Sechs Monate Nato-Stellvertreterkrieg in der Ukraine

Scholz verkündet neue Waffenlieferungen an Kiew

Ein halbes Jahr nach dem von den imperialistischen Mächten provozierten russischen Einmarsch in die Ukraine eskaliert die Nato den Stellvertreterkrieg gegen Russland immer weiter – auch wenn sie damit die Gefahr eines dritten Weltkriegs heraufbeschwört.

Am Dienstag verkündete das Weiße Haus, Kiew weitere 3 Milliarden Dollar für die Unterstützung und Ausbildung des ukrainischen Militärs zur Verfügung zu stellen. Gestern legte dann Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach. In seinem Videostatement zum 31. Unabhängigkeitstag der Ukraine von der Sowjetunion am 24. August 1991 solidarisierte er sich mit dem Krieg gegen Russland, unterstrich die zentrale Rolle Deutschlands und versprach neue Waffenlieferungen.

„Wir denken an die Helden der Ukraine, an die Männer und Frauen, die ihre Heimat seit nunmehr sechs Monaten tapfer gegen den brutalen Aggressor verteidigen“, erklärte er. „Ihr Mut beeindruckt uns alle. Ukrainische Soldatinnen und Soldaten, die derzeit hier in Deutschland an Luftabwehrpanzern ausgebildet werden. An Panzern, die wir der Ukraine liefern. Und wir werden weiter Waffen liefern von der Panzerhaubitze bis zum Flugabwehrsystem, Monat für Monat.“

Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr (AP Photo/Michael Sohn)

Konkret soll Kiew drei weitere Flugabwehrsysteme des Typs Iris-T, zwölf Bergepanzer und 20 auf Pick-ups montierte Raketenwerfer erhalten, erklärte ein Regierungssprecher. Insgesamt gehe es um zusätzliche Rüstungsgüter im Wert von deutlich mehr als eine halben Milliarde Euro. Die Waffen sollen „maßgeblich in 2023“ geliefert werden, aber „einiges“ auch „deutlich früher“. Die offizielle Liste der Bundesregierung über „militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine“ wird damit immer länger. Allein in der vergangenen Woche lieferte Deutschland folgende Waffen an die Ukraine:

  • 54 M113 gepanzerte Truppentransporter mit Bewaffnung (Systeme aus Dänemark, Umrüstung durch Deutschland finanziert)
  • 53.000 Schuss Flakpanzermunition
  • 20 Laserzielbeleuchter

Der Abschnitt „Unterstützungsleistungen in Vorbereitung/Durchführung“ wurde um die folgenden Posten ergänzt:

  • Ersatzteile schweres Maschinengewehr M2
  • 167.000 Schuss Handwaffenmunition
  • 12 Schwerlastsattelzüge M1070 Oshkosh
  • 12 Frequenzscanner/Frequenzjammer
  • Feldlazarett (Rolle 2)

Zu den militärischen Unterstützungsleistungen gehören auch 255 Schuss der 155-Millimeter-Artilleriemunition „Vulcano“. Laut einem Bericht des Spiegel sollen die präzisionsgelenkten Geschosse „auf einen Meter genau treffen können“ und hätten „mit rund 70 Kilometern auch eine deutlich größere Reichweite als herkömmliche Artilleriegeschosse, die in der Regel rund 40 Kilometer weit schießen.“ Mit anderen Worten: die Munition ist wie gemacht für Angriffe auf sensible russische Ziele und Infrastruktur in der Ostukraine und möglicherweise auch in Russland selbst.

Scholz prahlte in seiner Video-Botschaft immer wieder damit, wie umfassend die deutsche Kriegsbeteiligung sei.

„Wir werden weiter ukrainische Soldatinnen und Soldaten an modernstem europäischem Militärgerät ausbilden. Wir werden unsere Sanktionen fortsetzen. Wir werden die Ukraine finanziell unterstützen und helfen beim Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer. Unsere Züge werden weiter ukrainisches Getreide laden und an Europas Häfen transportieren. Unsere Krankenhäuser werden weiter verwundete ukrainische Soldaten behandeln.“

Dann versicherte der Kanzler, Deutschland werde die „Hilfe“ so lange fortsetzen, „wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht“.

Es ist das erklärte Ziel der imperialistischen Mächte, Russland in der Ukraine zu besiegen und die von Russland besetzen Teile des Landes militärisch zu erobern. Diese Botschaft ging vom zweiten Treffen der sogenannten Krim-Plattform am Dienstag in Kiew aus, an der sowohl Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg als auch führende Vertreter der imperialistischen Mächte teilnahmen.

