Zero-Covid-Politik in China: Missverstanden und falsch dargestellt

Diese Analyse der Reaktion Chinas auf die Covid-19-Pandemie erreichte uns als Beitrag zum Global Workers Inquest zur Covid-19-Pandemie. Die WSWS berücksichtigt den Wunsch des Autors nach Anonymität. Dieser Artikel erschien zunächst in englischer Sprache am 13. Dezember.

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Zu den erstaunlichsten Tatsachen der Pandemie zählt, dass China – das Land, in dem SARS-CoV-2 erstmals festgestellt wurde – nur wenige Fälle zu beklagen hat. Seit April 2020 wurden in den USA beinahe 50 Millionen Infektionen gezählt; in China dagegen, einem Land mit vier Mal so vielen Einwohnern, waren es nur wenig mehr als 10.000.

Im Westen begegnet man dieser Tatsache im Wesentlichen mit zwei verschiedenen Reaktionen. Die erste – zunehmend seltenere – ist Ungläubigkeit. Selbst große westliche Medien, die China feindselig gegenüberstehen, erkennen schon lange an, dass Chinas Fallzahlen sehr niedrig sind. Wenn die Pandemie eines deutlich gezeigt hat, dann, dass das Virus nicht verschwindet, wenn man es ignoriert, und dass jeder nicht ernst genommene Ausbruch in China sehr schnell außer Kontrolle geraten würde – vor allem in dicht bevölkerten Metropolen wie Shanghai und Peking. Ein solcher Ausbruch würde von ausländischen Korrespondenten – ganz zu schweigen von hunderttausenden Ausländern, die in China leben – leicht bezeugt werden können. Wie wir noch zeigen werden, sind die von Chinas Regierung ergriffenen Pandemiemaßnahmen kaum zu übersehen und unmöglich geheim zu halten. In der Tat beruhen sie gerade auf einer weitverbreiteten Mitwirkung der Bevölkerung.

Die zweite Art von Reaktionen zeichnet von China das Bild einer Höllenlandschaft, in der die Bürger unter einem ständigen Lockdown und einem regelrechten Belagerungszustand leben. So titelt die New York Times in einem jüngst erschienenen Artikel: „Nahezu tägliche Corona-Tests und Übernachtungen in Klassenzimmern – Das Leben in Zero-Covid-China“. Der Artikel fokussiert sich auf eine (nach chinesischen Maßstäben) kleine Stadt an der Grenze zu Myanmar. Er zeichnet ein düsteres Bild:

„Die Einwohner von Ruili – einer geschäftigen, subtropischen Stadt, in der vor der Pandemie etwa 270.000 Menschen lebten – sind mit der extremen und harten Wirklichkeit eines Lebens unter der ‚Zero-Covid‘-Politik konfrontiert, wann immer auch nur ein einziger Corona-Fall festgestellt wird.“

Der Artikel schließt mit der beängstigenden Bemerkung eines Bewohners der Stadt: „‚Die gewöhnlichen Leute‘, seufzte [Li], ‚können so nicht mehr leben.‘“

Ruili ist jedoch nur eine 270.000-Einwohner-Stadt in einem Land mit 1.4 Milliarden Einwohnern. Ist Ruili tatsächlich repräsentativ für „das Leben in Zero-Covid-China“? Darauf lässt sich direkt antworten, dass Ruili ein ausgesprochener Sonderfall in China ist: Es liegt unmittelbar an der Grenze zu einer Region in Myanmar, die von einer bewaffneten Rebellengruppe beherrscht wird und als Drehscheibe grenzüberschreitender Schmuggelaktivitäten bekannt ist. Schmuggler bringen nicht nur illegal Waren nach Ruili, sondern gelegentlich auch das Virus. Aus welchem Grund konzentrieren sich die beiden Korrespondenten der New York Times (die aus Hong Kong bzw. Peking berichten) in ihrem Artikel ausgerechnet auf diese weit abgelegene Stadt?

Karte von China. Ruili ist eine kleine Stadt an der Grenze zu Myanmar, die von der New York Times als repräsentativ für das Leben im 'Covid-Zero China' dargestellt wird

Die Antwort lautet, dass die New York Times Ruili gerade deshalb in den Blick nimmt, weil die Stadt nicht repräsentativ für die Situation im größten Teil Chinas ist. Die Berichterstattung der Times ignoriert weitgehend die Erfahrung der Bevölkerung in weiten Teilen Chinas – auch der Städte, die um ein Vielfaches größer sind als Ruili, darunter Shanghai (25 Millionen Einwohner), Beijing (22 Millionen) und Guangzhou (19 Millionen).

