Perspektive

Zum Tod von Kenneth Starr, Mitbegründer der Politik der sexuellen Hexenjagd

Am Dienstag ist im Alter von 76 Jahren Kenneth Starr gestorben. Als Staatsanwalt hatte er die Ermittlungen geleitet, die 1998 zum Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Bill Clinton (Demokraten) führten. Starr hatte seit Mai in einem Krankenhaus bei Houston gelegen, über die Art seiner Erkrankung wurde nichts bekannt. Der Tod des ehemaligen Sonderermittlers ist eine gute Gelegenheit, Rückblick auf die von den Medien inszenierten Hexenjagden und Sexskandale zu halten, die im politischen Leben der USA eine immer üblere Rolle spielen.

Kenneth Starr mit einer Kopie seines Berichts 1998 vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses (AP Photo/Doug Mills, Archiv)

Mehr als ein Jahr lang, von 1998 bis 1999, war Starr eine der verhasstesten Figuren im politischen Leben Amerikas. Ursprünglich war er eingesetzt worden, um wegen einer fehlgeschlagenen Immobilienfinanzierung in Arkansas gegen Clinton zu ermitteln. Doch er nutzte sein Büro als unabhängiger Ermittler zu einer Verschwörung, mit der er Clinton aus dem Amt jagen wollte.

Es begann damit, dass Clinton von einer ehemaligen Angestellten des Bundesstaates Arkansas, Paula Jones, verklagt wurde. Sie warf ihm vor, er habe sie während seiner Zeit als Gouverneur sexuell belästigt. Der Fall wurde von rechtsgerichteten Gruppen aufgegriffen und auch weitgehend finanziert, um Clintons Präsidentschaft unter Beschuss zu nehmen.

Nachdem Starr und eine Riege reaktionärer Juristen über Lewinskys Vertraute Linda Tripp von Clintons Affäre mit Monica Lewinsky erfahren hatten, stellten sie ihm eine Falle, um ihn zu einem Meineid zu verleiten. Die Anwälte zwangen Clinton dazu, im Rechtsstreit mit Paula Jones unter Eid auszusagen. Dabei befragten sie ihn auch zu Lewinsky. Er bestritt, eine sexuelle Beziehung mit der Praktikantin im Weißen Haus unterhalten zu haben, und hatte somit unter Eid gelogen. Die Falle war zugeschnappt.

In enger Abstimmung mit besagter Riege reaktionärer Juristen machten Starr und sein Team nun Clintons Lüge über eine sexuelle Beziehung zum Dreh- und Angelpunkt von Ermittlungen, die lange vor der ersten Begegnung von Lewinsky und Clinton begonnen hatten. Nachdem der Presse ein paar anzügliche Details zugespielt worden waren, schürte sie erwartungsgemäß einen Skandal, der Clinton zum Rücktritt zwingen sollte.

Als Clinton sich hartnäckig weigerte, luden die Starr-Ermittler sowohl ihn als auch Lewinsky zu einer ausführlichen Vernehmung vor. Am Ende präsentierten sie dem Kongress einen 450-seitigen Bericht, der größtenteils aus pornografischen Schilderungen und Clintons Vertuschungsversuchen bestand. Dieser Bericht bildete die Grundlage, auf der die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton stimmte. Der Senat stimmte jedoch seiner Absetzung nicht zu, und Clinton blieb weitere zwei Jahre im Amt.

Die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung empfand den Versuch, Clinton durch einen Sexskandal aus dem Amt zu entfernen, als abscheulich. Die antidemokratischen Methoden und die obszöne Hexenjagd stießen auf breite Ablehnung. Bei den Zwischenwahlen im November 1998, die am Vorabend der Abstimmung über die Amtsenthebung stattfanden, verlor die Republikanische Partei im Repräsentantenhaus unerwartet an Boden. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, der erdrutschartige Gewinne durch die „Ergreifung“ Clintons versprochen hatte, musste von seinem Amt zurücktreten.

In ihren Nachrufen kamen die Leitmedien nicht umhin, einzuräumen, dass Starrs Ermittlungen gegen Clinton weithin abgelehnt wurden, führten dies aber auf die Parteilichkeit von Anhängern der Demokratischen Partei zurück. Die reaktionäre Verschwörung, der Starr als Frontmann diente, wurde nicht ernsthaft aufgerollt.

