Erfolg zweier Flughafenarbeiter vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht

WISAG Ground Service muss Bodenarbeiter wieder einstellen

Am 5. Oktober haben zwei WISAG-Beschäftigte ihren Fall vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht gewonnen. Beide Kläger sind Flughafenarbeiter, die als Disponenten für die Firma WISAG Ground Service das Laden und Entladen von Flugzeugen koordinieren. Beide waren im Dezember 2020 zusammen mit 230 weiteren WISAG-Beschäftigten gekündigt worden.

Das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Matthias Kreutzberg-Kowalczyk urteilte in beiden Fällen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet sei, und dass WISAG die Kläger „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits“ weiterbeschäftigen müsse. Das Urteil könnte indessen das Ende des Rechtsstreits sein, denn es erfolgte bereits in zweiter Instanz. Es bedeutet, dass ein erstes Urteil des Frankfurter Arbeitsgerichts im August 2021, das die Entlassungen für rechtmäßig erklärt hatte, abgewendet wurde.

Yildiray Sevin

Vor Gericht traten nacheinander die beiden Kläger, Yildiray Sevin und Bouchta Lakhouane (genannt „Bobo“), sehr prinzipiell und entschieden für ihr Recht auf Arbeit ein. Beide hatten als Disponenten im Bereich des ACC (Area Control Center) gearbeitet, ehe WISAG sie nach rund zwanzig Jahren am Frankfurter Flughafen mit nur drei Monaten Kündigungsfrist auf die Straße warf.

Im ersten Prozess, in dem es um Yildiray Sevins Fall ging, wurde zunächst ausführlich über die „unternehmerische Entscheidung“ von WISAG Ground Service gesprochen, die zu den Entlassungen im Dezember 2020 geführt hatte. WISAG hatte sich entschieden, das feste Personal am Flughafen auf 60 Prozent zu reduzieren. Pro Schicht sollte es nur noch zwei ACC-Disponenten geben.

Sevins Rechtsanwalt Marcus Hübner führte aus, was die Klägerseite daran kritisierte: Erstens sei die konkrete Umsetzung der Entscheidung durch WISAG nie ausreichend erläutert worden. Zweitens sei bei den Entlassungen die Qualifikation und die Sozialauswahl nicht berücksichtigt worden, und auch die Art und Weise, wie die Betriebsratsanhörung stattgefunden habe, werfe ernste Probleme auf.

Drittens sei der Einsatz von Leiharbeitern völlig ungeklärt. „Die Beklagte legt die Karten nicht offen auf den Tisch“, sagte Hübner. Im ACC-Bereich würden offenbar Leiharbeiter beschäftigt. „Faktisch kann es dort eigentlich keine Leiharbeit geben“, so Hübner.

Daraufhin stellte der Richter zahlreiche Fragen, zunächst nach der Reduzierung des Betriebs auf 60 Prozent. Später fragte er auch nach den Leiharbeitern und wie viele Disponenten es vor der Pandemie gegeben habe, wie der Schichtablauf konkret funktioniere, ob der Schichtrhythmus überhaupt einzuhalten sei, und was man unter Mehrarbeit, Überstunden und Sonderschichten zu verstehen habe.

Bei den Antworten der WISAG-Seite wurde offensichtlich, wie kaltschnäuzig der Konzern die Corona-Krise genutzt hat, um längst gehegte Pläne umzusetzen. Für WISAG waren Geschäftsführer Holger Kube und Rechtsanwalt Alexander Pfeiffer von der Wirtschaftskanzlei Schweibert, Leßmann & Partner anwesend. Pfeiffer führte aus: „Wir reden natürlich nicht über eine Reduzierung des Umsatzes auf 60 Prozent, sondern über einen kleineren Betrieb. Wir wollen weniger Leute dauerhaft auf dem Hof.“ Diese Entscheidung sei unabhängig von der Pandemie und vor dieser getroffen worden, denn „ein geringerer Personalbestand bedeutet Kostensenkung“.

Wiederholt räumten Kube und Pfeiffer ein, dass es Leiharbeiter und auch Neueinstellungen gegeben habe und noch gebe. Im zweiten Prozess sagte Pfeiffer dem Kläger Bouchta Lakhouane ins Gesicht: „Ja, stimmt, wir haben zum 1.10. neue Leute eingestellt. Es ging im Juni wieder los. (…) Aber mir ist nicht bekannt, dass jetzt eine Stelle offen ist.“

Holger Kube erklärte, dass es am Flughafen Peaks und auch Talsituationen gebe. „Die unternehmerische Entscheidung bestand darin, dass es wirtschaftlich ist, so viele Mitarbeiter zu haben, wie man im Tal benötigt.“ Er fügte hinzu: „Die unternehmerische Entscheidung ist natürlich ergebnisorientiert.“ Man müsse aber wissen, dass „diese Firma, schon ehe es WISAG war“, in der Vergangenheit in Peak-Zeiten „immer noch mehr Personal dazu eingestellt hat“. Das sollte jetzt beendet werden. Der Klägeranwalt konstatierte: „Das heißt doch, man hat die Corona-Situation genutzt, um das System umzubauen.“

Bouchta Lakhouane

In beiden Verfahren ergriffen die Kläger, d.h. die Bodenarbeiter, selbst das Wort. Auf mehrmaliges Nachfragen, ob sie für eine Abfindung einem Vergleich mit WISAG zustimmen würden, sagten beide Arbeiter kategorisch: „Nein“. Yildiray Sevin sagte, die Kündigung sei für ihn „wie ein Kopfschuss“ gekommen.

