Macron kritisiert Bidens Aufruf zum Regimewechsel in Russland

Am Sonntag äußerte sich der französische Präsident Emmanuel Macron zum Krieg in der Ukraine und zu seinen Plänen für Kürzungen bei den Renten, den Hochschulausgaben und der Arbeitslosenversicherung, falls er nächsten Monat wiedergewählt wird.

Präsident Emmanuel Macron mit Nato-Mitgliedern im Hauptquartier der französischen Armee in Paris, 25. Februar 2022 (AP Photo/Michel Euler, Pool)

Macron sprach einen Tag, nachdem US-Präsident Joe Biden den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „Schlächter“ bezeichnet hatte. Biden betonte, dass Putin nicht an der Macht bleiben könne und dass Amerika sich auf einen „jahrzehntelangen“ Krieg einstellen müsse. Er machte deutlich, dass die Nato einen Krieg für einen Regimewechsel in Russland führt.

Dies hat die herrschende Klasse Frankreichs offensichtlich nervös gemacht, und France3-Moderator Francis Letellier fragte Macron: „Sind Sie besorgt, dass diese Äußerungen die Situation vergiften könnten?“

Macron distanzierte sich von Bidens Äußerungen und erklärte: „Ich denke, wir müssen zunächst einmal sachlich sprechen und dann in der Tat alles Erdenkliche tun, damit die Situation nicht außer Kontrolle gerät. Ich würde mich nicht so ausdrücken, denn ich diskutiere weiter mit Präsident Putin. Was wollen wir gemeinsam erreichen? Wir wollen den Krieg, den Russland in der Ukraine begonnen hat, beenden, ohne Krieg zu führen und ohne Eskalation.“

Macron machte deutlich, dass Bidens Äußerungen der französischen Politik zuwiderlaufen. Er definierte Frankreichs Ziele als „einen Waffenstillstand und den vollständigen Rückzug der russischen Truppen. Wenn wir das wollen, kann es keine Eskalation geben, weder in Worten noch in Taten.“

Macron argumentierte, dass die europäischen Mächte ein größeres Interesse an Russland haben als die USA, und dass sie die US-Politik gegenüber Russland nicht als ihre eigene akzeptieren können. „Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unsere Verbündeten im Rahmen der Nato, wir arbeiten mit ihnen zusammen, und das ist eine gute Sache“, so Macron weiter. „Wir teilen viele gemeinsame Werte. Aber diejenigen, die an der Seite Russlands leben, sind die Europäer. Deshalb hören Sie mich seit fünf Jahren sagen, dass wir Europäer eine Verteidigungspolitik benötigen und diese Sicherheitsarchitektur definieren müssen, anstatt sie zu delegieren.“

Abschließend erklärte Macron, dass die europäischen Mächte eine andere Politik gegenüber Russland verfolgen müssen als Biden. „Wir, die Europäer, dürfen uns nicht auf irgendeine Form der Eskalation einlassen“, sagte er. „Wir Europäer dürfen nicht unsere Geographie oder unsere Geschichte vergessen. Wir befinden uns nicht im Krieg mit dem russischen Volk.“

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar vor einem Monat haben die Nato-Mächte die Konfrontation mit Russland rücksichtslos eskalieren lassen, was einen Krieg zwischen den Atommächten in bedrohliche Nähe gerückt hat. Vor dem russischen Einmarsch hatte die Nato die Ukraine massiv gegen Russland aufgerüstet. Jetzt schicken alle großen Nato-Mächte, auch Frankreich, Truppen an die Grenzen Russlands und der Ukraine und arbeiten daran, den russischen Banken den Zugang zu den Weltmärkten zu versperren. Bidens Äußerungen haben den aggressiven, militaristischen Charakter der Nato-Politik gegenüber Russland deutlich gemacht.

Nach fast einem Monat Krieg kommen jedoch auch die Konflikte zwischen den imperialistischen Nato-Mächten selbst an die Oberfläche. Schon unter Bidens Vorgänger Donald Trump - der die Nato ablehnte, vor einem Atomkrieg in Europa warnte und massive Zölle auf europäische Exporte nach Amerika erhob - kritisierte Macron die US-Politik gegenüber Russland scharf.

„Was wir meiner Meinung nach erleben, ist der Hirntot der Nato“, sagte Macron dem britischen Magazin The Economist in einem Interview 2019 und fügte hinzu: „Dass die Vereinigten Staaten sehr hart gegenüber Russland sind, ist eine Form von administrativer, politischer und historischer Hysterie (...) Wenn wir Frieden in Europa schaffen und die strategische Autonomie Europas wiederherstellen wollen, müssen wir unsere Haltung gegenüber Russland überdenken.“

Trotz seiner Versuche, sich in einem etwas weniger aggressiven Licht darzustellen, unterscheidet sich die Politik des französischen Imperialismus nicht grundlegend von der Washingtons. Die einzige Möglichkeit, die immer schneller drehende Kriegsspirale zu stoppen, besteht darin, die Arbeiterklasse gegen Krieg zu mobilisieren, unabhängig von und in Opposition zu allen kapitalistischen Regierungen, einschließlich der Macron-Regierung.

Nachdem Biden sein Amt angetreten und Russland zur Invasion in der Ukraine provoziert hatte, vollzog Macron eine 180-Grad-Wende. Diese Politik setzt er nun weiter fort: Während er Bidens Äußerungen kritisierte, kündigte Macron am Sonntag die beschleunigte Entsendung von 800 französischen Soldaten nach Rumänien an.