Wie sieht nun das Leben im größten Teil von „Zero-Covid-China“ wirklich aus? Mit welchen Maßnahmen wird versucht, die Anzahl der Corona-Fälle im Land bei null oder annähernd null zu halten?

Dem ersten Ausbruch Anfang 2020 gebot China Einhalt durch strenge Lockdowns, vor allem in Wuhan, dem Epizentrum des Ausbruchs. Als die Zahl der Fälle zurückging und der Lockdown in chinesischen Städten aufgehoben wurde, erließ die Regierung strenge Quarantänevorschriften für Einreisende, um zu verhindern, dass das Virus erneut eingetragen wird. Ein aktueller negativer PCR-Test wird benötigt, um überhaupt in ein Flugzeug nach Peking zu steigen. Nach der Ankunft werden die Passagiere erneut getestet und dann vom Flughafen direkt in ein Quarantäne-Hotel gebracht, wo sie zwei bis drei Wochen bleiben, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Sie werden regelmäßig getestet, und Arbeiter in vollständiger Schutzkleidung liefern ihnen Mahlzeiten direkt in ihr Zimmer.

Viele Reisende haben ihre Erfahrungen mit diesem System in „Quarantäne-Vlogs“ festgehalten, darunter ein kanadischer YouTuber in mehrerenVideos. Dieses strenge Quarantänesystem stellt eine ziemlich verlässliche Barriere gegen das Virus dar, so dass das Leben innerhalb Chinas seit dem Ende der ersten Welle im Frühjahr 2020 relativ normal verläuft. Geschäfte, Restaurants, Bars und Kinos waren und sind in ganz China geöffnet. Am augenscheinlichsten zeigt sich dies in Bildern von vollen Nachtclubs und riesigen Pool Partys in Wuhan Ende 2020, sowie – etwas profaner – in Interviews mit gewöhnlichen Bürgern auf den Straßen von Shanghai im Herbst 2020. Doch die Quarantäne bietet keinen vollkommenen Schutz, und so gab es in den letzten eineinhalb Jahren mehr als ein Dutzend kleiner Ausbrüche in unterschiedlichen Regionen Chinas.

Gesamtzahl der Infektionen und der unter Quarantäne gestellten Personen in China (Datenquelle: China CDC)

Die Abbildung oben zeigt die Zahl der täglichen Infektionen [1] (blau) in China seit dem Ende der ersten Welle im April 2020. Die Zahl der unter Quarantäne gestelltenPersonen wird in orange angezeigt. Es gab mehrere kleine Ausbrüche in China, meistens begrenzt auf eine oder wenige Städte, die in der Regel innerhalb weniger Wochen unter Kontrolle waren. Die Stadt oder Provinz, in denen die einzelnen Ausbrüche begannen, wird durch Pfeile dargestellt. Um jeden Ausbruch zu beherrschen, werden enge Kontakte von Infizierten unter Quarantäne gestellt. Das lässt sich an den Höchstwerten für Quarantäne während jedes Ausbruchs ablesen. Seit April 2020 lag die höchste Zahl von Neuinfektionen an einem einzigen Tag knapp unter 200, und der Höchstwert an Quarantäne-Fällen überhaupt und zu jedem beliebigen Zeitpunkt lag wenig über 50.000. Zum Vergleich: Die kumulierte Zahl der unter Quarantäne gestellten Personen in China während der gesamten Pandemie liegt geringfügig über der Zahl der Menschen, die in den Vereinigten Staaten an Covid-19 gestorben sind.

Das Folgende ist ein Beispiel dafür, wie das Virus die Quarantänebarriere überwinden kann. Am 10. Juli 2021 landete ein Flugzeug aus Moskau in Nanjing. An Bord war ein mit der Delta-Variante infizierter Reisender. Arbeiter, die den Flugzeuginnenraum reinigten, infizierten sich. Dieselben Arbeiter reinigten Flugzeugkabinen für Inlandsflüge und verbreiteten so das Virus unter Menschen im Inlandsterminal. Weil sie bei ihrer Arbeit mit infizierten internationalen Fluggästen in Kontakt kommen können, wurden die Reinigungskräfte regelmäßig getestet. Elf Tage später, am 21. Juli 2021, wurde der Ausbruch entdeckt. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Virus bereits über den Flughafen hinaus verbreitet. Es verbreitete sich schließlich auf Städte in über einem Dutzend Provinzen. Die höchste Zahl von Neuinfektionen betrug beinahe 100 täglich, bevor das Virus Mitte August unter Kontrolle war. Nach diesem Ausbruch wurden für den Flughafenbetrieb Veränderungen vorgenommen, um einen erneuten größeren Ausbruch dieser Art zu verhindern.