Sevin erklärte: „Ich habe meinen Job gut gemacht. Ich habe ihn fast 20 Jahre lang gemacht, 8,5 Stunden pro Tag, aber freiwillig sehr oft länger. Ich war immer der letzte, der den Arbeitsplatz sauber verließ, wenn alle Probleme gelöst waren. Und nach 20 Jahren hat mich diese Firma, die selbst erst seit zwei Jahren am Flughafen tätig ist, mit der Entlassung ‚belohnt‘. Ich kenne das kapitalistische System und weiß, dass das normal ist, aber ich sehe nicht ein, dass man mit mir so umspringt.“

Er berichtete, dass die Arbeitsagentur ihn auch an die Messe Frankfurt geschickt habe, wo WISAG ebenfalls vertreten sei. „Sie suchen dort Leute“, und auf Nachfrage sei ihm gesagt worden, WISAG suche auch Ramp-Agenten oder Vorfeldmitarbeiter für den Flughafen.

„Ich möchte arbeiten“, fuhr Sevin fort. „Was soll ich meinen Kindern zu Hause sagen? Sie warten seit zwei Jahren darauf, dass ich meine Arbeit zurückbekomme. Andere wurden statt meiner eingestellt, und das ist einfach ungerecht. Es ist nicht richtig, dass man die Älteren an die Seite stellt, die seit so vielen Jahren dabei sind.“

Er machte deutlich, worum es WISAG eigentlich geht, nämlich die Löhne der langjährig Beschäftigten loszuwerden: „Ich habe brutto 2974,- verdient, zuzüglich Urlaubs-, Weihnachts- und Sonderzulagen. Ich war einfach ein zu teurer Mitarbeiter. Es gibt keinen anderen Grund, warum ich nicht weiter arbeiten konnte.“ Er schloss seine Rede mit den Worten: „Ich will meinen Job zurück, nichts anderes.“

Bei dem zweiten Kläger, Bouchta Lakhouane, genannt „Bobo“, sagte Rechtsanwalt Rainer Gromes zunächst: „Mit Hinblick auf das Risiko ist bei uns eine Vergleichsbereitschaft da.“ Aber Bobo selbst erklärte: „Ich bin jetzt fast zwei Jahre lang so weit gegangen, da kann ich nicht zustimmen. Ich vertraue dem deutschen Gesetz. Herr Richter entscheiden Sie, was richtig ist.“

Er sei „im Flughafen aufgewachsen“, fuhr er fort, „und jetzt, wo so viel Arbeit da ist, gibt es für mich keine Arbeit mehr. Da ist doch etwas nicht in Ordnung (…) Ich hatte die Hoffnung, auf diesem Weg was zu erreichen. Jetzt habe ich mein Ziel, bis vor das Gericht zu kommen, erreicht. Von WISAG erwarte ich schon lange nichts mehr, aber es muss doch Gerechtigkeit geben.“

Darauf lachte der Richter und sagte: „Das ist legitim, aber das Gericht kann natürlich auch Fehler machen.“

Beide Kläger bewiesen vor Gericht mehrfach, dass sie sich aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit den Abläufen am Flughafen deutlich besser auskennen als die Anwälte und Geschäftsführer.

So erklärte Sevin im Gegensatz zum WISAG-Rechtsanwalt, demzufolge die Schichten „zwischen 5.30 Uhr und 6.00 Uhr“ beginnen würden, sehr bestimmt: „Euer Ehren, meine Schicht begann immer um 4.30 Uhr. Ich musste meinen Wecker um 3 Uhr stellen und um 4.30 Uhr am Flughafen einchecken.“ Auch war es nötig, die Arbeitsvorbereitung 24 Stunden vorher zu machen. „Aber diese Position haben sie vielleicht auch schon weggestrichen.“

In dem Prozess spielte auch das Computersystem RTC eine Rolle, das den Disponenten angeblich alle Arbeit abnehme und sie überflüssig gemacht habe. Dazu sagte Sevin: „Ich habe zwei Jahre mit diesem System gearbeitet. Das klappt einigermaßen, aber man muss die Daten immer aktualisieren. Zum Beispiel kommt kurzfristig nicht die geplante Maschine, sondern an ihrer Stelle eine Charter-Maschine an. Sie ist anders gebaut. Die Entscheidung, was in jedem Fall nötig wird, kann das System nicht selbstständig treffen.“

Bobo erklärte zu dem System: „Die Maschine macht angeblich alles alleine, aber wir bekamen großen Ärger, wenn wir einmal fünf Minuten nicht an unserem Platz waren.“

Zu dem Computersystem erwähnte der Richter konsterniert, was ihn habe aufhorchen lassen: „Es kommt eine Warnung fünf Minuten vor dem Ereignis. Die Maschine kann ja eigentlich nur warnen, aber der Disponent selbst muss handeln.“

Sein Urteil gegen WISAG fällte der Richter noch am selben Tag in Anwesenheit seiner zwei Schöffen. Während die Urteilsbegründung noch aussteht, muss der Konzern die zwei WISAG-Arbeiter wieder einstellen und ihnen die gesamten Bezüge der letzten Monate nachzahlen.

