Perspektive

USA: Inflation wird langen, heißen Sommer der Arbeitskämpfe befeuern

Durch die Auswirkungen des schwindelerregenden Preisanstiegs lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen werden Millionen Arbeiter in den USA und auf der ganzen Welt an den Rand ihrer Existenz gedrängt. „Wir können so nicht weiterleben“ ist das Gefühl, das immer mehr Menschen ergreift.

In den USA stieg die Inflation im Mai im Jahresvergleich um 8,6 Prozent und übertraf damit die Schätzungen der Ökonomen. Es war der schnellste Anstieg der Verbraucherpreise seit 1981, also seit mehr als 40 Jahren.

Am stärksten stiegen die Benzinpreise, die gegenüber dem Vorjahr um 48,7 Prozent und innerhalb eines Monats um 7,8 Prozent zulegten. Eine Gallone Benzin (3,785 Liter) kostete am Sonntag den Rekordpreis von durchschnittlich 5,01 Dollar (4,80 Euro). In vielen der bevölkerungsreichsten Ballungsgebiete des Landes ist der Preis deutlich höher: In Los Angeles beträgt er durchschnittlich fast 6,50 $, in der Region Chicago fast 6,00 $ und in Phoenix, Arizona, etwa 5,60 $.

Eine Zapfsäule an einer Tankstelle in Salt Lake City, 10. Juni 2022 (AP Photo/Rick Bowmer) [AP Photo/Rick Bowmer]

Ein erheblicher Teil eines Arbeitergehalts wird allein für die Fahrt zur Arbeit aufgewendet. In den USA ist es nicht ungewöhnlich, dass Arbeiter 80 Kilometer oder mehr hin- und herpendeln und mehrmals pro Woche tanken. Bei einem Lohn von 15 Dollar pro Stunde reicht ein Tag nicht einmal mehr aus, um die Tankfüllung eines Trucks oder größeren Wagens zu bezahlen, deren Kosten leicht 100 Dollar (96 Euro) übersteigen können.

Neben den Treibstoffkosten machen auch die steigenden Kosten für viele Waren und Dienstleistungen das Leben immer unmöglicher. Einem aktuellen Bericht von Moody's Analytics zufolge geben Familien monatlich 460 Dollar (441 Euro) mehr für lebensnotwendige Bedarfsgüter aus.

Die Lebensmittelpreise stiegen im Mai im Gesamtdurchschnitt um 10,1 Prozent. Die Preise für Fleisch, Geflügel, Fisch und Eier stiegen dabei um 14,2 Prozent, für Molkereiprodukte um 11,8 Prozent und für Obst und Gemüse um 8,2 Prozent. Ein Liter Milch kostet jetzt im Durchschnitt mehr als einen Euro. Der Preis für zehn Eier liegt in den USA bei umgerechnet 2,30 Euro und ist damit mehr als einen Dollar höher als vor einem Jahr, wie aus den Daten der Federal Reserve of St. Louis hervorgeht.

Während die steigenden Lebensmittelpreise dazu führen, dass immer mehr Menschen entscheiden müssen, welche Mahlzeit sie heute ausfallen lassen, planen die Demokraten und Republikaner, Millionen Kinder in noch größeren Hunger zu stürzen. Der Kongress hat es in seinem letzten Haushaltsgesetz absichtlich versäumt, die Corona-Programme für kostenlose Schulessen zu verlängern, so dass nach Ablauf des Monats schätzungsweise 10 Millionen Kinder keine kostenlosen Mahlzeiten mehr erhalten werden.

Unterdessen verschärft sich die Krise bei der Erschwinglichkeit von Wohnraum. Laut der Immobilienfirma Redfin stiegen die durchschnittlichen Mieten im Vergleich zum Vorjahr um 15,2 Prozent. Die Monatsmiete, die für eine durchschnittliche Wohnung verlangt wird, erreichte im Mai einen Rekordwert von 1.919 Euro, so die Firma.

Wohneigentum, das zuvor für viele unerschwinglich war, ist nun für große Teile der Bevölkerung auf absehbare Zeit völlig unerreichbar. Der Durchschnittspreis für ein Haus lag im Mai bei 428.600 Euro, was einem Anstieg von 17,6 Prozent gegenüber 2021 entspricht. Die durchschnittlichen Zinssätze für Hauskredite haben unterdessen den höchsten Stand seit mehr als einem Jahrzehnt erreicht.

