Frankreich: Streikbewegung wächst – Macron schiebt Angriff auf Raffineriestreiks auf

Streikende Arbeiter versammeln sich vor dem Eingang des Öldepots von TotalEnergies in Dünkirchen, Nordfrankreich, 13. Oktober 2022 (AP Photo/Michel Spingler) [AP Photo/Michel Spingler]

Der Streik in den französischen Raffinerien geht in die dritte Woche, und ein Drittel der Tankstellen meldet Engpässe. Unterdessen nehmen weitere Teile der Arbeiterklasse den Kampf gegen Inflation und Rentenkürzungen auf. Eisenbahner, Verkehrsarbeiter, Beschäftigte der Energiebranche und des Gesundheits- und Bildungswesens wollen sich am Dienstag an einem landesweiten eintägigen Proteststreik beteiligen, zu dem die stalinistische Gewerkschaft Confédération générale du travail (CGT) aufgerufen hat.

Es ist bedeutsam, dass sich Arbeiter aus einer Reihe von Privatunternehmen dem Streik anschließen werden, ebenso wie breitere Schichten von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Die Müllwerker in Städten wie Paris, Bordeaux, Toulouse und Rouen wollen ebenfalls streiken. Zu den Industrieunternehmen, deren Arbeiter sich am Streik beteiligen werden, um gegen Lohnerhöhungen unterhalb des Inflationsniveaus zu protestieren, gehören der Autoproduzent Stellantis, der Rüstungskonzern Dassault und der Flugzeugmotorenhersteller Safran.

Die Bewegung ist kein rein französischer, sondern ein internationaler Kampf gegen die Inflations- und Kriegspolitik der kapitalistischen herrschenden Klassen weltweit. In den letzten Wochen sind die Hafen- und Transportarbeiter in Großbritannien und Südafrika in den Streik getreten, ebenso wie Fluglotsen in vielen Teilen Afrikas und Lehrer in Europa – von Deutschland und Norwegen bis nach Serbien, dem Kosovo und Griechenland. In den USA wächst die Wut der Arbeiter in der Auto- und Eisenbahnindustrie, und ein landesweiter Bahnstreik wird immer wahrscheinlicher.

Der Streik in den französischen Raffinerien hat die Wut der gesamten Arbeiterklasse über die steigenden Preise gezeigt, vor allem nach den europäischen Sanktionen gegen russisches Gas wegen des Nato-Kriegs in der Ukraine. Breite Schichten von Arbeitern und Jugendlichen kommen kaum über die Runden, während die europäischen Konzerne durch eine Spekulationsorgie bei Energiepreisen Riesenprofite einfahren. Für diese Schichten haben die offiziellen Versuche, die Inflation ausschließlich dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anzulasten, keine Glaubwürdigkeit. Eine Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen die Macron-Regierung, die Banken und das Nato-Militärbündnis bahnt sich an.

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Die herrschende Klasse ist eindeutig zu dem Schluss gekommen, dass sie mit einer ernsthaften Krise konfrontiert ist und dass sie in einer so brisanten Lage nicht einfach die Bereitschaftspolizei schicken und die Streikenden zur Arbeit zwangsverpflichten kann. Selbst wenn der riesige französische Polizeistaatsapparat alle Raffinerien stürmen könnte, würde er einen unkontrollierbaren Ausbruch sozialer Wut in der gesamten Arbeiterklasse riskieren. Stattdessen soll der Kampf erst schrittweise gespalten, demoralisiert und zermürbt werden, um die Politik von Inflation, Austerität und Krieg durchzusetzen.

Dies geht aus der Fernsehansprache von Premierministerin Élisabeth Borne am Sonntagabend hervor, in der sie sich über den Raffineriestreik und die zunehmende interne Krise ihrer Regierung äußerte.

Borne erklärte: „Ich bestätige, dass sich die Lage über das Wochenende weiter verschlimmert hat. Etwa 30 Prozent der Tankstellen in Frankreich haben Versorgungsprobleme bei mindestens einer Treibstoffsorte.“ Sie rühmte sich, die Regierung habe „ihre Pflicht getan, was Beschaffung angeht“ und versprach, die strategischen Ölreserven zu benutzen, um den Streik zu überstehen: „Um die Tankstellen wieder zu beliefern, haben wir die staatlichen Vorräte mobilisiert.“

Borne warnte, die Niederschlagung des Streiks sei nicht sofort möglich: „Arbeiter zu requirieren [an die Arbeit zurück zu zwingen] ist ein Mittel, das nicht alltäglich eingesetzt werden kann.“

Sie richtete eine nichtssagende Aufforderung an die Gewerkschaftsbürokratien und Unternehmensleitungen, weitere Verhandlungen aufzunehmen. Sie verteidigte zwar die Zugeständnisse, welche die Macron-nahe Confédération française démocratique du travail ausgehandelt hat, die den Arbeitern der Raffinerien von Exxon und Total starke Reallohnsenkungen bringen, deutete aber zynisch an, sie wolle die Einkommen der Arbeiter erhöhen. Dazu erklärte sie vage: „Jedes Unternehmen, das es sich leisten kann, sollte über Löhne verhandeln und sie erhöhen.“

Borne wies auf die unsichere Lage ihrer Regierung hin, die weniger als eineinhalb Jahre nach Amtsantritt scheitern könnte. Da Macrons Partei Renaissance seit den Parlamentswahlen vom Mai dieses Jahres keine Mehrheit mehr hat, haben sich alle anderen Parteien im Parlament zusammengetan, um eine Reihe von Bestimmungen in einer ersten Lesung von Macrons Haushaltsentwurf 2023 abzulehnen. Daneben wächst auch die Besorgnis über den starken Widerstand der Bevölkerung gegen die Pläne für eine weitere Rentenkürzung.

