abschaffung von Arbeitsbedingungen, die Sklaverei gleichkommen, ein umfassendes Gesetz gegen Berufskrankheiten, vor allem Covid-19, und die Anrechnung von je fünf Jahren Berufstätigkeit als sechs Jahre für die Rente für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, deren Arbeit als belastend und gefährlich anerkannt werden muss.“

Sie warnen in ihrer Erklärung, dass sie die Proteste fortsetzen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden: „Die Regierung muss wissen, dass wir unsere Aktionen fortsetzen werden, wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden und das Parlament nicht die notwendigen Maßnahmen trifft, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten des Gesundheitswesens zu verbessern.“

Die Streikbewegung im türkischen Gesundheitswesen findet in einer Situation statt, in der die soziale Wut über Durchseuchung und Todesfälle infolge der offiziellen Reaktion auf die Pandemie mit einem beispiellosen Anstieg der Lebenshaltungskosten zusammenfällt. Diese Bewegung ist Teil der wachsenden Streikbewegung und der zunehmenden Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse.

Die offizielle jährliche Inflation in der Türkei erreichte im November 21,31 Prozent. Doch laut der unabhängigen Inflation Research Group (ENAgroup) liegt sie tatsächlich bei 58,65 Prozent. Die türkische Lira verliert weiterhin an Wert gegenüber ausländischen Währungen. Der Preis für einen US-Dollar hat sich von sieben Lira auf fast 15 Lira mehr als verdoppelt. Der monatliche Mindestlohn von 2.825 Lira (etwa 180 Euro) ist derzeit der niedrigste in ganz Europa.

Aus diesem Grund ist die Forderung nach einer beträchtlichen Erhöhung des Mindestlohns so aktuell, und sie betrifft Millionen von Arbeitern und ihre Familien. Zudem fordern Hunderttausende von Lehrkräften, fast 150.000 Metall- und Autoarbeiter und andere Teile der Arbeiterklasse Verbesserungen ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen.

Die zunehmende Ausbeutung der Arbeiterklasse hat die gleichen Ursachen wie die Tatsache, dass die notwendigen, wissenschaftlich begründeten Pandemiemaßnahmen nicht ergriffen worden sind: Es ist das ungehinderte Streben der Kapitalistenklasse nach Anhäufung von privatem Vermögen. Die Milliardäre könnten ihr Gesamtvermögen um 3,6 Billionen Dollar steigern, während Millionen in der globalen Pandemie starben. Das verdeutlicht den kriminellen Charakter des kapitalistischen Systems.

Die Maßnahmen, die notwendig sind, um die Pandemie zu beenden, sind bekannt: vorübergehende Schließung der Schulen und nicht-systemrelevanter Arbeitsplätze bei gleichzeitiger sozialer Unterstützung für alle betroffenen Arbeiter; sowie Massentests, Kontaktverfolgung und sichere Isolation der Infizierten; die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Masken; die schnelle Impfung der Weltbevölkerung, und vieles weitere mehr. Um dies alles umzusetzen und das Leben und die Bedingungen der Arbeiterklasse zu schützen und zu verbessern, ist es notwendig, den Reichtum der Bourgeoisie frontal anzugreifen.

Dieser Kampf ist ein integraler Teil des Kampfs für Sozialismus und Arbeitermacht. Er kann aber nur erfolgreich sein, wenn eine internationale Bewegung der Arbeiter aufgebaut wird, die von allen kapitalistischen Parteien und Gewerkschaften unabhängig ist.

Am Ersten Mai rief das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) auf. Vor kurzem rief sie außerdem den Global Workers’ Inquest zur Covid-19-Pandemie ins Leben, um eine solche Bewegung im Weltmaßstab zu entwickeln. Das IKVI ruft alle Wissenschaftler, Pflegekräfte, Arbeiter und Jugendlichen auf, die IWA-RFC und den Inquest zu unterstützen und daran teilzunehmen.

Die entstehende Streikbewegung im Gesundheitswesen zeigt, dass sich eine Gegenoffensive der internationalen Arbeiterklasse anbahnt. Diese Streikbewegung muss von breiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung der ganzen Welt unterstützt werden. Dazu ist es notwendig, unabhängige Aktionskomitees in Krankenhäusern, Fabriken und Betrieben zu gründen und für den Sozialismus zu kämpfen.

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