Perspektive

Trump und die Staatsgeheimnisse: Amerika in der Krise

Mit der FBI-Razzia auf Donald Trumps Anwesen in Mar-a-Lago am 8. August hat die Krise des politischen Systems in den USA einen noch nie dagewesenen Höhepunkt erreicht. Es handelt sich um die stärkste politische Maßnahme gegen Trump, seit er 2015 als politische Figur auf nationalem Parkett in Erscheinung getreten ist.

Zehn Wochen vor den Kongresswahlen in den USA, bei denen Trump-Anhänger als Kandidaten der Republikaner auf dem Wahlzettel stehen, ist das Justizministerium aktiv geworden. Die Biden-Regierung ist zu dem Schluss gekommen, dass ihre globale Strategie und ihr Konfrontationskurs mit Russland und China ein Vorgehen gegen Trump erfordern, das weit über die zaghafte und unentschlossene Reaktion auf Trumps Putschversuch am 6. Januar 2021 hinausgeht. Trump hatte damals versucht, die Präsidentschaftswahl zu kippen und eine Präsidialdiktatur zu errichten.

Die von Trump nach Mar-a-Lago mitgenommenen Dokumente betreffen einige der wichtigsten Informationen, die sich im Besitz des amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparats befanden. Die herrschende Klasse hat ausgeklügelte Verfahren zur Wahrung solcher Staatsgeheimnisse entwickelt, die rigoros durchgesetzt werden.

Die Polizei vor dem Eingang zum Mar-a-Lago-Anwesen des ehemaligen Präsidenten Donald Trump, 8. August 2022, in Palm Beach, Florida (AP Photo/Terry Renna) [AP Photo/Terry Renna]

Die Washington Post berichtete am Donnerstag, dass die Dokumente „nukleares Material“ enthielten, d.h. Informationen über Atomwaffen, seien es die der Vereinigten Staaten, ihrer Verbündeten oder eines ausländischen Gegners oder Ziels. Diese Informationen sind so sensibel, dass sie nach besonderen Gesetzen eingestuft sind und nicht freigegeben werden können, auch nicht von einem US-Präsidenten, ohne dass strenge Auflagen zu erfüllen sind.

Am Samstag berichtete die Post, Trump habe im Januar eine erste Ladung von 15 Kisten mit Dokumenten an die Nationalarchive zurückgegeben. Dabei hätten Beamte „festgestellt, dass einige der zurückgegebenen Materialien eindeutig als geheim eingestuft waren, einschließlich hochsensibler elektronischer Kommunikation wie E-Mails und Telefongespräche ausländischer Staatsoberhäupter.“

Die aufgeschlüsselte Liste des vom FBI in Mar-a-Lago beschlagnahmten Materials, die am Freitag von einem Gericht in Florida veröffentlicht wurde, enthielt auch einen Ordner mit der Aufschrift „Info zum Präsidenten Frankreichs“. Die Geheimakte zu Emmanuel Macron, die auf Überwachungsmaßnahmen der USA und/oder hochrangigen Informanten in der französischen Regierung beruht, kann alles umfassen, von Details über sein Privatleben und seine Finanzgeschäfte bis hin zur Kommunikation mit Wladimir Putin über Geheimkanäle und Informationen zu verdeckten französischen Operationen in Nord- und Zentralafrika.

Der Durchsuchungsbefehl des FBI, der am Freitag veröffentlicht wurde, wurde von Merrick Garland, dem US-Justizminister und Juristen mit jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit den sensiblen Angelegenheiten der herrschenden Klasse, persönlich genehmigt. Er hatte die Strafverfolgung von dem Oklahoma-Bombenattentäter Timothy McVeigh, dem Olympia-Bomber von Atlanta Ted Kaczynski und dem ehemaligen Bürgermeister von Washington D.C., Marion Barry angeleitet. Von 1995 bis 2021 war Garland Richter am Court of Appeals for the D.C. Circuit, dem wichtigsten US-Berufungsgericht, das die meisten Fälle im Bereich der nationalen Sicherheit verhandelt. Im Jahr 2013 wurde er zum Vorsitzenden Richter des Gerichts ernannt.