Den Ton gab die New York Times an, die auf Starrs anschließende Karriere hinwies: Er wurde als Präsident der Baylor University von deren Aufsichtsgremium abgesetzt, weil er nichts gegen eindeutig erwiesene sexuelle Übergriffe in der Football-Mannschaft der Hochschule unternommen hatte. Später war Starr einer der Verteidiger des Multimillionärs Jeffrey Epstein, der gegen Geld minderjährige Mädchen an reiche Kunden vermittelte. Die offensichtliche Schlussfolgerung aus all dem wurde von der Times allerdings nicht gezogen: Starr hatte Clinton sicher nicht wegen mutmaßlicher sexueller Verfehlungen ins Visier genommen, sondern aus politischen Gründen.

Die Times erwähnte auch nicht, wie Starr überhaupt zum unabhängigen Ermittler geworden war. Sein Vorgänger, Robert Fiske, hatte 1994 die Whitewater-Ermittlungen gegen Clinton und eine damit zusammenhängende Untersuchung des Todes von Vince Foster geleitet. Dabei war er zum Schluss gelangt, dass dieser Berater des Weißen Hauses Selbstmord begangen hatte. Fiske wurde dann unvermittelt abgesetzt. Den entsprechenden Beschluss fasste ein mit drei Richtern besetztes Berufungsgericht des Bezirks Washington unter dem Vorsitz von David Sentelle. Vor seiner Berufung in das wichtigste Bezirksgericht des Landes war Sentelle ein hochrangiger Berater des rechtsextremen Senators Jesse Helms gewesen. Es stellte sich heraus, dass Sentelle und ein weiterer Richter des Gremiums am Tag, bevor Fiske entlassen und durch Starr ersetzt wurde, beim Mittagessen mit Helms gesehen worden waren. Starr, der als republikanischer Hardliner galt, war in der ersten Bush-Regierung Generalstaatsanwalt gewesen. Er ermittelte noch sechs Jahre lang gegen Clinton, bis dieser aus dem Amt schied.

Während der gesamten politischen Krise, die durch den Clinton-Lewinsky-„Skandal“ ausgelöst wurde, lieferte die World Socialist Web Site, damals im ersten Jahr ihres Bestehens, eine Analyse der gesellschaftlichen und politischen Kräfte, die hinter dem Angriff auf die Clinton-Regierung standen. Wir berichteten fast täglich über die Krise und haben die Hexenjagd scharf kritisiert. Die WSWS stellte sich zwar gegen Clinton und den US-Imperialismus, warnte jedoch davor, dass die Bemühungen der Rechten, einen gewählten Präsidenten durch Methoden der Hinterzimmerverschwörung und Skandalisierung abzusetzen, eine Bedrohung demokratischer Rechte darstellten. Wir riefen die Arbeiterklasse auf, sich dieser Kampagne zu widersetzen, und warnten, dass jede Regierung, die durch einen solchen Palastputsch an die Macht käme, einen großen Schritt in Richtung Diktatur darstellen würde.

Ein Vierteljahrhundert später ist der Verfall der amerikanischen kapitalistischen Demokratie viel weiter fortgeschritten als damals. 1998 kritisierten die Demokraten im Kongress zwar Clinton und wiesen die von Hillary Clinton geäußerte Vermutung einer „riesigen rechten Verschwörung“ zurück. Sie stimmten allerdings gegen ein Amtsenthebungsverfahren und gegen die Absetzung Clintons, die sie als übertriebene Strafe für sein „Fehlverhalten“ bezeichneten. Heute würden sie an vorderster Front seinen sofortigen Rücktritt fordern.

Das ist keine hypothetische Frage. Die Demokraten im Kongress haben Senator Al Franken aus Minnesota 2017 aufgrund von völlig fadenscheinigen Anschuldigungen aus dem Amt gedrängt, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich vor dem Ethikausschuss des Senats zu verteidigen. Vorwürfe der sexuellen Belästigung führten zur prompten Absetzung des Abgeordneten John Conyers, eines der dienstältesten Mitglieder des Repräsentantenhauses, noch bevor die gegen ihn erhobenen Vorwürfe überhaupt geprüft worden waren. Und im vergangenen Jahr wurde der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, aufgrund von Vorwürfen der sexuellen Belästigung, die er nach wie vor bestreitet, zum Rücktritt gezwungen.