Der Ausbruch in Nanjing zeigt, dass Quarantänemaßnahmen an den Grenzen allein die Ausbreitung des Virus nicht verhindern können. Die chinesische Regierung bezeichnet ihre Politik als „dynamische Null-Covid-Politik“. Damit ist gemeint, dass es dem Virus gelegentlich gelingen kann, ins Land zu kommen und kleine Fallcluster zu verursachen (etwa durch illegale Grenzübertritte von Schmugglern bei Ruili), dass aber eine unverzügliche Reaktion der Gesundheitsbehörden die Zahl der Fälle wieder auf null zurückbringen wird.

Beendigung eines Ausbruchs in 15 Tagen

An der Reaktion auf einen Ausbruch in der Stadt Chongqing vor wenigen Wochen wird deutlich, mit welchen Epidemiemaßnahmen China gegen das Virus vorgeht.

Chongqing mit seinen mehr als 20 Millionen Einwohnern ist vielleicht die größte Stadt, von der Menschen außerhalb Chinas bisher nie gehört haben. Sie liegt in einer bergigen Gegend in Südwestchina, am Zusammenfluss des Jangtse und des Jialing. Die Stadt blickt auf eine über 3000-jährige Geschichte zurück. Während der japanischen Invasion in den 1930er und 1940er Jahren war Chongqing die Kriegshauptstadt Chinas, weil sie tief im Landesinneren liegt.

Das Hauptgeschäftszentrum von Chongqing (Wikimedia, CC-BY-SAA 3.0) [Photo by Juukeihc / CC BY 4.0]

Beim ersten Ausbruch des Coronavirus in Wuhan im Januar 2020 erkrankten auch in Chongqing Menschen an Corona, und wie in fast ganz China wurde auch hier ein Lockdown verhängt. Im März 2020 lockerte die Stadt die Restriktionen, und Restaurants öffneten wieder den Innenbereich. Die Schulen nahmen im April und Mai den Präsenzunterricht wieder auf. Nach dem Ende des Lockdowns wurden in Chongqing über mehr als ein Jahr hinweg keine Neuinfektionen beobachtet. [2]

Chongqings erster nennenswerter neuer Ausbruch wurde festgestellt, als am Nachmittag des 1. November 2021 ein 32-jähriger Mann mit Fieber das Krankenhaus aufsuchte. Ein PCR-Test lieferte ein positives Ergebnis und löste eine entschiedene Reaktion der örtlichen Gesundheitsbehörden aus. Die Stadt machte den Fall sofort bekannt. Am Ende dieses Tages waren fünf weitere Personen positiv getestet und 279 befanden sich in Quarantäne. Unter ihnen waren auch die fünf Personen, bei denen der PCR-Test während der folgenden zehn Tage positiv ausfiel.

Schnell stellte sich heraus, dass der Herd des Ausbruchs in Chongqing eine Gruppe von Angestellten eines örtlichen Energieunternehmens war. Die Kontaktrückverfolgung ergab, dass die Ursache des Ausbruchs ein Angestellter der Firma war, der kurz zuvor eine Stadt in Nordchina besucht hatte, in der es gerade einen Ausbruch gab. Bei seiner Rückreise nach Sichuan machte er einen Zwischenstopp in Chongqing und hatte in der Firma Kontakt mit seinen Kollegen. Später fand man heraus, dass er auf dem Weg nach Chongqing bereits mit dem Virus infiziert war. Am 2. November war sein Test positiv, an dem Tag, als der erste Fall in Chongqing entdeckt wurde.

Innerhalb eines Tages nach der ersten Entdeckung sperrte die Stadt Chongqing den Hauptsitz des Energieunternehmens und andere Gebäude ab, die von den Infizierten besucht worden waren. Die Bezirke der Stadt, in denen sie lebten, kündigten Massentestungen an und sammelten innerhalb von 24 Stunden Proben von 125.000 Personen.

