Gewalttätiger Übergriff auf Russen in Athen und Griechenlands Rolle im Ukraine-Krieg

Auf Worte folgen Taten, heißt es. Angestachelt durch das nationalistische Kriegsgeheul, das seit Beginn des Ukraine-Kriegs sämtliche Fernsehkanäle und Zeitungen weltweit durchzieht, fühlen sich immer mehr Rechtsradikale in Europa ermutigt zu gewaltsamen und rassistischen Übergriffen.

Ein schockierender Vorfall ereignete sich Ende April während des orthodoxen Osterfests in Griechenland. Zehn bis zwölf ukrainische Nationalisten verprügelten drei russischstämmige Menschen, die am Strand von Athen Ostern feierten. Unter den Opfern war Oksana Maryakhina, eine Historikerin und Archäologin, die an der Athener Kapodistrias-Universität studiert hat und seit 20 Jahren in Griechenland lebt, wo sie auch als Reiseleiterin arbeitet.

Sie schildert gegenüber der griechischen Nachrichtenwebsite The Press Project, wie die Gruppe ukrainischer Nationalisten die rechtsextreme Losung „Slava Ukraini“ brüllte und auf sie und zwei Freunde losging, nachdem sie sich als Russen zu erkennen gegeben hatten. Einer habe ihr mit einem Schlagring ins Gesicht geschlagen. „Sie traten und schlugen meine Arme, Beine und Rippen, so dass ich blutüberströmt zusammenbrach.“ Die Polizei wurde gerufen, sei aber erst spät gekommen. In einem Video auf ihrer Facebook-Seite zeigte sie am Tag danach ihre Wunden an Auge, Wange und Kopf.

Oksana Maryakhina nach einem gewaltsamen Übergriff ukrainischer Nationalisten in Athen (Foto: Facebook-Video)

Ihrer Meinung nach „ist dies eindeutig ein faschistischer Angriff, nur weil wir Russen sind und unser Land unterstützen“, erklärt sie im Gespräch mit The Press Project. „Wir fühlen uns nicht nur bedroht, sondern haben jetzt auch Angst, auf der Straße Russisch zu sprechen.“ Es habe viele Angriffe gegeben, auch russische Restaurants würden bedroht, so Maryakhina. Die Zeitung verweist auf ihr vorliegende Screenshots, die belegen, dass ukrainische Nationalisten Listen von „prorussischen Separatisten“ in Griechenland angelegt hätten.

Bereits in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn war es zu rechtsradikalen Übergriffen in Griechenland gekommen. Mitte März schändeten Neo-Nazis das Denkmal des sowjetischen Soldaten im Athener Stadtteil Kallithea, das drei Kriegsgefangenen der Roten Armee gewidmet ist, die im Sommer 1944 von den Nazi-Besatzern hingerichtet wurden. Unbekannte beschmierten das Denkmal mit dem Wort „Azov“ – ein Verweis auf das rechtsextreme ukrainische Asow-Bataillon, das gegen Russland kämpft –, dem SS-Symbol der „Wolfsangel“, das von Asow genutzt wird, und dem Keltenkreuz, ein Erkennungszeichen griechischer und internationaler Rechtsextremer.

Denkmal des sowjetischen Soldaten in Athen, beschmiert mit Nazi-Symbolen, 19. März 2022 (Foto: Facebookseite der Russischen Botschaft in Griechenland)

Anfang April kam es zu gewalttätigen Angriffen gegen einen prorussischen Autokorso-Protest im Zentrum Athens, bei dem zwei Menschen verletzt und Autos beschädigt wurden. Laut der Tageszeitung Kathimerini wurden Strafverfahren gegen zwei Tatverdächtige georgischer Herkunft wegen versuchten Mordes, Rassismus, Verstoß gegen das Waffengesetz und anderer Anklagepunkte eingeleitet.  