Borne schlug vor, die Kürzungen mit Hilfe des umstrittenen und undemokratischen Zusatzartikels 49.3 der französischen Verfassung durchzusetzen. Dieser zwingt die Nationalversammlung, entweder den Haushaltsplan des Präsidenten anzunehmen oder seine Auflösung und Neuwahlen zu beschließen: „Wir werden wahrscheinlich Zusatzartikel 49.3 anwenden müssen... aber nicht schon morgen.“

Borne verlässt sich darauf, dass die Gewerkschaftsbürokratien und ihre politischen Verbündeten wie Jean-Luc Mélenchons Unbeugsames Frankreich (LFI) die Arbeiter demobilisieren und spalten, damit sie den Streik überstehen kann.

Am Sonntag riefen LFI und die größere NUPES, der die LFI angehört, zu einer Demonstration in Paris auf, um gegen Inflation und hohe Lebenshaltungskosten zu protestieren. Bezeichnenderweise boykottierten sowohl die stalinistische CGT als auch die Kommunistische Partei Frankreichs, die formell Teil von NUPES sind, die Veranstaltung. Laut Schätzungen von LFI nahmen 140.000 Menschen teil, darunter viele Studierende, die gegen Macrons Sozial- und Militärpolitik sind.

Reporter der WSWS nahmen an der Kundgebung teil, verteilten Flugblätter und interviewten Arbeiter und jugendliche Teilnehmer.

Liliane, eine Unterstützerin der „Gelbwesten“-Proteste gegen soziale Ungleichheit in den Jahren 2018 bis 2019, sprach über ihre Wut auf die Macron-Regierung: „Ich will, dass sich Frankreich ändert, dass es ein Staat wird, der den Bürgern dient und nicht den Reichsten.... Wir leben nicht in einem gewöhnlichen Staat, sondern in einem kapitalistischen Staat, und das muss sich ändern.“

Sie kritisierte auch die offizielle Berichterstattung der Medien über den Nato-Krieg in der Ukraine gegen Russland, die die imperialistischen Interessen der Nato verschleiert und ausschließlich Putin für den Krieg und die Wirtschaftskrise verantwortlich macht: „Sie wollen uns einreden, es gehe nur um Grenzstreitigkeiten, oder darum, dass Putin verrückt ist. Alles was dahinter steckt, die wirtschaftlichen Interessen, werden nie diskutiert.“

Reporter der WSWS sprachen auch mit dem Logistikarbeiter Kamal, der erklärte: „Ich demonstriere, um die Kaufkraft gegen die Politik dieser Regierung zu verteidigen.“ Er verurteilte die Rentenreform, die bedeuten würde, dass seine Tochter erst mit 75 in Rente gehen kann: „Wie viele Leute werden dann sterben, bevor sie auch nur das Recht bekommen, ihre Rente zu genießen? Deshalb bin ich völlig gegen die Reform, die das Rentenalter auf 65 Jahre anhebt [und man 40 Jahre einzahlen muss, bevor man die vollständige Rente erhält]... Wir haben unser ganzes Leben lang gearbeitet und haben ein Recht auf unseren Ruhestand.“

Kamal, der Mélenchon gewählt hat, erklärte, er sei beunruhigt über das Fehlen eines organisierten Widerstands gegen den Ukraine-Krieg: „Wenn Macron im Fernsehen erzählt, er gibt 100 Millionen Euro aus, um Waffen für die Ukraine zu finanzieren, damit die gegen Russland kämpft, und keiner darauf reagiert, finde ich das erstaunlich. Meine Nachbarin muss Ende des Monats jeden Cent zweimal umdrehen, nur um essen zu können... Und dann haben Frankreich und die anderen Großmächte immer jede Menge Geld, um zu versuchen über andere zu herrschen und sie zu massakrieren, was wir überall tun. Aber es ist nie Geld da, um der Arbeiterklasse und den Armen zu helfen.“

Solche Äußerungen sind eine vernichtende Anklage gegen die Politik von Mélenchon und der LFI, die zusammen mit der CGT-Bürokratie und der kapitalistischen Parti Socialiste innerhalb von NUPES den Ukraine-Krieg propagieren.

Mélenchon selbst forderte in einer Rede auf der Kundgebung den Aufbau einer „neuen Volksfront“ aus den Parteien innerhalb der NUPES und der CGT-Bürokratie. Ein solches Bündnis wäre eine politische Falle für die Arbeiterklasse und würde darauf abzielen, sie den französischen Gewerkschaftsbürokratien und dem Staatsapparat unterzuordnen. Borne verlässt sich genau auf diese Kräfte, um einen unkontrollierten Ausbruch des Klassenkampfs gegen ihre Regierung in Frankreich und auf internationaler Ebene zu verhindern.

Die Alternative zu diesem diskreditierten politischen Establishment ist der Aufbau von Aktionskomitees der Arbeiterklasse, nicht nur in Frankreich, sondern weltweit, als Teil eines Kampfs zur Vereinigung der Arbeiter gegen Austerität und die rasch zunehmende Eskalation des Ukraine-Kriegs zu einem dritten Weltkrieg.

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