Wachsende Kriegsgefahr in der Ägäis: Griechische Armee beschießt türkisches Frachtschiff

Am Samstag eröffnete die griechische Küstenwache das Feuer auf das Frachtschiff Anatolian. Das Schiff fuhr unter der Flagge der Komoren auf die Dardanellen zu und befand sich elf Seemeilen vor der türkischen Insel Bozcaada in internationalen Gewässern. Der Vorfall verschärft erneut den griechisch-türkischen Konflikt.

Von der 18 Mann starken Besatzung wurde niemand verletzt, allerdings wurde das Steuerhaus von mehreren Geschossen getroffen. Die beiden Boote der griechischen Küstenwache, die auf das Schiff gefeuert hatten, verließen das Gebiet, bevor die türkische Küstenwache eintraf. Diese veröffentlichte Videoaufnahmen der Besatzung des angegriffenen Schiffes, die zeigen, wie die Boote der griechischen Küstenwache das Feuer eröffnen, und dass ein Fenster von einer Kugel durchschlagen wird. Die Türkei protestierte gegen den Vorfall und forderte eine sofortige Untersuchung.

Laut der griechischen Tageszeitung Proto Thema hat die Küstenwache die Behauptungen der Türkei zurückgewiesen. Sie erklärt, vor dem Vorfall nordwestlich der Insel Lesbos habe ein verdächtiges Schiff mit der Flagge der Komoren, das sich auf die türkische Küste zubewegte, trotz Aufforderungen und Warnungen nicht angehalten. Danach habe die griechische Küstenwache Warnschüsse in die Luft abgegeben.

Die griechische Tageszeitung Ta Nea erklärte unter Berufung auf diplomatische Quellen, dass Probleme „mit Fischern oder Migranten in der Ägäis mit einem Unfall beginnen könnten“, worauf sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern verschärfen und sogar zu einem militärischen Zusammenstoß führen könnten.

Die auf der Insel Rhodos erscheinenden Zeitung Dimokrati berichtete, dass die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou diese Woche vier Nachbarinseln der Türkei besuchen werde, sowie mehrere kleine Inseln, die zwar gemäß dem Vertrag von Lausanne unbewohnbar sind, die Griechenland jedoch mit Waffen ausstattet.

Im Verlauf des Nato-Kriegs gegen Russland haben sich auch die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei verschärft. Sie entzünden sich an mehreren Ägäisinseln und Seegrenzen und an den Kohlenwasserstoffvorkommen im östlichen Mittelmeer.

Griechenland ist in diesem Krieg zu einem wichtigen militärischen Umschlagplatz geworden. Gleichzeitig versucht die Türkei aufgrund ihrer wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu Russland, eine vermittelnde Rolle zu spielen. Die Entscheidung der Türkei, die Handelsbeziehungen zu intensivieren, statt sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen, und ihre Kritik an den Bemühungen der Nato, den Krieg zu verlängern, haben in den westlichen Hauptstädten für Verärgerung gesorgt.

Anfang September hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Griechenland vorgeworfen, es würde die Inseln „besetzen“. Er erklärte: „Griechen! Schaut euch die Geschichte an. Wenn ihr die Grenze noch weiter überschreitet, werdet ihr teuer bezahlen. Vergesst Izmir nicht.“ Damit meinte er den entscheidenden Sieg der Türkei über griechische Truppen, die 1922 die westtürkische Stadt Izmir besetzt hatten. Er fügte hinzu: „Eure Besetzung der Inseln hält uns nicht ab. Wir werden tun, was notwendig ist, wenn es soweit ist. Wie gesagt, wir könnten plötzlich eines Nachts kommen.“

Im Juni hatte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu mit einer Invasion der Inseln gedroht und erklärt, „die Souveränität dieser Inseln wird diskutiert werden“, wenn Griechenland nicht aufhöre, sie weiter mit Waffen auszustatten.

Am Freitag warf Erdoğan Washington und anderen Nato-Mächten vor, in Bezug auf die Türkei und Griechenland mit zweierlei Maß zu messen: „Auf der einen Seite gibt es [Griechenlands] Verstöße in der Ägäis, die Belästigung einiger unserer Flugzeuge bei Nato-Missionen und aggressive Aktionen, wie zum Beispiel [Ende August] die Radarabriegelung von Flugzeugen mit S-300-Raketen. Haben Sie von denen, die über unsere S-400-Raketen reden, jemals irgendwas über Griechenlands S-300-Raketen gehört? Die S-300 stammen von Russland und die S-400 stammen auch von Russland. Aber [gegen Griechenland] gibt es keinerlei Einwände.“

Die USA hatten im April 2021 eine Reihe von Sanktionen gegen die Türkei verhängt, weil diese Luftabwehrsysteme des Typs S-400 von Russland gekauft hatte.

Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete: „Türkische Kampfjets, die sich am 23. August an Nato-Missionen über der Ägäis und dem östlichen Mittelmeer beteiligt haben, wurden von einem auf der griechischen Insel Kreta stationierten Luftabwehrsystem des Typs S-300 aus russischer Produktion bedrängt.“ Ein Anadolu-Reporter fragte den Pentagon-Sprecher General Patrick Ryder: „Halten Sie es für ein akzeptables Verhalten, dass bei einer Nato-Mission griechische S-300 auf türkische F-16-Flugzeuge gezielt haben?“ Er antwortete: „Ich habe dazu nichts zu sagen.“

Am 1. September schickte das türkische Außenministerium von Çavuşoğlus unterzeichnete Briefe an 25 Hauptstädte der Europäischen Union, den Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, an die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und an UN-Generalsekretär Antonio Guterres, in denen die Position und Ansichten der Türkei zur Lösung der Ägäis-Frage erläutert werden.

Der griechische Außenminister Nikos Dendias rief die Nato, die EU-Staaten und die Vereinten Nationen dazu auf, die „empörenden und zunehmend aggressiven Äußerungen türkischer Regierungsvertreter“ offiziell zu verurteilen. Borells Sprecher, Peter Stano, erklärte dazu: „Die anhaltenden feindseligen Äußerungen der politischen Führung der Türkei gegen Griechenland und das griechische Volk geben Anlass zu ernster Sorge.“

Als Reaktion auf Erdoğans aggressive Äußerungen erklärte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis: „Ich sage es ihnen in einer Sprache, die sie verstehen werden: Hört auf, Griechenland zu tyrannisieren.“ Auf die Frage von Associated Press, ob die jüngste Eskalation der Auftakt zu einem bewaffneten Konflikt sein könnte, antwortete Mitsotakis: „Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Und wenn doch – was Gott verhüte –, dann würde die Türkei eine absolut verheerende Antwort erhalten.“

Die Nato-Mächte, die unter Führung der USA den Krieg gegen Russland in der Ukraine verschärfen, befürchten offenbar, dass die wachsenden Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei zum Bruch des Bündnisses führen könnten. Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte: „In einer Zeit, in der Russland wieder einmal einen souveränen europäischen Staat überfallen hat, sind Äußerungen, die zu Spannungen zwischen Nato-Verbündeten führen könnten, besonders wenig hilfreich (...) Die Souveränität Griechenlands über diese Inseln ist unumstritten. Wir rufen alle Parteien auf, von Rhetorik und Maßnahmen Abstand zu nehmen, die die Spannungen weiter verschärfen könnten.“

Der ehemalige stellvertretende US-Verteidigungsminister für Europa- und Nato-Politik, Jim Townsend, erklärte: „Egal welche kleinen Risse in der europäischen Einheit auftauchen, Putin kann sie noch vergrößern und sogar den Fels spalten. Das untergräbt nicht nur die europäische Einheit, sondern kann sich auch auf die Nato-Räte auswirken, wenn ein Land die Nato als Waffe gegen das andere einsetzt.“

Ende Mai behauptete Erdoğan, die neun US-Militärbasen in Griechenland würden sich gegen die Türkei richten: „Wissen Sie, Griechenland schuldet Europa momentan 400 Milliarden Euro. In Griechenland gibt es zurzeit neun amerikanische Stützpunkte. Gegen wen wurden sie errichtet, warum sind sie da? Sie sagen: ,Gegen Russland ...‘ Das ist gelogen (...) Sie sind nicht ehrlich. Ihre Haltung gegenüber der Türkei tritt diesbezüglich offen zutage.“

Die französische Außenministerin Catherine Colonna, die sich letzte Woche mit ihrem griechischen Amtskollegen Dendias in Athen traf, bekräftigte die Unterstützung Frankreichs für Griechenland. Auf die Frage, wie Frankreich Griechenland in einem Konflikt mit der Türkei unterstützen würde, antwortete sie: „Wir haben ein Abkommen über strategische Partnerschaft unterzeichnet, und Artikel 21 beschreibt genau diese Situation. Er sieht gegenseitige Solidarität vor, wenn sich beide Parteien einig sind, dass es einen bewaffneten Angriff auf das Land einer der beiden Parteien gibt.“

Die türkische und die griechische Bourgeoisie, die wegen ihrer reaktionären geopolitischen Interessen im Mittelmeer und in der Ägäis einen Krieg riskieren, sind beide mit wachsendem Widerstand ihrer Arbeiterklasse und einer zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Krise konfrontiert. Sie sind sich einig bei dem Versuch, die Arbeiterklasse durch Militarismus und Nationalismus zu spalten, Streiks zu verhindern und die wachsenden Kämpfe auf beiden Seiten der Ägäis zu unterdrücken.

Die griechische, türkische und internationale Arbeiterklasse muss gewarnt sein: Die Gefahr eines Kriegs ist äußerst akut. Nur die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf Grundlage eines sozialistischen Programms kann den Ausbruch eines solchen Kriegs verhindern, der Millionen von Arbeitern und Jugendlichen in der Region in eine neue Katastrophe stürzen wird. Der Weg vorwärts liegt im revolutionären Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und dem Nahen Osten. Dies erfordert den Aufbau von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Europa, im Nahen Osten und im Rest der Welt.

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