In seiner Eröffnungsrede erklärte Selenskyj, dass die „Rückeroberung“ der Krim das wichtigste militärische Ziel der Ukraine sei. „Ich weiß, dass die Krim zur Ukraine gehört und auf unsere Rückkehr wartet“, behauptete er. „Ich möchte, dass Sie alle wissen, dass wir zurückkehren werden. Wir müssen den Kampf gegen die russische Aggression gewinnen. Deshalb müssen wir die Krim von der Besatzung befreien.“

Scholz, der gemeinsam mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau zugeschaltet war, schloss sich diesem Ziel mit den Worten an: „Wir verurteilen die Versuche Russlands, Teile des ukrainischen Territoriums gewaltsam zu integrieren. Unsere Botschaft ist klar: Ein Scheinreferendum oder andere Versuche, den Status von Teilen des ukrainischen Territoriums zu ändern, werden niemals anerkannt, und derartige Schritte schließen jegliche Verhandlungsansätze aus.“

Niemand erklärte, was genau das bedeutet. Die „Rückeroberung“ der Krim wäre in jeder Hinsicht ein mörderisches Projekt. Sie würde nicht nur das Leben der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung auf der Halbinsel bedrohen, die sich nach dem pro-westlichen Maidan-Putsch 2014 in Kiew mit großer Mehrheit hinter die russische Annexion gestellt hat und das rechte, anti-russische Regime in Kiew ablehnt.

Ein umfassender Angriff auf die Krim führt in den dritten Weltkrieg. „Für uns ist die Krim ein Teil Russlands. Und das ist sie für immer“, warnte der frühere russische Präsident und Ministerpräsident und aktuelle stellvertretende Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, Ende Juni in der russischen Wochenzeitung Argumenty i Fakty. Jeder Versuch, die Krim Russland streitig zu machen sei eine Kriegserklärung an sein Land. „Und wenn dies von einem NATO-Mitgliedsstaat getan wird, bedeutet dies einen Konflikt mit dem gesamten nordatlantischen Bündnis; einen dritten Weltkrieg. Eine vollständige Katastrophe.“

Die Führer der Nato wissen, was sie mit ihrer Politik riskieren. Noch im April hatte Scholz in einem Spiegel-Interview erklärt, man müsse alles tun, „um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden“. Es gehe darum, „eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Nun gehören diese Warnungen der Vergangenheit an. Die Führer der Nato-Mächte sind bereit, für die Durchsetzung ihrer geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen die Vernichtung des gesamten Planeten zu riskieren. Gestern erklärte die Spitzenkandidatin der britischen Konservativen, Liz Truss, bei einem Wahlkampfauftritt in Birmingham, sie sei notfalls „bereit“, einen Atomkrieg zu beginnen – selbst wenn dies „globale Vernichtung“ bedeute. Ende Juni hatte der Inspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz Russland gedroht, „die nukleare Abschreckung nötigenfalls umzusetzen“.

Derartige Drohungen und Vernichtungsphantasien entlarven die Nato-Mächte als die eigentlichen Aggressoren und Kriegstreiber. Der russische Einmarsch in die Ukraine ist reaktionär, aber letztlich eine verzweifelte Antwort des kapitalistischen Putin-Regimes auf die eskalierende imperialistische Kriegspolitik der vergangenen 30 Jahre. Die imperialistischen Mächte haben auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten, in Zentralasien und in Afrika eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Auch Russland hat die Nato seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie systematisch eingekreist, mit dem Ziel, das rohstoffreiche Land zu unterwerfen und auszubeuten. 2014 orchestrierten Washington und Berlin in der Ukraine einen rechten Putsch, um in der ehemaligen Sowjetrepublik ein rechtes, anti-russisches Regime zu installieren. Anschließend wurden das ukrainische Militär und rechtsextreme Milizen im Land systematisch aufgerüstet und der aktuelle Stellvertreterkrieg vorbereitet.

Die pausenlose Propaganda in Medien und Politik vom russischen „Aggressor“, „Kriegsterror“ und „rückwärtsgewandten Imperialismus“ (Scholz) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die herrschende Klasse an ihre alte imperialistische Großmacht- und Kriegspolitik anknüpft. Im 20. Jahrhundert versuchte der deutsche Imperialismus in zwei Weltkriegen, sich die Ukraine einzuverleiben und Russland militärisch zu unterwerfen. Nun versucht er es erneut.

In der Bevölkerung, die die fürchterlichen Verbrechen des deutschen Imperialismus nicht vergessen hat und nun erneut für die wahnwitzige Kriegspolitik zahlen soll, wächst der Widerstand. Laut einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts INSA sind 62 Prozent der Befragten mit der Arbeit des Kanzlers „unzufrieden“ und nur 25 Prozent „zufrieden“. Mit der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP sind sogar 65 Prozent unzufrieden.

„Die Arbeiterklasse wird unweigerlich in Konflikt mit der Ampel und allen Bundestagsparteien geraten“, erklärte die Sozialistische Gleichheitspartei bereits nach den Bundestagswahlen im vergangenen Herbst. Diese Situation ist nun erreicht und erfordert eine klare anti-kapitalistische Strategie und Perspektive. Die Kriegspolitik und die damit verbundenen Angriffe auf soziale und demokratische Rechte können nur durch das unabhängige Eingreifen der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms gestoppt werden.

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