Perspektive

Grundsatzurteil gegen Recht auf Abtreibung in den USA hat horrende Folgen

Nachdem sechs nicht gewählte Richter am Obersten Gerichtshof in den USA das Recht auf Abtreibung gekippt haben, zeigen sich nun die verheerenden Folgen.

In einem Bundesstaat nach dem anderen versuchen die Republikaner, die Uhr um Jahrzehnte zurückzudrehen. Ihre Gesetzgeber wollen Bürgerinnen daran hindern, in andere Bundesstaaten zu reisen, um dort Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen. Selbst Ärzte, die Patientinnen aus anderen Bundesstaaten Tabletten für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch verschreiben, sollen bestraft werden.

In mehreren Bundesstaaten werden Gesetze vorbereitet, nach denen die Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Behandlungen in anderen Bundesstaaten mit Gefängnisstrafen bewehrt wird. In Texas haben die Republikaner einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der einen finanziellen Anreiz für Privatpersonen schafft, gegen Personen zu klagen, die Hilfesuchende in andere Bundesstaaten fahren, damit sie dort abtreiben können. Im Wesentlichen wird ein Kopfgeld ausgesetzt.

Am Mittwoch hat ein großer Teil der republikanischen Abgeordneten im Kongress für das sogenannte „Herzschlag-Gesetz“ gestimmt, mit dem die Abtreibung auch in den Staaten verboten würde, in denen sie bislang noch legal ist. Der republikanische Senator des Bundesstaates Arkansas Jason Rapert, seines Zeichen Vorsitzender des erzreaktionären Parlamentarierverbands „National Association of Christian Lawmakers“, sagte: „Viele von uns haben Gesetze zur Bekämpfung des Menschenhandels unterstützt. Warum sollte es einen Freibrief für Menschen geben, die Frauen verschieben, um sich an der Abtreibung ihrer Babys zu bereichern?“

Besonders erschreckend zeigen sich die neuen Verhältnisse an der bösartigen und reaktionären Kampagne gegen Dr. Caitlin Bernard. Die Gynäkologin und Geburtshelferin an der Universität von Indiana hat eine Abtreibung an einem 10-jährigen Mädchen vorgenommen, das infolge einer Vergewaltigung schwanger wurde. Hier wird deutlich, in welche Richtung die Entwicklung geht.

Am 27. Juni, nur drei Tage nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs, wurde Dr. Bernard von einem Arzt im benachbarten Ohio kontaktiert. Der auf die Behandlung missbrauchter Kinder spezialisierte Kollege teilte ihr mit, dass eine 10-jährige Patientin in der siebten Woche schwanger sei und in Ohio nicht die notwendige medizinische Behandlung erhalten könne. In Ohio, das von den Republikanern regiert wird, wurde 2019 ein Gesetz verabschiedet, das Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche verbietet. Das Gesetz sieht keine Ausnahme bei Vergewaltigungen vor, nicht einmal bei Kindern. Es konnte allerdings nicht umgesetzt werden, solange das Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs in der Sache Roe v. Wade, das das Recht auf Abtreibung garantierte, in den gesamten USA geltendes Recht war.

Doch wenige Stunden nach der Aufhebung dieses Urteils wurde das repressive Gesetz von Ohio wirksam.Daraufhin musste die 10-Jährige eine stundenlange Autofahrt in den Bundesstaat Indiana auf sich nehmen. Dort wurde sie von Dr. Bernard behandelt, die den Vorfall der Polizei und den Behörden von Indiana meldete. Dr. Bernard informierte auch den Indianapolis Star über die Abtreibung bei der 10-Jährigen. Dabei gab sie deren Identität nicht preis, um den gesetzlichen Datenschutz zu wahren.

Die Zeitung berichtete am 1. Juli, und nachdem Biden den Artikel auf einer Pressekonferenz am 8. Juli erwähnt hatte, ging die extreme Rechte in die Offensive. Zu diesem Zeitpunkt war der Täter noch flüchtig, aber am 14. Juli wurde ein 27-jähriger Mann verhaftet, der nach Angaben der Polizei gestand, das Mädchen mindestens zweimal vergewaltigt zu haben.

Die Republikanische Partei behauptet jedoch, der Vorfall sei frei erfunden. Fox News erklärte die Geschichte für „Bullshit“, und die frühere Trump-Beraterin Kellyanne Conway meinte gegenüber demselben Sender, dass die Geschichte falsch und „zu komplex für eine Überprüfung“ sei.

Das Wall Street Journal setzte der Sache am 13. Juli die Krone auf. Es brachte einen Leitartikel mit dem Titel „An Abortion Story Too Good to Confirm“ („Eine Abtreibungsstory, die zu gut ist, als dass man sie bestätigen kann“). Darin wurde Biden vorgeworfen, er verbreite „Märchen“: „Die Geschichte ist ein wirkungsvolles Post-Roe-Märchen für Leute, die die Abtreibung im Herbst zum Wahlkampfthema machen wollen. Das Problem: Es gibt keinen Beweis für die Existenz des Mädchens.“ Als Nächstes griff das Journal Dr. Bernard namentlich an und behauptete, die Ärztin habe gelogen, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen: „Es dürfte nicht überraschen, dass Dr. Bernard in den Medien seit Langem als Aktivistin für Abtreibung auftritt.“