Die Wohnkomplexe der Erkrankten wurden streng abgeriegelt und das städtische Gesundheitspersonal lieferte regelmäßig Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter (ein kanadischer Youtuber besuchte das Gebäude, in dem der erste Patient wohnte – sein Bericht vermittelt eine Vorstellung über das Leben der Bewohner während des Lockdowns). Mehrere Bereiche der Stadt wurden als „Hochrisikozonen” ausgewiesen, deren Ein- und Ausgänge streng kontrolliert wurden. In der ganzen Stadt wurden Majhong-Salons, Kinos, Bibliotheken, Museen und andere öffentliche Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, vorübergehend geschlossen.

In den Tagen darauf stieg die Zahl der Menschen in Quarantäne weiter an, weil immer mehr enge Kontakte der Erkrankten identifiziert wurden. Knapp eine Woche später war mit knapp 1.300 Menschen in Quarantäne der Höchststand erreicht.

Die umfassende Reaktion der Behörden sorgte dafür, dass nur eine Handvoll Personen, die alle am ersten Tag unter Quarantäne gestellt worden waren, positiv getestet wurden. Am 17. November, nachdem mehr als zwei Wochen lang keine Neuinfektionen außerhalb der Quarantäne festgestellt worden waren, gab die Stadt bekannt, dass der Ausbruch unter Kontrolle sei. Chongqing wurde offiziell zur „Niedrigrisikozone“ erklärt. Einschränkungen wurden gelockert, und das Leben normalisierte sich wieder.

Vom ersten festgestellten Fall bis zum offiziellen Ende des Ausbruchs vergingen 15 Tage.

Die genetische Sequenzierung des Virus beim ersten Patienten in Chongqing bestätigte, dass dieser Fallcluster nur ein kleiner Teil eines Ausbruchs der neuen Delta-Variante war, der im Oktober in der nördlichen Provinz der Inneren Mongolei begann (höchstwahrscheinlich kam das Virus über die Mongolei nach China). Der Ausbruch war bis Mitte November in ganz China beendet. In diesem Zeitraum gab es in den Städten Chinas wenige Fälle, und die lokalen Ausbrüche wurden im Wesentlichen auf dieselbe Weise wie in Chongqing erstickt.

Entgegen der verbreiteten Wahrnehmung im Westen werden in China in selbstverständlicher Weise über jeden Fall sehr detaillierte Informationen veröffentlicht. Die Gesundheitsbehörden veröffentlichen eine „Aktivitätenliste“ für jede Person, die positiv getestet wird. Aufgeführt werden die Zeiten, zu denen sie in den vorangegangenen Tagen verschiedene Orte aufsuchten, wie sie sich infizierten (falls bekannt), und selbst die Pkw-Kennzeichen der Taxis, die sie in jüngster Zeit bestellt hatten. Ein typischer Auszug aus der Aktivitätenliste des ersten Patienten liest sich so:

28. Oktober, 9:30 Uhr: Von zuhause mit dem Taxi (Kennzeichen: Chongqing AD14574) zur Tankstelle Wulidian im Jiangbei-Viertel, um die Ladestationen zu überprüfen; mittags Essen im Restaurant Sister Huang’s Old Hot Pot in Wulidian mit Hr. Ye und Hr. Cao. [4]

Ein Ziel dieser detaillierten Aktivitätenlisten ist es, diejenigen zu warnen, die den infizierten Personen begegnet sind. Die Aktivitätenlisten der am 2. November festgestellten Fälle in Chongqing wurden alle bereits am nächsten Tag veröffentlicht. In den chinesischen sozialen Medien werden Aktivitätenlisten ausgiebig geteilt und kommentiert. Ein chinesischer Nutzer, der über die Vielzahl an öffentlichen Orten, die der erste Patient aufgesucht hatte, vielleicht amüsiert und auch beunruhigt war, kommentierte: „Vom Nachmittag bis zum Abend des 27.: Dreimal in drei verschiedenen Stadtbezirken essen gegangen. Was für eine Person ist das? Echt beeindruckend!“

Die Beziehungen zwischen den Personen des im November 2021 entdeckten Fallclusters in Chongqing auf der Grundlage von Kontaktverfolgungsdaten, die die Stadt veröffentlichte