Bei steigenden Preisen verdienen Arbeiterinnen und Arbeiter real weniger als vor einem Jahr und fallen immer weiter zurück. Die Reallöhne sanken zwischen Mai 2021 und Mai 2022 um 3 Prozent, wie das Bureau of Labor Statistics am Freitag mitteilte.

Die korporatistischen Gewerkschaften tragen die Hauptverantwortung für diesen brutalen Rückschritt, da sie Arbeiter in Verträge gedrängt haben, die Lohnerhöhungen von nur 2 bis 4 Prozent vorsehen, was weit unter der Inflation liegt. Zugleich haben diese Verträge die Kosten für die Gesundheitsversorgung in die Höhe getrieben. Die durchschnittlichen Lohnerhöhungen für gewerkschaftlich organisierte Arbeiter (3,5 Prozent) fielen im letzten Jahr sogar geringer aus als für nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiter (4,9 Prozent), wie aus den jüngsten Zahlen des Bureau of Labor Statistics hervorgeht.

Die Inflation ist zum Brennpunkt des Zorns der Arbeiter geworden. Steigende Preise und sinkende Löhne sind jedoch nur ein Teil umfassender sozialer Verwerfungen, die sich in der Arbeiterklasse angestaut haben. Dazu zählen die menschenunwürdigen Bedingungen in den Sweatshops, die Überbelastung, der Personalmangel, die Sechs- oder Sieben-Tage-Woche, die anhaltende Pandemie und die tödlichen Arbeitsbedingungen. Hinzu kommen die Auswirkungen des kapitalistischen Zusammenbruchs auf breiterer Ebene, wie zuletzt die Knappheit bei Bedarfsartikeln – von Babynahrung bis hin zu Tampons. All diese und weitere Fragen treiben die Arbeiterklasse direkt und indirekt in den Kampf.

In diesem Jahr sind Arbeiter bereits in viele bedeutende Kämpfe eingetreten, angefangen bei dem anhaltenden sechswöchigen Streik der Landwirtschafts- und Schwermaschinenhersteller von CNH über die früheren Arbeitsniederlegungen der Ölarbeiter von Chevron in Kalifornien, Streiks von Pflegern in Kalifornien und New Jersey, Lehrern in Minneapolis und Sacramento bis hin zum Widerstand der Aluminiumarbeiter von Arconic, der Beschäftigten von Kroger-Lebensmittelmärkten und vielen anderen.

In den kommenden Wochen und Monaten werden neue Schichten von Arbeitern in den Kampf ziehen. Mehr als 12.000 Pfleger in Minneapolis und St. Paul arbeiten derzeit ohne Vertrag, und die Verträge von 20.000 Hafenarbeitern an der Westküste, 50.000 Bauarbeitern in Südkalifornien und zehntausenden Lehrern in Los Angeles und New York City laufen aus. Dreitausend Lkw-Fahrer, die bereits mit überwältigender Mehrheit für Streiks gestimmt haben, werden am Donnerstag die Einzelheiten des Konzessionsvertrags erfahren, dem die Teamsters zugestimmt haben.

Die Entwicklung des Klassenkampfes ist ein internationaler Prozess, der weit über die Grenzen der USA hinausgeht. Steigende Kraftstoffpreise lösten letzte Woche in Südkorea Streiks von Lkw-Fahrern aus. Im Vereinigten Königreich wollen 50.000 Eisenbahner noch in diesem Monat streiken – die größte Streikserie seit Ende der 1980er Jahre. Und in Sri Lanka haben die außer Kontrolle geratene Inflation und die Verknappung von Grundbedarfsgütern in diesem Jahr Massendemonstrationen gegen die Regierung und eine Reihe von eintägigen Generalstreiks ausgelöst.

In jedem Fall aber geraten die Arbeiter in einen heftigen Konflikt mit den Gewerkschaften, die behaupten, sie zu vertreten. Gleichzeitig stützt sich das wirtschaftliche und politische Establishment – insbesondere die Biden-Regierung – immer stärker auf die Gewerkschaftsbürokratien, um die „Arbeitsdisziplin“ durchzusetzen, d.h. Streiks und andere Formen der Opposition unter Arbeitern zu unterdrücken und zu isolieren.

Die herrschende Klasse ist sich der brisanten Auswirkungen ihrer Politik sehr bewusst. „Wenn die Menschen ihre Kinder und ihre Familien nicht ernähren können, wird die Politik unruhig“, sagte David Beasley, Leiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, letzten Monat gegenüber CNN.

