Dieses Jahr wurden in Sri Lanka mehr als 1.000 verzweifelte Menschen verhaftet, die versuchten, der Lebensmittelknappheit, dem Hunger und der Arbeitslosigkeit im Land zu entkommen, indem sie auswanderten. Die meisten von ihnen sind Tamilen aus dem Norden und Osten des Landes.
Bei dem jüngsten Vorfall am 16. August wurden zehn Menschen, darunter sechs Frauen und Kinder, von der Marine im Meer vor Talaimannar im Norden Sri Lankas festgenommen. Viele arme singhalesische Familien wurden von der sri-lankischen und der australischen Marine verhaftet, als sie versuchten, den sich ständig verschlimmernden sozialen Bedingungen zu entkommen.
Die Zahl der legalen Auswanderer, die im Ausland nach Arbeit suchen, hat sich in der ersten Hälfte des Jahres vervierfacht. Laut der Sunday Times haben im Durchschnitt pro Stunde 32 Sri-Lanker ein Flugzeug ins Ausland bestiegen.
Die jüngsten Massenproteste gegen die Regierung, die den ehemaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa zur Flucht aus dem Land zwangen, wurden von der unerträglichen Armut und dem gravierenden Mangel an Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten, sowie den langen Stromausfällen angeheizt.
Die soziale Katastrophe geht jedoch unvermindert weiter. Die Inflation betrug im Juli 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, bei Lebensmitteln sogar 90 Prozent. Lebensmittel sind so teuer, dass Millionen Menschen Sri-Lankas ihre täglichen Mahlzeiten drastisch einschränken mussten.
Ranil Wickremesinghe, der vom diskreditierten Parlament zum Präsidenten ernannt wurde, setzt seine Notstandsbefugnisse und den Staatsapparat ein, um Massendemonstrationen zu unterdrücken, während er im Auftrag des Internationalen Währungsfonds (IWF) neue Sparmaßnahmen vorbereitet, die er den Massen aufzwingen will.
Die Tamilen im Norden und Osten Sri Lankas, die von dem fast drei Jahrzehnte andauernden kommunalistischen Krieg Colombos und von der Corona-Pandemie schwer getroffen wurden, gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von der aktuellen Wirtschaftskrise betroffen sind.
Unter Berufung auf die Behörden berichteten die sri-lankischen Medien kürzlich über einen starken Anstieg der Zahl von Menschen, die nach Australien und Indien auszuwandern versuchen. In den ersten vier Monaten des Jahres 2022 sind mehr als 80 Menschen nach Indien geflohen. Um Schleuser zu bezahlen oder Boote zu mieten, mussten sie ihren Besitz verkaufen.
Malan (Name geändert), ein Fischer aus der westlichen Küstenstadt Chilaw, erklärte: „Wir waren so verzweifelt, dass wir beschlossen, in einem Fischerboot nach Australien zu fahren, obwohl wir dabei unser Leben riskiert haben, weil wir uns nicht mehr vorstellen können, wie wir in diesem Land Lebensmittel für unsere drei Kinder kaufen sollen.“
Er erklärte: „Es gibt keinen Diesel und kein Kerosin für die Fischerboote. Wir haben kein Einkommen. Wir können uns diese hohen Treibstoffpreise nicht mehr leisten. Unser Leben wurde zerstört.“
Malan, seine Frau und drei Kinder waren Teil einer Gruppe von 55 Sri-Lankern, die am 20. Mai nahe Trincomalee vor der Ostküste Sri Lankas von der Marine verhaftet wurden. Sie hatten versucht, in einem Fischerboot nach Australien zu segeln.
Malan erklärte: „Es waren sieben Frauen und vier Kinder dabei. Nur zehn von uns waren Singhalesen, der Rest waren Tamilen.“
Die meisten Passagiere waren Fischer, allerdings waren auch einige kleine Ladenbesitzer dabei, die zwischen 700.000 und 1.500.000 Rupien (zwischen 1.949 und 4.177 US-Dollar) für die gefährliche Reise bezahlt haben. Sie brachten das Geld auf, indem sie ihr Eigentum verkauften, Kredite aufnahmen und Schmuck verpfändeten.
„Jetzt haben wir alles verloren. Wir sind vom Regen in die Traufe gekommen. Wir haben kein Geld und sind hoch verschuldet.“ Malan erklärte weiter, ihr Gerichtsverfahren könne sich monatelang hinziehen.
Er sagte: „Ich muss für uns fünf mehr als 25.000 Rupien für den Prozess in Trincomalee bezahlen. Das Verfahren könnte für uns eine physische, psychische und finanzielle Folter werden.“
Wenn die Verhafteten schuldig gesprochen werden, droht ihnen eine zweijährige Haftstrafe und ein Bußgeld. Außerdem dürfen sie in Zukunft keine Visa für Australien mehr beantragen.
