Europäische Union ruft nach Embargo für russisches Öl

Gestern forderte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vor dem Europäischen Parlament in Straßburg ein EU-Embargo für russisches Öl, um das russische Finanzsystem zu zerschlagen.

Während Washington und seine europäischen Nato-Verbündeten Dutzende von Milliarden Dollar an Waffen in die Ukraine pumpen und damit einen totalen Krieg mit Russland riskieren, führt die EU einen Wirtschaftskrieg gegen Russland und die Arbeiterklasse. Ein Embargo würde sowohl für Europa als auch für Russland verheerende Folgen haben: Die EU importierte im vergangenen Jahr Energie im Wert von 147,8 Milliarden Dollar aus Russland, darunter Rohöl und raffiniertes Öl im Wert von 104,4 Milliarden Dollar. Selbst wenn es der EU gelänge, alternative Öllieferungen zu organisieren, würde ein solches Embargo zu einem sprunghaften Anstieg der Energiepreise, massiven Arbeitsplatzverlusten und wirtschaftlicher Not in ganz Europa führen.

Waggons warten neben Öltanks in Wesseling bei Köln, 6. April 2022 (AP Photo/Martin Meissner) [AP Photo/Martin Meissner]

Von der Leyen kündigte mehrere Sanktionsmaßnahmen an. Die neuen EU-Sanktionen richten sich gegen „hochrangige Militäroffiziere und andere Personen“, darunter Patriarch Kirill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Die EU wird russische Rundfunkanstalten aus ihrem Sendegebiet verbannen und drei russische Banken, darunter die Sberbank, Russlands größte Bank, aus dem SWIFT-System für internationale Transaktionen in Dollar ausschließen.

Das Ziel der EU, so von der Leyen, sei „die vollständige Isolierung des russischen Finanzsektors vom globalen System“.

Sie forderte ein Verbot von Finanzdienstleistungen und Öffentlichkeitsarbeit für Russland: „Der Kreml verlässt sich auf Buchhalter, Berater und Spin-Doktoren aus Europa. Und das wird jetzt aufhören. Wir verbieten die Erbringung dieser Dienstleistungen für russische Unternehmen.“ Die Spin-Doktoren Europas, so scheint es, sollen ausschließlich zur Förderung der Nato- und EU-Politik eingesetzt werden.

Zum Ölembargo sagte sie: „Es wird nicht einfach sein. Einige Mitgliedstaaten sind stark vom russischen Öl abhängig. Aber wir müssen einfach daran arbeiten... Wir werden sicherstellen, dass der Ausstieg aus dem russischen Öl in einer geordneten Art und Weise erfolgt, die es uns und unseren Partnern ermöglicht, alternative Versorgungswege zu sichern und die Auswirkungen auf die globalen Märkte zu minimieren. Aus diesem Grund werden wir die russischen Lieferungen von Rohöl innerhalb von sechs Monaten und von Raffinerieprodukten bis zum Ende des Jahres einstellen.“

Schließlich forderte sie ein „ehrgeiziges Konjunkturpaket“ für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, um „den Weg für die Zukunft der Ukraine in der Europäischen Union zu ebnen“. Zum Schluss rief sie „Slava Ukraini“, den Schlachtruf der mit den Nazis kollaborierenden Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) während des Zweiten Weltkriegs und der rechtsextremen ukrainisch-nationalistischen Milizen, die heute gegen Russland kämpfen.

Von der Leyens Rede löste gestern einen starken Anstieg der Ölpreise aus, die um 5 Prozent auf 107,81 Dollar pro Barrel in New York und 110,14 Dollar in London stiegen. Russland liefert seinerseits Öl nach Indien und China und baut eilig weitere Überlandpipelines nach China. Zu den neuen Projekten gehören eine Pipeline von der Insel Sachalin über Wladiwostok und die „Sojus-Wostok“-Pipeline über die Mongolei nach China. Russland plant außerdem Verbindungsleitungen, um das bisher nach Europa exportierte Gas gen Osten nach China umzuleiten.

Das Ölembargo der EU ist in wirtschaftlicher Hinsicht selbstmörderisch, und die EU-Vertreter sind sich durchaus bewusst, dass sie damit eine Konfrontation mit der Arbeiterklasse heraufbeschwören. Im März warnte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, dass die durch ein Embargo verursachten Verwerfungen zu Massenstreiks und Protesten führen würden. „Ich würde ein Embargo für die Einfuhr von fossilen Brennstoffen aus Russland nicht unterstützen“, sagte er. „Ich würde mich sogar dagegen aussprechen, weil wir damit den sozialen Frieden in der Republik gefährden.“

Vor von der Leyens gestriger Rede sagte Habeck jedoch, Deutschland habe „große Fortschritte“ bei der Suche nach Alternativen zu russischem Öl gemacht, obwohl „andere Länder vielleicht mehr Zeit brauchen“.