Das Weiße Haus hat auf plumpe Weise versucht, die Wut über die Inflation in Unterstützung für seine Kriegskampagne gegen Russland umzulenken, indem es die höheren Gaspreise als „Putins Preisanstieg“ bezeichnet.

Das Wachstum der Inflation begann jedoch lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Es ist das Ergebnis des massiven Gelddruckens der Federal Reserve und anderer Zentralbanken, die zur Rettung der Reichen ins Werk gesetzt wurden. Die Auswirkungen dieser Geldpolitik schlagen sich nun in der gesamten Wirtschaft nieder.

Was den Krieg betrifft, so zeigen die Fakten, dass die US-Regierung den reaktionären Einmarsch Putins in die Ukraine angestiftet und provoziert hat. Seit Ausbruch des Krieges haben die USA und ihre Nato-Verbündeten den Krieg rücksichtslos eskaliert, Waffen in die Ukraine geliefert und eine Verhandlungslösung blockiert.

Die Finanzaristokratie hat keine fortschrittlichen Reformen oder Vorschläge zum Ausbau des sozialen Sicherungsnetzes zu bieten. Imperialistischer Krieg im Ausland und Klassenkampf im eigenen Land – das ist ihr Plan.

Mit der Anhebung der Zinssätze zielen die Federal Reserve und andere Zentralbanken nicht in erster Linie darauf ab, die Inflation einzudämmen, sondern eine Rezession auszulösen. Dies soll die Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben und die Forderungen der Arbeiter nach höheren Löhnen zurückdrängen.

Ein Finanzanalyst von FWDBONDS sprach dies gegenüber Reuters im vergangenen Monat ganz unverblümt aus: „Die Beschäftigungszuwächse im ganzen Land verlangsamen sich, aber nur wenige Arbeiter verlieren tatsächlich ihren Arbeitsplatz. Dies ist weder eine weiche noch eine harte Landung für die Wirtschaft. Keine Anzeichen für Entlassungen in den Unternehmen bedeuten, dass sich der Arbeitsmarkt nicht so stark entspannt, wie die Fed-Beamten gehofft hatten.“

In der Arbeiterklasse formiert sich eine Bewegung gegen dieses ganze verfaulte System. Arbeiter lehnen sich zunehmend gegen die Behauptungen der Konzerne, des kapitalistischen Staates und der Gewerkschaften auf, dass kein Geld vorhanden sei, um der Arbeiterklasse einen angemessenen Lebensstandard zu bieten. Diese Rebellion fand in den letzten anderthalb Jahren ihren ersten Ausdruck in der Ablehnung einer Reihe von arbeitgeberfreundlichen Verträgen, von Volvo Trucks bis hin zu Kroger und zuletzt Detroit Diesel.

Doch diese beginnende Bewegung muss eine Organisationsform und ein politisches Programm finden, die den Herausforderungen gerecht werden, mit denen Arbeiter konfrontiert sind. In immer mehr Betrieben haben Arbeiter begonnen, sich unabhängig von den korporatistischen Gewerkschaften zu organisieren und mit Unterstützung der WSWS und der Sozialistischen Gleichheitsparteien Aktionskomitees zu gründen, um für ihre lebensnotwendigen Belange zu kämpfen. Dieses Netz von Arbeiterkomitees muss im Rahmen der im vergangenen Jahr ins Leben gerufenen Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) umfassend erweitert und ausgebaut werden.

Zugleich erfordert die verzweifelte wirtschaftliche Lage der Arbeiter ein Kampfprogramm. Die Löhne müssen drastisch angehoben werden und es muss zum Schutz vor Inflation ein Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten vorgenommen werden. Die Beiträge zu den Renten und der Gesundheitsvorsorge müssen wieder in vollem Umfang geleistet werden, und Arbeiter müssen die Kontrolle über die Bandgeschwindigkeit und die Sicherheit am Arbeitsplatz übernehmen.

Die Verwirklichung dieser und weiterer Maßnahmen erfordert einen direkten Angriff auf den unrechtmäßigen Reichtum und die Privilegien der Milliardäre und der Finanzaristokratie, damit die gesellschaftlichen Ressourcen entlang der gesellschaftlichen Bedürfnisse und nicht des privaten Profits organisiert werden.

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