Mélenchon verbessert sein Ergebnis in der ersten Runde der französischen Parlamentswahl

Die erste Runde der französischen Parlamentswahl brachte Jean-Luc Mélenchons Bündnis Nouvelle Union Populaire écologique et sociale (NUPES) ein starkes Ergebnis ein. Für Präsident Emmanuel Macrons Koalition „Ensemble!“ war sie hingegen ein demütigender Rückschlag. Die zweite und letzte Runde der Wahl wird am Sonntag, dem 19. Juni stattfinden.

Der erste Wahlgang war außerdem geprägt von einem rekordverdächtigen Tiefststand der Wahlbeteiligung. Laut einer Schätzung von Ifop-Fiducail enthielten sich 51,5 Prozent der Wahlberechtigten, was knapp über dem bisherigen Rekord von 51,3 Prozent bei der Parlamentswahl von 2017 liegt.

NUPES und Ensemble liegen nach dem ersten Wahlgang mit 25,66 bzw. 25,75 Prozent der Stimmen fast gleichauf. Marine Le Pens neofaschistischer Rassemblement National (RN) erhielt 18,7 Prozent, die rechten Les Republicains (LR) 13,6 Prozent. Reconquête, die Partei des neofaschistischen Ideologen Eric Zemmour, die von den kapitalistischen Medien vor der Präsidentschaftswahl im April massiv gefördert wurde, fiel auf 4,24 Prozent.

Vermutlich wird keine Partei mit der notwendigen Mehrheit in der 577-köpfigen Nationalversammlung aus dem zweiten Wahlgang hervorgehen. Laut mehreren Schätzungen der Medien wird Ensemble zwischen 255 und 295 Sitze gewinnen, NUPES zwischen 150 und 210, LR 50 bis 80 und der RN 20 bis 45 Sitze. Ensemble würde mehr Sitze bekommen, obwohl sie weniger Stimmen erhalten, weil sie sich in den kleineren ländlichen Wahlkreisen durchsetzen. Die NUPES-Wähler leben überwiegend in den großen städtischen Bezirken.

NUPES konnte von der Sorge um die steigende Inflation und der zunehmenden linken Stimmung unter Arbeitern und Jugendlichen profitieren. Mélenchon versprach vieles, darunter eine Deckelung der Erdgaspreise und die Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre. Die massive Unterstützung für solche Politik widerlegt die Behauptungen der offiziellen Medien in den letzten Jahren, die neofaschistischen Parteien hätten in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt, weil Arbeiter angeblich unaufhaltsam nach rechts rückten.

Letzte Woche hatten die Beschäftigten der Flughäfen und im Gesundheitswesen in ganz Europa gegen niedrige Löhne, Austerität und die mörderische Reaktion auf die Corona-Pandemie gestreikt. Weitere Streiks sind in den kommenden Wochen in ganz Europa geplant, darunter möglicherweise ein Streik der britischen Bahnarbeiter von historischem Ausmaß.

Am Sonntagabend erklärte Mélenchon, Macrons Bewegung sei „geschlagen und zerstört“ und rief die französische Bevölkerung auf, nächsten Sonntag die Wahllokale „zu überfluten“, NUPES an die Macht zu bringen und ihn zum Premierminister zu machen.

Er erklärte: „Die Wahrheit ist, dass die Partei des Präsidenten nach dem ersten Wahlgang geschlagen und zerstört ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik kann ein wiedergewählter Präsident in der Parlamentswahl keine Mehrheit erringen. Angesichts dieses Ergebnisses und der außergewöhnlichen Gelegenheit für unser persönliches Leben und das Schicksal unseres gemeinsamen Vaterlandes rufe ich unser Volk auf, am nächsten Sonntag die Wahllokale zu überfluten.“

Aktuelle Prognosen zeigen zwar, dass Mélenchon keine Mehrheit in der Nationalversammlung erhalten wird, jedoch ist auch Macrons Mehrheit akut bedroht. Kaum sieben Wochen nach Macrons Wahlsieg gegen die neofaschistische Kandidatin Marine Le Pen ist es offensichtlich, dass der Präsident keine nennenswerte Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Tatsächlich bereitet der allgemein verhasste „Präsident der Reichen“ Sozialkürzungen im Wert von 80 Milliarden Dollar und Waffenlieferungen an die Ukraine vor.

Viele Kandidaten von „Ensemble!“ wurden in ihren Wahlkreisen entweder geschlagen oder in eine Stichwahl gezwungen. Die derzeitige Regierung von Elisabeth Borne, die Macron kurz nach seinem Sieg in der Präsidentschaftswahl eingesetzt hatte, befindet sich durch die Unpopularität ihrer Minister in einer tiefen Krise.

Die Premierministerin selbst muss in ihrem Wahlkreis Calvados, dem sechsten Wahlkreis der Normandie, gegen den NUPES-Kandidaten Noé Gauchard antreten.

Innenminister Gérald Darmanin, der mit der faschistischen Bewegung Action francaise sympathisiert und ein anti-islamisches „Separatismusgesetz“ ausgearbeitet hat, wurde im zehnten Wahlkreis im Norden zu einem zweiten Wahlgang gezwungen.

Der Ministerin für Ökologischen Übergang Amélie de Montchalin droht vermutlich eine Niederlage im sechsten Wahlkreis in Essonne gegen den NUPES-Kandidaten Jerome Guedj von der konzernfreundlichen Parti Socialiste.