Die obige Abbildung zeigt die Beziehungen zwischen den Personen des im November 2021 entdeckten Fallclusters. Es wurde bereits gesagt, dass der Ausbruch höchstwahrscheinlich nach Chongqing kam, als ein in Sichuan lebender Mann (dargestellt durch den grauen Kreis „S“) Ende Oktober 2021 Chongqing besuchte und dort mit Kollegen eines Energieunternehmens zusammen war. Der Mann aus Sichuan war kurz zuvor in Lanzhou im Norden Chinas gewesen, wo sich gerade ein Ausbruch ereignete. Er steckte einige seiner Kollegen an, die dann weitere Personen in Chongqing infizierten. Schließlich trat bei einem Angestellten der Firma, einem 32-Jährigen („c1“) Fieber auf. Der Mann begab sich ins Krankenhaus und wurde positiv getestet, was zu einer entschlossenen Reaktion der örtlichen Gesundheitsbehörden führte. Am Ende des Tages befanden sich alle oben dargestellten Personen in Quarantäne. Gegen den Mann aus Sichuan wurde später eine Untersuchung eingeleitet, weil er die Fahrt nach Lanzhou möglicherweise verschwiegen hatte.

Ein Hauptgrund für die erfolgreiche Beendigung von Ausbrüchen in Chongqing (und anderen Städten in China) ist die schnelle Identifizierung von engen Kontaktpersonen der Infizierten. Zum Einsatz kommen dabei Smartphone-basierte Kontaktverfolgungs-Apps, Mobilfunk-Standortdaten und Gespräche mit den Erkrankten selbst. Nachdem der erste Patient ein Krankenhaus aufgesucht hatte und positiv getestet worden war, wurden seine engen Kontaktpersonen schnell identifiziert und unter Quarantäne gestellt, wo sie regelmäßig getestet und medizinisch überwacht wurden.

Gleichzeitig wurden die Bewohner des Viertels, in dem der erste Patient wohnte, innerhalb weniger Tage getestet, um sicher zu sein, ob sich weitere Personen infiziert hatten. Hätte sich der Ausbruch weiter in der Bevölkerung ausgebreitet, hätte diese Testung weitere infizierte Personen ermittelt, und die Mitarbeiter der Kontaktverfolgung wären nach jeder weiteren Infektion aktiv geworden und hätten den Kreis von engen Kontaktpersonen identifiziert. Mit diesem Vorgehen kann jede Infektion in einer Stadt schnell identifiziert und die Ausbreitung aufgehalten werden.

Die Stadt Chongqing hatte Glück. Nur eine kleine Zahl von Menschen war infiziert worden, als der erste Patient identifiziert wurde. Nicht alle chinesischen Städte hatten so viel Glück. Im Verlauf des letzten Jahres konnten einige lokale Ausbrüche erst nach Wochen unter Kontrolle gebracht werden.

Die kurze Zeitspanne Anfang November 2021 war das einzige Mal seit April 2020, dass Chongqing das tägliche Leben stark einschränkte. Während so gut wie jede größere Stadt in anderen Ländern unter mehreren schweren Infektionswellen und hohen Todeszahlen litt, verlief das Leben in den letzten 20 Monaten in Chongqing – ebenso wie im Großteil Chinas – die meiste Zeit über relativ normal.

Die „dynamische Null-Covid-Politik“

Es ist deutlich geworden, dass die lokalen Gesundheitsbehörden für die Umsetzung von Chinas „dynamischer Null-Covid-Politik“ entscheidend sind. Beim Auftreten eines Falls in einer Stadt muss die Kontaktverfolgung sofort aktiv werden, um enge Kontakte zu identifizieren. Testungen von engen Kontakten und betroffenen Wohnvierteln müssen schnellstmöglich durchgeführt werden. Um den Ausbruch zu beenden, müssen die lokalen Gesundheitsstellen schnell das Ausmaß des Ausbruchs verstehen: Geht es um wenige Fälle, oder einen größeren Ausbruch, der sich unbemerkt ausgebreitet hat? Chinas Center for Disease Control and Prevention (China CDC), das nach dem Vorbild des amerikanischen CDC arbeitet, hat wiederholt betont (vgl. hier und hier), wie wichtig die Arbeit der kommunalen Gesundheitsbehörden für die Covid-Strategie des Landes ist und dass sie gestärkt werden muss.