Eine 41-jährige Sri-Lankerin, die mit acht Familienmitgliedern nach Rameswaram im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu geflohen ist, erklärte gegenüber der Deutschen Welle, ihr Mann könne keine Arbeit finden und sich die Kosten für das tägliche Essen nicht mehr leisten. Sie sei besorgt über ihr weiteres Schicksal, weil sie im Rehabilitationslager Mandapam in Rameswaram, das für sri-lankische Flüchtlinge eingerichtet wurde, faktisch wie rechtlose Gefangene gehalten werden.
Ein 26-jähriger Maler, der im März mit seiner Frau aus Sri Lanka nach Indien gekommen ist, teilt diese Bedenken. Er erklärte gegenüber DW: „Wegen der Wirtschaftskrise konnten wir in Sri Lanka nichts tun. Wenn ich gewusst hätte, dass wir in einem Flüchtlingslager wie diesem festgehalten werden, dann wäre ich nicht gekommen.“
Er erklärte, sie befänden sich seit einem Monat im Lager und hätten keine Ahnung, was mit ihnen passieren wird. Er wollte Arbeit finden, um für seine Familie zu sorgen, und erklärte: „Das ist alles, was wir wollen.“
Laut DW leben fast 59.000 sri-lankische Tamilen in 108 Flüchtlingslagern in Tamil Nadu und weitere 34.000 Flüchtlinge außerhalb dieser Lager. Viele von ihnen sind nach dem von Colombo geführten Bürgerkrieg gegen die Tamilen von 1983 bis 2009 geflohen.
Im Jahr 2012 entzog die Regierung des Bundesstaats Tamil Nadu den Sri-Lankern das politische Asyl und behandelte sie bis März dieses Jahres als illegale Einwanderer.
Als Einwohner von Tamil Nadu gegen die Inhaftierung der sri-lankischen Asylsuchenden protestierten, sah sich die Bundesstaatsregierung gezwungen, sie direkt in die von Armut geprägten Rehabilitierungslager zu bringen.
Diese „Geste des guten Willens“ des Ministerpräsidenten von Tamil Nadu gegenüber den Flüchtlingen ist reine Heuchelei. Dies wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass Indien die Küstenpatrouillen in der Palkstraße verstärkt hat, um weitere sri-lankische Flüchtlinge daran zu hindern, Indien zu erreichen.
Aufeinanderfolgende australische Regierungen haben gegen Flüchtlinge gehetzt und drakonische Maßnahmen ergriffen, um sie daran zu hindern, sich in Australien niederzulassen. Unter anderem wird die Marine eingesetzt, um Boote zum Umdrehen zu zwingen, und Flüchtlinge werden in Haftzentren vor der Küste unbefristet festgehalten.
Im Jahr 2012 schickte die australische Labor-Regierung Außenminister Bob Carr nach Sri Lanka, um Flüchtlinge aufzuhalten, die nach der Niederlage der separatistischen „Befreiungstiger“ im Jahr 2009 vor Verfolgung flohen.
Diejenigen, die nach Sri Lanka zurückgeschickt wurden, wurden von der Polizei und dem Militär verhört, gefoltert und verschwanden. Australiens Beteiligung an diesen Operationen stellt einen offenen Verstoß gegen die Internationale Flüchtlingskonvention dar, die das Recht auf Flucht vor Verfolgung anerkennt, und ist eine Verletzung der grundlegenden rechtlichen und demokratischen Rechte sri-lankischer Arbeiter.
Vor kurzem hat die Australian Border Force (ABF) den Behörden in Colombo 46 „illegale“ sri-lankische Einwanderer übergeben. Der ABF-Regionaldirektor für Südasien, Commander Chris Waters, erklärte vor der Presse in Colombo, die australischen Behörden hätten seit Mai 183 Sri Lanker zurückgebracht. Er betonte, die neugewählte Labor-Regierung habe die repressive Migrationspolitik des Landes nicht gelockert.
Laut eigenen Angaben hat die ABF zwischen dem 1. und dem 30. Juni im Rahmen der Operation Sovereign Borders, einer 2013 ins Leben gerufenen Initiative zur Grenzsicherung unter militärischer Führung, 125 illegale sri-lankische Migranten und eine Bootsbesatzung in ihre Heimat zurückgeschickt.
Der Guardian berichtete am 22. Juni, Australien habe den sri-lankischen Behörden 4.200 GPS-Peilsender zur Verfügung gestellt, die auf Fischerbooten installiert werden sollen, um einen Zustrom von sri-lankischen Flüchtlingen zu verhindern, die vor der derzeitigen Wirtschaftskrise fliehen.
Mehr lesen
- Sri Lanka: Landesweite Proteste gegen die Unterdrückung durch die Regierung Wickremesinghe
- Nein zur Allparteienregierung! Gegen das Spardiktat des IWF! Kämpft für einen demokratischen und sozialistischen Kongress der Arbeiter und ländlichen Massen!
- Sri Lanka: Regierung geht mit brutaler Polizeigewalt gegen Studentendemonstration vor
- Sri-lankische Regierung unterstützt und verlängert Präsident Wickremesinghes Ausnahmezustand
