Perspektive

Amerikas Covid-19-Albtraum

Die Omikron-Variante breitet sich in den Vereinigten Staaten aus und führt zu einem Anstieg der Neuinfektionen, Todesfälle und Krankenhauseinweisungen.

Die offizielle Zahl der Todesopfer der Pandemie in den Vereinigten Staaten beträgt nun 875.000. Allein im letzten Monat sind 45.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Die tatsächliche Zahl der US-Todesopfer beläuft sich laut der Statistik zur Übersterblichkeit von The Economist auf über 1 Million.

Eine Pflegerin wechselt die Maske, Seattle, 14. Januar 2022 (AP Photo/Elaine Thompson)

Jeden Tag sterben durchschnittlich 2.000 Amerikaner an dieser vermeidbaren Krankheit, an manchen Tagen sogar bis zu 2.700 Menschen. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) gehen davon aus, dass die Zahl der Todesopfer in den kommenden Wochen auf durchschnittlich 3.000 pro Tag ansteigen wird, da die Krankenhäuser mit der Flut von Patienten zunehmend überfordert sind.

Die Omikron-Welle ist für Kinder weitaus gefährlicher als jede frühere Welle der Pandemie. Allein in den letzten sechs Tagen sind 42 Kinder an Covid-19 gestorben, das sind 7 pro Tag. Dies sind etwa doppelt so viele wie während des Höhepunkts der Delta-Welle im letzten Herbst starben, bei der über 500 Kinder in den USA ums Leben kamen. Insgesamt sind nach Angaben der CDC inzwischen 1.127 US-Kinder dem Virus erlegen. Unzählige andere, bei denen der Verlauf als „mild“ eingestuft wird, leiden unter den Auswirkungen von Long Covid.

Seitdem Anfang Dezember der erste Fall der Omikron-Variante berichtet wurde, haben sich die Krankenhauseinweisungen wegen Covid-19 bei Kindern vervierfacht, so die Zahlen der CDC, auf die sich The Economist bezieht. In New York, dem am stärksten betroffenen US-Bundesstaat, haben sich die Krankenhauseinweisungen von Kindern zwischen der zweiten Dezemberwoche und der ersten Januarwoche versiebenfacht.

Insgesamt sind landesweit 154.208 Menschen mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert worden, fast 25.000 mehr als bei jeder vorherigen Welle.

Der massive Anstieg der Neuinfektionen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle ist ein Resultat der Entscheidung von US-Präsident Biden, alle Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit aufzugeben. Im vergangenen Monat verkürzte die Regierung die Quarantänezeit für Infizierte auf fünf Tage, so dass noch ansteckende Arbeiter wieder in ihren Betrieb zurückkehren und andere infizieren können.

In Krankenhäusern werden zum Teil positiv getestete Mitarbeiter dazu aufgefordert, ohne jegliche Quarantäne weiter zu arbeiten. Im Ergebnis sind die Fälle von Covid-19-Übertragung im Krankenhaus um das Vierfache angestiegen.

In allen sozialen Medien erscheinen täglich Berichte über die schrecklichen Erfahrungen und Bedingungen, denen Beschäftigte im Gesundheitswesen, im Bildungswesen und in anderen Berufszweigen ausgesetzt sind.

Wider besseres Wissen wird behauptet, Schulen und Hochschuleinrichtungen seien sicher, dabei erfahren Lehrer und Erzieher, die in die Klassenzimmer zurückkehren müssen, wie ihre Schüler erkranken und Covid-19 in ihre Familien schleppen. Ein Pädagoge aus New Jersey schreibt auf Twitter: „In den letzten zwei Wochen haben sich zwei Schüler in der Schule mit Covid angesteckt. Sie haben es mit nach Hause gebracht, und heute sind ihre Erziehungsberechtigten (Mutter und Großmutter) tot.“

Die Krankenhauspatienten werden von einem Personal behandelt, das bis an die Grenzen ausgelastet ist. In einem Bericht, der sich auf Twitter verbreitete, postete die Notfallmedizinerin Regina Royan ein Selfie von sich selbst, im 9. Monat schwanger, im Krankenhaus mit Maske und der Bildunterschrift: „Letzte Schicht mit einer Notaufnahme voller Covid in der 39 1/2. Woche!“

Die italienische Ärztin Irine Tosetti kommentierte: „Es ist schrecklich zu sehen, was die USA ihren Beschäftigten antun.“

Trotz dieser Maßnahmen ist das Krankenhaussystem des Landes am Rande des Kollaps. Der Boston Globe schrieb in einem Artikel von letzter Woche: „Das größte gemeinnützige Gesundheitsnetzwerk der USA, Mass General Brigham, wird ab Montag Tausende von Operationen pro Woche streichen, um dem Tsunami von Patienten, die in seine Krankenhäuser strömen, Herr zu werden.“

Überall im Land bricht das medizinische System zusammen. „Ärzte suchen in Facebook-Gruppen von medizinischen Einrichtungen verzweifelt nach Krankenhäusern, in die sie ihre schwerkranken Patienten verlegen können, und schaffen es nicht“, schreibt der Arzt Jeremy Faust auf Twitter.