Solche Gewaltakte vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs beschränken sich nicht auf Griechenland. In Bulgarien kam es vor wenigen Tagen zu Zusammenstößen, nachdem das Parlament für „militärisch-technische Unterstützung“ der Ukraine gestimmt hatte. Pro-ukrainische Demonstranten, die Waffenlieferungen forderten, versuchten, das Denkmal der Sowjetarmee in der Hauptstadt Sofia mit der ukrainischen und bulgarischen Flagge zu verhängen, was pro-russische Gegendemonstranten verhinderten. Ein Mitglied der stalinistischen bulgarischen Organisation „Bewegung 23. September“ soll dabei von Rechtsradikalen zusammengeschlagen worden sein, die das Asow-Symbol an der Kleidung trugen, berichtete The Press Project.  

Auch in Deutschland finden im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg Übergriffe statt, die kaum in den Medien thematisiert werden. Am 19. April teilte das Bundeskriminalamt mit, dass pro Woche rund 200 Straftaten, darunter Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigung, begangen werden, die sich „mehrheitlich gegen russischstämmige, aber auch gegen ukrainischstämmige Mitglieder unserer Gesellschaft“ richten.

Wie die WSWS schon in ihrer ersten Erklärung nach dem Kriegsbeginn gewarnt hatte, spaltet der reaktionäre Einmarsch Putins die russische und ukrainische Arbeiterklasse und spielt den Interessen des US-amerikanischen und europäischen Imperialismus direkt in die Hände. Die westlichen Regierungen haben seitdem eine rasante Aufrüstung und Hetzkampagne gegen Russland losgetreten und provozieren sehenden Auges einen vernichtenden Atomkrieg.    

Griechenland kommt aufgrund seiner strategisch wichtigen geopolitischen Stellung eine Schlüsselrolle in der Nato-Politik zu. Die Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND) unterstützt trotz historisch enger kultureller und wirtschaftlicher Verbindungen zu Russland den Kriegskurs der Nato und die Sanktionen der Europäischen Union (EU) in vollem Umfang. Als eines der ersten EU-Länder versprach sie der Ukraine Waffenlieferungen und schickte vor allem Gewehre und Panzerabwehrraketen. Die griechischen Streitkräfte sind auch in der schnellen Eingreiftruppe der Nato (NRF) vertreten, die nach der russischen Invasion aktiviert und an die Ostflanke verlegt wurde.

Ein wichtiger Knotenpunkt für die Nato-Ostflanke ist die nordgriechische Hafenstadt Alexandroupolis, über die Waffen und Rüstungsgüter anderer Nato-Staaten Richtung Ukraine transportiert werden. Zwei nuklearbetriebene Flugzeugträger – „USS Harry S. Truman“ aus den USA und „Charles de Gaulle“ aus Frankreich – wurden nach Griechenland ins Mittelmeer verlegt.

Griechenlands militärische Beziehungen zu den USA und Europa wurden schon vor dem Krieg verstärkt. Die Regierung unter der pseudolinken Syriza, die mit der rechtsextremen Anel koalierte, hatte die militärische Kooperation mit Washington unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump vorangetrieben.

Im Herbst 2021 wurde ein Militärabkommen mit Frankreich unterzeichnet und das Mutual Defense Cooperation Agreement mit den USA erneuert. Dieses neue Verteidigungsabkommen wird für fünf Jahre in Kraft treten, im Gegensatz zu den vorherigen, die jährlich verlängert wurden. Es ermöglicht den Ausbau der vier US-Basen in Souda, Larissa, Volos und Alexandroupolis und verpflichtet Griechenland, weitere Stützpunkte entsprechend den strategischen Anforderungen der USA bereitzustellen.

Um ihre außenpolitische Linie durchzusetzen, versucht die Regierung ein russlandfeindliches Klima zu schaffen. Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni setzte schon Anfang März Sanktionen gegen russische Kultureinrichtungen um und sagte alle geplanten Aufführungen von Tschaikowskis „Schwanensee“ mit dem Bolschoi-Ballett ab, was einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Am 7. April lud die Regierung den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Videocall ins Parlament ein. Selenskyj überließ dann einem griechischstämmigen Mitglied des faschistischen Asow-Bataillons in Mariupol die Bühne, der in einer abstoßenden Videobotschaft an den griechischen Nationalismus appellierte.