Dafür wurden auf lokaler Ebene erhebliche Investitionen in das Gesundheitssystem getätigt. Die Regierung fordert von jeder Stadt, dass sie in der Lage ist, innerhalb kurzer Zeit ihre gesamte Bevölkerung zu testen. Bei Städten unter fünf Millionen sind das zwei Tage, bei größeren Städten drei bis fünf Tage. Diese lokalen Testkapazitäten werden ergänzt durch mobile Testlabore, die in Regionen mit aktiven Ausbrüchen entsendet werden, um das Screening der Bevölkerung zu beschleunigen.

Die Testkapazitäten wurden wiederholt zur Beendigung lokaler Ausbrüche eingesetzt. In der südchinesischen Metropole Guangzhou, die der Größe von New York entspricht, wurden während eines Ausbruchs infolge der Delta-Variante im Juni 2021 in nur drei Tagen 18 Millionen Bewohner getestet. Mit begrenzten Lockdowns in nur wenigen Vierteln, unterstützt durch Massentestungen und extensive Kontaktverfolgung gelang es, den Ausbruch einzudämmen und ihn in weniger als einem Monat ganz zu beenden.

Darstellung der gesamten Übertragungskette bei einem Ausbruch der Delta-Variante in Guangzhou vom Mai-Juni 2021. Aus der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet [6]

In der obigen Abbildung steht jeder Kreis für eine Person, die sich während des Ausbruchs infizierte. Die Pfeile zeigen, wer von wem infiziert wurde. Der erste entdeckte Fall, dargestellt durch die rote Raute, steckte sich im Krankenhaus an durch einen zufälligen Kontakt mit einem Patienten aus Übersee, dargestellt durch den grauen Kreis. Die Fähigkeit, jede Infektion zurückzuverfolgen und ganze Übertragungsketten zu verstehen, ist zentral für Chinas Fähigkeit, Ausbrüche zu kontrollieren.

Die lokalen Einrichtungen des Gesundheitswesens sind von großer Bedeutung, doch sie operieren im Rahmen einer umfassenderen nationalen Strategie gegen die Pandemie.

Im Sommer 2020, nach dem Ende des ersten Ausbruchs, erläuterte das chinesische CDC in einem Artikel in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet seine langfristige Strategie gegen die Pandemie. Das CDC gab zu bedenken, dass ungeachtet der gebrochenen ersten Welle in China „weiterhin starke Maßnahmen zur Unterdrückung des Virus notwendig sind, um das Wiederauftreten unentdeckter Übertragungen zu verhindern“.

Das CDC skizzierte zwei mögliche Strategien für China: „Eindämmung und Unterdrückung“ (die bereits erläuterte „dynamische Null-Covid-Politik“) oder „Mitigation“, die ein gewisses Maß an Verbreitung des Virus in Kauf nimmt, aber danach strebt, die Auswirkungen abzuschwächen. Das CDC urteilte: „Mitigation könnte über einen langen Zeitraum zur Herdenimmunität führen, doch nur zu einem hohen Preis in Bezug auf Infektionszahlen, Morbidität und Mortalität.“ Das CDC bewertete diese Politik – die von den meisten Regierungen der Welt verfolgt wird – als inakzeptabel. Die Einrichtung erklärte, dass ihr Ziel vielmehr darin bestehe, die Bevölkerung zu schützen, bis ein Impfstoff entwickelt und umfassend eingesetzt werden könne:

„Das gegenwärtige strategische Ziel ist es, Übertragungen von SARS-CoV-2 in China bei null oder nahe null zu halten, bis die Bevölkerung durch sichere und wirksame Impfstoffe Immunität gegen Covid-19 erwirbt; dann sollte die Gefahr, sich mit Covid-19 zu infizieren, minimal sein. Mit dieser Strategie wird die Zeit gewonnen, die dringend benötigten Vakzine und Behandlungen unter Bedingungen einer geringen Morbidität und Mortalität zu entwickeln. Impfstoffe sind fast sicher eine globale Notwendigkeit, um die Pandemie zu bekämpfen. Sie verhindern, dass sich diejenigen infizieren, die von einem Kontakt mit dem Virus bedroht oder aus medizinischen Gründen gefährdet sind. Schließlich tragen sie zur Immunisierung der Bevölkerung bei und verhindern den Import und die Übertragung des Virus.“

In China haben inzwischen beinahe 80 Prozent der Bevölkerung den vollen Impfschutz. Dieser Grad der Immunität wurde erreicht, ohne dass das Land unter einem massiven Infektionsgeschehen zu leiden hatte. Doch die fortgesetzte Verbreitung des Virus in Ländern, die große Teile ihrer Bevölkerung geimpft haben und dennoch hohe Todeszahlen aufweisen, haben Chinas CDC bewogen, vor dem Aufgeben einer Null-Covid-Strategie zu warnen.

