Antrittsbesuch von Scholz: Kriegsgipfel in Washington

Am heutigen Montag trifft Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington zu seinem offiziellen Antrittsbesuch mit US-Präsident Joe Biden zusammen. In den Tagen davor ist der Druck auf die Bundesregierung, den Kriegskurs der USA gegen Russland vorbehaltlos zu unterstützen, massiv gestiegen.

Die USA und ihre engsten Nato-Verbündeten bemühen sich seit Wochen, eine militärische Reaktion Russlands gegen die Ukraine zu provozieren oder vorzutäuschen, um einen Vorwand für einen Krieg zu schaffen, der die ganze Welt in ein nukleares Inferno stürzen könnte. Sie rüsten die nationalistischen Kräfte in der Ukraine mit letalen Waffen auf und verlegen tausende zusätzlicher Soldaten nach Osteuropa.

„Wenn der Kanzler die deutsche Schlüsselrolle in Europa behalten will, muss er bei seinem USA-Besuch eine klare Botschaft senden – dazu gehört auch ein Bekenntnis zu militärischer Abschreckung,“ fordert Thorsten Brenner, Gründer des privaten Thinktanks Global Public Policy Institute (GPPI) im Spiegel. Zuvor hatten bereits transatlantisch gut vernetzte Alpha-Journalisten in der Süddeutschen, der Frankfurter Allgemeinen und der Zeit Ähnliches verlangt. Die WSWS hat darüber berichtet.

Auch von US-Seite wächst der Druck auf die deutsche Regierung. Die New York Times titelte: „Deutschland wankt bei der Ukraine, und die Verbündeten sorgen sich.“ Das Wall Street Journal fragte: „Ist Deutschland ein verlässlicher amerikanischer Verbündeter?“ und antwortete in großen Lettern mit einem deutschen „Nein“. Im Kongress arbeiten Demokraten und Republikaner an einem umfassenden Sanktionspaket, das auch die Gaspipeline Nord Stream 2 umfassen und möglicherweise selbst dann in Kraft treten soll, wenn Russland die Ukraine nicht militärisch angreift.

„Deutschlands Ruf hat in den vergangenen Monaten stark gelitten,“ erklärt Thorsten Brenner im Spiegel. „Letzte Woche schickte Emily Haber, die deutsche Botschafterin in Washington, einen Brandbrief nach Berlin. Deutschland gelte als ‚unzuverlässiger Partner‘ in der Russland- und Chinapolitik. Deutschland drohe massiver Reputationsschaden. Republikaner sprächen regelmäßig davon, Deutschland sei ‚mit Putin im Bett‘.“ Das Treffen mit Präsident Biden biete „Scholz nun die Bühne, diesen Eindruck zu korrigieren“.

Brenners Thinktank GPPI mit Sitz in Berlin steht politisch der US-Regierung nahe. In seinem Advisory Board sitzen Ann-Marie Slaughter, die Leiterin des Planungsstabs der früheren US-Außenministerin Hillary Clinton, und der US-Investor George Soros. Brenner betont, dass es beim Treffen von Scholz und Biden „um weit mehr als die Ukraine“ gehe: um die weitere Aufrüstung der Nato in Osteuropa und den Schulterschluss mit den USA gegen China.

„Noch wichtiger ist es, dass Scholz ein klares Signal setzt, dass Deutschland zusätzliche militärische Investitionen in die Abschreckung des Kremls und die Verteidigung der Nato-Bündnispartner an der Ostflanke unternehmen wird“, schreibt er, und: „Gleichzeitig sollte Scholz in Washington konkrete Vorschläge für transatlantische Zusammenarbeit in der Chinapolitik machen.“ Er solle „den Schulterschluss mit Washington gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen Pekings“ suchen und „deutlich machen, dass deutsche Friedenspolitik den Status quo in der Taiwan-Straße verteidigen hilft“.

Scholz und seine Außenministerin Annalena Baerbock haben längst deutlich gemacht, dass die deutsche Regierung im Konflikt mit Russland auf der Seite der USA und der Nato stehen. Sie haben wieder und wieder erklärt, „dass es für Russland hohe Kosten haben würde, wenn es eine militärische Aggression gegen die Ukraine gäbe“. Nach anfänglichem Zögern hat Scholz auch klargestellt, dass Nord Stream 2 Bestandteil möglicher Sanktionen wäre. Quellen aus dem Kanzleramt berichten, dass Deutschland und die USA bei der Planung von Finanz- und Wirtschaftssanktionen längst eng zusammenarbeiten.

