Frankreich: Gewerkschaften versuchen Kampf der Lehrer abzuwürgen

Am Donnerstag gingen in ganz Frankreich die Lehrer auf die Straße. Bereits eine Woche zuvor waren sie in einen landesweiten Streik gegen die Gesundheitspolitik von Präsident Emmanuel Macron getreten. Die Beteiligung an den jüngsten Protesten war niedriger als in der Woche zuvor, dennoch waren sie Ausdruck des großen Widerstands in der Bevölkerung gegen die ungehinderte Ausbreitung der Omikron-Variante. Immer mehr Menschen fordern außerdem den Rücktritt von Bildungsminister Jean-Michel Blanquer.

Lehrer versammeln sich am Donnerstag, den 13. Januar 2022 zu einer Protestveranstaltung im nordfranzösischen Lille (AP Photo/Michel Spingler)

Die Gesundheitslage ist katastrophal. Seit vier Tagen in Folge werden in Frankreich fast eine halbe Million Neuinfektionen gezählt. Derzeit gibt es fast sechs Millionen aktive Fälle von Covid-19. Damit sind nahezu neun Prozent der Bevölkerung infiziert, und Kinder sind besonders stark betroffen. Dennoch haben Premierminister Jean Castex und Gesundheitsminister Olivier Véran angekündigt, fast alle noch verbliebenen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 aufzuheben, und damit ihre Unterstützung für eine Politik der Massendurchseuchung unmissverständlich klar gemacht.

Am 13. Januar waren laut Zahlen der Gewerkschaften mehr als 75 Prozent der Lehrer dem Streikaufruf gefolgt, die Hälfte der Schulen blieb geschlossen, und laut Angaben der Polizei beteiligten sich etwa 78.500 Lehrkräfte an Demonstrationen. Am 20. Januar streikten laut Zahlen des Bildungsministeriums nur 1,15 Prozent der Grundschul- und 2,18 Prozent der Sekundarschullehrer. Der Präfekt der Pariser Polizei, Didier Lallement, hatte zunächst gedroht, die Demonstration in Paris nicht zu erlauben, erklärte dann aber gegenüber den Gewerkschaften, er werde sie „dulden“.

Es wäre allerdings falsch, aus dem Rückgang der Teilnehmerzahlen zu schließen, dass sich die Arbeiter in Frankreich oder anderswo mit der Durchseuchungspolitik abfinden. Tatsächlich nehmen in den USA, Griechenland und vielen anderen Ländern die Streiks und Schulproteste zu. In Wirklichkeit beteiligten sich deshalb weniger Lehrer, weil es unmöglich ist, Widerstand gegen die Durchseuchungspolitik zu mobilisieren, solange die nationalen Gewerkschaftsbürokratien die Bewegung im Würgegriff halten.

Die französischen Gewerkschaften haben die Lehrkräfte demoralisiert, indem sie direkt nach dem Streik am 13. Januar das Angebot von Bildungsminister Blanquer annahmen, fünf Millionen N95-Masken für Kindergartenerzieher und zusätzliche Gelder für die Einstellung von Vertretungslehrern bereitzustellen. Zudem brüsteten sie sich am Donnerstag lautstark, sie hätten zwar zum Streik aufgerufen, aber die Lehrer nicht zur Teilnahme ermutigt.

Der Generalsekretär der Lehrergewerkschaft SNUIPP-FSU, Guislaine David, erklärte gegenüber AFP unverblümt: „Das Ziel war diesmal nicht, die Lehrer zum Streik aufzurufen, weil das eine Woche nach dem letzten Streik schwer ist. Heute war es das Ziel, durch lokale Mobilisierungen den Druck aufrechtzuerhalten, bevor für den 27. Januar zu einem neuen Streik aufgerufen wird.“

In Marseille erklärte die FSU-Funktionärin Caroline Chavet: „Im Moment haben wir hier verschiedene Initiativen, die in den verschiedenen Bildungseinrichtungen entstehen und Dinge in dem Ausmaß organisieren, das ihnen zusagt. Das Wichtigste ist, dass die Lehrer miteinander sprechen. Wir müssen uns selbst überzeugen, vereint zu einem Streik am 27. Januar zu kommen.“

Diese selbstgefällige Herangehensweise zeigt die völlige Gleichgültigkeit großer Teile der Gewerkschaftsbürokratie gegenüber dem Verlauf der Pandemie. Jede Woche sterben in Frankreich mehr als 1.000 Menschen an Covid-19, europaweit 20.000. Gleichzeitig infizieren sich Millionen von Erwachsenen und Kindern mit dem Virus, dessen langfristige gesundheitliche Folgen noch immer nicht bekannt sind. Dennoch stehen die Gewerkschaftsbürokratien in Frankreich und weltweit der Ausbreitung von Covid-19 genauso gleichgültig gegenüber wie die Macron-Regierung. Sie schlagen nicht vor, die Durchseuchung aufzuhalten, sondern meinen, dass die Lehrer „miteinander sprechen“ sollten.