In Garlands Durchsuchungsbefehl heißt es, die Bundesstaatsanwälte hätten hinreichenden Grund zu der Annahme, dass Trump möglicherweise gegen das Spionagegesetz verstoßen hat. Dieses Gesetz gibt es seit dem Jahr 1917, also seit der Russischen Revolution und dem Eintritt des US-Imperialismus in den Ersten Weltkrieg. Seitdem hat sich die herrschende Klasse Amerikas in Angelegenheiten von außergewöhnlicher Bedeutung für die Verteidigung des Staates auf dieses Gesetz berufen. Der Espionage Act wurde bei der Inhaftierung des Sozialisten Eugene V. Debs wegen seiner Opposition gegen den Ersten Weltkrieg angewendet. 1953 kam es bei der Hinrichtung von Julius und Ethel Rosenberg zur Geltung. Es wurde auch gegen Daniel Ellsberg, Chelsea Manning und Edward Snowden angewendet, die alle Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hatten. Jüngst diente es dazu, die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange zu fordern.

Dass es gegen den ehemaligen „Oberbefehlshaber“ des US-Militär- und Geheimdienstapparats geltend gemacht wird, ist keine Kleinigkeit. Es ist ein Eingeständnis, dass Trump weiterhin einen Staat im Staat unterhält. Das absolutistische L’état, c’est moi (Der Staat bin ich) vertrat Trump schon auf dem Parteitag der Republikaner 2016 mit dem Spruch: „I alone can fix it.“

Trump ist nicht das Opfer einer antidemokratischen Verschwörung. Der US-Präsident dient in seiner Amtszeit als Beamter des Staates, und er hat kein Recht, die Geheimnisse des Staates und die Aufzeichnungen über seine Verbrechen zu seinem persönlichen Vorteil zu nutzen. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu verstehen, warum Trump diese Informationen behalten hat: um sie für seine laufende faschistische Verschwörung zu nutzen, zur Erpressung und für andere niedere Zwecke.

Gleichzeitig gibt es in diesem Fall, anders als bei der Untersuchung zum 6. Januar 2021, keine Fragen, die wesentliche demokratische Rechte betreffen. Es besteht ein deutlicher Unterschied in der Aggressivität, mit der das Justizministerium und die Biden-Regierung in dieser aktuellen Frage vorgegangen sind. Im Vergleich dazu agierten sie zögerlich und ambivalent in der Untersuchung und Aufdeckung des ersten Putschversuchs in der Geschichte der USA, bei dem die Regierung gestürzt und eine Diktatur errichtet werden sollte. Wenn Trump nun wegen des Umgangs mit Staatsgeheimnissen im Fokus der Strafverfolgungsbehörden steht, werden die Demokraten gleichzeitig alle Fragen rund um den 6. Januar unbeantwortet lassen und vertuschen.

Diese Ereignisse machen jedoch deutlich, was die wahren Prioritäten der herrschenden Klasse sind. Der Staat kann nicht hinnehmen, dass Trump den Militärapparat stört. Die Demokraten richten ihre Appelle seit geraumer Zeit an das Militär und den repressiven Staatsapparat. Bidens Strategie bestand schon immer darin, an die Militärs zu appellieren und seine „Kollegen“ in der Republikanischen Partei zu „retten“, in einem gemeinsamen Bündnis auf Grundlage imperialistischer Kriegstreiberei und des Zweiparteiensystems.

Die Demokratische Partei hofft, dass die Republikaner auf die Veröffentlichung des Durchsuchungsbefehls für Mar-a-Lago und die Enthüllungen zum Umgang mit Staatsgeheimnissen reagieren, indem sie sich von Trump abwenden. Die Behauptungen von Bidens Pressesprecher, wonach der US-Präsident von der Razzia im Vorfeld nichts gewusst hat, kann nur bedeuten, dass Biden hinter den Kulissen intensive Verhandlungen mit den Republikanern führt. Nicht etwa um eine Einigung im Kampf gegen antidemokratische Kräfte zu erzielen, sondern um die globalen Aktivitäten des US-Imperialismus zu schützen.

Führende Republikaner haben die Angriffe auf das FBI durch faschistoide Figuren wie den republikanischen Abgeordneten Paul Gosar und die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene öffentlich zurückgewiesen. Diese hatten erklärt, man müsse den untersuchenden Behörden die Mittel entziehen oder sie gar „zerschlagen“. In Fernsehinterviews am Sonntag milderten führende Vertreter der Republikanischen Partei diese Angriffe auf die Razzia in Mar-a-Lago ab, verteidigten das FBI und deuteten an, dass sie von Garland mehr Informationen über die damit verbundenen Fragen der nationalen Sicherheit benötigten.