Am Sonntag, als er bereits auf dem Weg nach Washington war, versicherte Scholz im „Bericht aus Berlin“ der ARD noch einmal: „Wir haben seit langer Zeit eine klare Strategie zusammen mit unseren Verbündeten.“ Man werde weiter klar machen, „dass eine militärische Aggression gegenüber der Ukraine hohe Kosten für Russland hätte“. Darüber gebe es sehr genaue Absprachen „mit den USA, der EU und allen, die es angeht“.

Scholz fügte hinzu, der zweite Teil der Strategie bestehe darin, dafür zu sorgen, dass wieder gesprochen werde. Neben den bilateralen Gesprächen zwischen den USA und Russland, dem NATO-Russland-Rat und der OSZE hob er insbesondere das Normandie-Format hervor, in dem Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland ohne die USA verhandeln.

Was den militärischen Aufmarsch gegen Russland betrifft, steht Berlin voll auf Seiten Washingtons. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte am Sonntag die Entsendung weiterer Bundeswehrsoldaten nach Litauen an, wo Deutschland seit fünf Jahren Führungsnation beim Nato-Einsatz ist und die Hälfte der 1200 Männer und Frauen umfassenden multinationalen Einheit stellt. Außerdem hat die Bundesregierung beschlossen, Eurofighter zur Luftüberwachung nach Rumänien zu schicken.

Aus den Reihen der Ampel-Koalition ist kein kritisches Wort über den Kriegskurs der Nato zu vernehmen, der einen dritten Weltkrieg zu entfesseln droht.

Wenn es trotzdem anhaltende Spannungen zwischen Berlin und Washington gibt, hat dies vor allem wirtschaftliche und geostrategische Gründe. Die Bundesregierung fürchtet, dass Deutschland, dessen Energieversorgung von billigen russischen Gasimporten abhängt, die Hauptlast der Sanktionen gegen Russland tragen muss und dadurch – auch gegenüber den USA – wirtschaftlich geschwächt wird. Und sie fürchtet, geopolitisch in völlige Abhängigkeit von der Militärmacht USA zu geraten.

Es gibt Kräfte in der deutschen Bourgeoisie, die auf ein Bündnis mit Russland gegen China oder als Gegengewicht zu den USA setzen. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der mit Wladimir Putin befreundet ist, den Aufsichtsrat von Nord Stream leitet und nun bekanntgab, dass er auch in den Aufsichtsrat des russischen Gaskonzerns Gazprom einziehen wird, ist zwar politisch isoliert. Doch in Wirtschaftskreisen hat er Unterstützung.

Ein weiterer Grund, weshalb die Regierung nicht noch aggressiver auftritt, ist die massive Opposition gegen Krieg in der Bevölkerung. Das Letzte, was SPD, Grüne und FDP wollen, ist eine Antikriegsbewegung, wie sie sich 2003 gegen den Irakkrieg entwickelte. Alle Umfragen zeigen, dass der Kriegskurs von einer überwiegenden Mehrheit abgelehnt wird. Laut einer Forsa-Umfrage fürchten 53 Prozent, dass es zum Krieg kommt, aber nur 20 Prozent fühlen sich von Russland bedroht. 94 Prozent sind der Auffassung, dass gute Beziehungen zu Russland wichtig sind. Laut ARD-Deutschlandtrend lehnen 71 Prozent Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Nur 20 Prozent sind dafür.

Die Medien reagieren darauf mit einer hysterischen Kampagne. Vor allem Bild, das Hetzblatt aus dem Hause Springer, tut sich dabei hervor. Ihre Lügen erinnern an Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels.

Am Samstag veröffentlichte Bild „explosive Details zur geplanten russischen Invasion der Ukraine“. „Noch hat der russische Angriff auf die Ukraine gar nicht begonnen,“ meldet das Boulevard-Blatt, „doch Geheimdienste haben bereits jetzt Informationen über die Zeit nach dem großen Krieg und das grausame Marionetten-Regime, das der Kreml in der Ukraine errichten will.“

Die Pläne, die Bild sich ausgedacht hat, reichen von der militärischen Belagerung und Übernahme der ukrainischen Städte durch eingeschleuste russische Agenten über die Einberufung eines Scheinparlaments bis zur Errichtung von Internierungslagern, um den „Widerstand von Millionen“ zu brechen, und dem erzwungenen Anschluss der Ukraine an Russland.

Beweise? Bild liefert keine. Ein „ausländischer Geheimdienst“ habe „Details über russische Nachkriegspläne“ gesammelt. „Aus den nachrichtendienstlich gewonnenen Erkenntnissen entstand ein geheimer Bericht. BILD kennt ihn!“

Spätestens seit dem Irakkrieg weiß man, was solche anonyme geheimdienstliche Berichte über Massenvernichtungswaffen und angebliche Gräueltaten wert sind. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, kommentierte, Bild habe „alle denkbaren Grenzen der echten menschlichen Moral und Ethik überschritten“.

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