Dies macht deutlich, dass die Forderungen von Paris, Berlin oder anderen EU-Mächten nach einer größeren militärischen Autonomie der EU keine Friedenspolitik sind. Vielmehr zielen diese Forderungen darauf ab, die europäischen Mächte für eine Militärpolitik zu rüsten und vorzubereiten, die sich von der Washingtons unterscheiden oder sogar mit ihr in Konflikt geraten kann.

Macrons Äußerungen haben zum Ziel, Putin zu versichern, dass Frankreich und andere Nato-Mächte nicht unmittelbar versuchen, die russische Regierung zu stürzen. Nach dem EU-Gipfel am Freitag kündigte Macron auch eine mögliche französisch-griechisch-türkische humanitäre Mission in der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol an. Diese ist offenbar mit dem Versuch verbunden, einen Waffenstillstand zu erreichen.

Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch die Nato machen russische Politiker deutlich, dass sie glauben, Russland sei in seiner Existenz bedroht, und dass sie somit ihre Militärpolitik entsprechend neu ausrichten.

Letzte Woche sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow: „Heute haben sie uns ein echter hybrider Krieg erklärt, den totalen Krieg. Diesen Begriff, der in Hitler-Deutschland verwendet wurde, sprechen jetzt europäische Politiker aus, wenn sie davon sprechen, was sie mit der Russischen Föderation tun wollen. Die Ziele sind nicht versteckt, sie werden öffentlich erklärt: Sie wollen die russische Wirtschaft und Russland als Ganzes zerstören, brechen, vernichten, erdrosseln.“

Am 25. März legte der russische Generalstab erstmals öffentlich Rechenschaft über die Invasion ab und betonte dabei den Schutz des Donbass in der Ostukraine und seine Verbindungen über Mariupol zur Krim.

Generaloberst Sergej Rudskoj sagte: „Die Aufgaben werden so ausgeführt, dass die Verluste für unser Personal und die Schäden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich sind.“ Er behauptete, die russischen Streitkräfte hätten 1.587 Panzer, 636 Artilleriegeschütze, 112 Kampfflugzeuge, 35 türkische Bayraktar-Drohnen, 148 Flugabwehrraketensysteme und 117 andere Radarplattformen zerstört, die sich in ukrainischer Hand befanden oder von der Nato bereitgestellt wurden. Rudskoy sagte, dass bei den Kämpfen 1.351 russische Soldaten getötet und 3.825 verwundet worden seien.

„Unsere Kräfte und unsere Ausrüstung konzentrieren sich auf das Wesentliche: die vollständige Befreiung des Donbass“, erklärte Rudskoj. Der General erklärte, die russische Armee wolle die ukrainische Armee in Kiew und Charkow binden, um sie daran zu hindern, gegen die Gebiete Donezk und Luhansk im Donbass vorzugehen. Es gehe darum, die Kontrolle über den Donbass durch eine Verbindung mit der von Russland gehaltenen Krim zu festigen. Mariupol ist das Hauptziel, das für die Verbindung dieser beiden Gebiete notwendig ist. Um Mariupol wird immer noch gekämpft, und russische Truppen belagern die ukrainischen Verteidiger der Stadt.

Ebenfalls am 25. März kündigte Macron eine EU-Politik an, die auf einen Waffenstillstand und ein Ende des Krieges abzielt, und fügte hinzu: „Gemeinsam mit der Türkei und Griechenland werden wir eine humanitäre Operation starten, um all diejenigen zu evakuieren, die Mariupol verlassen möchten. Wir werden die Dinge unter den bestmöglichen Bedingungen organisieren.“ Er sagte, seine Mitarbeiter hätten mit den städtischen Behörden in Mariupol gesprochen, „einer Stadt mit über 400.000 Einwohnern, die heute kaum mehr als 150.000 Einwohner hat“, welche „unter schrecklichen Bedingungen“ lebten.

Griechische Vertreter haben bestätigt, dass diese vage definierte Mission in Mariupol tatsächlich zur Debatte steht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan machte nach seiner Rückkehr vom Nato-Gipfel in der vergangenen Woche deutlich, dass er auch umfangreiche diplomatische Manöver in der Region plant, da die Verhandlungen mit Putin in Istanbul beginnen sollen.

Erdoğan sagte weitreichende Veränderungen in den internationalen Beziehungen voraus. „Wir hatten Gelegenheit, darüber zu sprechen, welche Schritte wir zur Lösung der Probleme in den Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland unternehmen können“, sagte er und fügte hinzu: „Wir können einen neuen Prozess in den Beziehungen zwischen der Türkei und Israel beginnen. Hier geht es natürlich vor allem um die Frage, was wir gemeinsam im östlichen Mittelmeerraum tun können. Als einer der wichtigsten Schritte, die wir gemeinsam in den bilateralen Beziehungen unternehmen können, denke ich, dass die Erdgasfrage hier wieder in den Vordergrund rücken kann.“

Erdoğan fügte hinzu, er habe mit Macron darüber gesprochen und dessen Zustimmung dazu erhalten, dass die Türkei ihre Käufe von russischem Erdgas oder Kernkraftwerken nicht einstellt.

Solche Äußerungen widerlegen die Behauptung, dass es bei der Entscheidung der Nato, die Ukraine für einen Krieg gegen Russland aufzurüsten, um eine altruistische, humanitäre Verteidigung der ukrainischen Demokratie gehen würde. Es geht vielmehr eindeutig um weitreichende geopolitische Konflikte und die Kontrolle über strategische Energiereserven.

Vor diesem Hintergrund haben Macrons zaghafte Versuche, Missionen zur Unterstützung eines Waffenstillstands zu organisieren, einen offensichtlichen Schwachpunkt: Washington, die dominierende Militärmacht der Welt, lehnt sie ab, weil die USA eine Politik der militärischen Eskalation verfolgen.

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