Der ehemalige Bildungsminister Jean-Michel Blanquer wurde im ersten Wahlgang abgewählt. Er war allgemein verhasst, weil er daran beteiligt war, den Lehrkräften eine zehn Jahre lange Nullrunde aufzuzwingen, und weil er wissenschaftlich gestützte Gesundheitsmaßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19 an Schulen trotz Forderungen von Lehrern und Eltern abgelehnt hatte. Er erhielt 18,9 Prozent der Gesamtstimmen und weniger als 12,5 Prozent der Stimmen der registrierten Wähler in seinem Wahlkreis, die er für den Eintritt in die zweite Runde benötigt hätte.

Dass viele Minister und führende Politiker im ersten Wahlgang abgewählt oder von unbekannten Kandidaten in die Stichwahl gezwungen wurden, verdeutlicht die fehlende Legitimität des politischen Regimes und den künstlichen Charakter der etablierten Parteien. Keine von ihnen hat echten Rückhalt unter der breiten Masse der Wähler.

Das gleiche gilt für die neofaschistischen Parteien. Die Präsidentschaftskandidatin des RN, Marine Le Pen, wurde von der NUPES-Kandidatin Marine Tondelier in Henin-Beaumont in die Stichwahl gezwungen. Eric Zemmour, der ehemalige rechtsextreme Präsidentschaftskandidat, der im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl fast zwanzig Prozent geholt hatte, schied in der Region Var im ersten Wahlgang aus.

Dass Regierungsminister und Neofaschisten mit enormer Rückendeckung durch die Medien solche Rückschläge erleiden, verdeutlicht die tiefe Opposition der Arbeiter gegen das Diktat der herrschenden Klasse. Genau wie in der Präsidentschaftswahl äußert sich diese Entwicklung vorerst in wachsendem Rückhalt für Mélenchon, durch den die Arbeiter ihre Wut auf Macron signalisieren.

Weder Macron noch die extreme Rechte können jedoch bekämpft werden, indem man die NUPES oder andere Abgeordnete in die Versammlung wählt, in der Hoffnung, dass Mélenchon dann unter Macron als Premierminister fungieren kann.

Die tiefere Ursache für den zunehmenden Klassenkampf und den wachsenden Widerstand gegen Macron ist die internationale Krise des Kapitalismus, die nicht innerhalb der Grenzen Frankreichs gelöst werden kann. In der Gesellschaft herrscht große Wut über den weltweiten Anstieg der Inflation durch jahrzehntelange staatliche Geldspritzen und Rettungspakete für die Superreichen, durch die Corona-Pandemie und den Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine. Mit seinem Angebot, Premierminister unter Macron zu werden, der die Außenpolitik kontrolliert, hat Mélenchon deutlich gemacht, dass er Macrons EU-Bankenrettungen, seiner Politik der Corona-Durchseuchung oder seiner Kriegspolitik nicht entgegensteht. Auch die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen diese Politik unterstützt Mélenchon nicht.

Obwohl Mélenchon in der Präsidentschaftswahl fast acht Millionen Stimmen gewonnen hat, hauptsächlich in den Arbeitervierteln der größten Städte Frankreichs, hat er nicht zu Streiks oder Protesten gegen Macron aufgerufen, die die französische Wirtschaft zum Erliegen bringen könnten. Vor der Parlamentswahl hat er sich sogar offen gegen revolutionäre Politik ausgesprochen und erklärt: „Ich bin nicht dafür, einen politischen Aufstand in diesem Land zu organisieren.“

Stattdessen bildete er das NUPES-Bündnis mit der Big-Business-Partei PS und der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Doch während die NUPES Millionen Stimmen gewinnt, treten die Schwächen und Widersprüche dieser Strategie immer offener zutage.

Die Rekord-Enthaltung bei der Wahl am Sonntag verdeutlicht, dass große Teile der Arbeiter auf Mélenchons Anbandeln mit der PS und der KPF mit Misstrauen und Desillusionierung reagieren. Diese Parteien haben der Arbeiterklasse jahrzehntelang Austeritätsmaßnahmen aufgezwungen. Es ist bezeichnend, dass die RN trotz des NUPES-Ergebnisses einen Durchbruch erzielen und am 19. Juni eine Reihe von Sitzen in der Versammlung gewinnen kann.

Doch der Widerstand der Arbeiterklasse wächst, und noch größere Ausbrüche von Klassenkämpfen werden vorbereitet. Die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die Parti de l’égalité socialiste (PES) hatte während der Stichwahl der Präsidentschaftswahl zu einer aktiven Kampagne zur Mobilisierung der Arbeiterklasse und zum Boykott der Wahl zwischen Macron und Le Pen aufgerufen. Sie erklärt, dass der Ausweg in der Zurückweisung von Macron, Le Pen und dem ganzen kapitalistischen politischen Establishment liegt.

Die Probleme, die die Arbeiterklasse in Frankreich und weltweit in den Kampf treiben, können nur durch die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse in einer Bewegung gelöst werden, die Mélenchons Nationalismus und seine Ausrichtung auf den kapitalistischen Staat ablehnt und für die Übertragung der Staatsmacht an die Arbeiter kämpft.

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