Das CDC veröffentlichte kürzlich eine Einschätzung der Folgen einer „Mitigations-Strategie“, wie sie die meisten Ländern verfolgen. Chinas Gesundheitssystem würde rasch durch hunderttausende Covid-19-Fälle und täglich mehr als 10.000 schwere Fälle überlastet sein. „Bestimmte ‚Öffnungs‘-Strategien rückhaltlos zu unterstützen“, warnte das CDC, „hätte verheerende Auswirkungen auf das Gesundheitssystem Chinas und würde eine große Katastrophe im Land nach sich ziehen.“

Dr. Zhong Nanshan, chinesischer Lungenfacharzt, der eine führende Rolle im Kampf gegen die Coronapandemie spielt und für seine Beiträge zum ursprünglichen SARS-Ausbruch bekannt ist (Xinhua/Liu Dawei)

Dr. Zhong Nanshan ist ein Lungenfacharzt, der während des Ausbruchs des ursprünglichen SARS-Erregers im Jahr 2003 durch öffentliche Stellungnahmen zur Epidemie und zur Entwicklung eines Therapieregimes für SARS-Patienten einem breiteren Publikum bekannt wurde. Zhong Nanshan, der inzwischen 85 Jahre alt ist, spielt bei der Festlegung und öffentlichen Erläuterung von Chinas Reaktion auf Covid-19 eine zentrale Rolle.

Im Januar 2020 reiste Dr. Zhong mit einem Ärzteteam von Chinas Nationaler Gesundheitskommission nach Wuhan, um den Ausbruch zu untersuchen. Er war die erste bekannte Persönlichkeit, die bekannt gab, dass SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch übertragbar ist. In einem aktuellen Interview erläuterte er, dass die dynamische Null-Covid-Politik ein „relativ kostengünstiger Ansatz“ ist im Vergleich dazu, die Ausbreitung des Virus zuzulassen, und dass das ständige Aufheben und wieder in Kraft setzen von Einschränkungen in anderen Ländern sich psychologisch nachteiliger auf die Bevölkerung auswirkt. Dr. Zhong hat geäußert, dass die Aufrechterhaltung von Chinas strikten Einreisekontrollen davon abhängen sollte, inwiefern andere Länder auf der Welt die Verbreitung des Virus unter Kontrolle bringen und inwiefern wirksame Impfstoffe, neue Medikamente und Behandlungsmöglichkeiten die Schwere der Erkrankung reduzieren.

China in der Pandemie: ein Ausblick

Die Aussagen von Dr. Zhong stehen deutlich im Widerspruch zu Forderungen westlicher Medien an China, seine Null-Covid-Politik aufzugeben und eine „Mit dem Virus leben“-Politik wie die USA zu verfolgen. Die Financial Timeserklärt, Null-Covid-Länder sind am Ende einer Sackgasse“, und „Chinas Selbstisolation bereitet der ganzen Welt Sorgen“. Die New York Times greift ein einem Artikel nach dem anderen die Null-Covid-Politik Chinas an; in noch zynischerer Manier versucht sie, Angst, Verunsicherung und Zweifel gegenüber Chinas Impfstoffen zu schüren. Der Guardian behauptet, dass die Bevölkerung zunehmend genug von der Null-Covid-Politik habe.

Die Vorstellung, dass China – das SARS-Cov-2 während der letzten 20 Monate bei weitgehender Aufrechterhaltung eines normalen Alltagslebens in Schach halten konnte – epidemiologische Ratschläge der Financial Times, der New York Times oder des Guardian annehmen sollte, ist offensichtlich absurd. Doch auch von anderer Seite gibt es starken Druck auf China, seine Eindämmungspolitik gegenüber Covid-19 aufzugeben. Zwar ermöglicht das Land seinen Bürgern ein normales Leben mit relativ geringen Einschränkungen, doch der internationale Reiseverkehr wurde unter dem strikten Quarantäneregime für Einreisende – drei Wochen – stark eingeschränkt. Die New York Times betont nur zu gern die Schwierigkeiten, die damit für Geschäftsleute verbunden sind, die nach China reisen. Und natürlich steht die chinesische Regierung ebenso wie westliche Regierungen unter dem Druck der heimischen Geschäftswelt, die darauf drängen, Reisebeschränkungen und andere Schutzmaßnahmen abzuschaffen, die die Geschäftstätigkeit beeinträchtigen.