Das Ölembargo, dem die EU-Mitgliedstaaten einstimmig zustimmen müssen, stößt auf Widerstand. Ungarn und die Slowakei, die beide von russischer Energie abhängig sind, haben gewarnt, dass die einjährige Ausnahmeregelung, die die EU ihnen anbietet, nicht ausreicht. Der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs sagte: „Wir sehen keine Pläne oder Garantien, wie ein Übergang auf der Grundlage der aktuellen Vorschläge gehandhabt werden könnte und wie die Energiesicherheit Ungarns gewährleistet würde.“

Am Dienstag sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó, Ungarn werde sich Sanktionen widersetzen, „die den Transport von Erdgas oder Öl von Russland nach Ungarn unmöglich machen... Es ist für Ungarn und seine Wirtschaft derzeit physisch unmöglich, ohne russisches Öl zu funktionieren.“ Gestern sagte er jedoch, er könne das Embargo unterstützen, wenn die russischen Rohölexporte nach Ungarn ausgenommen würden.

Der stellvertretende slowakische Wirtschaftsminister Karol Galek befürwortete Maßnahmen gegen Russland, forderte jedoch einen Aufschub von drei Jahren, bevor das Embargo in Kraft tritt. Er warnte, ein Embargo würde Österreich, die Tschechische Republik und die Ukraine lähmen: „Das wird unsere europäische Wirtschaft zerstören.“

Von der Leyens Rede zeigt, dass die führenden EU-Mächte auf das Embargo drängen, obwohl es wirtschaftlich selbstmörderisch ist. Das Nato-Bündnis treibt den Konflikt mit Russland rücksichtslos voran, ohne Rücksicht auf das Leben und Wohlergehen der Arbeiter in ganz Europa.

Die EU gibt ihre Bedenken im Krieg mit Russland auf. Erst am 22. April sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dem Spiegel, es müsse alles getan werden, „um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden“. Es gehe darum, „eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt“. Nun ergreifen Deutschland und die EU Maßnahmen, die direkt das Risiko eines nuklearen dritten Weltkriegs bergen.

Die EU, die der Ukraine bereits Mitte April Waffen im Wert von 1,5 Milliarden Euro zugesagt hatte, beschleunigt die Waffenlieferungen. Der jüngst wiedergewählte französische Präsident Emmanuel Macron hat die Lieferung von Caesar-Artilleriesystemen und Milan-Panzerabwehrraketen zugesagt.

Bundeskanzler Olaf Scholz prahlte nach einer zweitägigen Klausurtagung der Bundesregierung auf Schloss Meseberg: „Wir haben aus den Beständen der Bundeswehr geliefert und schauen immer, was da noch geht... Wir haben dafür gesorgt, dass es eine Liste über Waffenlieferungen gibt, die wir mit der Industrie abgestimmt haben.“

Gegen die russische Offensive im Donbass, wo „jetzt Luftverteidigung eine Rolle“ spiele, fügte er hinzu: „Wir haben deshalb gesagt, dass wir bis zu 50 dazu geeignete Gepard-Panzer liefern werden. Wir haben auch gesagt, dass wir zusammen mit unseren Verbündeten die Unterstützung leisten wollen, dass Artillerie eingesetzt werden kann.“

Berlin plant die Belieferung der Ukraine mit Systemen der Panzerhaubitze 2000. Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte, Berlin habe „die Entscheidung getroffen“, ukrainische Kämpfer an diesen Haubitzen auszubilden, die von den Niederlanden geliefert werden. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16. März stellt fest, dass die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden eine Kriegsbeteiligung im Sinne des Völkerrechts darstellt.

Die EU fordert, dass die Milliarden Euro für den Krieg gegen Russland der Arbeiterklasse entzogen werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner ließ nach der Meseberger Klausur keinen Zweifel daran, dass die deutschen und europäischen Arbeiter zur Kasse gebeten werden sollen.

„Angesichts der Inflation“, betonte er, „werden wir auch finanzpolitische Fragen in Deutschland und Europa neu regeln müssen“. Wegen der, wie er es nannte, „veränderten finanziellen Möglichkeiten des Staates“ wandte sich Lindner gegen alles, was geeignet wäre, „zusätzlich – etwa durch Subventionen – die Preise anzutreiben oder auch die Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Zentralbank zu beschneiden, indem nämlich die Mitglieder der Währungsunion immer stärker in Verschuldungssituationen geraten“.

Die Arbeiterklasse wird durch Sozialangriffe und explodierende Energie- und Lebensmittelpreise zunehmend in den Kampf getrieben. In den letzten Wochen gab es u.a. Warnstreiks von Krankenschwestern und Erziehern in Deutschland, einen massiven Lkw-Fahrerstreik in Spanien, Proteste in Frankreich nach der Präsidentschaftswahl und Streiks der Postarbeiter in Großbritannien.

Entscheidend ist, diese aufkommende Bewegung in der Arbeiterklasse zu vereinen und sie zu einer bewussten, internationalen politischen Bewegung gegen den Nato-Russland-Krieg zu schmieden. Arbeiter in der EU müssen sich mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in Amerika, der Ukraine und Russland zu einer revolutionären Offensive zusammenschließen, die darauf abzielt, die Ursache von Ungleichheit und Krieg – das kapitalistische Profitsystem – zu beseitigen und eine globale sozialistische Gesellschaft aufzubauen.

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