Es ist ein wichtiger Erfolg, und er weist im Zusammenhang mit den Konflikten am Flughafen über den eigentlichen Fall hinaus. Denn das Urteil ist nicht das Ergebnis von besseren Argumenten, juristischen Tricks oder der Einsicht in die Gerechtigkeit.

Richter Matthias Kreutzfeld-Kowalczyk ist keineswegs ein arbeiterfreundlicher Richter. Er hat erst vor wenigen Wochen eindeutig gegen die ebenfalls von WISAG entlassenen Busfahrer entschieden. In ihrem Fall hat er das erstinstanzliche Urteil und damit ihre Kündigung bestätigt, und sie bekommen nicht einmal eine Abfindung.

Schon bei seinem Einstand vor zehn Jahren hatte Kreutzfeld-Kowalczyk während eines wichtigen Arbeitskampfs am Flughafen gegen die Beschäftigten entschieden, als er einen Solidaritätsstreik der Fluglotsen mit den Bodenlotsen rundheraus verbot.

Während das Gericht an diesem 5. Oktober den Fall der zwei anwesenden Kläger positiv entschied, gab es für einen dritten, abwesenden Kläger, der telefonisch einem Vergleich zugestimmt hatte, nur eine Abfindung von 11.500 Euro brutto: ein Almosen für zwanzig Jahre Arbeit am Flughafen.

Aber die Gerichtsverfahren kommen mit einem neuen internationalen Aufschwung der Arbeiterklasse zusammen, und das Gericht ist davon nicht unberührt. Auch am Flughafen steigt die Flut der Arbeitskämpfe. Arbeiter wehren sich gegen die Opfer, die ihnen die Corona-Pandemie, die Inflation und der Krieg abverlangen. Schon wenige Stunden nach dem Prozess traten beispielsweise die Eurowings-Piloten für 24 Stunden in Streik.

Seit Corona sind am Flughafen Tausende entlassen worden, aber die WISAG-Arbeiter waren die einzigen, die sich kollektiv und prinzipiell dagegen wehrten. Die zwei Arbeiter, die am 5. Oktober im Prozess betonten, dass sie schon seit fast zwei Jahren um ihre Arbeitsplätze kämpften, hätten das alleine nicht geschafft. Am 17. Dezember 2020 waren 230 Arbeiter bei WISAG Ground Service entlassen worden, und sie wandten sich an die Öffentlichkeit und rebellierten. Ihr Kampf ist am Flughafen und darüber hinaus bekannt.

Sie wehrten sich nicht nur gegen den Dienstleister WISAG, sondern auch gegen die Gewerkschaft Verdi, die keinen Finger für sie rührte. Der Verdi-Betriebsrat verfasste bei WISAG die Liste derjenigen, die entlassen wurden. Das wurde auch vor Gericht wieder klar, als Sevin sagte: „Als die Pandemie begann, hieß es plötzlich, Sevin, du bist auf der Liste des Betriebsrats von denen, die gekündigt werden sollen.“

„Wir haben dem Betriebsrat vertraut, aber sie haben uns verkauft“, sagte Bouchta der WSWS nach dem Prozess. Aufgrund dieser Erfahrung mit Betriebsrat und Gewerkschaft hatten WISAG-Arbeiter im April 2021 symbolisch einen schwarzen Totenkranz bei Verdi niedergelegt.

Seit 22 Monaten haben die WISAG-Arbeiter ihr Recht auf Weiterbeschäftigung am Flughafen prinzipiell und offensiv verteidigt. Dafür ist das Urteil vom 5. Oktober 2022 eine starke Bestätigung. Dabei darf es aber nicht bleiben: Ein Aktionskomitee Flughafen muss am Rhein-Main Airport aufgebaut werden, das einen unabhängigen Kampf um jeden Arbeitsplatz aufnimmt. Es wird diesen Kampf mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt gemeinsam führen.

Vernünftige, inflationsgerechte Löhne! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, auf dem höchsten Niveau! Jeder Entlassene, der das fordert, muss wieder eingestellt werden! Dafür – und vor allem für einen gemeinsamen, internationalen Kampf gegen den dritten Weltkrieg – wird dieses Komitee sich einsetzen. Es hat die volle Unterstützung der WSWS, der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees und der Sozialistischen Gleichheitspartei.

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