Mit dem Auftauchen der Omikron-Variante zeigt sich, wie unsinnig die – meist ausländischen – Forderungen nach Aufgabe der „dynamischen Null-Covid-Politik“ sind, die erst vor wenigen Wochen immer lauter erhoben wurden. Zu ersten Meldungen über Omikron meinte Dr. Zhong Nanshan, dass China beobachten werde, wie sich die neue Variante verhalte, und ob ein neuer Impfstoff gegen sie gebraucht werde. Dank seiner dynamischen Null Covid-Politik kann China die Entwicklung aus sicherem Abstand abwarten. Dagegen befinden sich Länder, die „mit dem Virus leben“, im Blindflug und kennen die Risiken für die Gesundheit ihrer Bevölkerung erst, wenn sich Omikron verbreitet hat.

Chinas Erfahrung in der Zeit der Pandemie beweist, dass eine kraftvolle Reaktion des Gesundheitssystems die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Schach halten kann. Das erklärt vielleicht die wiederholten, scheinbar irrationalen Versuche von Medien wie der New York Times, Chinas Null-Covid-Politik anzugreifen – und ihre gleichzeitige Unfähigkeit, ihren Lesern zu erklären, wie diese Politik funktioniert.

Die Pandemiemaßnahmen, denen Chinas Bürger unterworfen wurden, verblassen im Vergleich zu dem Preis an Menschenleben und Lebensbedingungen, den amerikanische Bürger bisher bezahlt haben. Seit Beginn der Pandemie ist für jede in China unter Quarantäne gestellte Person ein amerikanischer Bürger gestorben, obwohl die Bevölkerung Chinas, viermal so groß ist wie die der USA. Gleichzeitig war die Zeit, die die meisten chinesischen Städte seit April 2020 im Lockdown verbracht haben, minimal. Doch die New York Times will ihren Lesern lieber weismachen, dass eine abgelegene Stadt an der Grenze zu Myanmar die Norm sei in „Null-Covid-China“, als sie darüber zu informieren, dass der Alltag von mehr als einer Milliarde Menschen, z. B. in Städten wie Beijing, Shanghai und Guangzhou, in den letzten 20 Monaten nur wenig Einschränkungen kannte und ihr Leben durch das Virus praktisch nicht in Gefahr war.

Maßnahmen zur Epidemiebekämpfung, die auf grundlegenden epidemiologischen Erkenntnissen und moderner Technologien wie PCR-Tests und Smartphone-basierter Kontaktverfolgung beruhen, haben sich in Chongqing und ganz China als effektiv erwiesen. Wissenschaftler, Arbeiter und Studierende müssen entschieden dafür eintreten, dass solche lebensrettenden Maßnahmen auf der ganzen Welt ergriffen werden.

Endnoten:

[1] „Tägliche Infektionen“ sind definiert als die Anzahl neuer inländischer symptomatischer und asymptomatischer Infektionen. China informiert in der Regel über die tägliche Zahl asymptomatischer Infektionen, symptomatischer Fälle und die Zahl der asymptomatischenInfektionen, die sich zu symptomatischen Fällen entwickeln. Die Zahl der „täglichen Infektionen“ setzt sich zusammen aus den asymptomatischen Infektionen und symptomatischen Fällen, abzüglich der asymptomatischen Fälle, die symptomatischwerden.

[2] Nach dem April 2020 wurden in Chongqing bis 31. Juli 2021 keine neuen Fälle festgestellt. Dann wurden zwei Fälle entdeckt. Fünf Tage später, am 5. August, wurde eine weitere asymptomatische Infektion entdeckt, zu einem größeren Ausbruch in Chongqing kam es aber nicht.

[3] Im Chinesischen: “活动轨迹”

[4] Im Chinesischen: “10月28日9点30分从家中打车(车牌号:渝D14574),到江北区五里店加气站查看充电桩,中午在五里店黄姐老火锅与叶某涛、曹某一起用餐。”

[5] Im Chinesischen: “27号下午至晚上在三个不同的区吃了三顿,什么人啊,这么牛逼!”

[6] Wang et al.: „Transmission, viral kinetics and clinical characteristics of the emergent SARS-CoV-2 Delta VOC in Guangzhou, China.“ The Lancet, 2021. DOI: 10.1016/j.eclinm.2021.101129

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