Trump hat daraufhin signalisiert, dass er zu Gesprächen bereit ist, ein Zeichen dafür, dass er eine Konfrontation über diese Themen scheut. In einem Interview mit Fox News am Montag sprach Trump eine halbe Drohung aus: „Das Land befindet sich in einer sehr gefährlichen Lage. Es gibt eine enorme Wut, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe, über die Betrügereien und dieses neue Jahr der Betrügereien und Hexenjagd, und jetzt das. Wenn wir irgendetwas tun können, um zu helfen, sind ich und meine Leute sicherlich bereit, das zu tun.“

Das Justizministerium und einflussreiche Teile der Justiz treiben die Ermittlungen und die Strafverfolgung gegen Trump und seinen engsten Kreis voran. Die Razzia in Mar-a-Lago fand am 8. August statt. Am 10. August wurde der Ex-Präsident vor ein Geschworenengericht in Manhattan geladen, wo er 440 Mal sein Recht auf Aussageverweigerung in Anspruch nahm, als er im Rahmen der Ermittlungen des Bundesstaats New York zu den Finanzen der Trump Organization vernommen wurde. Am 11. und 12. August fand das Garland-Pressebriefing und die Veröffentlichung des Durchsuchungsbefehls statt.

Am 15. August entschied ein Bundesrichter im US-Bundesstaat Georgia, dass Senator Lindsey Graham, ein eingefleischter Trump-Anhänger, vor einer örtlichen Grand Jury aussagen muss. Diese untersucht Trumps Versuche, Staatsvertreter unter Druck zu setzen, um das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl 2020 zu kippen. Am selben Tag kündigten die Anwälte des Trump-Beraters Rudy Giuliani an, dass er persönlich vor der Grand Jury in Georgia erscheinen müsse.

Die Regierung Biden und die Demokratische Partei haben alles getan, um keinen Zusammenhang zwischen der Razzia und den Ereignissen vom 6. Januar 2021 herzustellen. Die Demokraten haben sorgfältig versucht, den Fraktionskampf mit Trump hinter den Kulissen und nicht vor den Augen der amerikanischen Bevölkerung auszutragen. Sie wollen damit das Risiko minimieren, mit einem solchen Thema Unzufriedenheit in der Bevölkerung auszulösen. Die Demokraten haben ihre Opposition gegen Trump stets auf Fragen konzentriert, die den Kurs in der imperialistischen Außenpolitik betrafen. In diesem Kontext stand auch das 2019 eingeleitete Amtsenthebungsverfahren gegen Trump wegen der vorübergehenden Einstellung der US-Militärhilfe für die Ukraine.

Die Regierung Biden genießt heute nur noch wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Ihr droht im November eine Wahlniederlage, die Trumps Anhängern die Führung im Repräsentantenhaus oder sogar im gesamten Kongress einbringen könnte. Ihr Krieg in der Ukraine ist festgefahren, und ihre Anti-Russland- und Anti-China-Kampagnen haben keine nennenswerte Massenunterstützung gefunden. Vor allem aber sieht sie sich mit dem wachsenden Unmut in der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse konfrontiert, die auf die Senkung des Lebensstandards durch die Inflation und die ständig steigenden Corona-Todeszahlen reagiert. Das Hauptziel der Regierung ist es, die Einheit der herrschenden Klasse zu sichern, um den Krieg fortzusetzen und die Opposition von unten zu zerschlagen, ohne dass der unberechenbare Trump für Überraschungen sorgt.

Die Entfernung von Trump von der politischen Bühne wird die wachsende Macht rechtsextremer Tendenzen innerhalb des kapitalistischen Zweiparteiensystems nicht aufhalten. Denn diese sind nicht das Ergebnis eines einzelnen Mannes, sondern Auswuchs eines verdorbenen politischen Systems, das auf massiver Ungleichheit und permanentem Krieg beruht. Notwendig ist nicht nur eine politische Abrechnung mit Trump, sondern mit dem gesamten kapitalistischen System, das ihn hervorgebracht hat. Dies ist nur durch das Handeln der Arbeiterklasse möglich.

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