Deshalb haben die Gewerkschaften diverse politische Theatervorstellungen vor Schulen und staatlichen Gebäuden organisiert. Vor dem Bildungsministerium tanzten ein paar Dutzend Menschen in Badeanzügen und Blanquer-Masken. Sie trugen ein Schild mit der Aufschrift: „Ein Treffen zu Gesundheitsprotokollen ist geplant, stören Sie den Gesundheitsminister nicht.“ Die Veranstaltung wurde von Bereitschaftspolizisten beendet.

Tatsächlich hatte Blanquer bei den Lehrern für Empörung gesorgt, nachdem herausgekommen war, dass er die Gesundheitsrichtlinien für das neue Jahr am Vorabend des Ferienendes in einem Interview mit Le Parisien aus seinem Urlaub in Ibiza telefonisch übermittelt hatte. Eine anonyme Quelle erklärte gegenüber France Info, Macron habe Blanquers Verhalten missbilligt, und möglicherweise werde der Minister entlassen.

In Wirklichkeit ist Blanquers Mangel an Respekt für sein eigenes Amt nur ein besonders augenfälliger Ausdruck davon, dass die gesamte Macron-Regierung eine Politik betreibt, die die Ausbreitung von Covid-19 in der französischen Bevölkerung noch einmal massiv beschleunigen wird.

Bei der Pressekonferenz am Donnerstagabend kündigten Castex und Véran eine Reihe von Maßnahmen an, die darauf hinauslaufen, dass die Regierung nicht einmal mehr so tun wird, als wolle sie Ansteckungen verhindern.

Für Theater, Stadien und Reisen per Flugzeug und Zug wird ein Impfpass notwendig sein, der den Impfstatus bestätigt. Zudem sollen Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren Booster-Impfungen erhalten. Die staatliche Homeoffice-Empfehlung soll fallen. Stadien, Diskotheken und Theater werden ohne Einschränkungen geöffnet, und im nächsten Monat wird die Maskenpflicht im Freien abgeschafft. Im Februar oder Anfang März soll es weitere, noch nicht näher bezeichnete Lockerungen des Pandemieschutzes in Schulen geben.

Die französischen Gewerkschaftsbürokratien setzen dieser Politik keinen Widerstand entgegen. Ihre Aufgabe ist es, den Arbeitern die vom Staat und der Wirtschafts- und Finanzoligarchie beschlossenen Maßnahmen schmackhaft zu machen. Ihre Vermögen beruhen größtenteils auf Subventionen von Unternehmen, deren Erhalt wiederum voraussetzt, dass die Profite der französischen Großunternehmen weitersprudeln. Im Zuge der Streiks, die sie in den letzten Jahren ausgerufen und dann ausverkauft haben, handelten die Gewerkschaften Kürzungen der Renten, der Gehälter im öffentlichen Dienst und der Arbeitslosenunterstützung aus.

Heute verschachern die Gewerkschaften weltweit nicht nur den Lebensstandard der Arbeiter, sondern auch deren Leben und Gesundheit. Die internationale Welle des Widerstands gegen die Rückkehr von Kindern in unsichere Schulen versetzt sie zweifellos in Angst und Schrecken. Sie wollen keinen Kampf führen, sondern verhindern, dass ein Kampf ausbricht, der ihrer Kontrolle völlig entgleiten würde.

Um die Pandemie zu beenden und die Durchseuchungspolitik zu bekämpfen, müssen die Arbeiter den nationalen Gewerkschaftsbürokratien die Kontrolle über den Kampf entreißen. In vielen Städten der USA, u.a. in Chicago, San Francisco, New York und Boston sowie in Griechenland wächst die Zahl der Streiks und Proteste. Aktivisten für sichere Schulen, wie Lisa Diaz in Großbritannien, setzen sich gegen Verleumdungskampagnen der Mainstream-Medien zur Wehr. Und in den Betrieben wächst weltweit die Wut über die Durchseuchungspolitik und die Inflation, die die Reallöhne der Arbeiter auffrisst.

Der Weg vorwärts ist ein internationaler Kampf zum Aufbau von Aktionskomitees. Diese Aktionskomitees müssen unabhängig von den Gewerkschaftsbürokratien Streiks und andere Maßnahmen koordinieren, um eine wissenschaftliche Gesundheitspolitik durchzusetzen und die Ausbreitung des Coronavirus zu beenden. Notwendig ist ein strikter Lockdown, das Ende des Präsenzunterrichts und die Umsetzung einer Zero-Covid-Politik bei vollem Lohnausgleich für Arbeiter und vollständiger finanzieller Entschädigung für Kleinunternehmer.

Die Parti de l’égalité socialiste ruft Lehrer, Jugendliche und Arbeiter, die solche Organisationen in ihren Ländern aufbauen und die Pandemie beenden wollen, dazu auf, sich mit der World Socialist Web Site in Verbindung zu setzen und sich am Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees zu beteiligen.

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