Vor der Verhaftung des mutmaßlichen Täters hatten die Zeitungen, die der Demokratischen Partei nahe stehen, der rechtsextremen Kampagne nachgegeben und die Glaubwürdigkeit von Dr. Bernard in Frage gestellt. Am 9. Juli warf die Washington Post in einem Artikel von Glenn Kessler dem Indianapolis Star vor, er habe die Story veröffentlicht, obwohl es dafür nur eine Quelle, nämlich Dr. Bernard, gab. Die Post deutete an, dass Dr. Bernard nicht ganz ehrlich sei. Sie habe es abgelehnt, gegenüber dem Faktencheck der Washington Post offenzulegen, welcher Kollege sich bei ihr gemeldet hatte und aus welcher Stadt das vergewaltigte Kind stammte. Die Post schrieb: „Die Story hat ‚Faktenstatus‘ erlangt, obwohl ihr Ursprung nicht klar ist.“

Der Generalstaatsanwalt von Indiana, Todd Rokita, ein republikanischer Trump-Anhänger, erklärte, er habe Ermittlungen gegen Dr. Bernard eingeleitet und werde sie möglicherweise strafrechtlich belangen. Rokita sprach von „dieser Abtreibungsaktivistin, die sich als Ärztin ausgibt“ und behauptete wahrheitswidrig, Dr. Bernard habe den Vorfall in Indiana nicht vorschriftsmäßig gemeldet. Trotz des Nachweises, dass der Vorfall vorschriftsmäßig an die Behörden übermittelt worden war, fuhr Rokita fort, Dr. Bernard zu verteufeln. Ohne jede Grundlage kündigte er an, den Entzug ihrer ärztlichen Zulassung zu prüfen.

Infolge dieser Kampagne wurde Dr. Bernard von der extremen Rechten Gewalt angedroht. Die New York Times veröffentlichte einen Gastbeitrag eines Arztkollegen, in dem es heißt: „Diese Geschichte hat reale Auswirkungen für Dr. Bernard. Aus Sorge um ihre Sicherheit wurde die örtliche Polizei alarmiert.“ Infolge des reaktionären und gewalttätigen Klimas ist das Leben der Ärztin bedroht. Im Mai 2009 wurde Dr. George Tiller, ein Arzt, der Abtreibungen durchführte, in Wichita, Kansas, während eines Gottesdiensts von einem rechtsextremen Abtreibungsgegner ermordet.

Die Methoden der Rechtsterroristen werden zunehmend zur offiziellen Strategie der Republikanischen Partei. Am deutlichsten kam dies am 6. Januar 2021 zum Ausdruck, als die Republikanische Partei unter der Führung von Donald Trump in einem Putschversuch das Wahlergebnis von 2020 gewaltsam kippen wollte. Trump unterstützte explizit Demonstranten, die zum Mord an Vizepräsident Mike Pence aufriefen. Er verlangte, dass die Kundgebungsteilnehmer am 6. Januar 2021 nicht mit Metalldetektoren überprüft werden. Sein Ziel war ganz klar ein bewaffneter Sturm auf das Kapitol.

Die Demokratische Partei tut nichts, um den Angriff auf demokratische Rechte zu stoppen. Am 6. Januar appellierten ihre führenden Kongressabgeordneten nicht an die Bevölkerung, einen Staatsstreich zu verhindern. Biden seinerseits bat Trump sogar, sich im Fernsehen an die Nation zu wenden. Ebenso hat die Demokratische Partei keinen Finger gerührt, um das Recht auf Abtreibung zu verteidigen. Biden und seine Vizepräsidentin Harris haben wiederholt erklärt, der einzige Ausweg bestehe darin, bei den Zwischenwahlen für die Demokraten zu stimmen. Dabei haben die Demokraten aktuell in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit.

Seit einigen Tagen wirft die Demokratische Partei den Befürwortern des Rechts auf Abtreibung vor, sie seien zu kritisch gegenüber Biden, weil sie ihm Untätigkeit vorwerfen. Die Kommunikationsdirektorin des Präsidenten, Kate Bedingfield, betonte letzte Woche gegenüber der Washington Post, Joe Biden verfolge „nicht das Ziel, gewisse Aktivisten zufriedenzustellen, die immer wieder vom Mainstream der Demokratischen Partei abweichen“.

Andere führende Demokraten im Kongress haben sich ähnlich geäußert. Sie greifen linke Befürworter des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch an, verteidigen die Regierung Biden und fordern die Wähler auf, bei den Zwischenwahlen im November die Demokraten zu unterstützen. Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, Mitglied der pseudolinken Democratic Socialists of America (DSA), lobte Bidens Vorstoß, dass die Demokraten unabhängig von der Sabotage der Republikaner ein Gesetz verabschieden sollten, mit dem das Recht auf Abtreibung gewahrt wird. Dabei handelte es sich um ein Ablenkungsmanöver, denn der Vorschlag scheiterte sofort am Widerstand innerhalb der Demokratischen Partei selbst. „Jetzt reden wir miteinander“, versicherte daraufhin Ocasio-Cortez, um der rechtsgerichteten Biden-Regierung politische Legitimität zu verleihen.

Die amerikanische „Demokratie“ ist so marode, dass eine winzige rechte Minderheit religiöser Eiferer die Sozialpolitik diktiert, obwohl 70 Prozent der Bevölkerung das Recht auf Abtreibung befürworten. Innerhalb dieses verrotteten Systems wird es keine progressive Veränderung geben. Die Verteidigung aller demokratischen Grundrechte, einschließlich der Verteidigung von Dr. Bernard, erfordert die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das gesamte kapitalistische Establishment. Eine solche Bewegung muss mit dem Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und die verheerenden Auswirkungen der Inflation verbunden werden und sich außerhalb der beiden Parteien der kapitalistischen Reaktion und in Opposition zu ihnen entwickeln.

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