Die #MeToo-Kampagne hat dazu geführt, dass demokratische Normen wie die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein ordentliches Verfahren und das Recht des Beschuldigten, dem Ankläger zu erwidern, pauschal abgelehnt werden. Auf anonymen Quellen beruhende und von willfährigen Medien verbreitete Anschuldigungen haben ausgereicht, um die Karrieren von gewählten Parlamentariern, Professoren, Musikern und Vertretern der Fernseh- und Filmindustrie zu beenden. In dieser Kampagne haben liberale Medien wie die New York Times und liberale Demokraten wie Senatorin Kirsten Gillibrand aus New York eine wesentliche Rolle gespielt.

Gleichzeitig besetzen die von Starr herangezogenen Anwälte die höchsten Ämter in der amerikanischen Justiz. Der Oberste Richter John Roberts war in der ersten Bush-Regierung stellvertretender Generalstaatsanwalt unter Starr. Ein weiterer Richter des Obersten Gerichtshofs, Brett Kavanaugh, verfasste als Mitarbeiter Starrs einen Großteil des obszönen Berichts an den Kongress über die Lewinsky-Affäre.

Vor 25 Jahren veröffentlichte die WSWS eine Erklärung des Redaktion mit der Überschrift: „Kenneth Starr, die amerikanischen Medien und das Streben nach ‚Wahrheit‘“. Wir schrieben:

Es gibt mehr als genug Beweise dafür, dass die Starr-Untersuchung die Speerspitze einer groß angelegten Untergrabung demokratischer Gepflogenheiten ist. Sie wird von rechtsextremen Kräften finanziert, die über ein enormes Vermögen verfügen, und unter aktiver Mitwirkung der Massenmedien organisiert. Die höchsten Ebenen der Justiz bis hin zum Obersten Gerichtshof sind darin verwickelt. Es handelt sich im Wesentlichen um den ersten systematischen Versuch eines politischen Staatsstreichs in der Geschichte der USA.

Fünf Monate später, nach der Amtsenthebung Clintons durch das Repräsentantenhaus, stellte die WSWS die Frage: „Treibt Amerika auf einen Bürgerkrieg zu?“ Wir erklärten, dass die politische Krise nicht einfach darauf zurückzuführen war, dass Clinton über eine private sexuelle Angelegenheit nicht die Wahrheit sagen wollte. Ein Konflikt, der die US-Regierung zu stürzen drohte, musste tiefe Wurzeln in den gesellschaftlichen Verhältnissen und den Klassenbeziehungen haben.

Wir führten diesen Konflikt auf die Erosion der Stellung der Mittelschicht zurück, die einst eine stabile Grundlage für die bürgerliche Demokratie gebildet hatte. Amerika war zunehmend in zwei Klassen gespalten: die große Mehrheit, die proletarisiert war und ums Überleben kämpfte, und eine im Geld schwimmende herrschende Elite, deren interne Konflikte sich aus gewaltigen sozialen Spannungen speisten.

Was sich damals als Tendenz abzeichnete, ist heute eine regelrechte Lawine. Der versuchte Palastputsch gegen Clinton durch die republikanische Rechte hat sich zu einem bewaffneten Putschversuch durch einen gewalttätigen Mob ausgewachsen, der von dem faschistischen Präsidenten Donald Trump am 6. Januar 2021 angezettelt wurde. Die Republikanische Partei ist mittlerweile de facto eine faschistische Partei mit Trump als Führer.

Und die Arbeiterklasse gerät in Konflikt mit den Konzernführungen, den beiden kapitalistischen Parteien, die der Elite hörig sind, und der kapitalistischen Gesellschaftsordnung insgesamt. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, unter den arbeitenden Menschen das Verständnis zu entwickeln, dass sie einen unabhängigen, revolutionären politischen Kampf gegen das kapitalistische System führen müssen.

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