Doch während die Krankenhäuser mit den vielen Fällen überfordert sind, lebenswichtige Eingriffe verschoben werden und Ärzte wegen der Flut von Todesfällen mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben, dominiert in den nationalen Medien ein anderes Narrativ: Die Krise ist vorbei, Omikron ist „mild“, und eine Masseninfektion sollte einfach akzeptiert werden.

„Ist mit Omikron der Höhepunkt erreicht?“ fragt der Kolumnist der New York Times David Leonhardt und wiederholt damit eine falsche Behauptung, die er während der gesamten Pandemie immer wieder aufgestellt hat.

Schlimmer noch, einige Nachrichtenmedien fördern aktiv die Masseninfektion. „Für einige, die kürzlich an Covid erkrankt sind, ein unerwartetes Gefühl: Erleichterung“, schreibt NBC News. In dem NBC-Bericht, der von Ärzten und Gesundheitsexperten mit überwältigender Mehrheit verurteilt wurde, heißt es: „Einige, die erst kürzlich eine Covid-Diagnose erhalten haben, stellen fest, dass die Erkrankung, die sie so lange zu vermeiden versuchten, ihnen eine unerwartete Linderung ihrer Ängste gebracht hat - anstatt sie noch zu verstärken.“

„Die Ausbreitung verlangsamen? Es könnte sicherer sein, sie zu beschleunigen“, heißt es in einem Meinungsartikel im Wall Street Journal .

Die Berichterstattung über den aktuellen Stand der Pandemie wird mehr und mehr auf den vierten oder fünften Platz in den Abendnachrichten verwiesen. Unbedingt wird inmitten der Katastrophe die „gute Nachricht“ hervorgehoben. Gestern wurde behauptet, dass die Zahl der Fälle in einigen Städten aufgrund der schieren Masse der Infektionen einen Höchststand erreicht habe. Inzwischen hat das Virus weite Teile des Landes, auch ländliche Gebiete, erfasst.

Da jeden Tag Tausende sterben, wird versucht, die Öffentlichkeit darauf zu konditionieren, Masseninfektionen und Tod einfach als unvermeidlich hinzunehmen. Was Ärzte, Pädagogen und Pflegekräfte dazu sagen, wird schlicht ignoriert.

Doch unter Arbeitern und Jugendlichen hat die totale Gleichgültigkeit der herrschenden Klasse gegenüber dem menschlichen Leben eine Welle des Widerstands hervorgerufen. In der vergangenen Woche legten Tausende von Schülern an Dutzenden von High Schools in Chicago aus Solidarität mit ihren Lehrern die Arbeit nieder. Die Lehrergewerkschaft von Chicago hat die Lehrkräfte zurück in die Klassenzimmer gezwungen, obwohl ihre Abstimmung eine Mehrheit für die Fortsetzung des Online-Unterrichts ergeben hatte.

Überall im Land kämpfen die Beschäftigten in Apotheken, Lebensmittelgeschäften, bei der Bahn und an anderen Arbeitsplätzen für angemessene Löhne und sichere Arbeitsbedingungen.

Die Empörung über die Biden-Regierung wächst. Sie hatte versprochen, „der Wissenschaft zu folgen“, aber nun hat sie die Politik der Massenansteckung der Trump-Regierung nach dem Motto „Lass laufen“ vollständig übernommen.

Am Montag berichtete Oxfam, dass die 10 reichsten Menschen der Welt ihren Reichtum während der Pandemie verdoppelt haben, während das Einkommen von 99 Prozent der Bevölkerung sank. Den Arbeitern in den Vereinigten Staaten und in der ganzen Welt wird immer klarer, dass all dieser Tod und dieses Elend nur ein Ziel haben: die Bereicherung einer parasitären Finanzoligarchie.

Das unvermeidliche Ergebnis der schrecklichen Erfahrung, die die amerikanische und internationale Arbeiterklasse macht, ist ein Aufschwung des Klassenkampfes, verbunden mit dem Anwachsen einer sozialistischen Stimmung.

Die Katastrophe kann und muss beendet werden. Im Kampf gegen die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie müssen die Arbeiter für eine andere Strategie einstehen: Für die globale Eliminierung des Virus und die Ablehnung der kapitalistischen Haltung, Menschenleben dem privaten Profit zu opfern.

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