In den umkämpften Regionen der Ostukraine, besonders in Mariupol, Donezk und Odessa, leben viele Angehörige der griechischen Minderheit, die sich seit Jahrhunderten am Asowschen Meer angesiedelt haben und heute noch etwa 100.000 Einwohner zählen. Das Schicksal dieser Menschen, die jetzt unter den Kriegsgefechten und der katastrophalen Zerstörung ihrer Städte in dem Stellvertreterkrieg zwischen der Nato und Russland leiden, wird von der griechischen Regierung zynisch für ihre nationalistische Kriegsrhetorik missbraucht.

Dass ein Mitglied einer faschistischen Kampforganisation im griechischen Parlament derart ungeniert hofiert wurde, löste breites Entsetzen in der Arbeiterklasse aus. In einer Umfrage bewerteten 65 Prozent den Parlamentsauftritt des ukrainischen Präsidenten negativ, nur 11 Prozent reagierten positiv.

Vor einer Woche strahlte das griechische Staatsfernsehen ERT dann ein Exklusivinterview mit Selenskyj aus, in dem er die Rolle des Asow-Bataillons verharmloste, um Bedenken in der griechischen Bevölkerung zu zerstreuen. 2014 hätten noch Freiwilligenbataillone dominiert, die „recht radikale“ Aussagen gegen Russland gemacht hätten, so Selenskyj. Das habe sich aber angeblich geändert, nachdem das Asow-Regiment nun Teil der ukrainischen Streitkräfte ist. Das heißt, die Eingliederung und Aufrüstung der Neonazis soll sie also gezähmt haben!

Auch der ukrainische Botschafter in Athen, Sergii Shutenko, erhielt in einem Interview bei ERT letzte Woche die Gelegenheit, den Asow-Redner zu verteidigen, und beklagte einen angeblich großen Einfluss russischer Propaganda auf die griechische Öffentlichkeit.

Was die herrschende Klasse umtreibt, ist, dass trotz aller Mobilisierung die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung weiter zunimmt. Das belegen zwei Umfragen zum Ukrainekrieg, die das griechische Meinungsforschungsinstituts Public Issue am 21. März und 18. April veröffentlicht hat. Demnach äußerten bereits im März 68 Prozent der Befragten Unmut über die Regierungspolitik in der Ukraine-Frage, im April waren es schon 74 Prozent. Auch die Zahl derjenigen, die für eine neutrale Position Griechenlands eintraten, stieg von 65 auf 71 Prozent, während nur 20 Prozent für eine Unterstützung der Ukraine plädierte.

Die negative Bewertung der Präsidenten Russlands, der Ukraine und der USA stieg ebenfalls weiter an: bei Wladimir Putin von 72 auf 74 Prozent, bei Joe Biden von 60 auf 69 Prozent und bei Wolodymyr Selenskyj kletterte die Ablehnung sogar von 56 auf 68 Prozent der Befragten.

Die herrschende Klasse sitzt auf einem Pulverfass. Sie versucht, die Kriegskosten auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, die nach zehn Jahren Spardiktaten bereits von der Hand in den Mund lebt. Die griechische Statistikbehörde rechnet mit einem Anstieg der Inflation im April auf über 10 Prozent. Schon Ende März hatte eine Umfrage von Alco für den Gewerkschaftsverband GSEE ergeben, dass 59 Prozent der Befragten bei Grundnahrungsmitteln sparen müssten. Bei Heizungskosten waren es sogar 74 Prozent und bei Freizeitaktivitäten 80 Prozent. Hinzu kommt die Durchseuchungspolitik in der Pandemie, die in Griechenland offiziell fast 30.000 Menschenleben gefordert hat.

Die Opposition gegen den Kriegskurs und dessen soziale Folgen entlud sich bereits Anfang April in einem Generalstreik, der ganz Griechenland lahmlegte. In den Wochen zuvor hatten griechische Eisenbahner mit einem Streik den Weitertransport gepanzerter Nato-Militärfahrzeuge an die ukrainische Grenze blockiert. Ende April traten Hafenarbeiter wegen der unzumutbaren Arbeitsbedingungen bei Cosco am Hafen von Piräus in den Streik.

Am heutigen Dienstag findet in Athen eine Demonstration gegen die drakonischen neuen Arbeitsgesetze statt, die u.a. das Streikrecht einschränken. Arbeiter des privaten Sektors und Verkehrsarbeiter legen von 9 Uhr bis 12 Uhr die Arbeit nieder.

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